LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 17.06.04

Presse-Infos | Der LWL

Früher, öfter, stärker: Jugendliche holen sich den "Kick aus der Flasche"
Bei LWL-Fachtagung nennen Experten Konsumtrends und Vorbeugungswege

Bewertung:

Hamm/Münster (lwl). Einrichtungen der Sucht- und Jugendhilfe stehen vor neuartigen Herausforderungen. Jugendliche trinken immer früher, häufiger und stärker Alkohol. Dieser Tenor bestimmte am Mittwoch (16. 6.) die Tagung "Der Kick aus der Flasche. Jugendlicher Alkoholkonsum: Analysen, Trends, Antworten". Die Veranstaltung mit Vorträgen und Workshops im Kurhaus Bad Hamm wurde ausgerichtet von der Koordinationsstelle Sucht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Kooperation mit der Landeskoordinationsstelle für Suchtvorbeugung "ginko", dem Hammer Arbeitskreis für Jugendhilfe e.V. und der Stadt Hamm.

War das "Trinken bis zum Umfallen" ¿ fachsprachlich auch "Binge Drinking" genannt ¿ bis vor kurzem hauptsächlich eine Sache von jungen Männern, so hat inzwischen der Mädchen-Anteil an dieser Art des Alkohol-Missbrauchs stark zugenommen. Das betonte der Bielefelder Gesundheitswissenschaftler Dr. Wolfgang Settertobulte in seinem Vortrag. Krankenhäuser verzeichnen nach seinen Angaben eine bis zu dreifache Steigerung der Zahl der während eines Jahres behandelten Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen. Im Rahmen der von der Weltgesundheitsorganisation WHO durchgeführten, 35 Länder umfassenden Studie "Health Behaviour in school aged children" (HBSC) hat Settertobulte mit einem Team der Universität Bielefeld im Jahr 2002 ermittelt, dass der Einstieg Jugendlicher in den Alkohol-Konsum in Deutschland im Durchschnitt mit 12,8 Jahren erfolgt. Ein Jahr später erleben diese Heranwachsenden dann statistisch gesehen ihren ersten Alkoholrausch. 39,3 Prozent aller 15-Jährigen in Deutschland trinken bereits regelmäßig Alkohol.

Nur zum Teil seien die Alcopops genannten Mischgetränke für das Trinkverhalten Jugendlicher verantwortlich zu machen, betonte der Wissenschaftler. Bier sei immer noch das beliebteste prozenthal-tige Getränk. Alkohol besitze in Mitteleuropa eine soziale Funktion: "Alkohol ist die älteste Partydroge." Zudem werde Alkohol-Konsum von den Jugendlichen als Symbol des Erwachsenwerdens wahrgenommen. Jugendbezogene Alkohol-Prävention sollte auf eine Veränderung der "Alkohol-Kultur" zielen, riet Settertobulte. Dieses Ziel sei nur mittelfristig zu erreichen, etwa durch Aufklärungskampagnen. Höhere Preise für alkoholische Getränke wie auch die stärkere Beachtung der Jugendschutzbestimmungen hielt er des weiteren für angemessene Maßnahmen.

"Wut" über Modedrinks

Während der Wissenschaftler die Bedeutung der Alcopops für den immer häufigeren Griff der Jugendlichen zur Flasche nicht überbewerten wollte, machte Silke Morlang ihrer "Wut" über die süßen Mixturen Luft. Die Vertreterin von "ginko" aus Mühlheim an der Ruhr stellte den Anwesenden die Marketing-Strategien der Hersteller solcher Mixgetränke aus süßen Softdrinks und Branntwein, Bier oder Wein vor. Vielfach habe es den Anschein, dass die Produzenten den Alkoholgehalt verschleiern und die Werbung für die Getränke trotz des Verbots des Jugendschutzgesetzes speziell auf Jugendliche ausrichten wollten, zeigte sich die Referentin überzeugt.

Bereits 1996 hatte Morlang in Zürich eine Studie zu den modischen "Drinks" durchgeführt. Wenigen sei bewusst, dass in einer Flasche mit üblicherweise 275 Milliliter meist mehr reiner Alkohol enthalten sei als in einem Glas Wein oder sogar einem Glas Schnaps. Bis zu 12 Volumenprozent betrage der Alkoholgehalt mancher Alcopops. Deutliche Hinweise darauf seien auf den Flaschen allerdings nur schwer zu finden. Dass Alcopops gerade bei ganz jungen Konsumenten besonders beliebt seien, erklärte Silke Morlang mit der Überlagerung des für junge Gaumen unangenehmen, Würgereiz hervorrufenden Alkoholgeschmacks durch das süße Aroma der beigemixten Getränke. Die Gewöhnung Jugendlicher ans Alkohol-Trinken sei extrem gefährlich, betonte sie: "Ein Erwachsener braucht in der Regel 15 Jahre, um Alkoholiker zu werden; Jugendliche schaffen das in einem halben Jahr." Klar sprach sich Morlang für eine Sonderabgabe auf Alcopops aus, auch wenn die entsprechende Initiative der Bundesregierung kürzlich durch den Bundesrat abgelehnt und somit zumindest verzögert worden sei.

