Der Schmuck.
Ein Lustspiel
in
fünf Aufzügen.
von
A. M. Sprickmann.
Originalausgabe.
Münster, bey Philipp Heinrich Perrenon. 1780.


Personen:
von Wiesenthal, Präsident.
die Präsidentin.
Julie, ihre Tochter.
Franziska, Schwiegertochter des Präsidenten.
Karl, Friz von Feldern, Brüder der jungen Frau von Wiesenthal.
von Wegfort, ein Hauptmann auf Pension.
Luise, seine Tochter.
Kappler, ein Gastwirth.
Ursel, seine Frau.
Johann, Frizens Bedienter.
Andere Bediente.


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Erster Aufzug.
(Saal beym Präsidenten.)

Erster Auftritt.

JOHANN
(Rechnungen in der Hand.)
Schon ein halb Duzend Lausdeos! und mein Herr? – noch nicht einmal zu Hause! noch guter Dinge auf dem Kaffehause, oder Gott weiß, wo sonst! und wie er nun wieder aussehen wird! blaß wie ein Gespenst, und aufgedunsen von der Nachtwache, das Haar durchzaust, und die Kleider zerrissen! und das so in einem Hause zu treiben, wo er auf Freyers Füssen geht! wohl wahr gesprochen: je größer Schelm, je größer Glück – hätt ich bald gesagt, wenn ich nicht von seinem Brode lebte! – doch wenn er auch diesmal gut durchkömmt – schon heller Tag! – so kann er immer für sein Glück den Schelm auch wohl mitnehmen; – holla, da ist er! hab ich ihn nicht nach dem Leben geschildert?

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Zweyter Auftritt.
(Friz von Feldern wild, Haar und Kleider in Unordnung. Johann)
FRIZ
Wie viel Uhr ists?
JOHANN
Acht Uhr.
FRIZ
Teufel! Ist schon Leben im Hause?
JOHANN
Alles schon auf.
FRIZ
Schon Frage nach mir gewesen?
JOHANN
Hier aus dem Hause noch nicht –
FRIZ
Gut. (will herein gehn.)
JOHANN
Aber mein Herr, von aussen her, Kreditoren. –
FRIZ
Halts Maul!
JOHANN
Ja, wenn aber auch die Leute nur das Maul halten wollten!
FRIZ
So schmeiß die Kerls zur Thür hinaus.
JOHANN
Ja, wenn die Kerls nur nicht so zu halben Duzenden auf einmal herankämen! Sehen Sie hier, und es ist noch kaum eine halbe Stunde Tag! und was das Aergste ist, da will der eine zum Gericht, der andere zu ihrem Vormund, der dritte gar zum künftigen Schwiegerpapa!
FRIZ
So bin ich verloren! Johann, ich habe keinen rothen Heller mehr, alles verspielt. Und da müssen heut doch noch Spielgelder, Schlittengelder, Maskengelder, Ballgelder, und Gott weiß, was sonst noch für Gelder auf-
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getrieben werden! es ist auch gerade, als wenn der Winter sich aufhält, mich vollends zu ruiniren!
JOHANN
Ich sehe keinen Rath; aber, mein Herr, warum zaudern Sie denn auch so lange mit der Heirath, die das alles wieder gut machen soll?
FRIZ
Als wenn zum Heirathen sonst niemand mehr gehörte, als ich!
JOHANN
Es ist ja aber doch schon so eine lange liebe Zeit, daß Sie ihren Kreditoren den Fang bekannt machten! Mit der Braut müssen Sie ja doch wohl bald fertig seyn?
FRIZ
Hat das Mädel denn keine Eltern?
JOHANN
O die! von der Präsidentinn, dünkt mich haben Sie wohl nichts zu besorgen. Ja wenn der Alte alt genug wäre, daß Sie hoffen könnte, selbst einmal wieder heirathbar zu werden. –
FRIZ
Ja, aber der alte Graubart! wenn ihn mein Bruder nicht mit den verdammten serieusen Mienen so eingenommen hätte! und wenn der mir nun vollends mit der Stelle an der Regierung das Ziel abläuft! –
JOHANN
O weh, wenn die entscheiden soll! aber warum eilten Sie denn auch nicht, ihm mit der Braut das Ziel abzulaufen, eh er aus Italien zurück kam? warum folgten Sie meinem Rath nicht, als wir hier ins Haus kamen?
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FRIZ
Ach damals! ich dachte viel an Julchen! Sie war mir nur so ein gefundener Zeitvertreib. Meine Affaire mit des alten Wegforts Louise lag mir noch so nahe! und sieh, Kerl, noch jetzt, wenn das Mädel nur nicht den verdammten unheilbaren Fehler an sich hätte, daß sie an Geld gerade so arm als an Güte und Schönheit reich ist, so möchte mein Bruder sich hier sein Nest ungestört bauen, meinetwegen nach Herzenslust.
JOHANN
Gut, daß Sie selbst darauf kommen! denken Sie auch daran, daß Sie der armen Louise auf ihren letzten Brief noch nicht geantwortet haben? Sie wissen, sie ist Ihnen zu gefallen, damit alles verschwiegen bleiben möchte, ihrem Vater entlaufen; der letzte Brief ist nun schon über ein Vierteljahr alt, und sie hatte schon damals kein Geld mehr! vermuthlich ist sie in der Zeit niedergekommen, und denken Sie selbst –
FRIZ
Ich wollte, der Satan führe mit all meinem Denken hin, wo ihm besser wäre als hier in dem Gehirnkasten! (schlägt sich vor den Kopf.) wenn ers nicht bald hohlt, so jag’ ichs ihm mit einer Pistolenkugel zu.
  Dritter Auftritt. (Kappler, Vorige.)
KAPPLER Euer Gnaden verzeihen unterthänigst, gnädigst – gehorsamst –
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JOHANN
Soll ich das Gesicht zur Thür hinaus schmeissen?
FRIZ
Nun herein! guten Morgen Kappler!
KAPPLER
Euer Gnaden verzeihen die unterthänigste Freyheit, mit der ihr unterthänigster Knecht –
FRIZ
Er ist ja heut einmal verdammt höflich, Kappler! wenn er aber seine unterthänigste Freyheit bis aufs Geldfodern auszudehnen denkt, so sag ich ihm nur gleich zum voraus, daß ich ihm in meinem Leben nicht verzeihe.
KAPPLER
Bin ich jemals ein ungestümer Glaubiger gewesen? zwar hätt’ ich noch wohl ein kleines Restchen, das mir auch gerade jetzt sehr gut zu statten kommen würde; aber wenn Euer Gnaden – je nun, ich weiß ja, wie die jungen Herrschaften nun einmal sind! und vollends im Winter, wo alle Lustbarkeiten feil sind! nur EN PASSANT hab’ ich doch meine Rechnung mit übergeben wollen, und da weiß ich ohne mein Bitten, daß Euer Gnaden auf ihren unterthänigsten Knecht zuerst zu reflektiren geruhen werden.
FRIZ
Ja, ja! da, Johann, zu den übrigen!
KAPPLER
Aber Euer Gnaden scheinen mir ja so verdrießlich.
FRIZ
Nicht doch, Alter!
KAPPLER
Sehen Sie, warum besuchen
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Sie mich jetzt so selten? wie lang ists denn? Seit dem Herbst glaub ich, kaum einmal! Aus meinem Hause sind Sie nie so verdrüßlich weggegangen.
FRIZ
Da hat er recht, Kappler, es gab da manche herrliche Stunde.
KAPPLER
Je nun dann, warum gibts der nicht noch? bin ich nicht noch der alte Kappler? und gewiß, Herr Baron, wenns je für Sie der Mühe werth war – ich habe jetzt – o, so was ist noch nie unter meinem Dach gewesen.
FRIZ
Nu?
KAPPLER
Ein junges Frauenzimmer, – kann noch keine zwanzig Jahre haben, und ist Wittwe, daß sich Gott erbarm! aber schön! Herr Baron, Sie sind gewiß weit herum gewesen in der Welt, und mögen schon was rechts gesehen haben, aber wenn Ihnen je so was schönes vorgekommen ist, – je auf allen Ihren Reisen, sehen Sie, so laß ich mir die Augen ausstechen!
FRIZ
Wirklich?
KAPPLER
Was ich Ihnen sage! aber arm, arm! o daß es eine Noth ist zu sehen. Sie kam da gestern zu Fuß an, spät in der Nacht, ein altes Weib mit ihr, daß ihr ihr Kind nachtrug!
FRIZ
Ihr Kind?
KAPPLER
Ja ein Würmchen, von sechs Wochen höchstens!
FRIZ
(betroffen.) Johann!
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KAPPLER
Nimm sie nicht an, sagte meine Frau, die Bettelbagage nimmt ihren Platz so gut ein, als was ihn bezahlen kann, aber ich sah sie nur mit einem Auge an: nein, dacht ich, die laß ich nicht gehen, und hätte sie auch keinen Heller; der Herr Baron von Feldern –
FRIZ
Wie heißt sie?
KAPPLER Madam Leiden! ja wohl Leiden!
FRIZ
(für sich) Ein angenommener Name! – Johann, ich weiß nicht, – ich will sie sehen, Kappler, auf den Abend!
KAPPLER
Ja, und wie sich das alles so gut anschickt –
FRIZ
Jung, sagt er?
KAPPLER
Blutjung, und schön! – o die großen himmelblauen Augen! das ist Ihnen ein Schmachten da aus den Augen heraus! das dicke blonde Haar, die Wangen wie Lilien und Rosen, die Lippen, zum Küssen, zum Küssen! und vollends der schlanke Wuchs – o, so was ist gar nicht!
FRIZ
Ich weiß nicht Johann, es wird mir immer wahrer, es ist Louise.
JOHANN
Possen!
KAPPLER
Ja, und was ich sagen wollte, wie sich das alles so gut anschickt: als ich da so mit ihr rede ins weitläufige hinein, um doch zu hören, wie oder wann, und was sie denn ei-
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gentlich hier will, sehen Sie, da findet sich, daß sie einen Prozeß hier zu treiben hat; Ich frage sie, ob sie Freunde, Gönner, oder so was bey Seiner Excellenz dem Herrn Präsidenten von Wiesenthal hat? da kommts ihr vor, als wenn Seine Excellenz eine alte Bekanntschaft von ihrem Vater sey.
FRIZ
Von ihrem Vater! (zum Bedienten) Alle Teufel, der alte Wegfort war vormals mit diesem Hause hier sehr liirt. Und wie heißt ihr Vater?
KAPPLER
Ja, das weiß ich nicht; sie wollt so nicht recht heraus damit; aber so viel glaub ich doch ausgespürt zu haben, es muß so ein alter armer Haudegen seyn.
FRIZ
Ein Offizier auf Pension?
KAPPLER
So was dergleichen.
FRIZ
Johann ich bin verloren!
KAPPLER
Und da hab ich ihr denn so ein langes und breites vorgeschwätzt, wie das hier so gehe: wie es zu solchen Excellenzen keine gerade Wege gebe, und wie zum Glück Seine Excellenz der Herr Präsident von Wiesenthal einen Vetter habe, der alles bey ihm gelte! das waren denn Euer Gnaden; und wie Euer Gnaden so ein leutseliger Herr wären, und sich der Armen, – und gar besonders der armen jungen Wittwen so gern annehmen und wie ich ihr das so vorsagte, sehen Sie, Herr Baron,
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ungelogen, da liefen dem armen Dinge die Thränen die Wange herunter!
FRIZ
Sie ists! – geh er, Kappler! geh er, auf den Abend!
KAPPLER
Das dachte ich! ich habe also die Ehre unterthänigst –
FRIZ
Schon gut, geh er, geh er!
(Kappler ab.)
  Vierter Auftritt. (Friz, Johann.) FRIZ
Hast Du’s gehört, Johann? das fehlte noch!
JOHANN
Wie Sie doch so gleich aus aller Fassung kommen!
FRIZ
Ist Sie’s denn nicht?
JOHANN
Vielleicht, vielleicht auch nicht, und da wollt ich doch an Ihrer Stelle das Beste vielleicht wenigstens so lange glauben, bis das Schlimmste ein Gewiß würde.
FRIZ
Ich weiß nicht, wie mir das so auffällt.
JOHANN
Herr Baron! wo ist denn nun Ihr Muth, den sonst nichts niederschlagen konnte? so eine Bagatelle –
FRIZ
Bagatelle?
JOHANN
Ja was wirds denn seyn? ein Duzend Louisd’or, da geht sie ja wieder, wenn
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sie’s auch ist; ein Mädchen, das sich Ihnen schon so weit aufgeopfert hat –
FRIZ
Ach Johann, das ists eben! was hat das Mädchen für mich gethan! sich von ihrem Vater losgerissen, dessen einziger Trost, dessen Abgott sie war, ihr Glück, ihre Ehre, alles so hingegeben! – Ha, daß es nur mit mir noch so weit nicht wäre! wenn ich nur noch leben könnte! – aber so, so –
JOHANN
Das sind melancholische Grillen, mein Herr! Sie hat vieles für Sie gethan, gut, aber soll sie dafür mit Ihnen noch oben drein hungern? Machen Sie lieber mit Fräulein Julchen voran, und versorgen Sie Louise dann, daß sie zu leben hat.
FRIZ
Ja weiß Gott! ich will sie unter allen meinen Kreditoren als privilegirt in die erste Klasse setzen, so wie sie wahrhaftig hier in meinem Herzen auch noch auf dem ersten Platz steht, und wenn sie von Julchens Geld nur ein Drittheil hätte! – nun: Weib ist Weib, wenn schon zwischen Mädchen und Mädchen Unterschied ist. Aber komm Johann, ich muß Geld haben; ich will dir meinen Ring und meine Repetieruhr geben; versetz, verkauf, wie du kannst! aber auf den Abend muß ich 50 Louisd’ors haben. Komm und vor allen merk dir, ich bin nicht zu Hause. (ab)
JOHANN
Schon gut! (Nimmt die Rechnungen, und den Mantel etc., will nach.)

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Fünfter Auftritt.
(Von Wegfort, Johann.)
JOHANN Gott bewahr uns! was will denn der? der macht ja eine ordentliche Herausfoderungs-Miene! weh meinem Herrn, wenn der auch an ihm zu fodern hat! – (zu Wegfort.) Du, was will er denn hier? Wenn er an meinem Herrn zu fodern hat, so hätte er sich den Weg immer ersparen können: mein Herr ist heut den ganzen Tag nicht in der Stadt, ausgenommen ein paar Stunden Abends, die er auf Schlitten durch die Strassen fliegen wird, und da nimmt er keine Rechnungen an.
VON WEGFORT
Schurke, zur Frau Präsidentin will ich.
JOHANN
Ja so, das gehört nicht in mein Departement! (ab.)

Sechster Auftritt.
(Von Wegfort.)
Gut, daß du dich packst, Halunke! gut, ja, aber da steh ich nun, wie auf weiter Heide, – je nun, ich weiß ja die Wege noch von Alters her! (will hinein.)
Siebenter Auftritt.

(Von Wegfort, ein anderer Bedienter.)
DER BEDIENTE
Was befehlen Euer Gnaden?
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VON WEGFORT
So! das ist doch noch ein Ton, worin der da spricht! ich will zur Frau Präsidentin.
DER BEDIENTE
Verzeihen Sie, ich weiß nicht, ob Ihre Excellenz die Zeit haben werden; Sie sind –
VON WEGFORT
Zum Teufel sag er Ihrer Excellenz nur, der Hauptmann von Wegfort wollte sie sprechen!
DER BEDIENTE
Ich werde die Ehre haben, Sie anzumelden. (ab.)

Achter Auftritt.
(von Wegfort.)
Daß dich alle Henker, wenn die Leute einmal vornehm werden! Ha, wenn ich denke, wenn ich hier in meiner Jugend hereintrat, wie mir das entgegenflog! immer deine Jugend alter Narr! daß du das nicht vergessen kannst! damals warst du ein junger reicher Stutzer, eine Priese in einem Hause voll junger Mädchen, die sich der Mühe verlohnte; aber jetzt, was bist du denn noch? da, sieh dich im Spiegel! freylich die grauen Haare da, und die Narbe hier! aber, Geck, ein paar Ellen fremden geborgten Goldes da auf den Lumpen würden hier ganz andere Wirkung thun.

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Neunter Auftritt.
(Die Präsidentin, von Wegfort.)
V. WEGFORT Gehorsamer Diener, Madam!
PRÄSIDENTIN
(für sich.) Madam? – Mein Herr Hauptmann! ich weiß nicht – ob der Bediente sich geirret hat – er meldete Sie bey mir an!
V. WEGFORT
Nun ja, Sie sinds freylich, die ich wollte! die Frau Präsidentinn von Wiesenthal, vormals Fräulein Kätchen, die wir unter uns immer Fräulein Käzchen nannten, weil Sie ein so gar naseweises Ding waren. Sie sollten mich ja doch wohl kennen, denk ich?
PRÄSIDENTIN
Es war mir in der That so, als ich Ihren Namen hörte! der Hauptmann von Wegfort?
V. WEGFORT
Was das nun für ein Gezier ist! ja, ja, der Hauptmann von Wegfort, der bin ich, mit dem Sie als Lieutenant oft genug hier im Saale herum hasiliert haben. So thun Sie doch nicht so fremd!
PRÄSIDENTIN
Impertinent! – In der That Herr Hauptmann – aber wenn auch – in der Zeit sind mit mir Veränderungen vorgegangen –
V. WEGFORT
Wetter ja! Sie sind nun eine reiche Dame geworden!
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PRÄSIDENTIN
Und mit Ihnen, wie es scheint –
V. WEGFORT
Und wie es ist, ich bin nun ein alter Bettler; damals wars gerade umgekehrt, ich ein reicher flinker Pursche, und Sie ein armes Fräulein, dem so ein Pursche doppelt willkommen war.
PRÄSIDENTIN
(für sich.) Gott im Himmel, wie kommt mir der Kerl auf den Hals! – (heftig) Mein Herr Hauptmann, ich hoffe nicht, daß Sie ausdrücklich in der Absicht hergekommen sind, mir zu sagen, daß Zeiten gewesen sind, wo Sie mich noch nicht in dem Wohlstand gekannt haben, in dem ich jetzt seyn mag! Sie sind sehr unhöfllich geworden, mein Herr Hauptmann!
V. WEGFORT
Und doch wär’ auch das vielleicht sehr freundschaftlich! so eine Erinnerung ist nach so einem Wechsel oft sehr viel werth; aber wenn sie Ihnen nun eben nicht gelegen kommt – behüte Gott, ich bin nicht hergekommen zu beleidigen, ich komme zu bitten.
PRÄSIDENTIN
(gelassener) O, da haben Sie sich eben so schlecht adressirt, wenn Sie etwas beym Präsidenten zu suchen haben – es kann seyn, daß es Männer giebt, bey denen es Kanäle – Umwege braucht, aber hier –
V. WEGFORT
Das weiß ich, weil ich Ihren Mann kenne; und wärs so was, so würd’
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ich Sie doch wohl nicht zu meinem Kanal gewählt haben. Ich hasse solche Kanäle.
PRÄSIDENTIN
Ich erinnere mich sonst, von einem Prozeß gehört zu haben –
V. WEGFORT
Wirklich? auch daran erinnern Sie sich? Sie sind sehr gütig, aber seyn Sie ohne Sorgen! den Prozeß hab ich aufgegeben; er kostete mir jährlichs mehr als meine Pension, und ich find es nun endlich klüger, von dieser zu essen, als vom Prozeß zu hungern.
PRÄSIDENTIN
Es war doch sonst keine Kleinigkeit, dünkt mich?
V. WEGFORT
O doch! Ihnen muß das eine Kleinigkeit scheinen; eine Affaire von lumpichten 80000 Thaler. Aber, wie gesagt, das ists nicht, was ich will. Sehen Sie, ich hatte den tollen Einfall, noch einmal vor meinem seligen Ende in die Stadt zu kommen, ich weiß eigentlich wohl selbst nicht recht, warum? im Grunde wars wohl die Raserey, etwas zu suchen, was mir sehr kränken würde, zu finden.
PRÄSIDENTIN
Das ist sonderbar!
V. WEGFORT
Mein Mädel meyn’ ich.
PRÄSIDENTIN
Ihre Fräulein Tochter?
V. WEGFORT
Ja, die Fräulein Kanaille ist mir desertirt, weiß der Teufel wie? oder warum? ich habe sie in meinem Schooße gehalten, wie mein liebes Weib, das ein Jahr, da ichs hatte, und Gott weiß, wenn sich das
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Mädel verliebt hatte, und wärs ein Bauerkerl gewesen, ich hätt’ ihr ihn gegeben.
PRÄSIDENTIN
Gott bewahre!
V. WEGFORT
Ja ja! und lieber einem Bauernkerl, als einem Grafen! – aber daß ich Ihnen das nicht begreiflich zu machen suche? genug sie ist entwischt: hat sich anführen lassen, der Teufel weiß von wem? und streicht nun wohl so in der weiten Welt herum, und verdient sich ihr Brod – daß dich alle Teufel!
PRÄSIDENTIN
Ists möglich Ihre Tochter?
V. WEGFORT
Meine Tochter! meine und des bravsten Weibes auf Gottes Erdboden! Gott nahm mir das Weib, als er mir das Mädel gab; ich dankte ihm damals, daß er mir doch noch etwas von ihr ließ! aber er hätte sie nur gleich lieber mitgenommen. – Doch er hat mir auch manche Freude damit gemacht – die Jahre, die sie mir so am Leibe heran wuchs, waren herrliche goldene Jahre! wenn sie so um mich herumspielte, – ach Gott, und hernach, als sie groß war, und für mich sorgte, wie eine Frau, und oft sich abarbeitete von früh Morgens bis spät in die Nacht; daß es ihrem alten Vater etwas besser werden möchte, – Gott, was ist mir das Mädel alles gewesen! aber Schwernoth, Kanaille, ich liebte dich doch auch, trug dich auf Händen, wie meiner Augen Liebling, und so davon! mir nichts dir nichts!
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PRÄSIDENTIN
Das ist viel Unglück, Herr Hauptmann! aber wie lang ist’s denn schon?
V. WEGFORT
Vier bis fünf Monate werdens seyn.
PRÄSIDENTIN
Und haben Sie ihr denn nicht nachgesetzt?
V. WEGFORT
Nachgesetzt? das können Sie glauben! es war Morgens, als ichs erfuhr! Abends vorher war ich noch mit ihr herumgegangen, und da war sie so still und so gut und so lieb, daß ich geweint hab’ um sie wie eine Memme. Sie war einige Zeit her so traurig, und das machte sie mir nur immer werther; aber diesen Abend war’s zu arg! ich weiß noch, als ich zu Bett gieng, – ich kniete hin vor einem Kruzifix und betete: Gott, mein Liebling leidet! du hast auch gelitten, aber wenn’s nicht des Mädels Seelen Seligkeit fodert, so nimm den Kelch von ihr, und schütt’ ihn aus über mich! und da – vielleicht da in dem nämlichen Augenblick, wo ich auf meinen Knien betete für sie, da that sies!
PRÄSIDENTIN
Gott, mein Herr Hauptmann!
V. WEGFORT
Den andern Morgen war sie weg, daß ich meinen Kaffe nicht kriegte zur rechter Zeit, den sie mir denn sonst immer so brachte und einschenkte; ich lag noch still im Bette, und dachte allerhand; sie ist vielleicht
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in der Kirche, dachte ich, und so und so! – die Bestie! in den Armen eines liederlichen Buhlers war sie, der mit ihr vielleicht lachte des treuherzigen Alten. Ich rief endlich! da hatte sie niemand gesehen; da war sie im Dörfchen nirgends gewesen! ich auf! und gedonnert und gelärmt! ja da kam dann endlich die Magd mit einem Zettel, den das Mädel auf ihrem Zimmer hatte liegen lassen, an mich, da stand’s denn drinn, die ganze Historie, daß sie schwanger wäre, und der Teufel weiß, was, was alles! ich wollte ihr nach; aber ich kam nicht zum Hause heraus; das Ding schlug mich nieder, daß ich in sechs Wochen nicht wieder auf konnte. Hernach bin ich herum geritten in der Gegend, wie ein Narr, und habe rekognosziret; aber nichts!
PRÄSIDENTIN
Gott, mein Herr Hauptmann!
V. WEGFORT
Dann dacht ich auch manchesmal wieder, laß sie zu allen Teufeln seyn! sie verdient nicht, daß du dich grämst um ihrentwillen! dann schickt’ ich der Bestie meinen Fluch nach; aber wenn ich mit dem Gedanken dann nun eingeschlafen war – plötzlich erwacht ich die Nacht; dann hatt’ ich sie irgend im Traume gesehn, wie sie da in einer elenden Hütte liegen mag und winden sich auf faulen Strohe, und nagen an einer harten schimlichten Rinde trocke-
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nen Brodes, und jammern und heulen mit dem kleinen Sündenbalg; dann bin ich Ihnen aufgesprungen, habe mir ein Pferd gesattelt, und bin so in der Mitternacht herumgeritten, wie die höllischen Geister. So vor einigen Tagen! da wars des Mädels Geburtstag; das war mir sonst ein Fest, auf das ich mich das ganze Jahr freuen konnte, wie ein Kind. Wenns mir oft sauer ward und enge, daß ich hätte rasen mögen, dann dacht ich, Gedult! kömmt der Herbst so kömmt Luisens Geburtstag auch! und so ertrug ichs. Nun war er wieder da, und da fiels mir nun so auf, was mir der Tag sonst alles gewesen war, und was ich mir das ganze Jahr durch versprochen hatte, daß er mir auch jetzt seyn sollte; o, da war mirs, als wenns mich beym Zopf nahm, und zum Stall hinriß; in die Stadt, dacht ich, oder vielmehr es war mir, als wenn mein oder ihr Schutzengel mir das zuflisterte; ich hin, Hals über Kopf! nun bin ich denn da seit gestern, und –
PRÄSIDENTIN
Ach Herr Hauptmann! ich weiß nicht, Sie haben mich gerührt – gerührt! – kann ich Ihnen helfen – dienen – o sprechen Sie!
V. WEGFORT
Ich bin wieder zu Raison gekommen; aber da finde ich, daß ich den dummen Streich doch sonst noch wohl benutzen kann; ich bin alt, und sterbe nun gewiß bald, und da
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habe ich noch eine Menge kleiner Schulden, die ich doch nicht gern mit ins Grab nehmen mögte; nun hab ich zwar kein Geld –
PRÄSIDENTIN
Ja Geld – ich bedaure – aber sehen Sie, mein Herr Hauptmann! Sie wissen ja selbst, was es in der Stadt kostet, wenn man Standesmäßig mitmachen will – in der That – ich bin gar nicht bey Kasse.
V. WEGFORT
Das kann ich denken! aber Stille doch nur: ich will ja bey Ihnen nicht borgen! das hieße Schulden mit Schulden tilgen, und ich wüßte doch bey meiner armen Seele nicht, warum ich Sie lieber zur Glaubigerin haben sollte, als die ehrlichen Leute, die es jetzt sind. – Aber sehen Sie, hier hab ich einen kleinen Rest aus meinem Wohlstande; den Schmuck meiner seligen Frau! so lang ich das Mädel noch hatte, hob ich ihn der auf, und ließ mirs denn lieber sauer werden; aber nun – wozu hüt’ ich den Bettel länger! da sehen Sie! Ohrringe, Armbänder, Halsgehänge, Ringe, Schnallen, und was sonst ist, – ganz vollständig!
PRÄSIDENTIN
In der That sehr schön – kostbar, – prächtig, gräflich!
V. WEGFORT
Je nun so kaufen Sie ihn mir ab; Sie haben eine Tochter!
PRÄSIDENTIN
Und die gerade dazu Braut ist!
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WEGFORT
Je nun! so komme ich ja wie gerufen! aber Braut, mit wem denn?
PRÄSIDENTIN
Mit meinem Vetter dem jüngsten Baron von Feldern. –
V. WEGFORT
Mit Friz! Ey, Ey! – nun wenn er Ihnen recht ist! sonst muß ich Ihnen sagen – wie er vorigen Sommer auf dem Lande war, in meiner Nachbarschaft, kam er als fleißig her, und war mir immer um mein Mädel; ich hatte fast geglaubt, er hätte da Angel gefaßt; mir war schon bange; denn Ihnen die Wahrheit zu sagen, für mich wäre der Junge so recht nicht; er ist zu lüstig, zu wenig solide.
PRÄSIDENTIN
Das wird sich geben; aber – wie hoch halten Sie den Schmuck denn wohl? er ist doch so recht nicht mehr nach der Mode.
V. WEGFORT
Das kann ich denken: es ist 20 Jahr als er Mode war.
PRÄSIDENTIN
Und zu dem frappireten mich die Steine beym ersten Anblick mehr, als – ich doch jetzt wohl sehe – daß in der That –
V. WEGFORT
O, auch das kann ich denken, sah es auch voraus, daß das Wesen Sie nicht lange frappieren konnte! aber ich kann nicht damit herumlaufen, und da ich Sie nun einmal kannte –
PRÄSIDENTIN
Sie sind sehr gütig, und wie hoch dann?
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V. WEGFORT
Was weiß ichs? er kostet mir alles zusammen, wie es da ist, 3000 Dukaten.
PRÄSIDENTIN
Das ist entsetzlich! 3000 Dukaten! – wie konnten Sie sich anführen lassen?
V. WEGFORT
Das glaubte man damals nicht, daß ich angeführt wäre; aber freylich sind die Leute seit dem klüger geworden.
PRÄSIDENTIN
Und die Edelgesteine viel wohlfeiler. Nein, nein Herr Hauptmann, das ist kein Kauf für mich.
V. WEGFORT
Nun so biethen Sie einmal!
PRÄSIDENTIN
Nein, nein Herr Hauptmann! ich würde mich schämen – und zu dem, wie ich gesagt, ich bin nicht bey Kasse.
V. WEGFORT
Ey was? nur heraus?
PRÄSIDENTIN
Je nun: mit 1000 Dukaten ist er theuer genug bezahlt; und wenn Sie wollen –
V. WEGFORT
Tausend Dukaten? 1000 Dukaten? O ich hätte ihn für die Halbscheid gegeben.
PRÄSIDENTIN
(für sich) Verdammt – (laut) Je nun, der alten Bekanntschaft wegen! – einen Augenblick Geduld, mein Herr Hauptmann, so bring ich Ihnen das Geld. (ab)

