LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 18.05.05

Presse-Infos | Der LWL

Verschüttet vom Vesuv
Erste Ausstellung über ¿Die letzten Stunden von Herculaneum¿

Bewertung:

Haltern am See (lwl). Ab dem 21. Mai (bis 14.8.) präsentiert eine Ausstellung im Westfälischen Römermuseum Haltern (Kreis Recklinghausen) Ausgrabungsfunde aus dem römischen Ort Herculaneum, der 79 nach Christus vom Vesuv verschüttet wurde. Auf 1000 Quadratmetern zeigt die zirka eine Million Euro teure Schau im komplett umgebauten Museum ¿Die letzten Stunden von Herculaneum¿. Zum ersten Mal sind rund 170 Kunstwerke, Alltagsgegenstände und Abgüsse von Opfern aus der Nachbarstadt Pompejis außerhalb Italiens zu sehen.

Die Ausstellung im Westfälischen Römermuseum Haltern ist eine Kooperation des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), des Berliner Pergamonmuseums (Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin) und des Bremer Focke-Museums (Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte). Die Schau wird ab September bis Dezember in Berlin und von Januar 2006 bis April 2006 in Bremen zu sehen sein.

Die mondäne Schwester Pompejis versinkt in einer einzigen Nacht
¿Ungefähr 5000 Einwohner zählte die mondäne Küstenstadt am Golf von Neapel. Vor allem begüterte Römer und ihre Sklaven lebten dort, aber auch Handwerker und Ladenbesitzer¿, so Projekt-Initiator Prof. Dr. Dieter Richter (Universität Bremen) am Mittwoch (18.5.) in Haltern am See. ¿Man kann sich den 24. August 79 gut vorstellen - ein Sommertag am Golf von Neapel, Fischer ziehen ihre vollbeladenen Boote an den Strand.

Eine frische Brise weht vom Meer, während sich die wohlhabenden Römer in den Gärten ihrer luxuriösen Sommervillen entspannen. Niemand ahnt, dass in ein paar Stunden der Vesuv ausbrechen und die ganze Stadt unter einer glühendheißen Lawine aus Asche, Schlamm und Bimsstein begraben wird.¿

Damit die Ausstellungsarchitektin Barbara Hähnel-Bökens den Besucher des LWL-Museums in die römische Kleinstadt am Golf von Neapel versetzen konnte, wurde das Ausstellungshalle seit Anfang April komplett ausgeräumt und die Ausstellungshalle verdunkelt. Rund zehn Tonnen 2000 Jahre alter Vulkansteinchen (Lapilli) brachten Lastwagen aus Herculaneum nach Haltern. Museumsleiter Dr. Rudolf Aßkamp: ¿Wir wollten eine Vorstellung von dem verschaffen, was diese Katastrophe in dieser Nacht bedeutet hat, welche Kultur der Vulkanausbruch begraben und letztlich für uns konserviert hat.¿

Entlang von zehn Stationen, die römischen Häusern nachempfunden sind, macht der Besucher einen Rundgang durch die versunkene Stadt, die heute 30 Meter unter der Erde liegt. ¿Die letzten Stunden von Herculaneum¿ werden zum Beispiel durch gut erhaltene Skelette aus den Bootshäusern am Mittelmeerstrand wieder wach gerufen sowie durch Holzmöbel und kostbare Wandmalereien, Goldschmuck und Bronzeskulpturen aus dem Archäologischen Nationalmuseum von Neapel. Ein Höhepunkt der Schau sind zwei verkohlte antike Papyrusrollen aus der berühmten Villa dei Papiri, der weltweit einzig erhaltenen römischen Bibliothek. Sie gehörte wahrscheinlich dem Schwiegervater Caesars.

Die tödliche Wolke aus dem Vulkan
Erst seit wenigen Jahren weiß man, wie sich die Tragödie in Herculaneum abgespielt hat. ¿Die 400 Grad Celsius heiße Wolke, nicht Gesteinsbrocken oder Schlamm aus dem Vesuvausbruch haben die Menschen damals umgebracht¿, erläutert Projektleiter Dr. Josef Mühlenbrock vom LWL-Römermuseum. Um der Geschichte des Berges auf die Spur zu kommen, untersucht das Vesuv-Observatorium Neapel auch vergangene Ausbrüche.

