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Mitteilung vom 19.08.05

Presse-Infos | Der LWL

¿Ich will endlich sagen können: Das ist mein Leben¿
Anne Schulze (76) kämpft gegen die Depressionen und für ihr Selbstwertgefühl

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Westfalen (lwl). Sie fühlt sich hin- und hergerissen, wenn sie an ihr bisheriges Leben zurückdenkt. Anne Schulze erzählt von ihrem ¿schlechten Elternhaus¿ bei Magdeburg und davon, dass sie es dennoch zur Klassenbesten gebracht hat. Auch ihre Berufstätigkeit sieht sie zwiespältig. Sie stand zwar in gehobener Position, konnte sich gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen allerdings nie behaupten, sagt sie. Die permanenten Widersprüche im Leben haben sich auf dem Boden der konfliktreichen Kindheit der 76-Jährigen entwickelt und sie ¿regelrecht krank gemacht¿. Nach jahrelangen Therapien hat sie ihre schweren Depressionen inzwischen ansatzweise überwunden.

Wie bei den meisten Menschen mit einer so genannten neurotischen Störung reicht die Ursache der Erkrankung weit in die Kindheit zurück. Bei Anne Schulze war es das von Anfang an gestörte Verhältnis zu ihrer Mutter, wie sie es sieht: ¿Ich habe nie ein Lob von ihr bekommen, nie eine Umarmung oder einen Kuss.¿ Das bedrückende Gefühl, nicht geliebt worden zu sein, sitzt tief bis heute.

Obwohl sie keinen Beruf erlernt hatte, bekam die junge Frau ihr Leben und ihre Berufstätigkeit nach außen hin ganz gut in den Griff. Zusammen mit ihrer damals sieben Jahre alten Tochter kehrte sie 1954 der damaligen DDR den Rücken und zog zu ihrem Mann nach Dortmund. Aber auch an ihrer Arbeitsstelle bei einem großen Kaufhauskonzern lief bald nicht mehr alles problemlos für Anne Schulze.

Bei ihren Vorgesetzten genoss sie zwar Vertrauen und Respekt. Aber von ihren Kolleginnen und Kollegen wurde ihre Autorität nicht anerkannt: ¿Ich konnte mich nicht einmal durchsetzen, ich wurde nur gequält.¿ Ihre Abwehrreaktion darauf beschreibt sie als eine gewisse zur Schau getragene Hochnäsigkeit, die die Probleme mit ihrem Umfeld nur noch schlimmer werden ließen. Sie weinte schon in dieser Zeit sehr viel, wenn sie allein war.

Schließlich wurde die berufliche und seelische Belastung ihr zuviel. Im gerade für aufkommende Depressionen kritischen Alter von 43 Jahren erkrankte sie erstmals schwer und musste sich ärztlich behandeln lassen: Mit dem Tod ihres Mannes und Vaters der gemeinsamen Tochter verschlimmerten sich die Leiden noch mehr: ¿Danach wurde ich immer kranker. Ich wurde todkrank.¿

Selbstmordgedanken wurden zu ständigen Begleitern: ¿Ich habe jeden Tag daran gedacht, mir das Leben zu nehmen.¿ Zudem fühlte sie sich mit ihrer Krankheit von niemandem so recht verstanden. Ärztinnen und Ärzte laborierten ihrer Ansicht nach nur an den körperlichen Folgen der Depressionen. Ihre Kolleginnen und Kollegen hielten sie schlichtweg für eine ¿Heulsuse¿, die ihre Gefühle nicht im Griff hat. Damit nicht genug: In den folgenden Jahren verlor sie zwei weitere Lebensgefährten durch Tod.

Zudem bereitete Anne Schulze das Älterwerden zunehmende Probleme. Die stets auf ein äußerlich korrektes Auftreten und auf Wirkung bedachte Frau konnte sich nur sehr schwer mit altersbedingten Veränderungen ihres Körpers abfinden. Hinzu kam das Handicap einer Gehbehinderung. Das Ideal, jung, gutaussehend und begehrenswert zu sein, zerbröckelte ¿ wie bei vielen, die die Fassade ewiger Jugendlichkeit in den Vordergrund, die Pflege ihres Selbstwerts aber über Jahre hinweg in den Hintergrund stellen: ¿Ich hatte immer Chancen bei Männern, aber nicht immer Glück mit ihnen.¿

Anne Schulze verbrachte die folgenden Jahre mehrfach stationär in psychiatrischen Spezialkliniken, ab 1995 in der Westfälischen Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Dortmund. Seit 1998 gibt es dort zusätzlich das Angebot einer ambulanten Gruppenpsychotherapie, das sie jetzt regelmäßig wahrnimmt und das ihr bei ihrer ¿seelischen Arbeit¿ geholfen hat. Ihrem Leben ein Ende zu setzen, diesen Gedanken hat sie überwinden können. Auch mit dem Alleinsein kommt sie jetzt gut zurecht.

Völlig verschwunden sind ihre Depressionen zwar nicht. Aber dank der regelmäßigen Gruppengespräche kann sie sich nun leichter öffnen, über ihr Leben nachdenken und unbelasteter darüber erzählen. Denn eins hat Anne Schulze für sich erkannt: ¿Endlich kann ich sagen, das ist mein Leben. Das habe ich vorher nicht gekonnt, das so zu sehen.¿

Info Depression:

Bis zu zehn Prozent der Menschen in den Industrienationen erleiden einmal oder mehrfach im Leben eine behandlungsbedürftige Depression, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Ältere Menschen neigen stärker zu depressiven Erkrankungen ¿ etwa wegen zunehmender körperlicher Gebrechen oder ihrer sozialen und familiären Situation. Frauen sind doppelt so anfällig wie Männer.
Depressionen gehen oft mit anderen seelischen (zum Beispiel Angstzustände) oder körperlichen Beschwerden ohne eindeutigen medizinischen Befund einher. Häufig werden sie nicht oder erst sehr spät erkannt.
Depressionen können lebensbedrohlich werden. Sie sind der größte Risikofaktor für eine Selbsttötung. Etwa die Hälfte der rund 11.000 Menschen, die sich pro Jahr in Deutschland das Leben nehmen, litt zuvor an Depressionen. 40 Prozent aller Selbsttötungen verüben Menschen über 60. Die Zahl der männlichen Suizidopfer ist dabei doppelt so hoch wie die der weiblichen.



Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org




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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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