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Zehnter Auftritt.
(v. Wegfort.)
Tausend Dukaten! alter Geck, wie konnte dich das Mädel so bethören, so was für sie aufzuheben, und dafür zu hungern? als wenn du sie je an einen Mann hättest bringen können, der sich mit einer Frau, mit 1000 Dukaten am Leibe hätte dürfen sehen lassen! – 1000 Dukaten! ha ha! Mit hundert, anderthalbhundert höchstens, bezahl ich meine Schulden, und die übrigen will ich dann bey mir hinlegen, und Champagner dafür trinken, daß es meinem alten dürren Fleisch wohl davon werden soll. – Aber ach! auch Champagner wird dir nicht schmecken! wirst immer denken, es war doch besser, als das Mädel noch bey dir saß, und dünnes Bier mit dir trank aus dem nämlichen Glase!

Eilfter Auftritt.
(Präsidentin, v. Wegfort.)
PRÄSIDENTIN
Hier, mein Herr Hauptmann!
V. WEGFORT
Dank für gute Bezahlung! und so mit Gott befohlen!
PRÄSIDENTIN
Leben Sie wohl! und wenn
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ich von Ihrer Fräulein Tochter etwas erfahren sollte –
V. WEGFORT
So schicken Sie die Fräulein Kanaille auf meine Rechnung ins Zuchthaus. (Beyde ab.)


Zweyter Aufzug.

Erster Auftritt.
(Karl.)
(Im Hereingehn zum Bedienten) Nur auf ein Wort, eh Sr. Excellenz ausfahren! – eh er ausfährt! und dann noch die drey Stunden in der Regierung, eh es ausgesprochen wird! die drey langen Jahrhunderte der Qual! aber es sind ja doch auch die Letzten! – die Letzten! o da liegt es! mit welcher Ungeduld ich sie herbeyrief, und nun sie da sind! – von hier, fort von hier! Tage meiner Liebe, ihr umschwebt mich wie Geister der Rache, und möchtet mich anketten, hier in der Hölle meiner Qual! Julie, Julie! daß es dahin kommen sollte! (er ist unvermerkt zu einem Stuhle gekommen, der am Klavier steht) wer uns damals das gesagt hätte – wenn du hier saßest, Engel in deiner Unschuld, und spieltest! und ich hatte dichs gelehrt! und doch was hatt’ ich dich lehren können? – wenn deine Seele voll Jugend und Liebe sich ausgoß,
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daher bebte durch die Saiten, ach und daher durch alle Saiten meines Gefühls, daß mein ganzes Wesen aufklang in hoher Harmonie der Liebe, und ich dann hier (setzt sich gegen über) hier saß, stum und verloren! ach, und dann ein Blick über die Saiten auf den verlornen hin! ein Blick, daß ichs nicht mehr aushielt, (steht auf) auf mußte, und Himmel und Erde dem Taumelnden zu eng ward! – und nun fort! (setzt sich wieder) fort (mit beyden Händen übers Klavier) – auf ewig! – Pause; (auffahrend) Herz voll Eigensinn, wie willst du’s denn aber auch? nicht hier und nicht fort! aber du sollst, und solltest du drüber brechen und verbluten! du sollst!

Zweiter Auftritt.
(Karl, ein Bedienter, Franziska an der Thür.)
DER BEDIENTE
Hier sind die Wechsel aus Florenz!
KARL
Gut, und nun geh, und packe vollends ein, und bestell uns die Post, noch vor Mittag! (der Bediente ab.)
FRANZISKA
Noch vor Mittag? Ey, Ey, Herr Bruder! wo denkst du hin? Mit nüchternem Magen?
KARL
Guten Morgen, Schwester!
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FRANZISKA
Dank, Lieber! aber wo soll’s denn nun wieder hin?
KARL
Zum alten Wegfort.
FRANZISKA
So? und wie ist denn der alte Mann, dem es so sauer wird, einen Schritt von seinem Dörfchen zu thun – der arme Mann dem’s so sauer wird, von seiner Pension sich und seine kleine Familie zu ernähren – wie ist der alte arme Mann so auf einmal nach Italien gekommen?
KARL
Nach Italien?
FRANZISKA
Ja ich meyne wegen der Wechsel aus Florenz? wie er nun da steht? ha ha ha, hab ich ihn ertapt?
KARL
Ertapt? warum ertapt? nein Franziska du magst es immer wissen – ja, ich gehe von Wegfort wieder nach Italien.
FRANZISKA
Also gut, daß ich herkam! lieber Karl, du denkst doch wohl in deinem Testamente an mich?
KARL
In meinem Testament?
FRANZISKA
Ja, denn du denkst es da doch wohl nicht lange mehr zu machen? ich gebe dir höchstens sechs Wochen: o, ich dächte du bespartest das Geld, und vermachtest mir die Reisekosten auch noch!
KARL
Nein Schwester, du sollst sehen! in Italien, – da werd’ ich alles wieder finden, meine Ruhe, meine Gesundheit!
[27]
FRANZISKA
So? und wie du vorigen Sommer da warst – o es wird mir noch angst und bange, wenn ich an all die Elegien über Seel und Körper denke, mit denen du mich jeden lieben Posttag heimsuchtest!
KARL
Was willst du, liebe Schwester? mein Herz ist ein Kind: es war im Garten, und wollte wieder ins Haus, und im Hause schreyt’s nun wieder zum Garten, und wenn das Kind krank ist, muß die Vernunft ihm nicht nachgeben, und seinen Willen thun?
FRANZISKA
Krank? lieber Filosof, deine Vernunft ist eine schlechte Hofmeisterin über dein Herz! Gieb Acht! im Garten wird das liebe Kind dann wieder nach Haus schreyn, und wenn du ihm seinen Eigensinn nun einmal für Krankheit gelten lassen willst –
KARL
Nein Schwester, wenn ich finde, daß es Eigensinn ist –
FRANZISKA
So willst du Ernst gebrauchen? O me… Bruder, wenn das Kind einmal verwöhnt ist, so kann der Zwang aus Eigensinn wahre Krankheit machen!
KARL
Ach Schwester!
FRANZISKA
Ja, mit dem Seufzen! das wird’s auch gut machen! Sieh nur, Bruder, wie’s mit deinem Herzen, diesem armen kranken Kinde eigentlich aussieht – Es hat seine Puppe verloren; gut: die muß ihm wieder gesucht
[28]
werden, das ist billig; aber wo? am natürlichsten, dünkt mich, wärs doch, zu suchen, wo man verloren hat?
KARL
Ach, du weißt nicht, du weißt nicht –
FRANZISKA
Nicht? Was gilt die Wette? eine Puppe, so wahr ich deine Schwester bin, nichts als eine verlorne Puppe! oder wenn dir das Bild nicht ansteht, großer ernsthafter Mann! gut; hier ist ein anderes, mit dem ich dir auch näher komme! du saßest einmal neben einem lieben Mädchen: und es war dir so wohl; du standst auf, und als du wieder kamst, hatte ein anderer deinen Platz eingenommen; da sollte nun das Mädchen dem andern sagen: geschwind aufgestanden, meinem charmanten Karl wieder Platz gemacht! das geschah nicht und da gieng die Noth an!
KARL
Du bist sehr leichtfertig, Schwester!
FRANZISKA
Leichtfertig; das heißt, leicht mit dem Enträthseln, so eines Geheimnisses fertig! O ja, Herr Bruder, das Kompliment verdien’ ich.
KARL
Ich seh, es ist heut einmal wieder nicht mit dir zu reden; Adieu! (will ab)
FRANZISKA
Und Morgen bist du ja fort! nein, nein, nein: kein Adieu! – hieher (hält ihn zurück, Karl setzt sich verdrießlich) So! setze dich, wenn dirs zu lang wird! Das Mädchen also, von der ich rede, ist Schwester Julchen! du
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liebtest sie, und giengst davon in die weite Welt; in deiner Abwesenheit kömmt dein Bruder; ein lieber verführerischer Bube, jung, schön, höflich, galant: findet den Winkel, wo jedes jugendliche Herz, wenigstens jedes junge weibliche Herz immer offen steht; den Winkel der Freude: findet ihn, und schleicht sich hinein. Du möchtest das arme Julchen mit deiner Weisheit und Empfindsamkeit oft herzlich ennuirt haben: da kömmt er, führt sie ins Freye: bringt sie in die große Welt, läßt sie ihre Schönheit fühlen, und ihre Jugend geniessen; darüber kömmst du nun wieder, und nun soll das herrliche Schauspiel sich wieder mit einer Szene voll Zwang und Langeweile entwickeln? – Bruder, du willst ein Filosof seyn, das Herz kennen: ich bitte dich, wie kamst du zu der Grille das zu erwarten?
KARL
Ein Engel wie Julchen war!
FRANZISKA
Ein Engel? nun ja, aber doch immer ein junger weiblicher Engel!
KARL
Und ein Schmetterling, wie mein Bruder!
FRANZISKA
Das wollen wir nicht untersuchen; genug: Bruder Friz ist immer ein herrlicher Junge für die Weiber!
KARL
Weib, wie erniedrigest du dich!
FRANZISKA
Karl! – ja, aber sieh Bruder! mich, das versteht sich, mich meyn’ ich
[30]
nicht mit, wenn ich von Weibern überhaupt rede!
KARL
Als du mir von deinem Mann schriebst, was sollte deine Liebe rechtfertigen? er ist ein Mann, schriebst du, nicht wie unsre junge Stutzer: ein Mann, der weiß, und fühlt: dessen Freude ich seyn werde, in Stunden, die er dem Staat, und der Menschheit wird abverdient haben!
FRANZISKA
Freylich! aber auch ein Mann, wie mein Wiesenthal! Mit Erlaubniß, meine Herren Brüder, so seyd Ihr beyde nicht!
KARL
Hier ist die Rede nicht von ihm, wir sprechen vom weiblichen Herzen.
FRANZISKA
Nein, wie gesagt, ein Weib auch wie ich! Bruder, habe doch den Stolz zu glauben, daß du eine Schwester hast, wie sie eben nicht ein jeder hat! aber das bey Seite! genug Bruder, als du zurückkamst, und Julchen fandest, berauscht im ersten Taumel des Vergnügens – das hättest du doch wissen müssen, wissen und bedenken, daß in der Natur nichts durch einen Sprung geschieht; du hättest sie allmählig zurück führen sollen; aber da spielst du gleich den Traurigen, den finstern Freudenhasser.
KARL
Nimm meinen Kummer, als ich sah, daß ich sie verloren, daß sie sich selbst verloren hatte, nicht für Haß der Freude: ich liebe das
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Vergnügen, aber es soll mir nur Vergnügen seyn, nicht Hauptsache; und so dem Mädchen, das ich lieben soll. Und nun genug: Recht oder Unrecht! ich habe dem alten Wegfort, ohne sein Wissen und Zuthun, einen Prozeß betrieben, den er verloren gab. Diesen Morgen wird, hoff’ ich, in der Sache referirt; ich eile hin, bring ihm die Bottschaft, geniesse die Szene seiner Ueberraschung, und nehme wenigstens ein Bild in meiner Verbannung mit, dessen Erinnerung mir den Gedanken an mein Vaterland weniger bitter machen wird.
FRANZISKA
Armer Bruder!
KARL
Ich höre den Präsidenten herunter kommen! nur das Einzige, meine Schwester! Noch kein Wort von meiner Reise! gieb mir die Hand darauf!
FRANZISKA
Fast – aber doch ja! trotz meinem Leichtsinn! da! hast du meine Hand drauf!
KARL
(küßt sie) Liebe, kenn ich dich nicht!

Dritter Auftritt.
(Präsident, Vorige.)
PRÄSIDENT
Guten Morgen, Karl! – guten Morgen, liebe Frau Tochter! nun so stille? Munter! ich habe gute Nachricht! dies ist der letzte Tag Ihrer Wittwenschaft! Mein Sohn kömmt auf den Abend wieder!
[32]
FRANZISKA
Auf den Abend?
PRÄSIDENT
Höchstens auf die Nacht!
FRANZISKA
(küßt ihn) Ich danke, danke! O Sie lieber Papa, Sie! Aber nun auch, mein Bruder, wenigstens so lange. –
KARL
Ich verstehe dich, Schwester!
FRANZISKA
Du bleibst?
KARL
Geh nur, ich komme dir nach!
PRÄSIDENT
Was habt ihr denn?
KARL
Sie wissen, unsre Franziska ist zuweilen muthwillig –
FRANZISKA
So mein ernsthafter Herr Bruder? wissen Sie denn aber auch, daß ich Lust hätte, auf das Kompliment meine Hand zurück zu ziehen?
KARL
Franziska!
FRANZISKA
Nun für diesmal! (legt den Finger auf den Mund) bin ich nun muthwillig? (ab.)

Vierter Auftritt.
(Präsident, Karl.)
PRÄSIDENT
Was ist das Karl, darf ich nicht wissen?
KARL
Der Referent in der Wegfortischen Sache ist mit der Relation fertig; es kommt jetzt bloß auf Sie an. –
PRÄSIDENT
Gut so soll auch heut oder übermorgen, darinn referirt werden!
[33]
KARL
O um Gotteswillen heut, nicht übermorgen!
PRÄSIDENT
Was ist das nun wieder? welche Bewegung?
KARL
Ich kann – (verwirrt) ich kann die Szene, die mich bey dem lieben Alten erwartet, nicht länger entbehren; ach, mein Herz hat so eine Szene so nöthig!
PRÄSIDENT
Gut, so solls heute seyn, aber Karl, Sie sind meiner Frage ausgewichen; noch einmal, was hatten Sie mit Franziska? darf ich nicht wissen?
KARL
Es betraf gerade diese Sache. Meine Schwester will mich nicht fortlassen zu Wegfort; Sie macht mir den Krieg über meine Einsamkeit, ich soll mit Ihr auf den Ball.
PRÄSIDENT
Das könnten Sie aber doch auch wohl, lieber Karl! in der That ich weiß auch nicht, wie Sie sind!
KARL
Ach!
PRÄSIDENT
Sie haben geheimen Kummer und zehren sich ab, in der Mitte einer Familie, wo so vieles an Ihrem Wohl und Weh so herzlichen Antheil nimmt. Verdienen wir denn alle Ihr Vertrauen nicht? ich nicht? Ihre Schwester nicht? mein Sohn nicht? Julchen nicht? – Julchen! ist das so der Ton, in dem ein Mann von Gefühl, mit seiner Braut leben sollte?
KARL
Ach Herr Vater!
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PRÄSIDENT
Aber gut, daß mir das einfällt! heut können Sie doch ohnehin wohl nicht zu Wegfort? Gestern sind die Reskripte wegen der Stelle an der Regierung zurückgekommen; ich wünsche Ihnen zum voraus Glück, lieber Karl! (umarmt ihn.)
KARL
Mein Gott! Sie glauben doch wohl nicht, daß die Wahl des Hofes auf mich –
PRÄSIDENT
Nein, das glaub ich nicht, das weiß ich, lieber Karl! wie stolz mich das machte, als der Minister mir das sagte; und die Art, wie er es sagte! er hätte sich die Bedienung gleich gerade zu vom Hofe für Sie ausbitten wollen, als eine Belohnung für die Mühe, die Sie sich bey seinem Sohn auf seinen Reisen mit so vielem Eifer als Glücke gegeben hätten; aber daß Sie das nicht gewollt, sich freywillig mit andern der Probe unterworfen hätten, und wie man denn in ihrem Aufsatz einen Mann erkannt hätte, auf den der Staat stolz seyn müßte; wie Ihnen diese Stelle zugleich mit der Versicherung soll gegeben werden, daß Sie diese nicht länger bekleiden sollen, bis die erste Stelle im geheimen Staatsrath erlediget wird!
KARL
O mein Gott!
PRÄSIDENT
Mein Sohn.

[35]
Fünfter Auftritt.
(Präsidentin, Vorige.)
PRÄSIDENTIN
Guten Morgen, lieber Wiesenthal! ich hätte ein Wörtchen mit dir allein –
PRÄSIDENT
Unmöglich! Ich bin jetzt in keiner Fassung.
PRÄSIDENTIN
O, ich bitte dich, mein Bester!
PRÄSIDENT
Wenn du denn doch nur geschwind machen wolltest!
PRÄSIDENTIN
Nur ein Wörtchen! – Herr Karl!
KARL
Ich gehe.
PRÄSIDENT
Nein, nein, bleiben Sie! Karl ist hier nicht überflüßig.
PRÄSIDENTIN
Es betrifft aber so eine Sache, eine Familiensache.
PRÄSIDENT
Desto eher mag Karl davon Theil nehmen.
PRÄSIDENTIN
Aber Wiesenthal.
PRÄSIDENT
Adieu. (will ab)
PRÄSIDENTIN
Nun, nun, so sey doch nur nicht so hastig! – Sieh nur, mein Liebster, Morgen – weißt du auch was Morgen für ein Tag ist?
PRÄSIDENT
Morgen? nein.
PRÄSIDENTIN
Sieh, das weißt du nicht, und ich weiß alle deine Geburts- Namens- und
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Festtage auswendig, und freue mich das ganze Jahr darauf! Morgen ist mein Geburtstag.
PRÄSIDENT
Er soll mir willkommen seyn; wir wollen ihn feyern.
PRÄSIDENTIN
Feyern, ja, aber wie?
PRÄSIDENT
O so halte mich doch mit so was nicht auf! ordne an, wie du willst, und rechne darauf, je feyerlicher, desto lieber!
PRÄSIDENTIN
Wie du so allerliebst bist! und höre nur, was meynst du, wenn wir an dem Tage unsre Tochter –
PRÄSIDENT
Ja, das ist vortreflich! Frau, wie kömmst du zu dem Einfall? Morgen die Verlobung! herrlich, herrlich!
PRÄSIDENTIN
Du mein Bester!
PRÄSIDENT
Hören Sie, Karl, Morgen!
KARL
Gott im Himmel!
PRÄSIDENT
Und wie das so herrlich zutrift! Gestern ist die Sache wegen der Stelle an der Regierung entschieden, und entschieden wie ichs voraus sagte! danke mir für das Vergnügen, nach mir die erste zu seyn, die Karl Glück wünscht.
PRÄSIDENTIN
Ich mögte bersten! Karl?
PRÄSIDENT
Sagt ichs nicht voraus?
PRÄSIDENTIN
Aber Wiesenthal, ich denke Friz –
PRÄSIDENT
Hätte Friz die Bedienung erhalten, gut, so hätte ich’s wider meinen Willen zugegeben, wenn Julchen nicht anders gewollt
[37]
hätte; du hattest mein Wort, und Julchen hätte dann selbst entscheiden mögen; aber nun –
PRÄSIDENTIN
Wiesenthal, das muß sie noch, und das soll sie, so wahr ich Mutter bin!
PRÄSIDENT
So?
PRÄSIDENTIN
Mit der verdammten Bedienung! also ist dirs um einen Regierungsrath zu thun?
PRÄSIDENT
Also, also, du solltest dir das Also abgewöhnen Frau, es verführt dich immer, etwas albernes zu sagen! Karl hätte meine Tochter ohne Bedienung und Bedingung auf sein erstes Wort haben sollen; nur darum ist es mir, daß mein Vermögen, eine Frucht, die ich und meine Voreltern in dem Schweiß unsers Angesichts gesäet und geerndtet haben, an keinen Tagdieb soll verschwendet werden, der mir und meiner Tochter keinen Dank dafür wissen kann, weil es ihm nichts gekostet hätte. Da hast du mein letztes Wort, das ich über die Sache verlieren werde, und nun Adieu!
PRÄSIDENTIN
Aber Wiesenthal so hör doch nur!
PRÄSIDENT
Karl wird so gut seyn, dir das übrige zu sagen. (ab.)