Prävention im Kombi-Pack

Eine Alcopop-Steuer allein werde das Problem des übermäßigen ¿ und gefährlichen ¿ Alkoholgenusses nicht lösen, stellte hingegen Jan Lieven in seinem Tagungsfazit heraus. Der Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz verwies darauf, dass ¿ bei aller Problematik ¿ der Marktanteil der Mode-Alkoholika nur bei acht bis neun Prozent der "harten" Getränke liege und darüber hinaus sinke. Wirksame Alkoholprävention müsse aus verschiedenen Elementen kombiniert werden. Staatliche Sanktionen wie Alkoholsteuern und der Erlass von Gesetzen gehörten genauso dazu wie die Einbindung der Eltern und anderer Vertrauenspersonen sowie auch die Berücksichtigung des Handels. Lieven stellte die Frage, ob es nicht sinnvoll sei, branntweinhaltige Getränke aus den allgemeinen Lebensmittelläden zu entfernen und dafür besondere Verkaufsstellen zu schaffen.

Ein auf Jugendliche zugeschnittener, vorbeugender Ansatz zum Umgang mit Alkohol sollte das Ziel der Risikokompetenz-Erwerbung verfolgen. Darauf verwies Wolfgang Rometsch, Leiter der LWL-Koordinationsstelle Sucht. Wie auch Maria Seifert, Vorsitzende der LWL-Landschaftsversammlung und des Landesjugendhilfeausschusses des LWL, verwies Rometsch auf die Wichtigkeit lokaler und regionaler Kooperationen, um die Menschen vor Ort für das Problem zu sensibilisieren. Der Hammer Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann pflichtete dem in seinem Grußwort zu Beginn bei: "Suchthilfe und -vorbeugung sind ein ganz wichtiges Thema für die Kommunalpolitik."

Im eher praktischen Teil der Tagung wurde in den Workshops deutlich, dass traditionelle Methoden der Suchtvorbeugung wie reine Informationskampagnen über die Wirkungsweisen und Gesundheitsrisiken von Alkohol oder auch abschreckend gemeinte Ansätze die Jugendlichen meist nicht erreichen, wie Ulrike Flaspöhler und Anja Gröschell berichteten. Die beiden Mitglieder der Arbeitsgruppe Alkoholprävention der Arbeitsgemeinschaft Prophylaxe NRW stellten in einem Arbeitskreis den "Alkoholordner" als neuen, kreativen Ansatz der Alkoholprävention vor. Der Ordner enthält verschiedene Spiele rund um das Thema Alkohol, die bereits für Zwölfjährige geeignet sind.

Drei weitere Workshops behandelten die Gemeinschaftsinitiative "Tanzen ist schöner als torkeln" im Rheinisch-Bergischen Kreis, die Sommerinitiative "Bist du stärker als Alkohol" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und Ansätze lokaler Alkoholpolitik im schweizerischen Bern. Sowohl die durch die Kreis-Mitarbeiter Thomas Lübbe und Thomas Straßer vorgestellte Gemeinschaftsinitiative im Rheinisch-Bergischen Kreis ¿ gebildet durch Jugendämter und Kommunen, Präventions-Fachdienste und die Interessengemeinschaften des Einzelhandels ¿ wie auch die von Stefan Koller vorgestellten Berner Beispiele verdeutlichten, dass Erwachsenen eine wichtige Funktion bei der Alkoholprävention zukommt. Oft wirken sie auf größeren Festen als schlechte Vorbilder, oder sie schreiten nicht ein, wenn sie Gruppen jugendlicher "Kampftrinker" beobachten.

Alkohol-Aufklärung am Strand

"Ich habe gedacht, man wird ausgelacht", berichtete Silke Vogel aus ihrer Erfahrung als "Peer" im Rahmen der Sommeraktion "Bist du stärker als Alkohol" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Seit dem Jahr 2001 ist die BZgA in Urlaubsorten an der deutschen Nord- und Ost-seeküste, in Spanien und Frankreich vertreten, erfuhren die Teinehmerinnen und Teilnehmer in dem von Rica Braune geleiteten Workshop. Die Idee dazu ist 1997 in den Niederlanden entwickelt worden. Mit Hilfe 20- bis 25-jähriger Kontaktpersonen ¿ den Peers ¿ soll der Kontakt zu jugendlichen Urlaubern hergestellt werden, aus dem sich Gespräche über Alkohol ergeben sollen. Silke Vogel hat zunächst als Peer gearbeitet und wird dieses Jahr selbst bei der dreitägigen Vorbereitung der Peers auf ihre Aufgaben mitwirken. Silke Vogels Befürchtungen bestätigten sich übrigens nicht. Jugendliche seien sehr wohl bereit, sich mit ihrem Trinkverhalten auseinanderzusetzen, sagte sie.



Pressekontakt:
Karl G. Donath und Doris Sarrazin, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0






Ihr Kommentar




zur Druckansicht dieser Seite

zu den aktuellen Presse-Infos