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Mitteilung vom 30.08.05

Presse-Infos | Der LWL

Viel Wichtiges und Merkwürdiges sammeln
¿Sinnstiftung in der Provinz¿ - Das neue Buch von Gisela Weiß

Bewertung:

Münster (lwl). Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert großer Veränderungen: Das Bürgertum wurde zur führenden Gesellschaftsschicht, Pädagogik und Bildung entwickelten sich zu zentralen Elementen der Erziehung, die Industrialisierung und die Nation bestimmte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts das politische, wirtschaftliche und soziale Leben. Was durch diesen tiefgreifenden Wandel außerdem gefördert wurde, war der Blick zurück in die Vergangenheit: Museen entstanden in Europa, in Deutschland und in Westfalen - hier waren es allein sechzig Gründungen in der Zeit des Kaiserreichs. In dem Buch ¿Sinnstiftung in der Provinz¿, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) jetzt herausgegeben hat, beschäftigt sich Gisela Weiß mit diesem Museumsboom.

Weiß spürt in ihrem Buch den Hintergründen der Entstehung, den inhaltlichen Konzepten der ¿Museumsmacher¿ und dem weiteren Schicksal der Sammlungen nach. Für ihre Dissertation, die jetzt als Veröffentlichung des LWL-Instituts für Regionalgeschichte im Schöningh-Verlag erschienen ist, hat sie kunst- und kulturhistorische Museen in Münster und Dortmund, Bielefeld und Witten ausgewählt und ihre Geschichte erforscht.

Zwei Faktoren haben den Museumsboom besonders beflügelt: die Industrialisierung, die eine völlige Umwälzung der Lebensverhältnisse mit sich brachte, und das Bürgertum, das nach neuer Sinnorientierung und neuen Deutungen der Vergangenheit suchte. Trotz unterschiedlicher Bedingungen verfolgten die Museumsgründer ähnliche Ziele: Der Geschichts- und Altertumskundeverein in Münster, der den Grundstock für das heutige Westfälische Landesmuseum am Domplatz legte, wollte möglichst ¿viel Wichtiges und Merkwürdiges¿ aus der Provinz Westfalen sammeln. Für die Industriestädte war jedoch die Mitwirkung des Wirtschaftsbürgertums von Bedeutung. So wünschten sich einzelne Unternehmer in Dortmund und Bielefeld insbesondere den Aufbau von Gewerbemuseen, um für ihre Arbeit zu werben. Der Bielefelder Lebensmittelproduzent August Oetker förderte gezielt die naturwissenschaftliche Abteilung ¿seines¿ Museums. In Witten finanzierte der Gussstahlfabrikant Friedrich Lohmann den gesamten Museumsbau. Wer die bürgerlichen Werte teilte, aber nicht genug besaß, um als Stifter oder Mäzen auftreten zu können, leistete ehrenamtliche Arbeit im Museum ¿ als Mitglied im Förderverein, Aufseher oder Restaurator. Gisela Weiß erklärt das so: ¿Die Museumsfreunde wünschten sich gesellschaftliche Anerkennung, zeigten aber auch unabhängig davon soziales und kulturelles Engagement für die städtische Gemeinschaft. Vor allem aber wollten sie unter ihren Mitbürgern die Liebe zur Heimat und zu Westfalen wecken und damit die Bindung an das ¿Vaterland¿ stärken¿. Besonders deutlich zeigte sich dieses Selbstbewusstsein in der ehemaligen freien Reichsstadt Dortmund, die an ihre ¿große Vergangenheit¿ anknüpfte, um die neu gewonnene wirtschaftliche Führungsrolle unter den westfälischen Städten auch historisch zu begründen.

¿Retten und Bewahren¿ war das Motiv der Unternehmer, Professoren und Lehrer, die sich für die Gründung der Museen stark machten. Es ging ihnen von Anfang an darum, Geschichtsbilder zu ent-werfen und zu vermitteln. Das Museum war wie die Schule ein Medium der Wissensvermittlung und Bildung. Die Lehrer, die sich vor allem um die Betreuung der Sammlungen kümmerten, stellten die Verbindung zur Schule unmittelbar her. Zugleich bemühten sich die ersten Museumsdirektoren darum, den Kreis der Besucher ständig zu erweitern. Als bürgerliche Einrichtungen waren die Museen auf Öffentlichkeit ausgerichtet und zugleich auf sie angewiesen. Nicht zuletzt diente der Bekanntheitsgrad als Rechtfertigung für den Fortbestand und die Förderung des Hauses. Die Trägervereine, die privat Engagierten und die hauptamtlich Angestellten wollten den Besuchern Kultur ¿nahebringen¿ und setzten dabei neue Informationsmittel - z.B. Vorträge und Führungen - ein. Mit dem Beginn regelmäßiger Wechselausstellungen im Bereich der zeitgenössischen Kunst nach der Jahrhundertwende öffnete sich der Weg des Museums zum Kulturzentrum und damit zu einer Entwicklung, die unser heutiges Verständnis von Museen bestimmt.

Gisela Weiß zeigt, warum die Geschichte der Museen eine Erfolgsgeschichte geworden ist. Museen haben auch heute noch Konjunktur. Wie im 19. Jahrhundert werden sie als Faktoren der Imagepflege und der Wirtschaftsförderung eingesetzt.
Das Buch von Gisela Weiß ¿Sinnstiftung in der Provinz. Westfälische Museen im Kaiserreich¿ ist im Verlag Ferdinand Schöningh (Paderborn 2005, 598 Seiten) gebunden erschienen. Es ist zum Preis von 54 Euro über den Buchhandel zu beziehen (ISBN 3-506-71781-2).



Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




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