[38]
Sechster Auftritt.
(Präsidentin, Karl.)
PRÄSIDENTIN
Zum rasend werden! – Nun Monsieur, was ist denn das übrige, das er mir sagen soll?
KARL
In der That, ich hätte Ihnen sehr vieles zu sagen, wenn Sie mich nur hören könnten!
PRÄSIDENTIN
Noch gar trozig! gut, gut! weiß er denn aber auch wohl, daß ich ihm auch noch ein Wort sagen kann? Ist der Präsident Vater, so bin ich Mutter! und wenn Sie ihn mit Ihrer Pharisäer-Mine bethört haben, – wir wollen sehen, wir wollen sehen – thun Sie ihr Bestes!
KARL
Grausame Frau! wenn Sie wüßten –
PRÄSIDENTIN
Was sollt ich wissen? weiß ich nicht genug? weiß ich nicht schon zu viel? Pfui, sie sollten sich schämen, Zank und Zwietracht zwischen mir und einem Manne zu stiften, mit dem ich zwanzig Jahre in einer Ehe gelebt habe, die kein Wort getrübt hat; Ihr Bischen Wissens und Studierens zum Unglück eines Bruders aufzubiethen, der der beste, artigste Kavalier im Reich ist, und mit dem Sie doch wohl den Stolz nicht haben werden, sich zu vergleichen?
KARL
Nein, den Stolz hab ich gewiß nicht.
[39]
PRÄSIDENTIN
Nun dann! also zum Unglück meines Mädchens, dessen Jugend Sie mit Ihrer heuchlerischen Mine, mit Ihrem Geprahl von Weisheit und Jugend hintergangen hatten; das aber, Gott sey Dank, klüger geworden ist, und Sie nur dafür verachtet und verabscheut, wie Sie’s verdienen!
KARL
Gütiger Gott! (wirft sich auf einem Stuhl)

Siebenter Auftritt.
(Julie, Präsidentin, Karl.)
JULIE
Gnädige Frau Mama! Sie haben befohlen –
KARL
Verachtet, verabscheuet!
PRÄSIDENTIN
Du kömmst zu früh, geh, geh, ich will dich schon wieder rufen lassen!
KARL
(springt auf, fasset Juliens Hand, drückt sie mit Innigkeit an sein Herz) Julie, Julie! Sie mich verachten? – verabscheuen?
JULIE
(wendet ihr Gesicht ab, gerührt, ein leises) Ach!
PRÄSIDENTIN
Nun was soll das? wird’s bald? gehst du?
KARL
(läßt ihre Hand heftig fahren, wirft sich wieder auf den Stuhl!)
JULIE
(sieht ihn an mit einem Blicke voll Wehmuth; ab.)

[40]
Achter Auftritt.
(Präsidentin, Karl.)
PRÄSIDENTIN
Das arme Mädchen! es ist ein Jammer zu zusehen, wie sie sich abhärmt! weil sie sich vormals, eh sie wußte, was schwarz und weiß ist, aus Uebereilung mit Ihnen einließ, und nun Wunders glaubt, was sie da zu verantworten habe.
KARL
Was sagen Sie da? nein, nein! nicht wahr, das erfinden Sie nur, um mich zu quälen? Julchen sich grämen um meinetwillen? nein, nein, o wiederrufen Sie das! es könnte mich bewegen, wider Willen und Entschluß Ihre Absichten zu hindern! sehen Sie, und ich steh im Begrif, Ihnen zuvorzukommen! O um Ihrer selbst willen, um Ihren Haß gegen mich, wiederrufen Sie das! Gram wäre ja noch Liebe! nein, nein, nicht wahr, Sie liebt mich nicht? grämt sich nicht um meinetwillen? haßt mich, verabscheuet mich?
PRÄSIDENTIN
Freylich, denk ich, daß sie am Ende wohl klug genug seyn wird, sich über die dummen Skrupeln wegzusetzen.
KARL
Wird seyn! wird sich wegsetzen! gnädige Frau! so lieb Ihnen Ihre liebsten Wünsche sind! nicht wahr, Sie ist schon – hat sich schon weggesetzt! o nur ein kaltes kleines Ja, und ich will Ihnen sagen, was Sie
[41]
auf einmal mit mir versöhnen wird! o, ich bitte!
PRÄSIDENTIN
Versöhnen? o ja, darauf rechnen Sie!
KARL
Gewiß, gewiß! o wenn Sie wüßten, in welchem Augenblick –
PRÄSIDENTIN
O ja, ich weiß, in dem Augenblick, wo der Vater sie Ihnen zusagte! trotzen Sie nur, wir wollen sehen!
KARL
In dem Augenblick – in dem Augenblick – nur das kleine Wort, und ich entsage, entsage Julie auf ewig!
PRÄSIDENTIN
Heuchler über alle Heuchler!
KARL
Heuchler? o gnädige Frau! wenn ich heucheln könnte, ich hätte mir Ihre Gunst wohl so gut erheuchelt, als mein Bruder! aber nur noch ein Paar Stunden! ich habe Juliens Herz verloren, und ich verbanne mich! – noch vor Mittag – geh ich nach Italien!
PRÄSIDENTIN
Karl!
KARL
Nach Italien! auf ewig!
PRÄSIDENTIN
Karl, ist das Ihr Ernst!
KARL
Alles ist eingepackt! fragen Sie, sehen Sie!
PRÄSIDENTIN
(für sich) Fallstricke! aber du sollst dich selbst drin fangen. – (laut) Und soll ich Julchen das nur sagen?
KARL
Warum nicht! ich werde Sie dann noch um einen Augenblick bitten, o, um den ein-
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zigen kläglichen Augenblick des Abschieds auf ewig! oder soll ich auch den nicht? –
PRÄSIDENTIN
Nun so möchte doch Wiesenthal wohl so ganz unrecht nicht haben, daß er Sie für einen Mann von Vernunft hielt; aber um wie viel Uhr denn? bald?
KARL
Noch vor Mittag! aber nun gnädige Frau! noch die einzige Bitte! lassen Sie Julchen nie wissen, was mich treibt! die Zeit wird kommen, wo der Zauber verschwinden wird, der Sie umnebelt; o dann könnte das Bild eines Mannes, der Ihr einst werth war, der um Ihrentwillen umherschwärmt ein Flüchtling auf fremder Erde, ein nagender Wurm an Ihrer Seele werden. – (ab.)
PRÄSIDENTIN
O sorgen Sie nicht! wir wollen den Wurm schon schneiden. – Aber darf ich ihm denn auch trauen? – nun so gescheid ist er doch wohl, daß er einsehen mag, daß die guten Zeiten für ihn vorbey sind! aber doch, in meinem Leben hätt’ ich mirs nicht träumen lassen – da sind wir ja auf einmal aller Sorge los!

Neunter Auftritt.
(Friz, Präsidentin.)
FRIZ
Da endlich! wo stecken Sie denn, liebste Frau Mama? ist das erlaubt? da gehts schon auf Mittag, und ich habe noch nicht ein-
[43]
mal das Glück haben können, Ihnen die Hand zu küssen.
PRÄSIDENTIN
Ja, lieber Friz, dafür hab ich auch den ganzen Morgen für Sie gearbeitet.
FRIZ
Das wußt’ ich! welch’ eine Frau Sie sind! reizend wie eine Liebesgöttinn! aber doch nicht zufrieden, bis Sie auch dadurch eine Göttinn sind, alles um sich her glücklich zu machen!
PRÄSIDENTIN
Meynen Sie, Friz? nun, ihr Bruder denkt das gewiß nicht.
FRIZ
O der Tölpel! freylich, wer nicht glücklich seyn will, oder wie er, nicht kann! Aber was schiert uns der Narr? lassen Sie mich diesen Augenblick, o diesen süssen Augenblick, nach dem ich den ganzen Morgen geseufzt habe, nicht mit dem traurigen Gedanken verderben, daß ich so einen Tölpel zum Bruder habe! – Wie schön Sie diesen Morgen wieder sind! dieses Negligee, dieser Kopfpuz! welch ein Geschmack!
PRÄSIDENTIN
Gefällt er Ihnen?
FRIZ
O zum Entzücken! aber liebe Mama! wenn ich nun einmal verheirathet seyn werde – o ich werde eine große, große Bitte an Sie haben!
PRÄSIDENTIN
Närrchen, du eine Bitte?
FRIZ
Ja, ja, es ist so eine Bitte!
PRÄSIDENTIN
Und?
FRIZ
Daß Sie sich doch angelegen seyn las-
[44]
sen, diese Schönheit, diese Reize, diese Jugend, wenn es möglich ist, mehr zu verbergen!
PRÄSIDENTIN
Schäcker!
FRIZ
Denken Sie einmal selbst, bestes Schwiegermamachen! wenn ich da mit Ihnen und Julchen erscheine, und der Alte keicht daneben und einher, und da kömmt dann so ein Kenner nach dem andern, zuckt die Achseln, und frägt mich: aber um Gotteswillen Friz wie hast du dich so übereilen können? – o Mamachen! ich bitte Sie –
PRÄSIDENTIN
Du kleiner Affe!
FRIZ
Versprechen Sie mir – oder lassen Sie mich lieber noch nicht heirathen, lieber noch ein paar Jahre verseufzen, und sehen, ob nicht vielleicht das Schicksal –
PRÄSIDENTIN
O du charmanter Junge du! – nein Friz! ich will denn lieber schon sorgen, daß man dich nicht fragen soll!
FRIZ
Aber ob Sie auch können werden?
PRÄSIDENTIN
Aber nun zur Sache! was meynst du Friz, wenn ich dir sage, daß der Feind nun geschlagen ist, ganz aus dem Felde?
FRIZ
O, nichts geringeres hab’ ich erwartet! Wer wollte Ihnen auch widerstehen können?
PRÄSIDENTIN
Meynst du? Ja, aber diesmal ist es doch nicht so ganz mein Werk allein; Karl ist so klug gewesen, mir entgegen zu kom-
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men. Er giebt seine Ansprüche auf Julchen freywillig auf.
FRIZ
Wie bescheiden, daß Sie seiner Klugheit zum Verdienst anrechnen wollen, was doch bloß der Sieg der Ihrigen ist!
PRÄSIDENTIN
Freylich von einer Seite! – aber doch so bald, – nun, genug! er geht nach Italien.
FRIZ
Glück auf die Reise! in der That, die Schönen da von Marmor aus der alten Welt, schicken sich für den Kloz auch besser, als ein Geschöpf mit jungem Leben und warmem Blut.
PRÄSIDENTIN
Aber Friz, wie stehst du denn nun mit Julchen?
FRIZ
Gut, Mamachen, vortrefflich, man kann nicht besser! und Sie fragen noch? hab ich’s Ihnen selbst nicht ganz zu danken, daß das Mädchen so rasend in mich verliebt ist? welche Großmuth wieder! vergessen, daß auch das ihr Werk ist! als wenns mein Verdienst seyn könnte.
PRÄSIDENTIN
Ja lieber Friz! ich muß dir aber doch sagen, zuweilen – zuweilen könnt’ es mir einfallen, noch zu zweifeln.
FRIZ
Zu zweifeln? um Gotteswillen! Sie erschrecken mich!
PRÄSIDENTIN
Ich glaube zuweilen zu bemerken, wenn das Mädchen von Karl spricht –
[46]
das ist doch noch so der rechte Ton nicht, den ich wünschte; und wenn wir uns über ihn lustig machen, da heißts immer, Schade! – Schade daß der Mann so finster ist! Schade daß, und Schade daß, und immer Schade! –
FRIZ
Gewohnheit, liebe Mama, nichts als Gewohnheit! Sie hat ihn einmal als einen Mann ansehen müssen, der ihr bestimmt war; und da ists denn so bey geblieben.
PRÄSIDENTIN
Es kann seyn, Friz; aber doch wünscht’ ich, – ich wünschte –
FRIZ
Und was, Mamachen, was?
PRÄSIDENTIN
Daß du einmal dran dächtest, ihr Herz auf einmal zu fassen und zu fesseln! du müßtest –
FRIZ
Ich müßte? – Sie schweigen? aber was heißt das, Mamachen, Sie machen ja heut Umstände mit mir?
PRÄSIDENTIN
Sieh Friz! einmal so ein recht überwiegendes, unwiderstehliches Geschenk!
FRIZ
(für sich) O weh! der alte Blutsauger!
PRÄSIDENTIN
Zum Exempel, einen recht kostbaren Schmuck.
FRIZ
(für sich) Da haben wirs! für meine drey Bazen, die ich noch habe! – (zur Präsidentin) O ja! das wäre –
PRÄSIDENTIN
Und sieh nur, lieber Friz! da hab ich schon diesen Morgen einen ausge-
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sucht! sieh nur! aber umgefaßt müßt er erst werden, so hübsch nach der neuesten Mode!
FRIZ
Kostbar! kostbar! – aber Mamachen! so was kostet, – und die Wahrheit zu gestehen –
PRÄSIDENTIN
Also gefällt er dir doch?
FRIZ
Sie fragen, und Sie haben ihn ausgesucht? aber, wie ich sagen wollte – und was soll er denn kosten?
PRÄSIDENTIN
(küßt ihn) Er ist bezahlt!
FRIZ
Aber Mamachen! –
PRÄSIDENTIN
So schweig doch nur, Herzensjunge! bist du mir nicht an die Seele gewachsen? o, ich muß dein Glück machen, und sollt’ es mir auch mein Eigenes kosten! (ab.)

Zehnter Auftritt.
(Friz.)
(der Präsidentin nach) O Sie Muster – (für sich) aller Thorheit, ha ha ha – willkommen, willkommen! o, da bin ich ja auf einmal aus all meiner Noth! – umfassen? ja ja, sollst schon umgefaßt werden! – . aber, was zum Henker? – je mehr ich ihn betrachte – ja ja, bey meiner Ehre! – Wegforts altes Familienstück! – wie verläuffst du dich denn bis hieher zu mir? also warst du mir doch bestimmt? auch ohne das Mädel, dem der Alte dich aufhob? – ja, da so gar der Ring mit dem ver-
[48]
schlungenen Namen seiner Frau! – herrlich, herrlich, o, doppelt willkommen! du sollst zu Kappler! (zum Ring) und wenn das Mädel, das er im Hause hat, Luise ist – gut, gut! nicht nur das erfahren, auch damit abkaufen kann ich sie – und das Uebrige – sorge nur nicht, Mamachen, – es soll umgefaßt werden, nach der neuesten Mode – recht nach der neuesten Mode! gegen lauter neue vollwichtige glänzende Dukaten! nur ohne Sorgen. (ab.)


Dritter Aufzug.

Erster Auftritt.
(Karl, bald darauf Franziska.)
KARL
(sitzt und liest; wirft das Buch weg, geht unruhig umher etc.)
FRANZISKA
(kömmt herein) Hier also, Herr Bruder! find’ ich dich endlich! da lauf ich dir schon fast eine halbe Stunde nach, und trage so schwer, so schwer an einer Last von Neuigkeiten! ha, ich kann nicht mehr! ich muß mich setzen; ich habe mich so müde dran geschleppt – nun? und du wirst nicht einmal neugierig? frägst mit keinem Wörtchen nach –
KARL
Nach Neuigkeiten, die mich nicht intereßiren können?
[49]
FRANZISKA
Nicht intereßiren? dich nicht? nun, das sollst du sehen; wenigstens wird jetzt aus deiner Reise zu Wegfort nichts.
KARL
(schweigt, zuckt die Achseln.)
FRANZISKA
Meynst du nicht? wenn ich dir nun aber sage, daß er selbst hier in der Stadt ist?
KARL
Wegfort?
FRANZISKA
Daß er diesen Morgen schon hier im Hause gewesen ist?
KARL
Wegfort?
FRANZISKA
Ja, ja, er hat der Präsidentin einen Schmuck verkauft.
KARL
Wo wohnt er?
FRANZISKA
Er hats nicht gesagt, und die Präsidentin hat das nicht intereßirt, wie du denken kannst; aber ich laß ihn schon auskundschaften.
KARL
Gut, liebe Franziska!
FRANZISKA
Und nun?
KARL
Das ändert meinen Plan nicht, befördert ihn nur; ich kann also nun gerades Weges –
FRANZISKA
Nach Florenz, nicht wahr? nein, nein, Herr Bruder, die Grille laß dir fürs erste nur noch vergehn.
KARL
Umsonst! ich muß und will!
FRANZISKA
Reisen? ja, sollst auch reisen; mir je eher je lieber! aber nicht nach Italien;
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auch nicht so in dem englischen Reisekleide! komm, ich will dir deinen Anzug anordnen! komm mit eben, sollst dich ausrüsten, wie unser Ur – Ur – Ur – Urgroßpapa oben auf dem Familien-Gemählde in Harnisch und Helm, mit Schwerdt und Speer! sollst ausreiten auf ritterliche Abentheuer, sollst dich herumbalgen, mit Riesen und Unholden, und eine arme entführte Prinzeßin wieder einhohlen.
KARL
Ach Schwester, wenn du mich doch nur heut mit deiner Laune verschonen wolltest! ich bin so wenig gestimmt –
FRANZISKA
Nein, Bruder, laß mich nur! nur noch ein Wort, und du sollst sehen, ich komme deiner Stimmung schon von selbst näher! die Geschichte ist so tragisch! und mein Herz zuckt und blutet schon, da ich meinen Mund noch zwinge zu lachen! du weißt ja, Bruder, das ist so meine Art; sonst empfind’ ich leicht so tief, als die empfindsamste Empfinderin in dieser empfindsamen Epoche! nur bekömmt mir das Empfinden nicht so gut, als den ewig seufzenden und weinenden Maschinen, und da stemme ich mich entgegen mit all meiner Laune, so lang ich kann.
KARL
Gott erhalte dir den Muth, liebe Franziska, aber wo dein Freund leidet, dein Bruder –
FRANZISKA
Nun: stille doch nur, ich will
[51]
denn lieber meine Laune vor der Zeit freywillig gefangen geben, denk einmal Karl! der arme Wegfort –
KARL
Nun?
FRANZISKA
In dem Augenblick, wo du an nichts als an sein Glück denkst, dir seine Freude, sein Entzücken schilderst, wenn du nun kommen wirst, ihm sein Vermögen wieder zu geben –
KARL
Franziska!
FRANZISKA
Ist seine Tochter –
KARL
Luise tod?
FRANZISKA
Entführt, entehrt! Bruder, Bruder, was ihr Männer für Geschöpfe seyd!
KARL
Und von wem? gerechter Gott! Luise?
FRANZISKA
Ich weiß nicht; aber du mußt den Alten aufsuchen! und Bruder, wenn du ein Mann bist –

Zweyter Auftritt.
(Präsident, Karl, Franziska.)
PRÄSIDENT
Alles richtig, alles richtig! o mein Sohn! (umarmt Karl) Hier ist alles! hier die Sentenz für Wegfort! und hier das Dekret über die Bedienung!
KARL
O mein Vater!
FRANZISKA
Mein Bruder!
[52]
PRÄSIDENT
Karl, wozu soll ich Ihnen am ersten Glück wünschen? Wie groß! welch ein Mann sind Sie! Wie haben Sie für den armen Verkannten gearbeitet! der Referent hat von Ihnen gesprochen, daß ich nicht mehr konnte, mit weinenden Augen da saß, und mit schluchzender Stimme ausbrach: Meine Herren, Morgen ist der Mann unser Kollege, und da hätten Sie sehen sollen! Karl, Karl!
FRANZISKA
O mein Bruder!
PRÄSIDENT
Und hier die Bedienung bis auf die erste erledigte Stelle im geheimen Staatsrath! der Minister wiederholte das, wie er stolz darauf sey, Ihnen mit einem Anerbiethen, zuvorzukommen, das unter der jetzigen Regierung noch keinem geschehen ist.
KARL
O mein Gott!
FRANZISKA
Und das alles keine Schadloshaltung?
PRÄSIDENT
Ja, Karl, so ein Mann sind Sie! fühlen Sie sich selbst, es ist die größte Belohnung des Verdienstes, dieses Selbstgefühl! – und diese Thräne, o, nicht verborgen, Karl! sehen Sie, ich weine mit Ihnen! dieser Mann, dieser große Mann, soll meiner Tochter werden!
KARL
Ich vergehe!
PRÄSIDENT
Ich mögte weinen, mit Kindesfreude!
[53]
KARL
O um Gotteswillen, um Gotteswillen!
FRANZISKA
O mein Bruder!
PRÄSIDENT
Lassen Sie meine Freude ausströmen! Nie, Sohn meines Herzens! nie hab ich Gott für ein Geschenk inbrünstiger gedankt, als für dich! ich sag’ es in seiner Allgegenwart! Mann voll Werth! du bist mir willkommener für das Kind meiner Liebe, als der Erbe eines Thrones!
KARL
O mein Gott! wenn ich nicht erliegen soll –
PRÄSIDENT
Franziska, rufen Sie mir doch meine Frau und meine Tochter her! – doch nein, ich gehe selbst hin! bleibt hier zusammen; in einem Augenblick – (ab.)

Dritter Auftritt.
(Karl, Franziska) FRANZISKA
Karl!
KARL
Laß mich, Schwester! sieh, meine ganze Seele ist in Aufruhr! ich fasse das nicht.
FRANZISKA
Aber mein Bruder, so hingegeben auf einen einzigen Punkt, ist das deine Weisheit? So viele Geschenke von Gott! und die alle nichts! und da solls gerade nur das einzige seyn, das er dir versagt, vielleicht zu deinem Glücke versagt! Bruder, Bruder!
[54]
KARL
Sage mir das alles nicht! ich fühl es, ich fühl es; aber ich kann, ach! ich kann nicht!
FRANZISKA
Komm nur zu dir! laß dir nur Zeit!
KARL
Ich kann nicht! Julie, Julie, wohin hast du mich gebracht!
FRANZISKA
Undankbarer Eigensinn!
KARL
O Schwester! das Schicksal nehme mir alles, in dem Augenblick, wo es mir alles giebt! sieh, ich wollte auswandern in eine unbekannte Welt, mir selbst überlassen, keine Aussicht für den kommenden Augenblick, nur daß es ein Augenblick sey, wie jene goldenen verschwundenen Augenblicke ihrer Liebe! arm und verlassen! Nur Sie, nur Sie!
FRANZISKA
Aber Bruder denke nur, da gehst du hin, und in dem ersten Briefe, der dir nachkömmt, da ist sie verheirathet!
KARL
Ha!
FRANZISKA
Und wenn du das auch aushälst, dann noch ein Paar Monate, bis der Kummer dann vollends alle Schnellkraft deiner Seele erschlaft hat; dann wieder ein Brief, daß der Taumel nun verschwand, das arme Weib da nun liegt angekettet an ihrem Elend; nun sieht, nun fühlt, wie sie sich wegwarf!
KARL
Laß ihn kommen, ich erwarte ihn so.
FRANZISKA
Das dünkt deiner Rache jetzt
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süß; aber Bruder, Bruder! wenns nun so seyn wird, wie wird sichs ändern! da wirst du nur sehen, welch ein Theil der Schuld auf dich fällt: was deine Uebereilung verdarb! wärst du geblieben, hättest Muth gefaßt auszudauern, du hättest sie vielleicht zurückgebracht. Karl, der Vorwurf wird sich an dich hängen, wie ein Geist der Hölle.
KARL
Ich werd ihn schon von mir bannen.
FRANZISKA
Mit einer Pistolenkugel, nicht wahr? Und daß dann das Ende eines Mannes zu dem vor wenigen Monaten noch Freunde und Familie, Vaterland und Menschheit mit dem Stolze, mit der großen Erwartung heransahn! Und gut! die That helfe dir dann aus! über Julchen – Bruder, kannst du das Bild ihrer Verzweiflung, ihres Hinsterbens in Jammer ertragen? Ist das Liebe?
KARL
Weib willst du mich rasend machen?
FRANZISKA
Bruder! – Karl! verkennst du mich? – Karl bin ich denn nicht deine Schwester mehr? nicht die Franziska mehr, der du so oft betheuertest, daß sie deine Schwester hätte seyn sollen, wenn du eine zu wählen gehabt hättest?
KARL
Ach Franziska! was willst du? was soll ich? was kann ich?
FRANZISKA
Sprich nur mit Wegfort! sey sein Freund! hat seine Tochter nicht heiligere
[56]
Rechte auf seinen Freund, als sein Vermögen? Thu für Luise, was du für sie thun kannst! ich will indeß deine Schwester seyn, für dich arbeiten in der Stille; Julie – ich hatte einst ihr Vertrauen! und wenn sie noch zu retten ist – Bruder, Bruder, denke das, wenn sie noch zu retten wäre, und du hättest sie so ihrem Schicksal überlassen! – aber wenn es nicht ist, wenn du zurück kommst und alles ist umsonst, – da Bruder meine Hand! so will ich dich nicht halten, will mit dir weinen, und dir tragen helfen; aber mit keinem Worte mehr widersprechen.
KARL
Ach Schwester, Schwester!