Wie die Ausstellung an einer Station zeigt, können die Vulkanologen heute die Katastrophe des Jahres 79 minutiös rekonstruieren, als die Wolke mit 500 Kilometern pro Stunde die Hänge des Vesuvs hinunter raste.

Die Sozialgeschichte aus den Skeletten
1982 stießen italienische Kanalarbeiter durch Zufall auf die antiken Bootshäuser von Herculaneum. Dort hatten über 300 Menschen, zusammengedrängt im Dunkeln, durch die glühendheiße Asche einer so genannten pyroklastischen Wolke in Sekunden den Tod gefunden. ¿Dank neuer wissenschaftlicher Techniken waren die Forscher in der Lage, die Skelette in den Bootshäusern von Herculaneum zu ¿lesen¿¿, so Prof. Richter. Die Knochen lieferten italienischen und amerikanischen Anthropologen präzise Informationen über Geschlecht, Aussehen, Alter und Ernährung der Menschen, über ihre Krankheiten, ihren sozialen Stand und die Art ihres Todes. Viele litten an Erkrankungen der Atemwege, an Tuberkulose und Knochenbrüchen. An zahlreichen Skeletten lassen sich die Spuren harter Arbeit ablesen. Und keiner der Menschen, die am Strand von Herculaneum starben, war älter als 60 Jahre.

Von etwa 500 Menschen aus Herculaneum kennen die Forscher die Namen, einer davon ist Marcus Pilius Primigenius Granianus. In seinem bescheidenen Haus fanden Archäologen eine hölzerne Wiege mit dem Skelett eines Babys. Das Neugeborene lag auf einer Matratze aus Pflanzenfasern, mutterseelenallein in einem Zimmer, wie man zuerst annahm. Erst bei späteren Grabungen stießen die Forscher auf sechs weitere Skelette von Erwachsenen ¿ die Menschen waren nicht in Panik geflüchtet und hatten das Baby zurückgelassen, sondern waren gemeinsam gestorben. Richter: ¿Herculaneum ist für uns zu einem manchmal sehr ergreifenden Lesebuch über Leben und Sterben in einer römischen Kleinstadt geworden.¿

Die Wiederentdeckung Herculaneums
Herculaneums Entdeckung begann vor fast 300 Jahren: Als ein Bauer 1709 im Ort Resina, dem heutigen Ercolano, einen Brunnen grub, stieß er auf Marmorblöcke aus römischer Zeit. Davon hörte der öster-reichische Prinz von Elboeuf, der sich an der Bucht von Neapel eine Villa errichten ließ. Mit mühsam in den vulkanischen Tuff gegrabenen Stollen ließ er nach weiteren Kunstwerken suchen. Das erste Gebäude des vor über 1900 Jahren verschütteten Herculaneum war gefunden: das Theater. Dies war der Beginn der
Ausgrabungen von Herculaneum, schon Jahrzehnte, bevor man Pompeji entdeckte.

Die Nachrichten über die wiedergefundene Stadt breiteten sich wie ein Lauffeuer durch Europa aus. Neben Presseberichten spielten dabei Reisebeschreibungen, gelehrte Abhandlungen und illustrierte Werke eine wichtige Rolle. Auf diese Weise wurde die verschüttete Antike am Golf von Neapel zu einem neuen touristischen Anziehungspunkt. Zahlreiche Besucher vor allem aus England, Frankreich und den deutschen Ländern kamen, um Augenzeugen der unerhörten Ereignisse zu werden.

Mit Fackeln bewaffnet stieg man durch die schmalen, schlüpfrigen Gänge in das verzweigte Labyrinth des unterirdischen Theaters hinab und bestaunte die zutage gekommenen Schätze im königlichen Schloss in Portici.
Eine neue Form des Tourismus war entstanden.

