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Empfindungen eines Westfälingers bey Klopstocks Tode.


Klopstock todt! – So hallt es von einem Ende unsers deutschen Vaterlandes hinüber zum andern, und füllt mit Wehmuth u. Trauer jedes Hörers Herz, der den edeln heiligen Sänger des Messias kannte.
Stolz, sehr stolz darf Deutschland auf diesen Dichter seyn, dem neben Homer keiner seinen Rang streitig macht, und stolzer noch, daß Klopstock der unsterbliche Dichter, der treffliche Mann war, den ohne Roms Heiligsprechung die Welt heilig sprach.
Selten hat Einer, und vielleicht Keiner das Wirkliche so mit dem Idealischen verbunden, wie Er; selten hat ein, oder kein Dichter so viel und so wohlthätig auf Welt und Nachwelt gewirkt, wie Er. Wie kann man nüchtern von dem Manne sprechen, der so überschwenglich die Brust füllt, wie ohne Enthusiasmus reden von dem Entschlafnen? –
Wer seinen Geist gefasset hat, der bedarf seines Lobes nicht, und wer ihn nicht gefasset hat, wie sollte man für ihn ein verlornes Wort verlieren? –
Doch Ehre sey Deutschland! Dieser erhabene Dichter war auch – man sagt nicht zu viel – Dichter des Volkes, oder vielmehr – weil Volk und Nation einmahl ein ver-
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schiedener Begriff geworden ist, der Nation. Aber traurig auch für Deutschland ist es, laßt es uns nicht verschweigen, daß solchen Dichter der König eines Volkes mit fremder Sprache zu sich rief, und lohnte! –
Eine Biographie von Ihm, wie Er war, was würde sie uns seyn? Viele seiner Freunde, seiner Verehrer sind schlafen gegangen vor ihm; aber viele *) [*) Leben nicht Voß, Claudius, die edeln Grafen Stollberg, v. Brinkman u. a.? d. E.], die seinen Geist, seine nahmenlose Liebenswürdigkeit auffaßten und verstanden, leben noch. Möchten diese sie uns, Deutschland und Europa geben! Des Mannes Leben und Wirken, seine Liebe, die unbeschreibliche, himmlische – möchte sie Einer seiner würdig schildern! Weß Geist und Herz hauchte Oden aus, wie der seinige? Wer hat so manche Hörer u. Leser diesem Irrdischen entrückt, wie Er? – Wer so das ganze Wesen in seinen Tiefen erschüttert? –
Eine Biographie von Ihm, wie ich sie oft theilweise in einzelnen Ergüssen, aus dem Munde Eines seiner Freunde, eines Geistes- und Herzens-Verwandten hörte, ist Sphärenmusik, wäre ein Meisterstück der schönsten und höchsten Darstellung dessen,
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was der Mensch, der Aushauch Gottes, hienieden schon seyn kann! Ich darf diesen Mann, den ich verehre, wie er Klopstock verehrte, hier nicht nennen, seine Bescheidenheit verbietet es, sonst nännte ich ihn; aber möchte er zur Erfüllung des hier geäusserten Wunsches leisten wollen, was er leisten kann! –
Und Klopstocks Todtenfeyer! – Wer Klopstock kennt, und die Beschreibung dieser Feyer einsam und allein gelesen hat, ohne daß ihm die innerste Brust bewegt ward, ohne den Erguß der süßen Thränen der Wehmuth: der verdiente es nicht, daß er des göttlichen Sängers unsterbliche Schriften las, nicht, daß er seinen Nahmen nennt. Wie Er, ist noch kein König begraben; aber über so viele Herzen hat mit reiner Huldigung auch kein König geherrscht, wie Er.
Ehre sey Deutschland, daß Klopstock seyn war! Des Jünglings Wunsch sey, zu leben, zu sterben, und zu Grabe getragen zu werden, wie Er!
Dank sey allen Hamburgern u. Altonaern, die bey Klopstocks Begräbniß die Ehre der deutschen Nation so schön vertraten, und sich selbst in Klopstock ehrten! –
x. x.


Kommentar

D1:
Westfälischer Anzeiger, 1803, Nr. 39, 17. May 1803, Sp. 609–611.
Den anonym erschienenen Artikel schreibt Siegfried Sudhoff S. zu (Klopstock und der „Kreis von Münster“. In: Westfalen 34 (1956). S. 192, Fn. 9).

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Klopstock: Friedrich Gottlieb K., dt. Dichter (1724–1803), von großem Einfluß auf S. und die anderen Schriftsteller des Sturm und Drang. Zum Verhältnis S.s zu K. siehe das Gedicht An Klopstock und den dazugehörigen Kommentar.
Messias: Biblisches Epos, Hauptwerk von F.G. Klopstock (1748 in drei, 1773 in zwanzig Gesängen erschienen).
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daß solchen Dichter […] lohnte: Friedrich V. von Dänemark holte Klopstock 1751 nach Kopenhagen, wo er mit Titel und Gehalt eines Legationsrats bis 1770 lebte.
Voß […] Brinkman: die dt. Schriftsteller Johann Heinrich Voß (1751–1826), Matthias Claudius (1740–1815), Friedrich Leopold u. Christian zu Stolberg Stolberg (1750–1819; 1748–1821) u. der schwed. Lyriker Carl Gustav v. Brinckman(n) (1764–1847).
Oden: Seine 1747 bis 1770 entstandenen Oden hatte Klopstock 1771 als Buch herausgegeben.
Eine Biographie von Ihm […] was er leisten kann: „Der von Sprickmann genannte mögliche Biograph ist wahrscheinlich Matthias Claudius.“ (Siegfried Sudhoff, Klopstock und der „Kreis von Münster“. In: Westfalen 34 (1956). S. 192, Fn. 9).
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Dank sey […] ehrten: Zehntausende Hamburger Bürger hatten Klopstock bei seinem Begräbnis am 22.3.1803 in Ottensen die letzte Ehre erwiesen.