Vierter Auftritt.
(Präsident, Präsidentin, Karl, Franziska.)
KARL
Die Präsidentin! – Gott! ich gehe.
PRÄSIDENT
Wohin, wohin? nein Karl, Sie müssen bleiben! ich höre hier, was mich erstaunen macht –
KARL
O, um alles, wenn ich Ihnen werth bin. –
FRANZISKA
Lassen Sie ihn, mein Vater, lassen Sie ihn, ich will Ihnen alles – (Karl ab.)

[57]
Fünfter Auftritt.
(Präsident, Präsidentin, Franziska.)
PRÄSIDENT
Was ihr für Leute seyd! da finde sich einer darein! in einer Stunde, wo ich ihn erwartete ausser sich vor Freuden, spielt er den Verzweifelnden, entsagt meinen besten Entwürfen; flieht mich, da ich ihm meine Arme öffne, ihn in meinem Herzen aufnehmen will zu meinem Kinde!
PRÄSIDENTIN
Ich sage dir ja, er ist ein alberner Mensch!
PRÄSIDENT
Ha! und ich sage dir – wer hat ihn so weit gebracht? – schäme dich?
PRÄSIDENTIN
Aber mein Gott! –
PRÄSIDENT
Hier wollt ich euch alle versammeln um mich her! es sollte mir ein hoher Festtag werden; da wollt ich zwischen euch stehen, wie ein glücklicher Hausvater am Tage, wo Gott mit seinem besten Segen auf seine Familie kam, und da steh ich nun einsam, und alles flieht mich! Karl in Verzweiflung, Julchen in Thränen, Franziska in stummer Traurigkeit, und du, Madam! – geh du nur auch lieber von mir! geh zu deinem lieben kleinen Harlekin, und parliere mit ihm über deine Hauben und Fächer.
PRÄSIDENTIN
In der That wohl das Beste, ich gehe!
[58]
PRÄSIDENT
Ja, so weit du willst! aber nimm mein letztes Wort mit! nur diesen Abend Bedenkzeit, und Julchen und Karl feyern Morgen deinen Geburtstag am Altar, oder Julchen geht ins Kloster!
PRÄSIDENTIN
Wiesenthal!
PRÄSIDENT
Kein Wort mehr! du weißt, ob ich der Mann bin, der sich widersprechen läßt! ich will mich mit euern Grillen lange aus meiner Fassung bringen lassen! – dein charmanter Friz kann sehen, wo er bleibt, ich dulde ihn nicht mehr bey mir! und Julchen – wie gesagt, Morgen in Karls Armen oder ins Kloster! (ab.)
FRANZISKA
Ich muß nur nachschleichen! der Himmel möchte mir gnädig seyn, wenn das Wetter über mich ausbrechen sollte! (ab.)
PRÄSIDENTIN
Oder ins Kloster! – ins Kloster! ja warte! ich werde dir da eine Tochter erziehen, daß alle Welt ihr Wunder dran hat, und sie dann ins Kloster stecken lassen! – oder gar an so einen Tölpel schmieden lassen! – warte! ich will dir – ja aber wie? –

Sechster Auftritt.
(Präsidentin, Friz, Johann mit Ballkleidern hinter her.)
FRIZ
Aber nun Mamachen, nun sollen Sie selbst sagen, ob Sie je so was gesehn oder gehört haben?
[59]
PRÄSIDENTIN
Ja wohl, artige Histörchen, schöne Einfälle!
FRIZ
Wie?
PRÄSIDENTIN
O, ich möchte rasend werden!
FRIZ
Rasend? rasend sagen Sie? und wissen Sie denn schon –
PRÄSIDENTIN
Das mag Ihnen meine Wuth sagen.
FRIZ
Ihre Wuth, Mamachen? ich bitte Sie, Ihre Wuth? und ich dachte Wunders, wie entzückt Sie seyn würden!
PRÄSIDENTIN
O, Sie sind toll, Friz!
FRIZ
Toll? mein Gott, was ist Ihnen? toll? und die Idee ist, dünkt mich, so schön, so neu!
PRÄSIDENTIN
Ja wohl, neu!
FRIZ
Mamachen ich will des Henkers seyn, wo ich ein Wort – o Sie haben es unrecht verstanden; er hat sich nicht recht zu erklären gewußt.
PRÄSIDENTIN
Nein, ich versichere Sie, deutlich und ausdrücklich genug!
FRIZ
Ja, dann weiß ich aber nicht – ich wollte, daß er sein verdammtes Maul gehalten hätte! so was muß überraschen, oder es verliert seinen Reiz.
PRÄSIDENTIN
Seinen Reiz? o hüten Sie sich, Friz! er möchte dem Einfall noch für Sie einen Nebenreiz zu geben wissen! –
[60]
FRIZ
Wer? der Kerl?
PRÄSIDENTIN
Der Kerl? der Präsident!
FRIZ
Der Präsident? Was soll denn der hier? sprechen Sie denn vom Präsidenten?
PRÄSIDENTIN
Von wem sonst?
FRIZ
O, ich spreche von meinem Schneider, der mir die Ballkleider gemacht hat! ha ha ha!
PRÄSIDENTIN
Nun wahrhaftig! ha ha ha! bald sollt ich fast mit lachen! ha ha ha! – nein Friz, der Präsident – o, wie soll ich Ihnen das alles sagen? o, ich ärgere mich –
FRIZ
O, vergessen Sie das jetzt, Mamachen! hier giebts wichtigere Affairen; sehen Sie –
PRÄSIDENTIN
Ja, ja, aber Morgen schon! Morgen soll Julchen Karls Frau seyn, oder ins Kloster –
FRIZ
Ins Kloster? ha ha ha.
PRÄSIDENTIN
Sie lachen? aber Morgen, Friz, Morgen schon!
FRIZ
Ey was? lassen Sie das jetzt bey Seite, jetzt über die Possen diesen Augenblick nicht verdorben!
PRÄSIDENTIN
Possen?
FRIZ
Nichts als Possen, kommen Sie Mamachen, heitern Sie sich auf! – diese ärgerliche Mine – wenn Sie nicht die Schönheit selbst wären, müßt’ Ihr Gesicht verstellen! das
[61]
kann sie nun zwar nicht, aber das ist doch das Gesicht nicht, für das ich arbeiten ließ! kommen Sie, lächeln Sie einmal – Sie wissen wohl, mit dem gewissen, siegreichen, triumphierenden Lächeln! – (sie lächelt) Ja so! o Sie Venus Sie! und nun sehn Sie einmal! (legt die Ballkleider los)
PRÄSIDENTIN
Nun?
FRIZ
Für diesen Abend auf dem Ball! nun? was sagen Sie!
PRÄSIDENTIN
Friz! – Galant! – schön – prächtig! was du für ein Junge bist! aber nein, Friz, das ist doch für Julchen zu reich.
FRIZ Für Sie, kleine Mama, das versteht sich! es ist ja À LA VENUS!
PRÄSIDENTIN Du kleiner Hasenfuß du!
FRIZ
Und hier für Julchen! eine griechische Königinn!
PRÄSIDENTIN
Herrlich, herrlich!
FRIZ
Sie merken aber doch den Unterschied, denk ich!
PRÄSIDENTIN
Affe!
FRIZ
Und nun für mich!
PRÄSIDENTIN
Aber was ist das? ein Helm?
FRIZ
Ein griechischer Prinz.
PRÄSIDENTIN
O das ist neu, und ausgedacht, daß dirs Ehre macht!
FRIZ
Nicht wahr, Mamachen? und nun
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das Ensemble, das Ganze! denken Sie sich das einmal alles in einer Gruppe zusammen! nun? rathen Sie nicht?
PRÄSIDENTIN
Ja wer dir deine Einfälle enträthselte! FRIZ
Wissen Sie nicht – die Geschichte der griechischen Helena? Ich will Ihrem Gedächtnis nachhelfen: Unter drey Göttinnen entstand einmal ein Streit darüber, welche die Schönste sey!
PRÄSIDENTIN
Recht, wie in dem Buche stand, das dein alberner Bruder Julchen einmal aus den Händen riß, und um dessentwillen er gegen dich so grob ward.
FRIZ Ja in den komischen Erzählungen; so wissen Sie ja auch liebes Mamachen, daß Venus von Paris den goldnen Apfel erhielt, und sie ihm dafür zur Dankbarkeit half, das schönste Weib seiner Zeit, die griechische Helena entführen? und nun die Anwendung! da haben Sie den Apfel! Sie sind Venus! ich Paris, und nun? was geben Sie mir? sehen Sie? Helena Julchen!
PRÄSIDENTIN
Nein Friz, sag mir einmal, hast du das selbst so ausgedacht?
FRIZ
O, wo die – wie soll ich das nennen, was ich für Sie empfinde – genug, daß diese Empfindung eben so erfinderisch ist, als die Liebe selbst!
[63]
PRÄSIDENTIN
Herrlich, über alles! das soll diesen Abend einmal ein Aussehen geben! – (stampft mit dem Fuße) daß das gerade der fatale Abend seyn muß! Ach Friz! ich werde meine Rolle doch nicht gut spielen!
FRIZ
Gewiß, gewiß, wenn man anders spielen kann, was man ist!
PRÄSIDENTIN
Nein Friz, sey jetzt einmal einen Augenblick seriös! Morgen, Morgen, denke nur die eine Nacht!
FRIZ
Und was wars denn auch auf Morgen! sehen Sie liebes englisches Mamachen, der Gedanke, Ihnen eine Freude zu machen, beschäftigte mich so ganz, daß ich nicht einmal – gehört habe –
PRÄSIDENTIN Daß Julchen Morgen ins Kloster soll, oder mit Karl an dem Altar!
FRIZ
Das ist entsetzlich! – ja was ist da zu machen?
PRÄSIDENTIN
(immer zu den Ballkleidern zurück, und sie betrachtend) Ich Venus! – wenn das ein andermal so in recht guter Laune gekommen wäre! aber du sollst sehen, Friz, ich werde so viel an dich denken, das Mitleid –
FRIZ
O Sie liebe Frau! aber gesetzt nun, Julchen gieng auch fürs erste ins Kloster –
PRÄSIDENTIN
Nein, nein, dazu darfs nicht kommen; unmöglich! er ist so erbittert! das arme Mädchen würde – was das für eine
[64]
Pracht, für ein Geschmack ist! Ich Venus! und wenn ich da nun komme mit dem Apfel in der Hand!
FRIZ
O alle Herzen werden sich Ihnen beugen! – aber Julchen –
PRÄSIDENTIN
Ich sinn und sinne nach, und ersinns doch nicht! armer Junge – Ich Venus, o, ich weiß nicht, das Herz springt mir im Leibe, wenn ich denke – wie viel Uhr ist’s denn? wird’s nicht bald Zeit zum Ball?
FRIZ
Es ist noch nicht einmal Mittag, Mamachen!
PRÄSIDENTIN
Das währt heut auch verzweifelt lange! es wird heut auch bey mir kein Mittag werden! ich werde Hunger und Durst vergessen, bis ich – ich Venus! nein das ist nicht abzuwarten! – aber – Friz – Friz! was fällt mir da ein? Was sagtest du, wie machte Venus es? sie half dem Paris –
FRIZ
Die Helena entführen?
PRÄSIDENTIN
Friz! – nun, und du findst es nicht? noch nicht? ich Venus, du Paris, und ich helfe dir – nun?
FRIZ
Julchen Helena? – ich wag’ es nicht auszusprechen!
PRÄSIDENTIN
Da Friz, meine Hand drauf, so wahr ich –
FRIZ
So wahr Sie eine Venus sind! O Sie Herzensmamachen, das ist ein Einfall, mehr
[65]
als tausend solche Masken werth! wie Sie einem doch so überlegen sind, wenn man auch sein ganzes Gehirn angestrengt hat –
PRÄSIDENTIN
Sage das nicht, Friz! von wem kömmt der Einfall im Grunde her? Ist er nicht dein?
FRIZ
Und wie sich das so schön anschickt! der Ball!
PRÄSIDENTIN
Ja wohl! vom Ball fort! ich allein nach Haus, und Morgen Früh der Alte – ha ha ha!
FRIZ
Ha ha ha! unvergleichlich!
PRÄSIDENTIN
Nun, laß mich nur! aber da muß nun auch keine Minute versäumet werden! geh Friz, und halte nur alles bereit! und bestelle mir Julchen her!
FRIZ
Aber soll ich dem Mädchen nicht auch selbst –
PRÄSIDENTIN
Das braucht nicht! ich nehme alles auf mich!
FRIZ
O Sie liebe, süße, kleine Mama! (ab.)
PRÄSIDENTIN
Ha ha! ins Kloster! nun auf Altar! auf Karl! wir wollen doch sehen! ha ha ha! was das für Gesichter geben wird, wenn der Vogel ausgeflogen ist, und der alte Brumbart steht denn da vor dem leeren Kefig! ha ha ha! – aber, das muß doch wahr seyn, dieser Friz! – ich Venus! der allerliebste klei-
[66]
ne Narr! erinnere ich mich doch nicht, daß mir in meiner besten Jugend einer so ein Kompliment gemacht hätte!

Siebenter Auftritt.
(Julie, Präsidentin.)
PRÄSIDENTIN
Sieh Julchen, hast du je in deinem Leben so was gesehn? Julchen, was wir diese Nacht für eine Figur machen werden!
JULIE
In der That, sehr schön!
PRÄSIDENTIN
Wie alles, was der Liebe Junge nur aussinnt! o Julchen, was für eine glückliche Frau wirst du werden! was wird das für ein Leben seyn!
JULIE
Ach ja, wenn alle Tage des Jahrs Balltäge wären!
PRÄSIDENTIN
Pfui Mädchen, was das nun wieder für ein absurder Einfall war! – und sieh nur, ich bin Venus, ich!
JULIE
Sie Mama?
PRÄSIDENTIN
Ja, ja, und du Helena, und er Paris! ich weiß nicht, wo der vertrackte Junge nur zu solchen Einfällen kömmt! so gelehrt und doch so galant! Ach! daß ich doch nur dabey seyn könnte, bey der ganzen Geschichte! Mit euch fortfliegen über Berg und Thal! Julchen, Julchen, ich werde hinterher noch närrisch vor Freude, vor Freude und Aerger!
[67]
du kleines Affengesicht, du, und bist kaum noch erst deine 18 Jahre alt! und schon eine Entführung! und so eine allerliebste Entführung, so einzig in ihrer Art! ich war doch auch schön, und schon über 24, als dein Vater kam, und hab es nie zu einer Entführung bringen können.
JULIE
Entführung? was sagen Sie, gnädige Frau Mama!
PRÄSIDENTIN
Ja, ja, Entführung? weißt du denn nicht, daß Paris seine Helena entführte, und das mit Hülfe der Venus? und hab ich dir denn nicht gesagt, daß ich unter euch Venus bin?
JULIE
Ich verstehe kein Wort.
PRÄSIDENTIN
Kein Wort, dummes Ding du? muß ich dir denn das noch lange vorlegen, Wörtchen für Wörtchen? diese Nacht, diese Nacht vom Ball – Mädchen du bist meine Tochter nicht, wenn du nicht unsinnig wirst vor Freude! diese Nacht vom Ball soll dich dein Paris entführen!
JULIE
Entführen?
PRÄSIDENTIN
Aber Gott im Himmel, da frag erst noch zehnmal, Entführen? ja, ja, entführen!
JULIE
Aber gnädige Frau Mama!
PRÄSIDENTIN
Ja, da komm du mir gar erst noch lange mit deinen Aber!
JULIE
Warum aber Entführen?
[68]
PRÄSIDENTIN
Und nun noch gar warum? Entführen Mädchen! Und wenns gar kein Warum hätte, so denk doch nur, Entführen! – Entführen, so heimlich davon, daß denn alle Welt – o, ich ärgere mich, daß ich meiner Tochter so was erst lange vorsagen soll.
JULIE
Und der Papa?
PRÄSIDENTIN
Dummes Ding um den ists ja eben! hast’s denn nicht gehört, daß er dich ins Kloster stecken will?
JULIE
Ins Kloster?
PRÄSIDENTIN
Ins Kloster, und Morgen früh, oder Morgen früh mit Karl an den Altar! – nun, wenn dir das lieber ist – du hast die Wahl!
JULIE
Ich weiß nicht – Sie überraschen mich so –
PRÄSIDENTIN
Und da brauchts nun auch wohl noch lange Ueberlegung! von der einen Seite Entführung! – o, und das mit Friz, o, mit dem Herzensjungen, denke Mädchen, mit Friz, mit Friz! und von der andern Seite das Kloster – oder gar, – Gott, Mädchen, mich schaudert um deinetwillen bey dem blossen Gedanken! – oder gar Karls Frau! – Karls Frau! und das heißt denn nun vollends, daß dein Vater dich bey dem Schuft wieder einbetteln will, daß er dich doch nur noch nimmt! denn er hat dir entsagt!
[69]
JULIE
Karl?
PRÄSIDENTIN
Ja, ja, Karl! Mir ins Gesicht, deinem Vater, deiner Schwester, uns allen ins Gesicht! geh hin und frage! förmlich, uns allen ins Gesicht hat er erklärt, daß er dich nicht mehr will.
JULIE
Gott im Himmel! – Karl!
PRÄSIDENTIN
O ho, ists so gemeynt? ich sehe du machst Umstände! gut, gut, auch gut! so geh ich zu deinem Papa – und – gut, gut! – (will ab.)
JULIE
Ach Mama, Mama!
PRÄSIDENTIN
Nun, ohne Umstände, entweder ja, oder ich geh zu deinem Vater, daß er mit Karl fortmacht! nun, willst du?
JULIE
Ich – ich will – ich will mit auf den Ball gehen!
PRÄSIDENTIN
Närrisches Ding mit deiner Blödigkeit! stehst du nicht da und zitterst! sieh, ich trage dirs ja selbst an; deine Mutter! lustig! lustig! auf den Ball! und da tanz ich mit euch den Hochzeitstanz, bring euch dann in die Kutsche, geb euch meinen Segen, und seh euch dann daher rollen in die weite Welt. Küsse mich! siehst du, was du für eine Mutter hast. (ab.)
JULIE
Dahin also! – Gott, was ist aus mir geworden! Entführung! – heimlich wider den Willen, ohne Wissen meines Vaters! – Friz, und das darfst du dir von mir versprechen?
[70]
ha, womit hab ich das um dich verdient? – und Karl! – mir förmlich entsagt! ha, mit seiner ganzen kalten Verachtung! – Gut, gut! alles gut! – aber –

