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Mitteilung vom 18.02.03

Presse-Infos | Der LWL

Gastfamilien sollen für behinderte Menschen eine Alternative zum Wohnen im Heim werden

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Wickede (lwl). Morgens, kurz nach Acht in einem Einfamilienhaus in Wickede (Kreis Soest). "Ich habe Kaffee aufgesetzt!" ruft Monika Fritsche aus der Küche nach oben. Kurz danach kommen Recep C. und Horst H. die Treppe herunter und setzen sich an den Frühstückstisch. Sie plaudern ein wenig, starten gemeinsam in den neuen Tag. Dass die beiden Männer chronisch psychisch krank sind, ist das einzige, was den Haushalt von einer ganz normalen Familie unterscheidet.

Vor vier Jahren entschlossen sich Monika und Dieter Fritsche, behinderte Menschen in ihr Haus aufzunehmen. Seitdem ist das Ehepaar aus Wickede eine von rund 50 Gastfamilien in Westfalen-Lippe, die in das Konzept der so genannten Familienpflege eingebunden sind. Eine Wohnform, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) im "Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen" 2003 als Alternative zum Leben im Heim für behinderte Menschen flächendeckend anbieten wird.

Gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden will der LWL mehr Familien dafür interessieren, Behinderte aufzunehmen. Bislang leben rund 50 behinderte Menschen in Westfalen-Lippe in einer Gastfamilie, Ende des Jahres sollen es nach den Vorstellungen des Kommunalverbandes bereits über 100 in Westfalen-Lippe sein. Im Rheinland bestehen 140 Familienpflegeverhältnisse.

"Für behinderte Menschen bedeutet die Familienpflege ein Stück mehr Integration", begründet Thomas Profazi vom LWL in Münster den neuen Vorstoß. Er schätzt, dass langfristig mehrere hundert Gastfamilien zu einem neuen Zuhause werden könnten. In Westfalen-Lippe leben rund 19.000 behinderte Menschen in Heimen (NRW: 42.000).

Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass sowohl die behinderten Menschen als auch die aufnehmenden Familien das "neue Familienmitglied" als Gewinn betrachteten, so Profazi weiter. Wichtig sei eine kontinuierliche Begleitung durch ein Team von professionellen Betreuern, die auch bei Problemen oder Krisen sofort helfen könnten.

Recep C. kam zu Monika und Dieter Fritsche, als sich seine Tochter nicht mehr um ihn kümmern konnte. "Nach dem Tod meiner Frau bin ich krank geworden", sagt der 57-Jährige leise. In der Westfälischen Klinik für Psychiatrie Warstein erfuhr der gebürtige Türke von der Möglichkeit, in einer Gastfamilie zu leben. Nach einem Wochenende "Probewohnen" bei den Fritsches war ihm klar: "Wir passen zusammen."

Den passenden Patienten zur passenden Familie zu finden: "Das ist meist das Schwierigste", weiß Waltraud Brune, die in der Klinik Warstein die ambulanten Dienste leitet. Nicht jeder behinderte Mensch könne von der Familienpflege profitieren. "Aber wenn die Chemie stimmt, ist die Familie für manche viel besser als ein Heim oder eine Wohngruppe - sie kann ein ruhiger Fleck im Leben werden."

Regelmäßig schaut eine Betreuerin bei Recep C. und Horst H. vorbei. Der 60-Jährige kam vor anderthalb Jahren als zweiter "Familienzuwachs" nach Wickede. Seitdem wohnen die Männer Tür an Tür im ersten Stock. In den Zimmern, die seit dem Auszug der beiden Söhne des Ehepaars Fritsche leer standen. "Eine soziale Ader sollte man für die Familienpflege schon mitbringen", räumt Monika Fritsche ein. Ansonsten sei nur das wichtig, was jede Familie ausmache: sich zu helfen, Rücksicht zu nehmen, füreinander da zu sein.

Bei schönem Wetter geht Recep C. ein wenig mit Lisa spazieren, der sieben Monate alten Dackelhündin. Horst H. schlendert oft rüber zur Tankstelle, manchmal sitzt er stundenlang vor seinem Radio. Wenn Monika Fritsches Enkelin Michelle am Wochenende durchs Haus fegt, freut sich Recep schon Tage vorher. Im November war er mit Dieter und Monika sogar im Urlaub, in der Türkei. Zum ersten Mal in seinem Leben, erzählt Recep C. lächelnd, habe er da im Meer gebadet.

Die Betreuung in der Familie statt im Heim hat auch einen finanziellen Aspekt: Nach Schätzungen des Landschaftsverbandes kostet die Familienpflege den LWL monatlich für einen Betreuten mindestens 1.000 Euro weniger als die Unterbringung im Heim. So schlage die Versorgung eines Menschen, der tagsüber eine Werkstatt für Behinderte besuche und abends in seine Gastfamilie zurückkehre, mit rund 2.000 Euro pro Monat zu Buche. Darin ist ein Betreuungsgeld von 772 Euro enthalten, das die Gastfamilien bekommen. 3.500 Euro dagegen wären im Vergleich für den selben Menschen als Heimbewohner zu zahlen. Der Landschaftsverband finanziert die so genannte Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und ist damit einer der größten Sozialhilfezahler Deutschlands.

Der LWL hat zum Thema ein Faltblatt herausgegeben. Kontakt für Interessenten: LWL, Tel. 0251-591-3686 oder 0251-591-6715, Internet: https://www.lwl.org











Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, Telefon 0251 591-235
presse@lwl.org




Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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