Vor zwei Jahren hat das LWL-Industriemuseum die spektakuläre Sammlung von Arbeiterskulpturen des Gelsenkirchener Kunstliebhabers Werner Bibl übernommen. Seither verfügt das Museum über einen der weltweit eindrucksvollsten Bestände an Plastiken, die sich mit dem Thema Arbeit befassen. Erstmals in NRW präsentiert der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) mit Unterstützung des Landes jetzt rund 150 Objekte aus der Sammlung in der historischen Gebläsehalle der Henrichshütte Hattingen. Darstellungen vor allem aus den Bereichen Berg- und Hüttenwesen zeigen die emotionale Spanne zwischen geschundener Kreatur und strahlendem Held.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt die Kunst das Sujet der industriellen Arbeitswelt. Während sich die Moderne von der Ästhetik der Antike löst, stehen die thematisch neuen Plastiken formal in der Tradition klassischer Sehgewohnheiten. Material und Pose weisen diese Skulpturen als Kunst oder zumindest als Dekoration aus. Sie sind zweifelsfrei Konstruktion.
Die Fotografie hingegen ist den Menschen um 1900 wahrhaftig, zeigt, „was ist“. Das Foto ist Dokumentation, so scheint es. Tatsächlich sind beide, Skulptur wie Fotografie, Inszenierungen von Arbeit. Zuschreibungen wie Kunst und Realität, Schein und Sein wirken bis heute fort. Probieren Sie sich aus: Die Ausstellung stellt Fotografie und Skulptur gegenüber.
Hintergründe über die Sammlung, den Sammler und den Stifter erfahren Sie im Gespräch mit Dr. Eckhard G. Grohmann, Werner Bibl und Prof. Dr. Klaus Türk.
Eindrücke von der Präsentation in Hattingen vermittelt unser Film von der Ausstellungseröffnung.
Geschundener Mensch oder Arbeitsheld?
Die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken und sie nicht mehr nur als nebensächliche Staffage wahrzunehmen, war ein entscheidender Schritt in der Geschichte der Arbeitsdarstellungen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts versuchten Künstler und Fotografen ein ungeschminktes Bild von der Arbeitswelt wiederzugeben. Ausschlaggebend waren die Erfahrungen, die sie bei ihren Erkundungen in den Industrieregionen und Fabriken Europas machten.
Die Anblicke, die sich ihnen dort teilweise boten, rüttelten sie auf. Sie blieben nicht gleichgültig gegenüber der oft trostlosen Realität der Arbeiter und Arbeiterinnen und den tiefgreifenden sozialen Folgen der Industrialisierung.
Die Darstellungen des arbeitenden Menschen in Skulptur und Fotografie bewegen sich zwischen engagierter sozialer Anteilnahme an den durch die Arbeit und Lebensbedingungen schwer gezeichneten Menschen und den Heroen der Arbeit, die im Kampf mit den Naturgewalten und den technologischen Herausforderungen zu wahrer Größe erwachsen.
Arbeiterskulpturen
Darstellungen des arbeitenden Menschen finden sich in der Skulptur seit vielen tausend Jahren. Eine intensivere künstlerische Auseinandersetzung fand jedoch erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts statt. Sie hatte ihre Blütezeit in der Epoche des Hochkapitalismus und Imperialismus.
Anfangs dominierten allegorische Figuren. Sie orientierten sich an antiken Vorbildern und präsentierten die Selbstwahrnehmung der aufstrebenden Industrieunternehmen, ihre wissenschaftlich-technischen Errungenschaften, ihre wirtschaftspolitische Bedeutung und den wachsenden Wohlstand.
Nach der Jahrhundertwende verschwanden die Allegorien, doch die idealisierten, am antiken Vorbild geschulten Darstellungen von arbeitenden Menschen waren weiterhin verbreitet. Insbesondere als „Salonskulpturen“ repräsentierten sie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein symbolisch die unterschiedlichsten Industrien und Gewerbe. Lange noch dienten sie bei Arbeits- und Firmenjubiläen als ehrenvolle Präsente.
Mit der wachsenden rüstungs- und machtpolitischen Bedeutung der Schwerindustrie wurden die Arbeiterskulpturen oftmals heroisch überhöht und in diktatorischen Systemen zum staatspolitischen Propagandamittel. Doch bereits Ende des 19. Jahrhunderts lösten sich einige Bildhauer aus den Fesseln von Tradition und Konvention. Sie begannen sich intensiver mit dem arbeitenden Menschen auseinander zu setzen und eine Formensprache zu entwickeln, die ein realistischeres Bild von ihm und seiner Arbeitswelt schuf.
Fotografie und Industrie
Bald nach ihrer Erfindung wurde die Fotografie von der Industrie als Werbemedium in vielfältiger Form entdeckt. Fotos von Industrieanlagen, Maschinen und Produkten bildeten jedoch nur auf dem ersten Blick Realität ab. Tatsächlich waren auch sie Inszenierung, wurden die Arbeiter zur Staffage. Sie dienten eher dem Größenvergleich, als dass sie zum Maß aller Dinge wurden.