Achter Auftritt. 
(Julie, Franziska.)
FRANZISKA
So? in Selbstgesprächen, Julchen? der glückliche Prinz!
JULIE
Franziska!
FRANZISKA
Deinen lieben Friz, meyn’ ich ; o, wenn man uns Frauenzimmer erst bis zum Monologieren bringt!
JULIE
(ärgerlich) Schwester!
FRANZISKA
Nun? Ey sieh doch, wie spröde? bin ich denn nicht auch ein Mädchen gewesen? und verliebt – ? o, darinn sey dir Trotz geboten! ich versichere dich, manchen lieben Abend hab’ ich auch hier gesessen in der Dämmerung um deines Bruders willen, mit dem Kopfe in der Hand, und mit Mond und Sternen im Gespräch! aber das glaube mir auch, gut thut’s einem nicht; man zehrt sich drüber ab, o, daß es ein Jammer ist anzusehn, und wenn man denn doch eine gute vertraute Seele um sich haben kann, die uns versteht, in uns dringt mit Liebe und Theilnehmung, daß man dann so recht vom Herzen wegplaudern kann, o, das ist doch auch behaglich!
[71]
JULIE
Nein; laß mich, Franziska! – in der That – mir ist besser allein.
FRANZISKA
Nein: ich lasse dich nicht, Julchen! – in der That – dir ist besser bey mir! – Mädchen hab ich nicht die Erfahrung? und müssen wir andern Erfahrne und Geprüfte uns nicht eine Pflicht daraus machen, euch Unerfahrnen in der Prüfung beyzuspringen mit Rath und That? Ich sage dir Julchen, du wirst dich um alle deine Reize grämen, wenn du’s so forttreibst, wirst in deiner Einsamkeit verwelken und verblühen!
JULIE
Mag’s doch, das kümmert mich wenig.
FRANZISKA
So, so? Nun und wenn auch, so muß ich doch für meine Brüder sorgen; einem von beyden bist du doch nun einmal bestimmt; und da sollt ich zugeben – daß sie denn hernach nichts an dir kriegten, als ein verseufztes, verkümmertes, verweintes Mädchen? O nein Julchen, so eine sorglose Schwester bin ich nun einmal nicht! und – sieh! auch das weißt du noch nicht, wie viel Ursache wir alle haben, mit unserem Bischen Schönheit haushälterisch umzugehen. Es ist doch die einzige Mitgift, die uns die Natur gegen die Ueberlegenheit der Männer zur Wehr gab; und die Männer! – o, du kennst die lieben Geschöpfe nicht! kennst sie nur erst als Liebhaber, und da sind sie frey-
[72]
lich so artig, so gut, so biegsam! – aber hat nun so ein Mann erst was er will! o dann – da fühlt er nur, was es ihn gekostet hat! da denkt er, was er sonst war, wie er so frey in der Welt da stand, seines Schicksals Herr und Meister, aller Mädchen Augen auf ihn, daß er wählen konnte und liebeln und vexieren nach Herzenslust! und das nun alles aufgeopfert! – deß schämt er sich, kann selbst nicht begreifen, wie er dazu kam, mögte sich vor sich selbst rechtfertigen! O Julchen, da haben wir denn unsre ganze Schönheit nöthig, daß der Mann sich wenigstens bey sich selbst mit den Reizen entschuldigen kann, die ihn verführten. Haben wir die verloren, so verdammt er sich selbst ohne Gnade, und dann Weh uns! wie wir sie verloren, das bedenkt er dann wenig; obs selbst Liebe zu ihm war, ob Kummer um seinetwillen diese Rosen vor der Zeit anfraß, ob Thränen um ihn in der Stille geweint sie von unserem Gesichte wischten, was geht ihn das an? er findet keine Entschuldigung mehr, gesteht sich eine Thorheit begangen zu haben, und läßt es uns entgelten! Siehst du, Julchen, drum gewöhne dir das Einsam seyn nur bey Zeiten ab; in Gesellschaft! in Gesellschaft! da verschwätzt und verlacht man die Beize, eh sie einfrißt! und also nur voran! komm, setzen wir uns, und machen aus dem Amoroso ein Duett!
[73]
JULIE
Nein, laß mich Franziska! ich muß – ich will –
FRANZISKA
Und du sollst nicht! halsstarriges Ding du! ich will nun auch, will mit dir plaudern! – und gieb dich nur gutwillig, ich lasse dich nun einmal nicht!
JULIE
Schwester, du bist zuweilen –
FRANZISKA
So ziemlich muthwillig meynst du? desto besser, Julchen! und sieh, ich habe doch auch zuweilen meine zärtliche Zwischenstunden, und wer weiß, wenn du mir erst den Ton angiebst – nun wähle nur, von wem solls anfangen, von Friz oder Karl?
JULIE
Ich will von Karl nichts mehr hören!
FRANZISKA
Gut, gut! in der That, er verdient auch nicht –
JULIE
Ha weniger, als du wohl glaubst!
FRANZISKA
Als ich glaube? sage das nicht! ich seh die beyden Jungens zwar als Schwester an, aber doch auch als Weib; und da müßt’ ich ja blind seyn, wenn mir Frizens Verdienste nicht so hell entgegen stralten! – o Julchen, welch eine glückliche Frau wirst du mit ihm werden!
JULIE
Glücklich? o ja wohl!
FRANZISKA
Nicht wahr? das wird ein Leben werden, eine Ehe! wie ein ewiger Hochzeitstag! o, das wußt’ ich zum voraus, als
[74]
Karl sich zu dem dummen Einfall verleiten ließ, den Sohn des Ministers auf Reisen zu begleiten, daß ihm das dein Herz kosten müßte.
JULIE
Das wußtest du?
FRANZISKA
Natürlich, weil ich wußte, daß Friz in der Zeit zurückkommen würde, daß du ihn sehen würdest, sehen, und wie nicht lieben?
JULIE
Franziska, du bist falsch!
FRANZISKA
Gott bewahre! gar falsch?
JULIE
Denk an die erste Zeit, als Friz kam, und wie du da sprachst! da war Karl dein Liebling!
FRANZISKA
Das war deines Bruders Schuld; das ist nun gerade so ein Mann, wie ein Karl und ein Friz zusammen genommen; ich hatte nun den Friz an ihm satt geliebt, und hatt’ es eben mit dem Karl an ihm zu thun; und nicht wahr, Julchen? so gut, o so allerliebst Friz auch ist, wenn du dir doch auch ihn und Karl für dich zusammenschmölzen könntest, daß denn herauskäme, ein Mann in Stunden der Freude, wie Friz, und in Stunden des Ernstes wie Karl – ?
JULIE
Ich will von Karl nichts hören.
FRANZISKA
O, es war ja auch nur so im Vorbeygehen; und freylich, da das Zusammenschmelzen nun einmal nicht angeht, – es ist doch immer besser zu glänzen, zu geniessen, als
[75]
bey ewigem Ernste vor lauter Mannsverdienst sich mit Langerweile tod martern zu lassen!
JULIE
Aber es giebt auch Langeweile –
FRANZISKA
Bey einem Mann wie Friz? das mußt du nicht glauben, wenigstens jetzt noch nicht.
JULIE
Ach Franziska, wenn ich an die Tage denke, als Karl –
FRANZISKA
Als Karl noch der heitere freye Mann war, der nicht mit der störrischen Mine auf alle Freuden des Lebens herab sah, der sich in seinen Nebenstunden seiner Jugend freute, und dann –
JULIE
Ich will von Karl nichts mehr hören.
FRANZISKA
Freylich auch! da er doch nun einmal nicht mehr so ist! und ein Friz war er auch niemals! Karl würde immer für den Staat haben mitleben wollen; Friz wird nur für dich leben, und bey der Theilung würdest du doch immer verloren haben!
JULIE
Ach, ehemals, Franziska, wenn ich Karl den ganzen Tag oft nicht gesehen hatte, und er kam dann Abends, und ich sah es an seiner Mine, daß er großes gedacht oder gethan hatte, ich ihn dann fragen durfte, und er mirs anvertraute, daß ich dann oft vor innerem Pressen die Thränen nicht mehr hielt, – wenn ich dann mit ihm hinaus gieng, sah’ was ihm die Na-
[76]
tur war, und wie unser Gefühl da einstimmte, diese Aussicht, dieser Bach, dieses Blümchen uns gemeinschaftlich anzog, und wir überall zusammentrafen, wie abgeredet; oder wenn er mir dann am Abend seinen Klopstock las – ach Franziska! –
FRANZISKA
Freylich, Julchen, ist das auch schön, einen Mann zu haben, von dem man weiß, wenn man ihn nicht um sich hat, daß er jetzt arbeitet mit Einfluß auf die Menschheit! daß am Abend, wenn er nach vollendetem Tageswerke nun für uns lebt, wir an ihm hangen mit stiller Liebe, kaum glauben können und doch in jeder seiner Umarmung so sehlig fühlen, daß wir dem großen weitumfassenden Herzen das alles sind, was –
JULIE
Ich sage dir Franziska, ich will von Karl nichts mehr hören!
FRANZISKA
Es ist aber auch wahr! und wozu auch? Friz ist ja doch immer der Mann, der dich das alles wird vergessen lehren.
JULIE
Vergessen?
FRANZISKA
Vergessen und entbehren! und noch weit mehr als das! denn sieh nur Julchen! wenns Friz nicht wäre – mir würde deinetwegen auf die Dauer heiß angst werden; ich würde fürchten, daß sich doch über kurz oder lang dir die schreckliche Wahrheit aufdringen würde –
[77]
JULIE
Wahrheit? eine schreckliche Wahrheit? was willst du damit sagen?
FRANZISKA
Je nun Wahrheit, oder Vermuthung! könntest du nicht zum Exempel auf den Gedanken verfallen, daß diese finstere Melancholie, die den armen Karl so zusehends zu Grabe führt, im Grunde dein Werk sey? daß bloß der Schmerz, dich so ganz anders wieder gefunden zu haben, als er dich verließ, zuerst seine Jugend vergiftete? daß gefolterte liebe –
JULIE
Franziska! –
FRANZISKA
Nicht wahr, so ein Gedanke könnte dir das Leben zur Marter machen? und wenn ihn diese Liebe nun vollends einmal zu einem Entschluß brächte – denke Julchen, der Mann, dem du einst Ansprüche auf dein Herz gabst –
JULIE
Schweig, Franziska, er hat mir entsagt, völlig und förmlich, mit der ganzen Verachtung seines Stolzes.
FRANZISKA
Entsagt, ja, weil er wußte, weil er sah, daß er Julie verloren hatte! aber mit Verachtung? mit Kälte? o wenn du’s gesehen hättest, gehört hättest, was er in meinem Schoose ausweinte!
JULIE
(hastig auf) Laß mich! laß mich!
FRANZISKA
Nein, nein, und warum denn? sieh es war ja nur so ein Einfall von mir, den du an Frizens Seite wohl nicht zu fürchten hast!
[78]
und vielleicht ist’s gar nicht einmal so mit dem guten Karl! komm, ich wills ihm lieber gar nicht glauben! im Grunde, wer weiß, was das für Grillen sind, die ihn forttreiben?
JULIE
Forttreiben?
FRANZISKA
Ja, er hat die Bedienung ausgeschlagen; alle Aussichten, mit denen man ihm selbst entgegen kam, aufgegeben; will wieder nach Italien.
JULIE
Gott! – Franziska!
FRANZISKA
Und als ich die Ursache wissen wollte – natürlich, daß er sich schämte, zu gestehen, daß er gar keine hatte; hatte auch vielleicht keine andere so bald bey der Hand; da hieß es denn, er könne seines Bruders Glück nicht mit ansehn; wollte lieber sterben, lieber die Welt hinein; um seiner Julie willen ein Flüchtling auf Erden –
JULIE
So bin ich verloren! (will ab)
FRANZISKA
Nicht doch, Kind, nicht doch! nicht so leichtgläubig! Verstellung vielleicht, o du weißt nicht –
JULIE
O laß mich, Grausame!(reißt sich los) o, mein Gott! Karl! (ab, laut schluchzend.)
FRANZISKA
Nun ja, so geh, und nimm das mit! ich denke, es soll wirken, und ich will dann auch schon kommen, und nachhelfen. – Karl und Julie! – sie sind für einander geschaffen, und wenn ein Friz solche Bande tren-
[79]
nen könnte – o Liebe, so würde mitten in deinem seligsten Genusse, mitten in deinem sichersten Besitze, Furcht und Mistrauen mir ewig jede deiner Freuden trübe und bitter machen. (ab.)


Vierter Aufzug.
(Zimmer im Kapplerischen Gasthof.)

Erster Auftritt.
(Ursel räumt auf; gleich darauf Kappler hastig herein.)
KAPPLER
Nun, nun! nun sags noch einmal, Ursel, sags noch einmal, daß ich ein Esel bin! bin ich? he? versteh ich mich nicht auf die Wirthschaft, nicht auf den Spekulatifhandel? he?
URSEL Nun? und was wirds denn seyn?
KAPPLER
Ne, ne, ne, ich frage nur, ob ich’s nicht verstehe, siehst du? ob ich ein Esel bin?
URSEL
Nun gut denn, ja! ich sags noch einmal du bist ein Esel, verstehst es gar nicht, verstehst dich so wenig auf die Wirthschaft, als aufs Hungern und dursten; wärst schon zu Grunde, wenn du mich nicht hättest.
KAPPLER
Wär ich?
URSEL
Müßtest dein Brod an den Thüren betteln!
[80]
KAPPLER
Müßt ich?
URSEL
Nimmst auf, wies dir zugelaufen kömmt.
KAPPLER
Nehm ich?
URSEL
Machst dein Haus zum Hospital für alle Bettler.
KAPPLER
Mach’ ich?
URSEL
Alte abgedankte Offiziers, nicht so viel Werth als ihre abgetragene Lumpen von Uniform, und Lumpengesindel von Weibsleuten, die sich kein Stück Brod mehr in den Hals verdienen können –
KAPPLER
So? So! Und wenn ich dir nur sage – ja warte, ich werde auch –
URSEL
O, ich mag auch nichts wissen!
KAPPLER
Sollst auch nicht, sorge nur nicht! Ich ein Esel, und gerade, da ich meinen Meisterstreich mache, mir auf einmal – ja, bald wär’ ich damit herausgeplatzt!
URSEL
So schweig doch auch nur.
KAPPLER
Ein Esel? Ursel? ja, es hat sich geeselt! – nun hör Ursel! versprich mir nur, daß du’s wiederrufen willst –
URSEL
Nein, nein, wiederholen will ichs noch zehnmal, noch zwanzigmal! ich will ja von dir nichts wissen.
KAPPLER
Da seh nun einmal einer an! – nun komm Ursel, sey hübsch artig, wiederruf! mein Seel, du hast Unrecht! ich will dir denn auch sagen –
[81]
URSEL
Ich will ja nun aber nicht.
KAPPLER
So hör denn aber doch nur, sollst dich wundern –
URSEL
Nein, nein.
KAPPLER
Mags denn seyn! laß mich seyn, was ich will, so hör doch nur wenigstens –
URSEL
Nein, nein!
KAPPLER
Daß eben diese kleine Madam –
URSEL
(singt und schreyt, um nichts zu hören)
KAPPLER
(so bald Ursel aufhört) Die ich die Nacht gegen deinen Willen ins Haus nahm.
URSEL
(wie oben)
KAPPLER
Daß sie mir die Kundschaft – von dem Herrn Baron von Feldern –
URSEL
Von dem Baron von Feldern? was sagst du?
KAPPLER
Ja siehst du? willst du nun wohl wiederrufen ? he?
URSEL
O, das arme Weib und den Baron von Feldern – siehst du, die kann nur so ein Esel wie du zusammen träumen.
KAPPLER
Meynst du, meynst du, (Friz herein) o gehorsamster Unterthänigster! – nun so sieh dich nur um, Frau! nun bin ich –

Zweyter Auftritt.
(Friz, Vorige.)
URSEL
Ey Wunder über alles! Herr Baron! kommen Sie aus dem Himmel geregnet, oder –
[82]
FRIZ
Guten Abend, Frau Kappler, wie stehts? nicht wahr, es ist lange –
URSEL
Ey, Herr Gott! daß man Sie nicht mehr kennen sollte! pfui, pfui, Herr Baron, ist das artig, Leute, die einen so lieb haben –
FRIZ
Wie ich nun so bin, liebe Frau Kappler! Liebe zur Abwechselung, heut hier, Morgen da! weiter wars nicht! sonst weiß sie ja wohl –
URSEL
Ach ja, ich sollt’s doch auch denken! wüßte doch auch nicht, wie wirs könnten versehen haben.
FRIZ
Gewiß nicht! aber nun Kappler, wie ist’s? nähere Nachricht, von dem lieben Weibchen, das er im Hause hat?
KAPPLER
Nun Frau, siehst du nun? hörst’s? bin ich nun –
URSEL
So halt doch nur dein Maul, Schöps! Nein Herr Baron, sie läßt sich nicht ausholen, aber darauf wollt’ ich schwören, sie muß von einer gewissen Extraktion seyn – noch überall der Stolz aus den Lumpen hervor!
KAPPLER
Befehlen Euer Gnaden, daß ich Euer Gnaden zu ihr hinführe?
FRIZ
Nein, Kappler, das nicht! ich habe Vermuthungen, – gewisse mögliche Verbindungen – um derentwillen – ich muß erst meiner Sache gewiß seyn, ehe ich sie sehe! da, Kappler, trag er den Ring zu ihr hinauf, nenn
[83]
er ihr nur meinen Namen, und geb er genau Acht, welche Wirkung es thut.
KAPPLER
Gut, gut, das will ich den Augenblick weg haben. (ab.)
FRIZ
(ruft ihn zurück) Und ob sie den Ring kennt!
KAPPLER
Gut, gut! das will ich ihr den Augenblick an den Augen ansehn! – (wieder ab.)
FRIZ
Kappler! – und wenn sie ihn kennt, versteht er mich, so bin ich nicht hier! – um alles in der Welt laß er sie nicht zu mir! – ich bin da gewesen, habe gewiß versprochen, wieder zu kommen, noch vor dem Ball! – will – kurz, daß sie nur nicht herkommt!
KAPPLER
Schon gut, schon gut, ich will sie schon zurück halten! lassen Sie mich nur – (ab.)

Dritter Auftritt.
(Friz, Ursel.)
URSEL
Ey, ey, ey, Herr Baron!
FRIZ
Was ist, Frau Kappler? was meynt sie?
URSEL
Hm!
FRIZ
Nein, glaube sie ja nicht; – kein solch Geschichtgen –
URSEL
I nu, ich sage ja nichts!
FRIZ
Aber auch denken soll sie nichts! und
[84]
wenn sichs nun träfe, daß es so wäre – wie ich fürchte – meyne, wollt ich sagen, – Frau Kappler, daß sie sich ja nichts merken läßt! ihr ja gut begegnet, und mit aller Achtung!
URSEL
Herr Baron, Herr Baron! und doch soll ich nichts denken?
FRIZ
Ich sag ihr ja, gewisse Verbindungen, freundschaftliche Verbindungen – nur ja keine Neugier!
URSEL
Behüte Gott, Herr Baron! Neugier? brauchen Sie mir das zu sagen? kennen Sie mich dann nicht mehr? – zwar kein Wunder wärs! –
FRIZ
(für sich) Ich weiß nicht – o sie ist es gewiß! diese Angst, diese – diese – unnenbar! und wenn sie nun käme! Gott!
URSEL
Sie sind sehr pensif geworden die Zeit, Herr Baron!
FRIZ
(für sich) Ich halte hier nicht aus! ich muß nur –
URSEL
Wie meynen Sie, Herr Baron!
FRIZ
Sie hat es hier sehr heiß, in der Stube, Frau Kappler!
URSEL
Behüte Gott! nur eben nicht zum verfrieren!
FRIZ
Sehr heiß! es wird mir hier – ich weiß nicht, ich halt’s nicht aus! kommen Sie, wollen wir nicht in den Garten?
URSEL
Ey Herr Baron, der liegt ja voll Schnee –
[85]
FRIZ
Es ist wahr – nun so muß ich nur gehn! –
URSEL
Herr Baron!
FRIZ
Ja, ja; ich habe auch ohnehin noch zu besorgen – Hier Frau Kappler, wenn ihr Mann zurückkommt, und sie hat meinen Namen – den Ring – wenn sie mich – kurz, wenn sie’s ist –
URSEL
Ja, aber wer denn, wer denn?
FRIZ
Das Fräulein von – ach – mit einem Wort, wenn sie sagt, daß sie mich sprechen muß, so gebe sie ihr das Billet hier, und hier dies Schächtelchen! hört sie? – sag sie ihr – mein Kerl soll warten – daß ich Antwort erwarte, schriftlich, versteht sie mich, Frau Kappler? schriftlich, nur mit einer Zeile! mein Kerl soll hier warten; mache sies gut, es soll ihr Schaden nicht seyn! schriftlich, hört sie? schriftlich! Adieu, Adieu! (ab.)
URSEL
Daß dich alle! – so heiß mein theuerster Herr Baron? so gar heiß! gut, gut, es soll dir noch schon mehr eingeheitzt werden! – gerade so, wie ich dich lange einmal gern gepackt hätte! aber mit dem Weibsbild – nein, weiß Gott! das hätt’ ich mir nicht träumen lassen! du alter Kappler du! das verdient dir ein Mäulchen auf deinen alten Tag, wie das Beste am Brauttage!

[86]
Vierter Auftritt.
(Kappler, Ursel.)
KAPPLER
Herr Baron, Herr Baron!
URSEL
Nur herein, Alter, er ist schon fort!
KAPPLER
Das war ihm gerathen, wenn er sie nicht sehn will! die ist nicht zu halten, nicht mit Teufels Gewalt! Mantel umgeworfen, und so hinter mir drein gestürzt! da ist Sie!

Fünfter Auftritt.
(Luise, Kappler, Ursel.)
LUISE
Wo ist er, o wo ist er?
URSEL
Er ist fort gnädiges Fräulein, hatte die Zeit nicht länger!
LUISE
Fort? (schlägt die Hände zusammen, bleibt so unbeweglich stehen) (eine Pause)
KAPPLER
(für sich) Gnädiges Fräulein? ho ho! die alte Hexe hat ihn ans Beichten gekriegt! Ursel, pst, Ursel!
URSEL
(winkt ihm, stille zu seyn.)
LUISE
Gütiger Gott! auch nicht einen Augenblick!
URSEL
Der Herr Baron wollen aber wiederkommen!
LUISE
Ach!
URSEL
Gewiß auf den Abend! noch vor dem Ball!
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LUISE
Er wird nicht! er wird nicht!
URSEL
Gewiß, gewiß! der Herr Baron sind ein Mann von Wort!
LUISE
Ist er, gute Frau? ist er?
URSEL
Gewiß!
LUISE
Gewiß?
KAPPLER
Je nun sehen Sie, meine Frau kennt den Herrn Baron, o schon von Alters her, auswendig und inwendig!
URSEL
Was du da herschnatterst! sehen Sie gnädiges Fräulein, er ist als ein Freund vom Hause – vormals war er alle Tage –
LUISE
Ach das verlang ich nicht zu wissen! o Feldern, Feldern, so nahe! – und du wußtest es! und fliest mich! mich, mich!
URSEL
Sehen Sie, da hat er einen Brief an Sie hinterlassen!
LUISE
Einen Brief? her, her! (liest)
URSEL
Ja und noch dieses Schächtelchen.
KAPPLER
Ursel, pst, Ursel!
URSEL
Nu?
KAPPLER
Wer ist sie denn? hat ers gesagt?
URSEL
Hat ers gesagt? Er hatt’ es auf der Zunge, da schluckt’ ers wieder ein; und da fort! aber ein gnädiges Fräulein ist Sie, das hat er schon herausgeplazt.
KAPPLER
Nu, sagt ichs nicht? aber nun, Ursel, ich bitte dich, Ursel, nun sag noch einmal, bin ich nun –
[88]
LUISE
Gerechter Gott! (fällt hin auf den Stuhl.)
URSEL
O weh, was ist das? in Ohnmacht! Gnädiges Fräulein! sind Sie in Ohnmacht gefallen? – he, sind Sie? – geschwind du! was stehst du da, alter Esel, mein Fläschen her, von meiner Toilette!
LUISE
(sich aufrichtend) Nein Feldern, nein! das nicht! das kann ich nicht! sterben, oder das nicht.
KAPPLER
Aber da hör’ einer! noch immer –
URSEL
Nun so bleib nur, es war mir so ein Anwandeln. Gnädiges Fräulein, befehlen Sie –
LUISE
Nichts, nichts! nur daß ihr mich einen Augenblick allein lasset! nur einen Augenblick!
URSEL
Ja, aber der Herr Baron hat seinen Kammerdiener hier gelassen, um Antwort!
LUISE
Gut, gut, er soll sie haben! nur einen Augenblick!
KAPPLER
So komm doch auch! (zieht Ursel zurück, sie bleiben im Hintergrunde stehn.)
LUISE
Großer Gott! ist’s denn wahr? ists seine Hand? Feldern, Feldern, du das geschrieben? sie ists, o, sie ists – Hand, die du mir oft alle Seligkeit der Welt in seiner Liebe ankündigtest, diesem gepreßten Herzen neuen Muth zu leben gabst, wenn es schon erlag! –
[89]
URSEL
(zu Kappler, der das Schächtelchen in der Hand hat) Je nu, was wird’s seyn? Mach’s auf! ein Presentchen, denk ich; so ists ja doch am Ende wohl unser!
KAPPLER
Nun, auf deine Gefahr!
LUISE
(die in dem Briefe wieder gelesen) Was ich schon für dich that! Grausamer, und daran darfst du mich erinnern? und dann noch mehr fodern! o ja, fodre, fodre! Noch so ein Jahr in allen Qualen der Hölle; fodre! und es soll mir Freude seyn zu leiden für dich! nur seys für dich! – aber entsagen! entsagen!
KAPPLER
Juwelen? – Ich wollte doch lieber, es wär ein Beutel voll Dukaten!
URSEL
Nun, der soll auch schon noch kommen, laß mich nur sorgen! ich will schon zapfen!
LUISE
Wählen! – wählen deine ewige Liebe, oder deine Hand, und dann ewigen Haß! – Ha! Feldern, Feldern! Haß!
KAPPLER
Aber wie wir ihn nur wieder her bringen!
URSEL
Das nehm ich all auf mich!
LUISE
(aufspringend) Wohl, es sey, ja – ich entsage! – ich entsage! – alles, alles was du willst; und soll ich auch sterben? – sterben was wäre das! aber entsagen! leben ohne dich! ewig ewig ohne dich! umher irren in fremder Ferne! in Dürftigkeit und Schande! – o ja, ich will! – was du fodern kannst, Feldern,
[90]
o ja, das alles! in Dürftigkeit und Schande! mit dem Brandmark deiner Liebe, mit deinem Kinde. – (wieder hinfallend) Gott mein Kind, mein Kind! – (zu Ursel) Gute Frau! nur näher! wo ist mein Kind? bringt mir mein Kind her! – O Feldern, und du sahst es nicht! verstößt es, – von dir, ewig von dir! das Kind so inniger, heisser hingegebener Liebe – Nein, Frau, nein, laßt es! laßt es! ich wills nicht sehen! darf nicht, darf nicht! bis es entschieden ist! – (schreibt) – “Entsagen! ja auch das; auch sterben, Feldern! alles was du fodern kannst! – ganz dein Geschöpf! wie du willst! ich entsage!“ – – ich kann nicht mehr! – o daß ich weinen könnte! da! nur fort, ohne Anstand! wer weiß – (Kappler ab mit dem Billet.) (mit zusammengeschlagenen Händen) Nun, nun! –
URSEL
(nach einer kleinen Pause) Und hier, gnädiges Fräulein, sehen Sie, sehen Sie! o, das ist Arzeney für ein krankes Herz!
LUISE
Gott, was ist das? – aus dem Schmucke meiner Mutter? – ja, ja! und der Ring – ja hier, ihr verschlungener Name! Fiels mir doch gleich auf, als wär es! aber da war er da, da sollt ich ihn sehn! – ach Gott! was ist das? also tod, mein Vater? tod? – o, in deinem Leben hättest du ihn nicht von dir gegeben, du spartest ihn auf, und liessest dann
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lieber Hunger und Mühe über dich kommen! spartest ihn deiner Undankbaren auf, und sie ward dein Tod! – Gut, gut! das ist Stärkung! also hab ich nun nichts mehr! allein, losgerissen, ganz losgerissen! Muttermörderin, Vatermörderin, entehrt, verworfen – eine Ausgestossene zur Verspottung oder Erbarmung, die nicht leben kann und nicht sterben! – da gute Frau, verkauft, so hoch sie kann! aber nur bald! in einer Stunde – o in dem Augenblick wenn sie kann! da, da! ich muß fort!
URSEL
Aber mein Gott, denken Sie, das verkauft sich so nicht ohne Schaden!
LUISE
Schaden, was will das sagen? für mich ist kein Schaden mehr! Nur daß ich von hier kann! mache sie nur, ich packe zusammen, das Kind im Schooß, und dann – wohin? – zu deinem Grabe du, – Ihr die ich tödtete! da auszuweinen auf der kalten Erde! – oder wenn ich dann noch verdammt bin, zu leben, – alles gleich viel, wohin! wer nirgend mehr zu Hause ist, ist überall zu Hause! (ab.)
URSEL
Je nun, wenns so gemeynt ist! kein Schaden mehr! so will ich schon helfen.

