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Mitteilung vom 08.12.03

Presse-Infos | Der LWL

Wenn ein Kind einen Mord beobachtet
Interview mit Dr. Falk Burchard, Leiter der neuen Ambulanz für traumatisierte Kinder und Jugendliche in Marsberg

Bewertung:

Herr Dr. Burchard, wie können Sie einem Kind helfen, das gerade einen Mord beobachtet hat?
Erstmal muss es raus aus der traumatisierenden* Situation, die seine Seele verletzt. So ein Kind braucht vor allem Sicherheit. Jemanden, der ihm vermittelt: Es ist vorbei, dir kann nichts mehr passieren, ich bin da für dich. Ein Kind, das gerade Opfer oder Zeuge einer Gewalttat geworden ist, befindet sich ja in einer Ausnahmesituation. Es ist sehr erregt oder zieht sich völlig zurück, es weint hemmungslos oder spricht kein Wort ¿ viele Reaktionen sind denkbar. Die müssen wir als Traumahelfer wahrnehmen und herausfinden, was jetzt gut für das Kind ist.

Unter welchen Voraussetzungen kann die Trauma-Ambulanz tätig werden?
Wir arbeiten auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes.
Das heißt: Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher durch einen vorsätzlichen tätlichen Angriff eine Traumatisierung erlitten hat ¿ dann treten wir in Aktion. Unsere 'Task Force' besteht aus drei Psychiatern und drei Psychologen, allesamt erfahren in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Kosten der Behandlung trägt nicht die Krankenkasse, sondern das Land NRW.

Wer kümmert sich denn bisher um Kinder und Jugendliche, die durch ein Gewaltverbrechen traumatisiert worden sind?
Systematisch hat das bisher niemand getan. Zumindest nicht kurzfristig, direkt nach der Tat. Wenn ein Kind nicht mehr nach Hause kann, ruft die Polizei einen Mitarbeiter des Jugendamtes, der das Kind bei einer Pflegemutter unterbringt. Aber Kinder und Jugendliche brauchen von Anfang an spezielle Hilfe, um bewältigen zu können, was sie erlebt haben. Diese therapeutische Lücke wollen wir mit der Trauma-Ambulanz schließen. Wenn die Polizei uns informiert, können wir den Opfern schon am Tatort unsere Hilfe anbieten.

Wie ein Notarzt für die Seele?
Das kann man so sagen. Eine Psychotraumatisierung ist vergleichbar mit einem komplizierten Split-terbruch. Auch ohne Behandlung wird der irgendwann verheilen. Die Frage ist nur,
wie. Wenn Sie den Bruch aber sofort ordentlich versorgen, besteht eine Chance, dass der Knochen wieder voll funktioniert und keine Schäden zurückbleiben.

Welche psychischen Folgeschäden kann ein unbehandeltes Trauma denn verursachen?
Die häufigsten Spätfolgen sind Angststörungen, Depressionen und Sucht. Die Spannbreite reicht aber von plötzlichen Stimmungsschwankungen bis zur Entwicklung von multiplen Persönlichkeiten. Traumaopfer sind bislang sehr oft Stammgäste
in der Psychiatrie geworden. Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass 30 bis 40 Prozent unserer Patienten nicht hier wären, wenn
sie nach einem traumatischen Erlebnis sofort professionelle Hilfe bekommen hätten.

*Trauma (griech.): Wunde, seelische Verletzung

Dr. Falk Burchard ist Chefarzt der Westfälischen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marsberg (Hochsauerlandkreis). Er leitet die neue Ambulanz des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) für traumatisierte Kinder und Jugendliche. Seit Februar 2003 leistet die Ambulanz Opfern von Gewalttaten 'erste Hilfe'.


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Pressekontakt:
Karl G. Donath, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org




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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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