Neben der Auftragsfotografie entstanden jedoch bald auch hier Bilder, mit denen Fotografen Anteil an den oftmals widrigen Arbeitsumständen nahmen und versuchten, diese festzuhalten. Wie die Skulpturen bewegen sich diese Fotografien im Spannungsfeld zwischen Heroisierung und Problematisierung, zwischen Schein und Sein und verbildlichen so das bis heute zwiespältige Verhältnis von Mensch und Technik.
Arbeiterskulpturen im LWL-Industriemuseum
Im Oktober 2011 konnte das Museum die weltweit wohl größte Sammlung von kleinformatigen Arbeiterskulpturen erwerben. 205 Werke meist namhafter Bildhauer hatte der Gelsenkirchener Sammler Werner Bibl in den letzten Jahrzehnten zusammengetragen. Ihr Ankauf gelang durch eine gemeinsame Initiative der Milwaukee School of Engineering (MSOE), des Grohmann Museum der MSOE und des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Insbesondere das außergewöhnliche Engagement des Kunstförderers und Sammlers Dr. Eckhart Grohmann, der den größten finanziellen Anteil stiftete, machte ihn möglich.
Das Buch zur Sammlung ist im Museumsshop erhältlich:
Klaus Türk: Arbeiterskulpturen. Zweiter Band. Die Sammlung Werner Bibl, 400 Seiten, Klartext-Verlag, Essen 2011, 39 Euro.
Begleitprogramm
Filmabende
Beginn jeweils 19 Uhr
9.12.2015
Clara Immerwahr (DT/AT 2014, 89 Min.)
Erzählt wird die Lebensgeschichte der ersten promovierten deutschen Chemikerin (1870–1915) – und die Geschichte einer unglücklichen Liebe. Nach Umwegen finden Clara und der Chemiker Fritz Haber zusammen. Er will das Ernährungsproblem lösen und arbeitet an der Stickstoff-Fixierung – gleichermaßen Grundlage für Kunstdünger und Sprengstoff ...
6.1.2016 (Doppelfilmabend)
Der verrückte Professor (USA 1963, 103 Min.)
Der exzentrische, ungeschickte und ziemlich unansehnliche Chemieprofessor Julius Kelp wird weder von seinen Studenten noch von seinen Kollegen ernst genommen ...
Das Labor des Grauens (GB 1974, 92 Min.) FSK 16
Der Biologe Dr. Nolter ist am College Pflanzenspezialist und widmet sich Forschungen, bei denen er einigen seiner Studenten Operationen unterzieht, um Kreuzungen der DNA zwischen pflanzlichem und menschlichem Leben zu erzeugen ...
10.2.2016 (Doppelfilmabend)
Chemie und Liebe (DT 1948, 98 Min.)
Die Ernährung der Menschen ist nach dem Krieg ein unmittelbar drängendes Problem. Der Chemiker Dr. Alland hat eine sensationelle Erfindung gemacht hat: Er kann das pflanzliche Ausgangsmaterial – Gras oder Moos – auf direktem Wege in Butter verwandeln, ohne dabei Kühe zu benötigen ...
Das blaue Palais, Teil 5 – Der Gigant (DT 1976, 90 Min.)
Der Chemiker Enrico Polazzo will einen neuen Werkstoff, einen synthetischen Stahl, entwickeln. Um seine Forschungen fortsetzen zu können, lässt er sich von einem multinationalen Konzern engagieren, der jedoch zwielichtige Ziele verfolgt...
9.3.2016 (Doppelfilmabend)
Medicine Man – Die letzten Tage von Eden (USA 1992, 102 Min.)
Sechs Jahre lang schon lebt der Wissenschaftler Dr. Robert Campbell (Sean Connery) bei einem Indianerstamm im tropischen Regenwald. Dort hat er eine Pflanze entdeckt, mit deren Extrakt man krebskranke Menschen heilen kann. Die genaue Formel hat er jedoch verloren.
The Fountain (USA 2006, 93 Min.)
In spektakulären Bildern erzählt D. Aronofsky eine epische, sich über tausend Jahre erstreckende Geschichte. Entstanden ist dabei eine ehrgeizige Mischung aus Science Fiction, Historienfilm und Drama
23.3.2016 (Doppelfilmabend)
Hauptsache die Chemie stimmt (USA 2014, 91 Min.)
Vorstadt-Apotheker Sam Rockwell lernt durch eine gefährliche Liaison mit Femme Fatale Olivia Wilde so manche Drogen-induzierte Lektion in Sachen aufregendes Leben.
The Substance – Albert Hoffmanns LSD (CH 2011, 89 Min.)
Martin Wirz porträtiert in dieser Dokumentation den Weg der Psychodroge LSD (Lysergsäurediethylamid) von der Entdeckung durch den Chemiker Albert Hofmann bis zu seiner populären Beliebtheit als Partydroge.
3.4.2016 11 und 15 Uhr
Finissage mit dem Kindertheater „Das geheime Labor“ der Umweltbühne Chemnitz. Eintritt frei