Sechster Auftritt.
(v. Wegfort, Kappler, Ursel.)
V.WEGFORT
Hat er guten Champagner?
KAPPLER
Unterthänigster Knecht!
[92]
URSEL
Champagner?
V.WEGFORT
Ja, ja Champagner! was guckt sie denn? Sie glaubt doch wohl nicht, daß es der erste wäre –
URSEL
O Ihre Dienerin! aber Champagner –
V.WEGFORT
Nun ja, oder hat er keinen?
URSEL
Ich will nur sagen, daß – der Champagner sehr theuer ist.
V.WEGFORT
Was bekümmert sie das? das ist meine Sache; hohl er mir her und wenn er gut ist, nur gleich ein Duzend Bouteillen.
KAPPLER
Nun Frau, siehst du nun?
URSEL
So geh denn nur!
(Kappler ab.)
V.WEGFORT
Aber sag sie mir Frau, was war denn das für ein Lärmen die Nacht?
URSEL
Der Lärmen so um Mitternacht? Ja denken Sie nur einmal –
V.WEGFORT
Oder nein, was gehts auch mich an? ich mags nicht wissen.
URSEL
Nein, denken Sie nur einmal, wie sich das in der Welt so zusammen fügen kann! da kommt die Nacht ein junges Weibsbild zu Fuß – ohne Bagage, mit einem Kinde hinter sich her und will ein –
V.WEGFORT
Vermuthlich so ein Weibsbildchen von der leichten Kavallerie?
URSEL
So denk’ ich, und da ist mein Mann
[93]
denn nun so ein guter Schlucker, und nimmt alles auf, wie’s kömmt.
KAPPLER
(zurück mit Champagner) Was Frau? von neuem he? und noch? noch? sprichst wohl noch gar, ich sey ein Esel! sprichst du? he?
URSEL
So schweig doch nur!
V.WEGFORT
Ja schweigt ihr nur beyde! was schierts mich? da ist ja der Champagner! schenk er einmal ein!
KAPPLER
Extra gut, wie Sie ihn in zehn Meilen Weges umher nicht finden müssen.
V. WEGFORT
(trinkt) Herrlich! je, wenn einem so was lange nicht über die Zunge gekommen ist! das glitscht herunter.
KAPPLER
Gelt? das muß ich wissen, was ich führe!
V.WEGFORT
Vortreflich! aber auch was er aufnimmt Herr Wirth, auch was er aufnimmt, muß er wissen! das kann ja nun ein liederliches verlaufenes Ding seyn, daß sich alle ehrliche Leute hernach schämen müßten, bey ihm einzukehren!
URSEL
Nicht wahr? das sag ich auch!
KAPPLER
Hör Ursel, und du sollst mirs nun nicht mehr sagen, oder –
V.WEGFORT
Friede! Friede! – wie viel Vorrath hat er von dem Wein?
URSEL
Wie viel?
[94]
V.WEGFORT
Ja, ja, wie viel!
URSEL
O Sie haben nur zu befehlen, ich glaube doch nicht – daß Sie den ganzen Vorrath –
V.WEGFORT
Gut, so laß er mir einmal ein Hundert Stück Bouteillen einpacken, fürs erste!
KAPPLER
Ein Hundert Stück Bouteillen?
V.WEGFORT
Ja, ja!
URSEL
100 Stück – das macht –
V.WEGFORT
Nun das macht 200 Gulden, oder an baarem Gelde – (giebt das Geld dafür) da seht ihr?
URSEL
(für sich) Daß dich alle Hagel über dem Bettler! wie man sich an den Leuten versehen kann!
KAPPLER
O, das sah ich gleich! siehst du? Wer ist nun der Esel von uns? he, wer verstehts nicht?
V.WEGFORT
Und dann mach er mir die Rechnung; ich will noch auf den Abend wieder fort.
KAPPLER
Ey ey, schon auf den Abend! ich dächte, so ein reicher Herr, jetzt – in der angenehmsten Jahreszeit für die Stadt –
V.WEGFORT
Mach er die Rechnung.
URSEL
Aber, da Sie doch so ein reicher Herr sind, sehen Sie da hätte ich so was für die gnädige Frau, oder für das gnädige Fräulein Tochter –
[95]
V.WEGFORT
Eine gute Hundepeitsche?
URSEL
Behüte Gott, wie Sie da reden, Gnädiger Herr! – einen Schmuck.
V.WEGFORT
O, sonst nichts! nein, nein!
URSEL
Aber sehen Sie doch nur! das Sehen haben Sie ja umsonst – wie das strahlt und blitzt!
V.WEGFORT
Was?
URSEL
Nicht wahr?
V.WEGFORT
Frau? – Frau?
URSEL
Nun? – nicht wahr, wie so was in meine Hände kömmt?
V.WEGFORT
So was? wie das, das, gerade das in ihre Hände kömmt! geschwind, wo hat sie ihn her?
URSEL
Gnädiger Herr!
V.WEGFORT
Nun, will sie’s sagen? oder – ungestolen hat sie ihn einmal nicht.
URSEL
Ungestolen? gestolen? was? ich gestolen? Herr Sie mögen so reich seyn –
V.WEGFORT
Sag ich denn, daß sie ihn gestolen hat? aber gestolen ist er.
URSEL
Und gewiß auch nicht von der Person, von der ich ihn habe.
V.WEGFORT
So hat die ihn vom Dieb! aber wo hat sie ihn denn her? geschwind!
URSEL
Von eben dem Frauenzimmer –
V.WEGFORT
Die hier die Nacht eingekehrt ist?
[96]
URSEL
Von eben der, und die hat ihn von ihrem Liebhaber, so viel ich davon verstehe.
V.WEGFORT
In den Händen einer Hure, du, du, und hast an dem Halse meines Weibes gehangen, des keuschesten Weibes auf Erdboden! Nein, bey Gott nein, so tief nicht! – nun kein Champagner mehr, Herr Wirth! ich muß dies haben; wie hoch, Frau?
URSEL
Wie hoch? je nun, was meynst du, Kappler?
KAPPLER
Wie hoch? je nun – was  meynen Sie, gnädiger Herr?
V.WEGFORT
O, so macht lange Umstände! – fragt das Mensch selbst, wenn ihrs nicht versteht.
URSEL
Es ist auch wahr, geh Kappler frag!
(Kappler ab.)
V.WEGFORT
Unbegreiflich! sollte die Präsidentin – nein, es muß ihr gestolen seyn! nein, wenn du denn doch einmal für Hurenleder bestimmt bist, so bleibt doch meine Tochter wohl immer die Nächste – ja wenn ich sie nur hätte!
KAPPLER
(zurück) Ja die weiß eben so wenig Rath! Sie möchten mir geben, was Ihnen recht und christlich dünkte! ihren Eltern hätt’ es ehemals gewiß wohl ein Paar hundert Dukaten gekostet.
V.WEGFORT
Wem, sagt er? wem? ihren –
[97]
KAPPLER
Ja die spricht, ihren Eltern!
V.WEGFORT So sey ihr Gott gnädig! (stürzt hinein: zurück) aber ist sie’s denn? ist sie’s gewiß? alter Kuppler? hast du sie? he?
KAPPLER
Wer, wer? – um Gottes willen?
V.WEGFORT
Wer, frägst du noch, wer? meine Tochter, meine Luise?
URSEL, KAPPLER
Ihre Tochter? – behüte Gott im Himmel!
V.WEGFORT
Mich und Sie! gut gesprochen! Gott behüte uns! – nicht so mit dem Tollkopf, Alter! – hohl er sie mir her, Wirth! – O Luise, Luise! so sollte das kommen? – nun wirds denn?
KAPPLER
Gnädiger Herr!
V.WEGFORT
Herhohlen, sag ich ihm! will er wohl?
URSEL
So geh denn doch auch!
V.WEGFORT
So sollte das kommen?
URSEL
Gnädiger Herr, sollt’ es möglich seyn?
V.WEGFORT
Nicht wahr, das kann sie auch nicht begreifen? So ein Mädchen! so gut, und so geliebt! So eines Weibes Kind! aber ihr Weiber, ihr Weiber!
[98]
Siebenter Auftritt.
(Luise, Kappler, v.Wegfort, Ursel.)
V.WEGFORT
(so bald er Luise sieht) Sie ists! (er bleibt stehn mit aufgehobenen Händen, den Körper vorwärts, als wenn er nicht hinkann: dann heult er laut aus.)
LUISE
Gott mein Vater! (sie will zurück)
V.WEGFORT
(zu ihr hin) Luischen! Luischen! So lauf doch nur nicht wieder! o du liebes Kind! bist dus denn? hab ich dich denn’nmal wieder?
LUISE
O mein Vater!
V.WEGFORT
Bin ich noch dein Vater? o ja wohl, bin ichs? hab ich nicht um dich geweint und gelitten! sieh wie ich dir weggestorben bin, um deinetwillen! aber hast du mich denn auch noch lieb, du? sprich, hast du noch?
LUISE
O nicht diese Güte, mein Vater! nicht diese Güte!
V.WEGFORT
Nein komm, komm! ich muß dich erst herzen und küssen! mich satt küssen für all die Zeit mit! dann hernach du, du Hure du! soll dir die Güte nicht im Wege seyn: will dich noch karbatschen, wenn dir das besser thut!
LUISE
Mein Vater!
V.WEGFORT
So sey nur nicht bange! kein Haar will ich dir nicht kränken! du liebes Kind du! sollst wieder sitzen auf meinem Schoos!
[99]
komm her! komm! (setzt sich, nimmt sie auf den Schooß, drückt sie mit aller Gewalt an sich, und küßt sie) Luischen! armes – liebes – Herzenskind du! – wie du noch so süß bist! liebes Luischen!
LUISE
Ach Gott!
V.WEGFORT
Ja, und wie konntest du das deinem alten Vater! da schau einmal auf, wie ich dir ausseh? du Rackers Mädel du? – hast auch wohl an mich gedacht? was dachtest du denn, he?
LUISE
O mein Vater, wenn ich nicht des Todes seyn soll in Ihren Armen –
V.WEGFORT
Nun, wie willst es denn haben! (läßt sie los) willst mir einmal zu Fuße fallen? – nun, thu das, magst wohl! hast wohl darnach gemacht!
LUISE
O mein Vater! zu Ihren Füssen – hier lieg ich! fühlen Sie das, was ich um Sie verdient habe! fühlen Sie es alles, was Sie gelitten haben, und dann! – dann! – zu Ihren Füssen! – ich bin eine arme Verworfene.
V.WEGFORT
Nein, nein, von mir nicht verworfen, und von Gott auch nicht! von Gott auch nicht! das will ich mit dir von ihm erflehen, auf meinen Knien, Tag und Nacht; mein Lebelang! oder er soll dich wieder aufnehmen, wie ich dich wieder aufnehme. (hebt sie auf) (die Augen aufwärts zum Himmel wie im Gebet: eine
[100]
Pause) und so nach Mädel, sey doch nur wieder gutes Muths! sieh, hier giebts Champagner! komm schenk mir mal wieder ein, – so, und nun trink auch einmal!
URSEL
So gnädiges Fräulein! das ist Herzensbalsam! und soll ich nun nicht auch das liebe kleine Würmchen herholen?
V.WEGFORT
Was für ein Würmchen?
LUISE
Ach mein Vater, ich bin –
V.WEGFORT
Was bist du? bist’ne vollständige Hure? hast ein Kind, du? nun, so thu doch nur nicht so! was solls denn mehr? wenns doch nun einmal da ist! laß das alles! wir wollen noch unsre liebe Freude dran haben; ich werde immer dabey denken, wie du noch so ein Ding warst! so sey doch nur’mal wieder froh! Gott, mich dünkt, in diesem Augenblick – ich wollte – ich könnte –
LUISE
O mein Vater!
V.WEGFORT
Aber von wem hast’s denn? nun? magst’s wohl sagen! sollst ihn haben, wenns auch der geringste Bauerkerl im Dorf ist! und ich will ihn dir lieben, wie meinen Sohn! – nun so sprich!
LUISE
Ach Gott!
V.WEGFORT
Brauchst dich nicht zu schämen! ich sage dir, wenns auch der ärgste Lump im Dorf ist! Großhanns oder Kleinhanns, mir all einerley, wenn du ihn magst! ich will selbst
[101]
hin, will ihm um den Hals fallen, und dir ihn herholen, ja, siehst du?
LUISE
O mein Vater! nie – nie –
V.WEGFORT
Was denn, he? was, nie?
LUISE
Er kann nie, wird nie – will nicht –
V.WEGFORT
Will nicht? was nicht? will er dich nun nicht? das wollen wir sehen! ho ho, das wollen wir schon sehen! warum will er dich denn nicht? he? nu, wer ists?
LUISE
O mein Vater!
V.WEGFORT
All gut, ja, aber wer ists? nun? mach nur nicht lange Umstände! du wirst’s ja doch wissen, wers ist? – nun, und ich wills auch wissen! hörst? geschwind, geschwind!
LUISE
Ich kann nicht! ich kann nicht!
V.WEGFORT
Gotteswetter! aber Mädel, daß ist doch auch des Henkers! ich rath’ ich rathe dir! – sieh, ich wills nun einmal wissen! gleich den Augenblick!
LUISE
Er kann nie der Meine werden; ich hab ihm entsagt!
V.WEGFORT
Was hast du? ihm entsagt? – was heißt das? – entsage du dem Teufel, verstehstu mich? – ich will euch entsagen! warte, warte! – nun wirds bald? heraus mit, wer ists?
LUISE
Lieber sterben, mein Vater, lieber sterben!
V.WEGFORT
So geh du Pudel, du! (stößt
[102]
sie von sich) und krepier in der Schindgrube!
LUISE
O mein Gott!
V.WEGFORT
Er sey dir gnädig, wenn er will! aber geh, packe dich, und komm mir nie wieder unter Augen! du Regiments – Luischen, Luischen! komm sey gut! willst mirs nicht sagen? – so sey von mir verflucht, wo du gehst und stehst, in alle Ewigkeit! (stößt sie zur Thür hinaus.)

Achter Auftritt.
(v.Wegfort, Kappler, Ursel.)
KAPPLER
Was meynst du, Frau? sag ichs ihm? – wenn er so recht liberal wäre –
URSEL
Gnädiger Herr!
V.WEGFORT
Halt sie’s Maul, Weib!
URSEL
Nun, nun! – aber ich kann Ihnen das nicht übel nehmen! was Sie für ein Vater sind! ja, so hätte ich meinem Vater einmal kommen sollen! er würde mich auf den Schooß genommen haben, würde mir Champagner –
V.WEGFORT
O sie wars auch wohl nicht werth!
URSEL
Gnädiger Herr! ich weiß nicht – wie fallen sie mir vor! ists denn meine Schuld?
V.WEGFORT
Hohl er mir die Wache, ich will’s Mädel ins Zuchthaus setzen lassen.
KAPPLER
Aber gnädiger Herr!
[103]
V.WEGFORT
Will er nicht? –
URSEL
Aber bedenken Sie, so eine Beschimpfung; dann wärs ja auf einmal aus!
KAPPLER
Ja wohl, und ich denke noch immer – der Herr Baron ist sonst so ein guter, so ein leutseliger Herr –
V.WEGFORT
Der Herr Baron? was für ein Herr Baron? was sollen die Barons hier?
KAPPLER
Je nun, ich meyne den Herrn Baron – sehen Sie gnädiger Herr, wenn Sie mich nicht verrathen wollen –
URSEL
Nun Kappler, sey kein Narr nicht! was brauchst du dich denn drein meliren? was kömmt denn dabey heraus am Ende, als Verdruß –
V.WEGFORT
Weiß er denn etwa? – he Freund, kennt er den Hund?
KAPPLER
(zu Ursel) Ey ich denke, der gnädige Herr sind so reich, und so liberal –
V.WEGFORT
O wenn er ihn kennt! heraus damit, heraus! – wenns ihm feil ist, so fodere er nur!
KAPPLER
Ja, wie Euer Gnaden leicht denken können, ich riskiere doch immer –
V.WEGFORT
Nichts, nichts, er soll nichts riskieren, keinen Schaden leiden! sieht er da sind Dukaten, wie viel will er? nur heraus!
KAPPLER
O Euer Gnaden!
[104]
V.WEGFORT
Aber nun ohne Umstände! – da ist ein Duzend, da, ists genug so?
KAPPLER
O Euer Gnaden!
V.WEGFORT
Aber nun geschwind auch!
KAPPLER
Euer Gnaden wissen, das Geschenk! – das Stück vom Schmuck –
V.WEGFORT
Recht! sie sprach ja, Frau, das Mädel hätt’s von ihrem Liebhaber? Wer ists denn?
KAPPLER
O Ihre Fräulein Tochter hätte nicht besser wählen können, im ganzen Reiche nicht! schön, galant, reich –
V.WEGFORT
Aber zum Henker, Kerl, wer ists –
KAPPLER
Es ist – es ist – aber wenn Sie mich verrathen –
V.WEGFORT
Schurke, will er mich rasend machen?
KAPPLER
Es ist – es ist – der Herr Baron von Feldern!
V.WEGFORT
Von Feldern!
KAPPLER
Ja, noch so eben war er selbst da!
V.WEGFORT
Feldern! – (für sich) aber Friz heirathet ja die Wiesenthal! – also – Alle Teufel! Karl, Karl! du – du! – he Krokodill du! – warte, warte! – (ergreift Stock, Hut, und Degen, und läuft ab.)

[105]
Neunter Auftritt.
(Kappler, Ursel.)
KAPPLER
Gnädiger Herr! gnädiger Herr!
URSEL
Ja, nun lauf nach, und schrey! siehst du nun, was du gemacht hast! –
KAPPLER
O ich armer Mann! ich Geschlagener!
URSEL
Da hast es nun! – hast’s doch weit gebracht! zwölf Dukaten! – o du wirst noch ein reicher Spizbube werden! – aber ich will’s nicht mit dir theilen, das versichere ich dir!
KAPPLER
O ich bin verloren!
URSEL
Wenn er ihn nur findet, ihn anfaßt in seiner Wuth!
KAPPLER
O, so schweig doch nur! ich ruinirter Mann!
URSEL
Nein, du bist kein Esel nicht! nein, du nicht! es hat sich geeselt! – du verstehst dich auf den Spekulatifhandel! – ha ha ha! – o du Esel aller Esel! (ab.)
KAPPLER
Ja schrey nur! warte! – aber ’s ist wahr! ich bins! was hilfts? es ist wahr!

Zehnter Auftritt.
(Friz, Kappler.)
KAPPLER
Ach Herr Gott! da ist er schon selbst! (fällt vor ihm auf die Knie) O Herr Baron! Barmherzigkeit, Barmherzigkeit!
[106]
FRIZ
Was ist denn, was ist?
KAPPLER
O, ich habe, – ich habe Sie – Sie verrathen!
FRIZ
Mich verrathen? wie so, an wen?
KAPPLER
O an Ihren Vater, an den Herrn Hauptmann! ich bin des Todes! – ich bin erschrocken!
FRIZ
Gut, gut! da hat er für seinen Schrecken. (giebt ihm Geld) Zeige er mir nur geschwind das Zimmer des Fräuleins.
KAPPLER
Was? – Was ist das?
FRIZ
Geschwind, geschwind!
KAPPLER
Also war ich ja doch wohl kein Esel? Nun diesmal hätt’ ich doch fast selbst darauf gewettet.
(mit Friz ab.)


Fünfter Aufzug.
(Szene des Zimmers des ersten Aufzugs.)

Erster Auftritt.
(Julie.)
Umsonst! ohne Ruh und Rast – man sagt, daß den Mörder der Geist des Erschlagenen verfolge! – wo ich bin und wo ich hintrete, da schwebst du vor mir, heilige Klaggestalt des Edlen, den ich hingab in meinem Leichtsinn, hin der langsamen Todesfolter verrathener Lie-
[107]
be! – wo ich hintrete, Szenen, die mich anklagen! hier saß er, und ich sah den Gram auf seiner Stirn, und wandte den Blick in kalter Achtlosigkeit, und fand Zerstreuung in dem sinnlosen Geflüster der Gesellschaft, ach und der Gram war Liebe, Liebe für die Verirrte, von der sich sein Herz nicht trennen konnte! – ein andermal wollte er seine Verlorne zurückrufen, wollte ihr mächtig ans Herz reden, da trat der Flatterer herein, und ich flog an seinen Arm, und duldete seinen Aberwitz über den Edlen, der mir vielleicht da aus blutender Seele eine Thräne nachweinte – Hier hier am Klaviere – ach Gott, wie oft – (sie setzt sich ans Klavier; indem sie auf die vorliegende Musik blickt) ha willkommen! – wer schlug mir das auf? – Ach Elmire, eine Unglückliche wie du! (sie spielt und singt aus Erwin und Elmire)
Sieh mich, Heil’ger, wie ich bin,
Eine arme Sünderin etc.

