LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 05.04.05

Presse-Infos | Der LWL

¿Sichern und Strafen¿: Neues LWL-Buch beleuchtet dunkles Kapitel eines der letzten Arbeitshäuser Deutschlands

Bewertung:

Lippstadt (lwl). Das zeitgenössische Urteil über die Arbeitshäuser, in denen ¿Bettler, Landstreicher, Prostituierte, Geschlechtskranke, Trinker¿ und andere gesellschaftliche Außenseiter bis in die 1950er Jahre zwangsweise untergebracht wurden, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Selbst Experten bezeichneten die Menschen in den Arbeitshäusern ¿als moralisch viel tiefer stehend als die Insassen der Zuchthäuser¿. Es gebe ¿keine schlimmere, keine für die Sicherheit gefährlichere Bevölkerung als jene, die in Arbeitsuntätigkeit, Liederlichkeit und Trunk versunken¿ sei. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat jetzt in der Reihe ¿Forschungen zur Regionalgeschichte¿ seines Westfälischen Institutes für Regionalgeschichte unter dem Titel ¿Sichern und Strafen¿ eine Studie der Historikerin Elisabeth Elling-Ruhwinkel herausgegeben. Darin beschreibt Elling-Ruhwinkel für diesen weitgehend unbekannten Teil der damaligen ¿Fürsorge¿ den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen
Erwartungen, allgemeinen sozialen Problemen und individuellen Schicksalen.

Da die Arbeitshäuser, die der Erziehung sozialer Außenseiter dienen sollten, in Preußen von den Provinzen unterhalten werden mussten, richtete auch die Provinz Westfalen, die Vorgängerorganisation des heutigen LWL, 1821 in Benninghausen bei Lippstadt (Kreis Soest) ein solches Arbeitshaus ein, das erst 140 Jahre später geschlossen wurde.

Neben Wohnungslosen, Prostituierten oder alkoholkranken Menschen wurden in den Provinzialarbeitshäusern auch ¿unwürdige¿ Fürsorgeempfänger, Unterhaltsverweigerer, Arbeitsscheue, schwer erziehbare Jugendliche, Zwangsarbeiter, Kriegs- und Strafgefangene zwangsweise untergebracht. Allen Internierten war gemeinsam, dass sie gegen den gesellschaftlichen Grundkonsens der Arbeitsamkeit verstoßen hatten. Die Ziele und Aufgaben der Arbeitsanstalten waren, das ¿arbeitsscheue Verhalten zu bestrafen, die Insassen durch Arbeitspflicht und strenge Aufsicht zu bessern¿. Kurz: Der Fürsorgestaat wollte sich durch Abschreckung vor Missbrauch schützen. Dabei ging es sogar härter zu als im Gefängnis: Als ¿gelinder Arrest¿ galt z.B. die bis zu vier Wochen dauernde ¿einsame Einsperrung in einem hellen Gemache¿. Der ¿strenge Arrest¿ wurde bis zu zwei Wochen lang ¿in einem dunklen Gemache¿ verbüßt. Die Delinquenten schliefen in Einzelzellen auf einer Pritsche ohne Kopfkissen, Strohsack und Decke. Nur wenn die Außentemperatur unter null Grad sank, erhielten die ¿Arrestanten¿ nachts eine Wolldecke; ihre Essensrationen wurden auf Wasser und Brot reduziert.

Es dauerte bis nach dem Ersten Weltkrieg, bis sich in Politik und Verwaltung die Erkenntnis durch-setzte, dass das mit dem Wort ¿Korrigenden¿ postulierte Besserungsziel nicht zu erreichen war. ¿Das Korrektionskonzept aus strenger Disziplin und Arbeitszwang war zum Scheitern verurteilt: Für die große Mehrzahl der Korrigenden mit physischen oder psychischen Krankheiten blieben die Arbeitshäuser Verwahranstalten ohne adäquate fürsorgerische, medizinische oder psychiatrische Betreuung¿, so Elling-Ruhwinkel.

Die Autorin hat festgestellt, dass die Randgruppen während des gesamten Zeitraumes von 1871 bis 1945, den sie untersucht hat, diszipliniert und ausgegrenzt wurden. Einen besonderen Schwerpunkt der Arbeit bildet die NS-Zeit. Die Radikalisierung der ¿Asozialen¿-Verfolgung im ¿Dritten Reich¿ setzte mit der schärferen Disziplinierung von Fürsorgeklienten und Arbeitshaus-Delinquenten sowie einer rigideren Praxis von Polizei und Wohlfahrtsbehörden ein. Sie ließ auch die Belegung der Benninghauser Anstalt von 200 auf über 600 drastisch steigen.

Benninghausen war in dieser Zeit in mehrfacher Hinsicht in den Terror gegen ¿Asoziale¿ involviert, denn die nationalsozialistische ¿Rassenhygiene¿ wirkte in die Anstalt hinein: Zwischen 1934 und 1941 wurden mindestens 209 Insassen sterilisiert. Ab 1939 konnten die ¿Asozialen¿ auch ins Konzentrationslager gesperrt werden. Als die Benninghausener Korrektionsabteilung 1962 geschlossen wurde, war sie neben der rheinischen Anstalt Brauweiler die letzte Einrichtung dieser Art in der Bundesrepublik.


Die Autorin:

Dr. Elisabeth Elling-Ruhwinkel, geb. 1968, ist Historikerin und Journalistin; sie arbeitet als Redakteurin einer Tageszeitung.

Elisabeth Elling-Ruhwinkel:
Sichern und Strafen
Das Arbeitshaus Benninghausen (1871-1945)
Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 51
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2005
446 Seiten, Festeinband, ¿ 46,40.
ISBN 3-506-71344-2



Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0






Ihr Kommentar




zur Druckansicht dieser Seite

zu den aktuellen Presse-Infos