Mit den Funden aus Herculaneum und Pompeji brach sich ein neuer Stil in Europa Bahn. Architekten, Maler, Dekorateure, Möbeltischler, Goldschmiede, Porzellankünstler begeisterten sich für den Geschmack ¿der Alten¿. Kunsthandwerker benutzten Abbildungen antiker Gebrauchsgegenstände als Vorlagen für eigene Schöpfungen. Wandmalereien aus Herculaneum und Pompeji wurden zu Vorbildern für Wanddekorationen in Schlössern und Bürgerhäusern. Die Wiederentdeckung der antiken Städte am Golf von Neapel wurde die Geburtsstunde des europäischen Klassizismus.

Die einzige erhaltene römische Bibliothek
1750 ebenfalls bei der Anlage eines Brunnens wurde die größte und luxuriöseste Privatvilla der Römischen Welt entdeckt, die Villa dei Papiri. Man grub sie bis 1764 durch ein System von Schächten und Stollen aus. Dabei ging es den Ausgräbern vor allem darum, Kunstschätze aus der Villa ans Licht zu holen.

Heute liegt die Villa dei Papiri 30 Meter unter dem Niveau der modernen Stadt. Die mehrstöckige, über 250 Meter lange Villa mit
Säulenhallen, Meeresterrassen und Aussichtspavillon grenzte an einen Fluss, der sie vom Ort Herculaneum trennte.

Erbauer war vermutlich der Schwiegervater von Julius Caesar, Lucius Calpurnius Piso Cesonius, Konsul des Jahres 58 v.Chr. Seine Familie bewohnte die Anlage wahrscheinlich noch beim Ausbruch des Vesvus. Der Besitzer der Villa muss ein großer Kunstliebhaber gewesen sein: Neben qualitätsvollen Wandmalereien und Mosaiken kamen mehr als 70 Skulpturen aus Bronze und Marmor zu Tage. Sie schmückten den über 100 Meter langen Garten und die ihn umgebenden Säulenhallen.

Bei den Ausgrabungen stieß der Schweizer Bergbau-Ingenieur Karl Weber auch auf einen großen Raum voller Regale, in denen mehr als 1700 schwärzliche Päckchen lagen, die der Villa ihren Namen gaben: Rollen aus Papyrus. Die weltweit einzige antike römische Bibliothek war gefunden. Die Forscher hofften auf noch unbekannte Schriften großer antiker Autoren. Doch die schwierige Abrollung und die bis heute nicht abgeschlossene Entzifferung machten nur Werke weniger bedeutenderer Autoren lesbar, vor allem Schriften des griechischen Philosophen Philodemos von Gadara. Zwei seiner Werke Werke sind in der Ausstellung in Nachzeichnungen des 18. Jahrhunderts zu sehen. Der Zeichner war ein Bruder des berühmten Casanova.

Der gleichnamige Katalog zur Ausstellung ist bei Philipp von Zabern erschienen und kostet 24,90 Euro (300 Seiten, 350 farbige Abbildungen, ISBN 3-8053-3445-1), das Entdeckungsbuch für Kinder
kostet sieben Euro. Das Westfälische Römermuseum bietet Führungen und vier verschiedene museumspädagogische Programme an, Informationen unter Tel 02364-93760.

21. Mai bis 14. August:
Die letzten Stunden von Herculaneum
Westfälisches Römermuseum Haltern
Weseler Straße 100
45721 Haltern am See
Tel: 02364-93760
https://www.herculaneum-ausstellung.de

Öffnungszeiten:
Di bis Fr 9 - 17 Uhr
Sa+So 10 - 18 Uhr
Eintritt:
Erwachsene 5 Euro
Ermäßigt 3 Euro
Kinder (bis17) 2,50 Euro
Familien 10 Euro

Achtung Redaktionen: Beschreibungen und Fotos von zehn herausragenden Exponaten finden Sie auch unter https://www.lwl.org (¿Presse-Infos¿)



Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, Telefon: 0251 591-235, presse@lwl.org
presse@lwl.org




Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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