Zweyter Auftritt.
(Franziska, ein Bedienter, Karl, Julie.)
(Unter dem Lied tritt Franziska herein; so bald sie Julie sieht, sagt sie einem Bedienten, der mit ihr an der Thür erscheint, etwas ins Ohr; der Bediente wieder ab: gleich darauf kömmt Karl; Franziska führt ihn in der Stille hinter Juliens Stuhl)
[108]
FRANZISKA
Bravo, Julie, Bravo!
JULIE
Ach Franziska! (sie bleibt sitzen, faßt Franziska’s Hand, Karl hält sich hinter Juliens Stuhl) Ist er fort?
FRANZISKA
Wer?
JULIE
Ach wer? Karl!
FRANZISKA
Ich glaube, ich hör’ und sehe nichts mehr von ihm!
JULIE
Also ohne Abschied! – ich habs verdient! – aber doch Franziska, – ohne Abschied! – das thut wehe!
FRANZISKA
Wie so? Liebe?
Mich dünkt doch, es war so besser! er hat dir und sich doch immer eine Verlegenheit erspart –
JULIE
Verlegenheit? Nur Beschämung – und doch wünscht’ ich – mich dünkt, wenn ich sie überstanden hätte, mir würde besser seyn: das Geständniß würde diese Last von meinem Herzen abwälzen, die es zerdrückte. Meine Schaam, meine Beklemmung – o ich würde da stehen vor meinem Richter, als wenn ich vergehen sollte in mir selbst, und diese Marter würde ein Theil meiner Buße seyn, für meine große Schuld! – aber doch – vielleicht hast du doch recht, Liebe! – So besser! wenn ich nun erst im Kloster bin, und alles zu spät ist – da wird mein Bekenntniß, meine Reue wenigstens uneigennütziger scheinen!
FRANZISKA
Ich verstehe dich nicht mehr,
[109]
Julie! – fast glaub ich gar, du fängst hinterher an, Elmire zu spielen! sangst du doch auch das Lied da, als wenn dein ganzes Herz auf deinen Lippen war.
JULIE
Das wars Franziska! das wars! o, und von nun an soll keine andere Melodie über diese Lippen kommen, so wie in mein Herz keine andere Empfindung!
FRANZISKA
(die Karl immer zurückhält, wenn er losbrechen will) Aber Julie –
JULIE
Wozu die Verstellung? Ach Franziska, wenn er da wäre, – o, nur einen Augenblick, ach, und ich könnte so vor ihm hintreten, wie die Pilgerin der Liebe! ihm bekennen meine tiefe Schuld, und Er – ach Franziska, wenn ich so fühle, was er war; seine Seele so voll großer Liebe und Duldung für das schwache Geschöpf mir denke, dann steigt es auf in mir, wie eine hellaufdämmernde Möglichkeit in schwarzer Nacht! – Er könnte – könnte vielleicht der armen Verirrten noch verzeihen! trüge Erbarmung für sie in seiner Brust, und er – er mir vielleicht noch – ach Franziska!
KARL
(zu Franziska) Nein laß mich, laß mich! – Julie! – Julie! (zu ihren Füssen)
JULIE
Gott!
KARL
(faßt ihre Hand, läßt sein Gesicht auf ihren Schooß fallen) Julie!
JULIE
(hebt sich auf, will vor ihm hinsinken) Karl!
[110]
KARL
(hält sie, umfaßt ihren Leib, drückt sie an sich) Engel! – Einzige – Beste!
JULIE
(ihr Gesicht an seinem Hals verbergend) Ach Karl! Karl! – nein, nein!
FRANZISKA
Welch eine Szene! Gott, mit meinem frohesten Dank –
KARL
Julie! das kein Traum, so weit, weit über meiner Träume kühnsten! du mein Engel – Verlohrner! wieder mein?
JULIE
O Karl, wenn ich nicht in deinen Armen sterben soll! – o ich bin nicht werth, kann nicht hinauf blicken zu dir – o mein Gott! ich erliege!
KARL
Meine Julie! mein! mein!
JULIE
Kannst du – Karl, Karl, wie kannst du das? sie wieder aufnehmen in deine Liebe, das Mädchen, das dich Preiß gab? ihr vergessen das alles! Karl –
KARL
Ach Julie, nicht du! meine Schuld wars, nicht wahr, Franziska, meine Schuld! ich hätte –
JULIE
Nein Karl, das mußt du nicht sagen! sieh, ich bin eifersüchtig selbst auf meine Schuld! nur Verzeihung, o du großer Liebender! nur Verzeihung!
KARL
Was hab ich gelitten, Julie, was kann ein liebendes Herz leiden, daß es in so einem Augenblick nicht wünschen sollte, das alles
[111]
noch einmal, noch zehnfach zu leiden! – O Julie wieder mein, auf ewig mein!
JULIE
Auf ewig! o du Einziger – Franziska! (umarmt sie)
KARL
Schwester, Beste!
FRANZISKA
Seht ihr nun, Ihr Halsstarrigen! wenn man nicht für euch sorgte! – aber nun Karl, wenn es heut noch seyn soll, und nicht wahr, diese glückliche Nacht würde dich doch martern, wenn du den lieben alten Wegfort –
KARL
Ja, Liebe, hast du entdeckt – ?
FRANZISKA
Gott! über die Verliebten, und ihr Gedächtniß! hab’ ichs dir denn nicht schon gesagt, bey Kappler in der Traube wohnt er!
KARL
Liebe Julie! ich muß einen Augenblick –

Dritter Auftritt.
(v.Wegfort, Julie, Franziska, Karl.)
V.WEGFORT
(herein in Wuth) Ha wo ist er?
FRANZISKA
Da ist er ja selbst! – Herr Hauptmann ein Engel des Herrn führt Sie her.
KARL
(auf ihn zu) Mein Bester!
V.WEGFORT
(faßt ihn an) Krokodill du! hab ich dich?
[112]
JULIE
Wie? – Franziska!
KARL
Bester Freund!
V.WEGFORT
Ha, Komödiant du, mit deiner Freundschaft! elender, niederträchtiger Bube!
KARL
Wegfort! um des Himmelswillen! was ist Ihnen?
V.WEGFORT
So frag du! stoß deinem Freund an deiner Brust unversehens den Dolch ins Herz, und frage, warum er sich winde?
JULIE
Franziska, was ist das?
FRANZISKA
Herr Hauptmann!
V.WEGFORT
Ha, gnädige Frau, verzeihen Sie! und Sie (zu Julie) – aber ich wollte, Sie liessen mir den Buben einen Augenblick allein! es ist keine Weiberarbeit, was ich vorhabe!
FRANZISKA
Mein Bruder!
KARL
Nur ruhig mein Lieber! – aber Wegfort! kennen Sie mich denn nicht!
V.WEGFORT
Wohl, wohl kenn ich dich! und doch, bey Gott, hätt’ ich das einen Augenblick früher gesagt, ich hätt’s gelogen – aber ohne Umstände! Erklärung!
KARL
Erklärung?
V.WEGFORT
Auf der Stelle! willst du oder nicht?
KARL
Aber Wegfort –
V.WEGFORT
Kein Aber, ja oder nein!
[113]
KARL
Aber was denn? worüber?
V.WEGFORT
Elender, du darfst noch fragen? war sie dir gut genug für den Augenblick deiner wilden Lüste? Bey Gott, sieh, so soll sie dir auch auf dein Leben gut genug seyn, oder ich oder du hier auf der Stelle!
FRANZISKA
Aber Herr Hauptmann! – Sie übereilen sich – mich fängt an zu ahnden –
V.WEGFORT
Ich habs hier mit euch Weibern nicht! – nun? – du?
KARL
Aber so hören Sie mich doch nur!
V.WEGFORT
Da ist viel zu hören! was kannst du sagen, Ehrendieb! oder hast du noch ein Gift gegen ihre Ehre, das du ausspeyen mußt? Hat sie sich dir vielleicht an den Hals geworfen, wie ein Strassenmensch? hat sie Lohn von dir verlangt, wie eine feile Meze? – hast du so eine Lüge?
KARL
Wegfort, um alles! um unserer alten Freundschaft willen –
V.WEGFORT
Ha Krokodill! worauf darfst du dich berufen? und du sinkst nicht zu Boden, und stirbst nicht vor Schaam? – ha, da kommt er geschlichen, der Heuchler, und ich traue seiner Larve, und mach ihm auf alle Thüren, bis in mein innerstes Herz! – Karl, ich hätte mein Leben für dich hingegeben, und du kamst mit solchen Bubenstücken im Sinn? und dich
[114]
hat nicht geschaudert? und hast nicht ans Grab gedacht und nicht an Gott? Meine Tochter! und du wußtest, daß sie das Einzige war, was ich armer Mann noch hatte auf Erden, und daß ihre Ehre ihr Einziges war! entsetzlicher Mensch du! – ha, ich mag dich nicht einmal mehr anfassen! von mir Schlange! dein Hauch ist Gift. (läßt ihn los, geht wild umher, wirft sich auf einen Stuhl.)
JULIE
Um Gotteswillen, Karl!
KARL
Laß mich nur, Liebe! ein Mißverständniß! er muß nur erst zu sich selbst kommen!
FRANZISKA
Mich bringt das auf sonderbare Vermuthungen; Karl –
KARL
Die ich, glaub’ ich errathe.
FRANZISKA
Sollte Friz –
KARL
Ich fürchte! – Wegfort – Wegfort! (nimmt seine Hand) Armer gebeugter Vater!
V.WEGFORT
Fort von mir! tödte mich nicht mit deinem Mitleid! oder ja, kannst du noch Mitleid haben, sieh, da lieg ich zu deinen Füssen – ich kniete noch in meinem Leben nicht, als vor Gott! aber hier lieg ich, du Mensch, und fleh um Erbarmen! habe Erbarmen mit mir altem Mann!
KARL
Wegfort! was machen Sie? (hebt ihn auf) Bey dem Allmächtigen, der uns sieht und hört –
[115]
V.WEGFORT
Ja, Sünder, und der uns richten wird!
KARL
Ja! sein Gericht über mich, wenn ich schuldig bin!
V.WEGFORT
Amen, Amen, Amen!
KARL
Aber auch bey eben diesem furchtbaren Gericht! sieh, hier steh ich in seinem Angesicht, und schwöre Ihnen, Wegfort, daß ich Ihre Rache über mich nehme! ich will Ihr Sohn seyn, und der Bruder Ihrer armen Verführten! und wer es seyn mag, ihn soll keine Wache schützen, und kein Thron.
V.WEGFORT
Wer bist du denn? bist du nicht Feldern?
KARL
Der bin ich!
V.WEGFORT
Nun dann!
KARL
Ha, und wenn der auch ein Feldern war –
FRANZISKA
Ach! es wird Gewißheit Karl! – Friz –

Vierter Auftritt.
(Friz, Luise, Vorige.)
KARL
Da ist er! – Ungeheuer du!
FRIZ
(stürzt zu Wegforts Füssen) Mein Vater!
FRANZISKA
Und Luise! meine Liebe! (umarmt sie.)
[116]
V.WEGFORT
Friz, was willst du? was ist das?
FRIZ
O meine Luise! komm, komm, daß du ihn mir erbittest!
LUISE
(ihrem Vater zu Füssen) O mein Vater!
V.WEGFORT
Und du – was ist? was wollt ihr?
FRIZ
Verzeihung, mein Vater! Verzeihung, oder den Tod zu ihren Füssen!
V.WEGFORT
Wie Friz? – solltest du es seyn!
FRIZ
Ich bin es! – ich bin der Elende, der Freundschaft und Gastfreyheit, Ehre und Unschuld – o mein Vater! aber ich komme auch, und klage mich an!
JULIE
Franziska!
FRANZISKA
Das hätt’ ich nicht erwartet.
FRIZ
Verzeihung, mein Vater! oder wenn Sie eine Strafe wissen in der Sie diese arme Unglückliche von mir trennen können –
V.WEGFORT
Du, du? aber du bist ja – da steht ja deine Braut?
FRIZ
Ach Julie, der Elende war ich, und ich durft’ es wagen, Ihnen ein Herz darzubringen –
FRANZISKA
O, das ist schon in Ordnung gebracht! von dieser Seite schon alles! sieh nur, daß du da (indem sie auf Wegfort zeigt) auch so
[117]
gut fertig wirst! von dieser Seite ist alles vergeben und vergessen! nicht wahr, Julie?
V.WEGFORT
Nein, nein, lassen Sie ihn fortfahren! das möcht ich denn doch hören! du verdammter Bösewicht du – durftest es wagen –
FRIZ
Ich habe keine Ansprüche auf Verzeihung, als in der Aufrichtigkeit meines Bekenntnisses. Der Hang zum Vergnügen hatte mich zur Verschwendung verleitet! mein Vermögen war fast verschlungen; meine Schulden wuchsen täglich; aber eben dieser unselige Hang hatte mich bis zum Eckel von aller Arbeit entwöhnt! ich konnte das Bild einer Zukunft in Dürftigkeit oder Anstrengung nicht ertragen.
V.WEGFORT
Bösewicht, und dachtest an die Zukunft nicht, die du mir bereitetest? und diesem Mädchen –
FRIZ
Nein, Wegfort, so ganz ruchlos nicht! Luisens Elend hieng wie ein Gespenst an meinen Fersen; aber jene Aussicht überwog! die Präsidentin kam mir entgegen; ich fand Juliens Herz dem Eindruck der Freude offen –
JULIE
Ach Karl! und das blinde Mädchen taumelte hin, und dachte wenig –
KARL
Süße Liebe!
FRANZISKA
Ich sah es, Julie! aber sey auch nicht zu strenge gegen dich selbst! er verführte deine Sinne, aber dein Herz seufzte mit-
[118]
ten in dem Taumel nach einer Ruhe zurück, die all dieser blendende Glanz dir nicht ersetzen konnte!
JULIE
Und dennoch! diese Leere in mir selbst, die mich verfolgte, wie ein warnender Engel – ach Karl, und ich folgte ihr nicht! suchte sie zu betäuben!
KARL
Meine Julie!
FRANZISKA
Aber du Friz, wie du, mit deinem Gespenst an der Ferse –
JULIE
Nein Franziska, keine Vorwürfe! – ich bin zu glücklich! und wer doch so zurückkehrt – nicht wahr Karl! wer zurückkehrt, soll nicht verstossen werden – komm Franziska, wir wollen uns alle für ihn vereinigen, und seine Verzeihung erflehen!
V.WEGFORT
Da ist viel zu erflehen! muß ich nicht wohl? nicht noch dem Himmel dazu danken! ja du, wenn ich die Strafe wüßte, wie du sagtest, in der ich dich trennen könnte, von dem Mädel!
LUISE
Mein Vater! –
V.WEGFORT
Ja! du – raisonniere du auch noch! bist mir auch die rechte! – aber gut: ich will euch schon noch zusammen strafen, wenn ich euch erst einmal da im Dörfchen habe! (zu Luise) dir will ich den Text Lesen, warte! und dich (zu Friz) dich will ich anschmieden, und sollst mir arbeiten, daß der Schweiß dir von der Stir-
[119]
ne rinnt, und eher sollst du mir kein Stück Brod in den Hals kriegen, verstehst du!
FRIZ
O mein Vater! und ich werde fühlen, es ist für Luise! ich werde arbeiten für ihr Alter, Sie sollen meine Anstrengung sehen! hab ich doch oft Mitten in aller Zerstreuung das beschämende Gefühl nicht unterdrücken können, daß Kräfte in mir lagen und aufstrebten, die zu höherem Endzweck bestimmt waren, und die mir oft in dieser erzwungenen Unthätigkeit alle Freude zum Eckel machten.
KARL
O mein Bruder! folge diesen edleren Trieben und du wirst finden, daß in einer Thätigkeit, die der Kräfte des Menschen werth ist, in der Erweiterung seiner Sphäre, in jeder Ausbreitung des allgemeinen Wohls eine Wonne liegt, von der du in dem ganzen Taumel deiner vorüberrauschenden Vergnügungen keine Ahndung gehabt hast! du wirst finden, daß diese nicht gemacht sind, den ganzen Menschen zu beschäftigen, ihm nur zu seiner Erholung gegeben sind; und daß sie selbst in den Nebenstunden, die du für sie übrig haben, durch die Sparsamkeit, mit der du sie geniessen wirst, einen Reiz erhalten werden, den du in ihrem vollen Genusse noch nicht gekostet hast.
V.WEGFORT
So lieber Karl! hofmeistern Sie ihn auch ein wenig; wir wollen sehen, ob noch was mit ihm zu machen ist.
[120]
FRIZ
O mein Bruder, wir haben lange wie Fremdlinge eines Namens, wie eifersüchtige Stiefbrüder mit einander gelebt! aber von nun an – nur deinen Rath, deine Hülfe, deine Anführung –
V.WEGFORT
Gut Junge! gut! ich fange schon fast an zu vergessen – aber sag, du verdammter Bösewicht du, wie bist du denn endlich zur Raison gekommen, was hat dich bekehrt?
FRIZ
Wie hätt’ ich widerstehen können? O Luise! So viel Liebe! – Hören Sie mein Vater! – meine Schwester! Julie! – nicht genug, daß Luise es über sich vermogt hatte, um meinetwillen sich von ihrem Vater loszureissen – und doch Luise – wenn ich denke, was es deinem Herzen kosten mußte, der Schritt aus dem Hause eines so geliebten, so liebenden Vaters –
LUISE
Ach! als wenn die Erde unter jedem Fußtritt versinken; als wenn alle Himmel über mich zusammen fallen wollten, mit dem Tritte des Verurtheilten zum Gerichtplatz, bebt’ und wankt’ ich daher durch die Nacht! – zehnmal zurück, daß ich sie nur noch einmal sähe, nur noch einmal hörte ihren leisesten Athem!
V.WEGFORT
Und doch Mädel, und doch! konntest mich so liegen sehen in arglosem Schlummer, und konntest mir so ein Erwachen bereiten?
[121]
LUISE
Ach mein Vater! alle Angst der Liebe trieb mich! –
FRIZ
Sie sollen einmal alles wissen, mit welchen Kunstgriffen ich sie zu dem Schritte brachte! aber nicht genug sich losgerissen zu haben, nicht genug, daß sie durch Tage der Noth und durch Nächte der Thränen der Stunde der Schande entgegen gegangen war, mit Muth der Liebe – noch heut – ich erfuhr, daß sie hier war, fürchtete ihre Gegenwart, gestand ihr meine neue Verbindung, und verlangte – o meine Luise, wie hast du mir verzeihen können! – verlangte, daß sie mir ewig entsagte, und auch das, auch das –
FRANZISKA
(zu Luise) Meine Schwester!
JULIE
Seele voll Liebe! (umarmt sie)
FRIZ
(liest) “Entsagen, ja auch das, auch sterben, Feldern, alles, was du fodern kannst! ganz dein Geschöpf! wie du’s aussprichst! Himmel oder Hölle! wie du willst! ich entsage!“ Mein Gott!
V.WEGFORT
Ich entsage! was das für Streiche sind! entsage du auf ein andermal dem Teufel, wenn er dir zu nahe kommt! hörst du?
FRIZ
Nein ich war der Unmensch nicht, so vieler Liebe zu widerstehn! eine unnenbare Macht riß mich hin zu ihren Füssen! mit unserm Kind im Arm.
V.WEGFORT
Ja du Erzbösewicht! sprich du
[122]
erst noch lange von euerm Kinde, setzest da so ein armes hülfloses Geschöpf in die Welt, und dann davon geflogen, und es an Gottes Barmherzigkeit überlassen, wie es kein Vogel in der Luft thut! – aber warte, die Sprünge sollen dir schon vergehn, wenn du Mittags erst mit grobem Brode und dünnen Bier vorlieb nehmen mußt, warte komm mir nur!
FRANZISKA
Und nun Karl! nun ist die Reihe an dir.
KARL
Ja Wegfort, mit dieser Nachricht kam ich Ihnen entgegen, als Sie mich überraschten. Bester Freund, welch eine Nachricht! Da, lesen Sie (giebt ihm den Sentenz) – und du Bruder laß dir das ein Beyspiel seyn, wie sehr auch die mühsamste Anwendung unsrer Kräfte zu ihrem Endzweck sich selbst belohnt! diese Rettung einer so werthen Familie! dieser plötzliche Uebergang von Dürftigkeit zu Reichthum, diese Freude, die ihn nun in meine Arme reissen wird – hätte dein Werk seyn können! – sie hätt’ es verdient, das Werk der Liebe zu seyn.
V.WEGFORT
Gott! – Karl! – alle Wegfortische Stammgüter mir zurückgegeben! – Gott, mich schwindelt! haltet mich! – (in betender Stellung) Vater, der du bist in den Himmeln! –
KARL
Franziska! – Julie!
[123]
JULIE
O mein Karl!
V.WEGFORT
Mann, Mann! – und ich gabs verloren! – nein, das fass’ ich nicht! – Kinder, Kinder! o, alle zu seinen Füssen!
KARL
Freund! (umarmt ihn)
FRIZ
Bruder!
LUISE
Karl!
V.WEGFORT
Und ich konnte dich so verkennen, großer Mann! –
KARL
Sie waren Vater, Wegfort!
V.WEGFORT
O meine Kinder!

Fünfter Auftritt.
(Präsidentin als Venus, Vorige.)
PRÄSIDENTIN
Nun, wo steckt ihr denn? habt gar noch Gesellschaft?
FRIZ
(für sich) Meine Venus! die wird Augen machen!
PRÄSIDENTIN
Ihre Dienerin, mein Herr Hauptmann!
V.WEGFORT
Diener!
PRÄSIDENTIN
Aber sie verzeihn! – Julchen, noch nicht einmal frisirt! (heimlich zu ihr) Es ist schon alles richtig, ich lasse schon aufpacken; mach fort, Mädchen!
JULIE
Gnädige Frau Mama –
PRÄSIDENTIN
Und Sie mein Prinz Paris, noch gar nicht einmal in Rüstung! hat denn meine Ungedult mich in der Zeit betrogen? Gott
[124]
bewahre mich, ich halt’s nicht länger aus! (sieht auf die Uhr) Nein, nein: es ist schon Zeit! wir werden nicht die ersten mehr seyn! geschwind!
FRIZAber –
PRÄSIDENTIN
Aber sagen Sie mir, wie gefall’ ich Ihnen denn nun in dem Anzug? ist’s so recht?
FRIZ
Vortreflich! aber –
PRÄSIDENTIN
Etwas nicht recht? da hats gewiß der Friseur versehn: der ungeschickte Kerl stand da, und wußte nicht anzugreifen; o, ich habe mit ihm zu stellen gehabt; – aber was denn nicht, mein Paris? sagen Sie, was nicht!
FRIZ
Alles wie es seyn mußte; aber gnädige Frau ich bedaure –
PRÄSIDENTIN
Was denn?
FRIZ
Daß aus der ganzen Maskerade nichts werden kann!
PRÄSIDENTIN
Was?
FRIZ
Ich erkenne Ihre Güte! ich muß um Verzeihung bitten, Sie misbraucht zu haben –
PRÄSIDENTIN
Was? nichts werden? Friz! aus der Maskerade – ja, da kämt ihr mir recht! – nur fort, da hilft nichts!
FRIZ
Die Güte, mit der mir heute grössere Beleidigungen verziehen sind, giebt mir den Muth zu hoffen, daß auch Sie –
PRÄSIDENTIN
Friz, was das für Zeug ist! so mach doch nur! für Julie ist schon alles richtig!
[125]
FRIZ
Ich bedaure; aber ich muß Ihren Absichten auf Julie entsagen! Sehen Sie hier gnädige Frau, – das Fräulein von Wegfort –
PRÄSIDENTIN
Wie? ich hoffe doch wohl nicht gar –
V.WEGFORT
Ja, ja, gnädige Frau, er wars, der mein Mädel –
PRÄSIDENTIN
O, das ist zum rasend werden! aber – Friz, Friz, Sie werden doch deswegen nicht – sehen Sie zu, was Sie thun! Julie, mein Julchen, du armes Mädchen du!
JULIE
Nein: beklagen Sie mich nicht gnädige Frau Mama! wenn Sie mir auch nach meiner Rückkehr zu dem Einzigen, dem ich angehören konnte, Ihren Beyfall geben, so wär nie ein Mädchen beneidenswerther!
PRÄSIDENTIN
Gott bewahre gar mit Karl! – nein Mädchen, nun und nimmermehr, lieber ins Kloster, lieber – aber Friz, ich denke Sie werden kein Narr seyn! und sich so pöbelhaft an Katechismus und Pfaffengeschwätz binden! kommen Sie, lassen Sie –

[126]
Sechster Auftritt.
(Präsident, ein Bedienter, Präsidentin, v.Wegfort, Karl, Friz, Julie, Luise, Franziska.)
PRÄSIDENT
(stößt den Bedienten herein) Herein Schurke, oder –
DER BEDIENTE
O gnädiger Herr! ich bin kein Dieb nicht! es ist Befehl –
PRÄSIDENTIN
O Weh!
PRÄSIDENT
Artige Geschichtchen in meinem Hause! da will ich zu Julie ins Zimmer, will noch einmal mit ihr reden, Ihrentwegen lieber Karl! daß sie mich nicht aufs äußerste bringe –
PRÄSIDENTIN
Ja ich muß nur fort machen, es ist meine höchste Zeit! – ich bitte die ganze Gesellschaft um Verzeihung! –
PRÄSIDENT
Nicht doch, Madam! Mich dünkt, das geht dich noch genug mit an, um ein Viertelstündchen vom Ball abzubrechen! – als ich hinauf komme, ist das Zimmer leer – Toilette und Garderobbe, – alles fort! – ich will rufen, da hör’ ich ein Geräusch auf der Hintertreppe zum Garten: ich hin, und sieh da! da schleppen die Kerls die Bagage herunter! – Julchen, was ist das? ich hätte dir nicht zugetraut –
[127]
JULIE
MeinVater! – ich –
PRÄSIDENT
Nun rede, was soll das?
PRÄSIDENTIN (für sich) Ich muß mich nur wegstehlen, wenn das gut thun soll! – (sie will fort)
DER BEDIENTE
Ach gnädige Frau, so helfen Sie mir doch erst wieder zu Ehren! der gnädige Herr glaubt uns auf einen Diebstahl ertappt zu haben, und Sie wissen doch –
PRÄSIDENTIN
Kerl!
DER BEDIENTE
Daß es bloß auf Ihren Befehl –
PRÄSIDENT
Wie Madam?
PRÄSIDENTIN
(zeigt dem Bedienten heimlich einen Beutel mit Geld) Was sagst du Kerl? – auf Befehl? auf wessen Befehl?
DER BEDIENTE
Ach gnädige Frau, nehmen Sie mirs nicht übel, aber mein ehrlicher Name ist mir lieber als alles Geld, das in den Beutel seyn kann, den Sie mir da zeigen!
PRÄSIDENTIN
O ich werde rasend! und das gerade an dem Abend! – O meine arme Maske, und die dumme Rolle, die ich spielen werde! – Kerl!
DER BEDIENTE
Ja gnädiger Herr! haben Sie nur die Gnade zu untersuchen! die gnädige Frau hat’s befohlen.
PRÄSIDENT
Nun, Madam? was sagen Sie dazu?
[128]
PRÄSIDENTIN
Nun ja denn! wenns so gemeynt ist, daß ich am Ende für euch die Rechnung bezahlen soll! Ja es war mein Befehl, weil ich mit Friz abgeredet hatte, daß er Julie entführen sollte, eh du deinen abgeschmackten Einfall mit dem Kloster oder da mit deinem Monsieur ausführen konntest! nun weißt du’s! Und Ihr, wenn Ihr euern Verstand verloren habt, und es nicht besser haben wollt, so thut nach eurer Blindheit! rennt in euer Verderben; ich ziehe meine Hand von euch! mich bekümmerts wenig, versteht Ihr? ich werde meine Venus schon für mich allein zu spielen wissen! – Ich Venus! (ab.)
PRÄSIDENT
Ja du! – – aber – was ich höre und sehe – mein Herr von Wegfort – Ihre Tochter!
V.WEGFORT
Ja lieber Wiesenthal! nicht wahr, so ein später Besuch in Ihrem Hause, mit meinem Mädel da – das ist Ihnen unbegreiflich! o hier sind Wunderdinge vorgegangen, seit einer Stunde!
FRANZISKA
Die ich Ihnen alle Haarklein erzählen will, lieber Papa! Sie lassen sich ja doch gerne von mir erzählen! und in dieser Nacht, in der Zeit wir auf unsren Wiesenthal warten, wird das die Weile gut ausfüllen! zu Ihrer Beruhigung in der Kürze nur so viel! alles
[129]
am Ende ausgeschlagen, wie Sie es wünschen! Karl und Julchen so einig – o, wie ein Paar Turteltäubchen! und Friz – Friz –
V.WEGFORT
Zur Raison gekommen, lieber alter Freund! nun mein Schwiegersohn! wie man so zu sagen pflegt, was der eine wegwirft, ist dem andern recht! zwar, wenn ich auch hätte zu wählen gehabt! – aber das Mädel da hatte schon vor mir gewählt, und – doch er verspricht Besserung, und wenn ers hält, wie er verspricht –
PRÄSIDENT
Nun ich versteh das zwar alles noch nicht recht; aber Karl, Julchen! – Friz – Sie alle! – Sie scheinen mir alle so zufrieden zu seyn, daß ich selbst schon zufrieden mit bin! – kommt herein! hier erzählts sich nicht gut; wir wollen uns zu Tische setzen, und essen und schmaussen, und die Geschichte beplaudern, bis mein Sohn zurückkommt!
V.WEGFORT
Bis es Tag wird, lieber Alter, und dann wollen wir das junge Volk zusammen in die Kirche bringen! nicht wahr Ihr?
(Franziska führt die beyden Alten. Karl Julie, und Friz Luise ab.)


Kommentar

D1:
Der Schmuck: ein Lustspiel. Von Sprickmann. Wien: Logenmeister 1779. (= Schauspielsammlung des Kaiserlich Königlichen Nationaltheaters. Bd. 3.)
D2: Der Schmuck. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Von A.M. Sprickmann. Originalausgabe. Münster: Perrenon 1780.
(In Abweichung von den Editionsgrundsätzen wird der Text nach D2 wiedergegeben, da der Erstdruck durch Zensur entstellt ist und von S. ausdrücklich abgelehnt wurde.)
Lustspiel: „Das Lustspiel, so genannt wegen des glücklichen Ausgangs und wegen der Mischung von ernsten und komischen Situationen und Charakteren, wie sie die zeitgenössische Dramaturgie von Lessing und Diderot bis Lenz für diese Gattung verlangte […] gehört wiederum der Gattung des bürgerlichen Dramas an. […] Lessing verdankt Sprickmann das Grundmotiv, das seinem Stück den Namen gegeben hat: Ein Schmuck hilft die Verwicklung lösen, wie in ‚Minna von Barnhelm‘ der Ring. Johann trägt Züge von Just, die Wirte, die in den Dramen jener Jahre vorkommen, weisen fast sämtlich auf Lessing zurück. Wegfort ist Offizier auf Pension, wie Tellheim, hat mit diesem auch manche Charakterzüge gemein.“ (Venhofen 107)
Präsident: „Nach dem heutigen Stylo wird die den Vorsitz u. das Directorium einer Gerichts-Cammer, oder eines andern hohen Collegii [Amtsversammlung], ins besondere aber eines Consistorii [Kirchenrat], Kriegs-Rathes, Rent-Cammer [Finanzbehörde], u.d.g. führende Person der Präsident genennet“ (Zedler XXIX 111).

1
Lausdeos: „Laus Deo, eig. Gott Lob! eine Schuld-Rechnung, ein Mahnbrief, worüber man ehedem jenen Ausdruck mißbräuchlich setzte.“ (Heyse II 29)
je größer Schelm, je größer Glück: „Der Schelm […] eine Person, welche […] leichtfertige Absichten hinter einem äußern unschuldig scheinenden Betragen zu verbergen weiß. […] Je ärger Schelm, je besser Glück.“ (Adelung III 1410f.)
2
ich habe keinen rothen Heller mehr: „Ähnl. wie Deut […] wird auch Heller oft als Bez. eines geringen Wertes in R[edensarten] gebraucht […] ‚rot‘ bezieht sich auf die Kupferfarbe (vgl. frz. ‚pas un rouge liard‘)“ (Röhrich I 410).
als wenn der Winter sich aufhält, mich vollends zu ruiniren: Der Winter als Saison für gesellschaftliche Ereignisse wie Bälle, Schlittenfahrten usw.
7
Bettelbagage: „Die Bagage […] Das Geräth, oder Gepäck […] Figürlich in der niedrigen Sprechart, liederliches Gesindel, dergleichen sich gemeiniglich bey dem Gepäcke der Armeen aufzuhalten pflegt.“ (Adelung I 691)
9
Ich weiß nicht, wie mir das so auffällt: „Auffallen“ im Sinne von „zu schaffen machen“. Vgl. Adelungs Beispiel: „Der Dampf fällt sehr auf, auf die Brust.“ (I 488)
Louisd’or: S. den Glossareintrag „Währung, Maße und Gewichte“.
10
Repetieruhr: „eine Schlaguhr, welche nicht nur die Stunden schlägt, zu welcher Zeit man will, sondern welche auch noch die Viertel-Stunden schlägt.“ (Adelung III 1089)
merk dir] emendiert aus: merk der
11
Departement: Aufgabenbereich.
13
hasiliert: „haseliren, sich wie ein Hase possenhaft betragen, Possen machen od. treiben, häseln, scherzen, tändeln“ (Heyse I 426)
14
wie kommt mir der Kerl auf den Hals: „Der unrechte Hals, im gemeinen Leben, die Luftröhre. Daher die figürlichen, aber nur im gemeinen Leben, höchstens nur in der vertraulichen Sprechart üblichen Redensarten. […] Jemanden über den Hals kommen, ihn unvermuthet überfallen.“ (Adelung II 923)
da haben Sie sich eben so schlecht adressirt: „adressiren, an Jemanden richten, wenden“ (Heyse I 21).
15
Fräulein Kanaille: „Canaille […] ein schlechtes, leichtfertiges Frauenzimmer“ (Heyse I 146).
16
Schwernoth: „Fallsucht oder Epilepsie […] So heißt es z.B. auch in einer Verwünschung: Die schwere Not (die Kränke) sollst du kriegen! Im 18. Jh. ist Schwerenöter als grobes Schimpfwort auch lit. bezeugt […] und bes. im rhein.-westf. Raum verbreitet.“ (Röhrich II 928)
17
so nimm den Kelch von ihr: Vgl. Mk 14:36 u. Lk 22:42.
18
rekognosziret: „recognosciren, […] Kriegsspr. ausforschen, spähen od. ausspähen, auskundschaften“ (Heyse I 300).
22
die Halbscheid: „im gemeinen Leben, die Hälfte, der halbe Theil eines Dinges […] In der höhern Schreibart macht es eine schlechte Figur“ (Adelung II 916).
27
mein Herz ist ein Kind […] und wenn das Kind krank ist, muß die Vernunft ihm nicht nachgeben, und seinen Willen thun?: Vgl. Goethes Leiden des jungen Werther (1774): „Auch halt ich mein Herzgen wie ein krankes Kind, all sein Wille wird ihm gestattet.“ (Goethe I/2 200)
29
ennuirt: gelangweilt.
Schmetterling: „In den schönen Künsten ist der Schmetterling  ein Sinnbild des Leichtsinnes und der Flatterhaftigkeit, weil man ihn immer von einem Gegenstande zum andern flattern siehet.“ (Adelung III 1571)
30
daß in der Natur nichts durch einen Sprung geschieht: „Natura non facit saltus lat., = die Natur macht keine Sprünge, die lat. Formulierung einer seit dem gr. Altertum mehrfach getroffenen Feststellung, die vermutlich auf den gr. Philosophen Aristoteles (384–322 v. Chr.) zurückgeht“ (Mackensen 539).
31
in der Sache referirt: „referiren, […] Bericht abstatten […] im Gerichte“ (Heyse II 305).
32
Relation: „Bericht, gerichtl. Vortrag“ (Heyse II 309).
34
Reskripte: „Das Rescript […] diejenige Schrift eines Landesherrn, worin er sich auf das Bittschreiben eines Unterthanen, auf die Anfrage eines Collegii [Amtsversammlung] u. s. f. erkläret.“ (Adelung III 1089)
36
die Bedienung: „Ein Amt“ (Adelung I 782).
37
Regierungsrath: „ein mit dem Titel eines Rathes ausdrücklich begabter Beysitzer eines Regierungs-Collegii, welcher von einem Regierungs-Assessor [Beisitzer] noch verschieden ist.“ (Adelung III 1026)
in dem Schweiß unsers Angesichts gesäet und geerndtet: Vgl. Gen 3:19.
42
ein nagender Wurm an Ihrer Seele: Vgl. Spr 25:20.
wir wollen den Wurm schon schneiden: „Den Stein, den Wurm schneiden, ihn ausschneiden.“ (Adelung III 1598)
43
Aber was schiert uns der Narr?: „Das schert (im gemeinen Leben schiert) mich nichts, das bekümmert mich nicht. Was schiert das dich? was bekümmert es dich? Sich um etwas scheren, bekümmern. Alle nur in den niedrigen Sprecharten.“ (Adelung III 1422)
44
keicht: „Keichen […] Im Oberdeutschen und selbst bey einigen Hochdeutschen Schriftstellern in der höhern Schreibart, keuchen.“ (Adelung II 1535f.)
kleiner Affe: „auf menschen angewandt bezeichnet affe ein häszliches, stumpfes gesicht, einen thor und einen der alles lächerlich nachmacht […] oft aber werden auch junge kinder affen gescholten“ (Grimm I 182). Die Präsidentin liebt es, ihren Schwiegersohn in spe mit zärtlich-humoristischen Schimpfwörtern anzureden (vgl. auch S. 66: der vertrackte Junge).
46
Sie hat ihn einmal als einen Mann ansehen müssen, der ihr bestimmt war] emendiert aus: Sie hat ihr einmal als einen Mann ansehen müssen, der ihn bestimmt war
Bazen: „Der Batzen […] Eine Oberdeutsche Münzsorte, welche meisten Theils vier Kreuzer oder sechzehn Pfennige gilt. Figürlich, im gemeinen Leben auch so viel, als Geld.“ (Adelung I 748)
48
Dukaten: S. den Glossareintrag „Währung, Maße und Gewichte“.
50
sonst empfind’ ich leicht so tief, als die empfindsamste Empfinderin in dieser empfindsamen Epoche: „Die Empfindsamkeit, die als moralische, psychohistorische und literarische Tendenz um 1750 in Deutschland auftritt, wird zunächst noch ‚Zärtlichkeit‘ genannt. […] hier wie dort [in England und Frankreich bzw. in Deutschland] sind meist Frauen das Zentrum der neuen kleinfamilialen Privatsphäre. […] In den siebziger Jahren des 18. Jh.s verkam die Empfindsamkeit zur Mode der ‚Empfindelei‘.“ (Schneiders 94f.)
51
Sentenz: „Richter- oder Rechtsspruch“ (Heyse II 368).
Dekret: „ein Ausspruch, eine Entscheidung oder ein kurzer Entschluß des Richters oder Landesherren auf das Memorial oder die Bittschrift einer Partey.“ (Adelung I 1432)
52
erledigte Stelle: „Erledigen, […] Seines Besitzers berauben; in welcher Bedeutung es nur im Passivo üblich ist. […] Ein erledigtes Amt wieder besetzen.“ (Adelung I 1915f.)
57
Entwürfen: Plänen.
ein alberner Mensch: „In einer engern Bedeutung ist albern, Mangel der Beurtheilungskraft bey einem lebhaften Ingenio [Verstand] verrathend und darin gegründet.“ (Adelung I 196)
61
Hasenfuß: „Figürlich sagt man von einem possierlichen, oder auch spaßhaft thörichten Menschen im gemeinen Leben, er habe einen Hasenfuß in der Tasche. Ja man pflegt einen solchen Menschen selbst auch wohl einen Hasenfuß zu nennen“ (Adelung II 993).
62
die Geschichte der griechischen Helena: „Eris, […] der Nacht Tochter, […] Göttinn des Zanks […] nahm […] einen goldnen Apfel, schrieb auf denselben: […] die Schönste nehme ihn; und warf ihn in das Zimmer, wo die Götter und Göttinnen beysammen saßen. Da er nun ungefähr in die Gegend hinrollete, wo sich Juno, Minerva und Venus befanden, so hub ihn Mercurius auf. Er las die Aufschrift; und da wollte ihn eine jede der besagten drey Göttinnen haben, weil sich jede für die schönste hielt. Wie aber Jupiter selbst sich nicht getrauete, den Ausspruch unter ihnen zu thun, so verwies er sie zu dem Paris, auf den Berg Ida; welcher denn auch den Apfel der Venus zusprach, und dafür hernach zwar die schöne Helena bekam, allein damit auch den verderblichen Krieg zwischen den Griechen und Trojanern erregete.“ (Hederich 1039f.)
die Geschichte […] in den komischen Erzählungen: Die Verserzählung Das Urteil des Paris aus Wielands Comischen Erzählungen (1765).
63
der fatale Abend: „Fatal […] im gemeinen Leben, 1) Unglück bringend. […] Der Freytag ist ein fataler Tag. Noch mehr 2) in der niedrigen Sprechart, zuwider, widerwärtig“ (Adelung II 57).
65
Brumbart: „Ein […] unwilliger Mensch, der aus dem Tadeln und langsamen Zanken eine Gewohnheit macht, wird im niedrigen Umgange auch ein Brummbart […] genannt.“ (Adelung I 1219)
66
der vertrackte Junge: „Vertrackt, […] welches im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart sehr häufig ist, und so wie verzweifelt gebraucht wird, d. i. im hohen Grade verworren, seltsam, arg […] Ein vertrackter Mensch […] Es scheint vom dem Nieders. vertrecken […] abzustammen, und daher eigentlich verzerrt, seltsam, abentheuerlich zu bezeichnen.“ (Adelung IV 1160) „Abenteuerlich“ trifft wohl am besten die humoristische Verwendung des Worts durch die Präsidentin.
69
Blödigkeit: „Schüchternheit“ (Adelung I 1082).
72
Amoroso: Arie mit der Vortragsbezeichnung amoroso = zärtlich, schmachtend.
76
Klopstock: Friedrich Gottlieb K., dt. Dichter (1724–1803), von großem Einfluß auf S. und die anderen Schriftsteller des Sturm und Drang. Vgl. S.s Gedicht An Klopstock und seinen Nachruf Empfindungen eines Westfälingers bey Klopstocks Tode.
80
Hospital für alle Bettler: „Das Hospital, eine öffentliche Anstalt, in welcher alte, kranke oder verarmte Personen ihre Wartung und ihren nothdürftigen Unterhalt empfangen“ (Adelung II 1297).
82
versehen: übersehen.
Schöps: „Der Schöpps, […] ein verschnittener Schafbock, welcher auch ein Hammel genannt wird […]. Figürlich ist wegen der diesem Thiere eigenen Dummheit das Wort Schöpps auch eine verächtliche Benennung eines einfältigen, dummen Menschen, in welchem figürlichen Verstande das Wort Hammel nicht üblich ist.“ (Adelung III 1633)
ausholen: „Einen aushohlen, ihn ausforschen.“ (Adelung I 602)
Extraktion: „ein Mann von Extraction, von guter Abkunft od. Herkunft, von Bildung und Erziehung“ (Heyse I 359).
84
pensif: „tiefsinnig, nachdenkend, in Gedanken vertieft“ (Moritz III 144).
Billet: „ein kurzer, mit Auslassung des gewöhnlichen Ceremoniels, abgefaßter Brief, ein Zettel, Zettelchen. Man sagt wohl, ein offener Zettel, oder, ein offenes Zettelchen. Zettel aber drückt den Begriff von Billet nicht aus, weil das Billet versiegelt ist.“ (Moritz I 168)
Kerl: „Bedienter“ (Adelung II 1551).
89
Dukaten: S. den Glossareintrag „Währung, Maße und Gewichte“.
92
Bouteillen: „Die Bouteille […] eine gläserne Flasche mit einem dicken Bauche und langem Halse“ (Adelung I 1140).
Bagage: „Das Geräth, oder Gepäck“ (Adelung I 691).
94
Gulden: S. den Glossareintrag „Währung, Maße und Gewichte“.
Daß dich alle Hagel: „Hagel, Blitz und Donner sind Manifestationen Gottes oder des Teufels, daher werden diese Ausdrücke oft anstelle des tabuierten Gottes- oder Teufelsnamens genannt, vor allem in rdal. Flüchen, wie z. B. ‚der Hagel schlag ihn‘ ‚daß der Hagel!‘“ (Röhrich I 366).
96
das Mensch: „Das Mensch […] eine geringe Person weiblichen Geschlechtes, im verächtlichen Verstande. […] In noch verächtlicherm Verstande pflegt man eine Hure in manchen Gegenden nur ein Mensch zu nennen; wo es zugleich ein Schimpfwort ist, welches auf Anbringen des Klägers gerichtlich geahndet wird.“ (Adelung III 178)
98
karbatschen: „Die Karbatsche […] eine von ledernen Riemen geflochtene Peitsche, deren Stiel gleichfalls mit Leder überzogen ist.“ (Adelung II 1500) 
99
Rackers Mädel: „Der Racker […] In den niedrigen Sprecharten, besonders Nieder-Deutschlandes, […] ein Schimpfwort auf eine im höchsten Grade verächtliche oder hassenswürdige Person, da es denn zugleich ungeändert von beyden Geschlechtern gebraucht wird.“ (Adelung III 909f.)
101
ich will euch entsagen! warte, warte!: „Veraltete oder doch im Hochdeutschen ungewöhnliche Arten des Gebrauches des Zeitwortes entsagen sind: […] Drohen […] Verbiethen, untersagen.“ (Adelung I 1832)
du Pudel: wohl von „Pudelnärrisch […] wie ein pudel possierlich, drollig, närrisch“ (Grimm VII 2205).
102
liberal: „freigebig, mild, gütig“ (Heyse II 37).
Halt sie’s Maul, Weib!: „Das Weib […] So wenig das Wort im Hochdeutschen als veraltet angesehen werden kann, so eingeschränkt ist doch dessen heutiger Gebrauch. […] Jetzt wird dieses Wort im Hochdeuschen noch in folgenden Fällen gebraucht. 1. Im gemeinen Leben von geringen verheiratheten, oder doch bejahrten weiblichen Personen […]“, auch mit „verächtliche[m] Nebenbegriff“ (Adelung IV 1440f.).
wie fallen sie mir vor: „Vorfallen […] am häufigsten von menschlichen Veränderungen und unerwarteten Begebenheiten, gleichsam uns in den Weg fallen, begegnen, aufstoßen. Es ist mir ein Hinderniß vorgefallen“ (Adelung IV 1263).
was brauchst du dich denn drein meliren?: „sich in eine Sache meliren, sich damit abgeben, hineinmischen od. darum bekümmern“ (Heyse II 79).
104
he Krokodill du: Anspielung auf die Redensart Krokodilstränen vergießen: „Die Rda. beruht auf der seit dem MA. weitverbreiteten und in Sagen geäußerten Meinung, wonach das Krokodil wie in Kind weint und damit Menschen anlockt, um sie zu verschlingen. […] Aus der listigen Träne ist schon bei Luther die heuchlerische geworden“ (Röhrich I 545).
ich Geschlagener!: „Schlagen […] Figürlich […] Züchtigen, strafen, plagen; besonders in der biblischen Schreibart. […]  Ein geschlagener Mann, theils ein geplagter, theils auch ein zu Grunde gerichteter; in dieser letzten Bedeugung vermuthlich von der R. A. zu Boden schlagen.“ (Adelung III 1494-7) Die gehobene biblische Sprechweise kontrastiert humoristisch mit Kapplers Unwichtigkeit als komische ‚niedrige‘ Figur.
107
Aberwitz: „Die Einbildung eines großen Verstandes bey augenscheinlichem Mangel desselben.“ (Adelung I 32)
Ach Elmire, eine Unglückliche wie du!: In Goethes Singspiel Erwin und Elmire (1775 in der Vertonung durch Johann André uraufgeführt) verliert die Titelheldin ihren Geliebten durch gespielte Gleichgültigkeit, gewinnt ihn aber am Ende zurück. Sieh mich, Heil’ger, wie ich bin, / Eine arme Sünderin etc.: Das vollständige Lied, das Elmire an den als Einsiedler verkleideten Erwin richtet, lautet bei Goethe:
Sieh mich Heilger, wie ich bin,
Eine arme Sünderin.
Angst und Kummer, Reu und Schmerz
Quälen dieses arme Herz.
Sieh mich vor dir unverstellt,
Herr, die schuldigste der Welt.
     Ach! es war ein junges Blut,
War so lieb, er war so gut,
Ach! so redlich liebt’ er mich,
Ach! so heimlich quält er sich –
Sieh mich Heilger, wie ich bin,
Eine arme Sünderin.
     Ich vernahm sein stummes Flehn,
Und ich konnt’ ihn zehren sehn,
Hielte mein Gefühl zurück,
Gönnt ihm keinen holden Blick.
Sieh mich vor dir unverstellt,
Herr, die schuldigste der Welt.
     Ach! so neid’scht’ [peinigt] und quält’ ich ihn,
Und so ist der arme hin!
Schwebt in Kummer, Mangel, Not,
Ist verloren! Er ist tot!
Sieh mich Heilger, wie ich bin,
Eine arme Sünderin. (Goethe I/2 32)
109
Pilgerin der Liebe: Anspielung auf Elmires Besuch bei dem als Einsiedler verkleideten Erwin.
113
Meze: „eine Hure, obgleich nicht mit einem so harten und verächtlichen Nebenbegriffe, als diesem Worte anklebet.“ (Adelung II 194)
118
wer zurückkehrt, soll nicht verstossen werden: Vgl. das bibl. Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15:11–32).
den Text Lesen: „eigentl.: einem eine bestimmte Bibelstelle vorhalten und erklären. […] Verallgemeinernd gelangt die Rda. zum Sinn: eine Strafpredigt halten. Die urspr. Beziehung auf den Bibeltext geriet in Vergessenheit.“ (Röhrich II 1074)
120
Erde […] versinken: Vgl. Hab 3:6.
als wenn alle Himmel über mich zusammenfallen wollten: „Schon im alten Rom war sprw.: ‚Quid, si nunc coelum ruat?‘, was, wenn jetzt der Himmel einstürzte? (Terenz), dasselbe auch bei dem Humanisten Erasmus von Rotterdam (‚Adagia‘ 1, 5.64).“ (Röhrich I 420)
122
Sentenz: „Richter- oder Rechtsspruch“ (Heyse II 368).
124
ich habe mit ihm zu stellen gehabt: „dialektisch jemanden st[ellen], regieren, lenken, s. Strodtmann idiot. osnabrug. (1756) 229“ (Grimm X/II 2199).
ja, da kämt ihr mir recht] emendiert aus: ja, da kämmt ihr mir recht.
129
wie ein Paar Turteltäubchen: „Turteltaube […] metaphorisch in verschiedener anwendung. […] im vergleich, wobei vor allem reinheit, keuschheit, sanftmut, treue und – besonders in neuerer zeit – zärtlichkeit der turteltaube als mustergültige eigenschaften hervorgehoben werden“ (Grimm XI/I/2 1908). – „Ein weißes T[auben]paar ist ein populäres Liebes-Symbol.“ (Herder Lexikon Symbole 167) – In der gr. Mythologie sind Tauben Attribute der Liebesgöttin Venus-Aphrodite: „Von Thieren waren ihr […] die Tauben, wegen ihrer Fruchtbarkeit, […] gewiedmet.“ (Hederich 2445)