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Künstler

Rita Kanne

[Kunstwerk][Biografie]

SchrankWand  2003

verschiedene Materialien
Maße:183 x 320 x 250 cm

Projektbeschreibung SchrankWand

Seit langem befasse ich mich mit typischen Hinterlassenschaften aus der bürgerlichen Wohn- und Alltagswelt, die ich einer skulpturalen Verwandlung unterziehe – ausgehend von Möbeln, Mustertapeten und sonstigem Zierrat. Aus dem öffentlichen Bildfundus der Unterhaltungsfilme, Illustrierten und Magazine greife ich Motive heraus und inszeniere sie auf vielfältige Weise, um deren Bedeutung zwischen einzigartigem Erleben und Klischee zu markieren. Die drucktechnisch vervielfältigten Bildhülsen werden dabei zu ornamentalen Mustern. Die verwandelten Dinge entledigen sich so ihrer individuellen Geschichte, um stattdessen als Versatzstück menschlicher "Durchschnittsbeschaffenheit" lesbar zu werden.

Ein herkömmlicher, gebrauchter Kleiderschrank (Massiv-Holzschrank/furniert mit 3 Türen) wird, wie der Grundriss zeigt, parallel zur Wand des Ausstellungsraumes in einer Ecke platziert. Auf diese Weise entsteht seitlich und hinter dem Schrank eine enge Durchgangssituation. Die Rückwand des Schrankes ist entfernt. Passgenau wird ein Podest mit Seitenwänden in der gleichen Höhe an den hinteren Schrankteil angeschlossen, so dass ein kleiner Raum an der Rückseite entsteht, der Schrank somit über eine Stufe von hinten begehbar wird. Die Länge des Podestes umfasst 2/3 der Länge des Schrankes. Die Außenwände und die inneren vertikalen Trennwände des Schrankes schaffen so einen neuen Raum mit einzelnen kleinen Kammern.

Der neue Innenraum ist mit einer Motivtapete in zwei Farbvariationen ausgekleidet. Dabei handelt es sich um einen Kristalllüster, der als Figur mittig im Bild schwebt und in der Vervielfältigung ein Muster auf der Wand entstehen lässt. Nicht nur der Innenraum, sondern auch die umlaufenden Wände des Ausstellungsraumes werden in der gleichen Abfolge auf einer Länge von 3 x 2 Metern und bis zu einer Höhe von 2,50 Metern tapeziert, d.h., der Schrank ist nun auch äußerlich umgeben von der Tapete. Auf diese Weise wird der Ausstellungsraum Bestandteil der Arbeit.

Wahrgenommen wird die Arbeit im Ausstellungskontext zunächst als Schrank vor einer tapezierten Fläche, da nichts auf einen rückwärtigen "Anbau mit Innenleben" hindeutet. Erst, wenn man sich dem Schrank seitlich nähert, eröffnet sich die Möglichkeit eines Abstechers in das Innere des Schrankes und somit die Erfahrung von Durchdringung und Verschränkung, von Innen und Außen, von Interieur und Exterieur.

Ein Schranksegment liegt außerhalb des beschriebenen Innenraumes und ist von der anderen Seite her zugänglich. Ein Regalboden teilt den vertikalen Schrankinnenraum in zwei Partien. Der untere, größere Raum ist mit Wandpaneelen aus Styropor ausgekleidet, die mit einer Dekor-Folienoberfläche überzogen sind und eine Holzmaserung imitieren. Ansonsten ist der Raum leer.

Abbildung des KunstwerksD

Der obere, kleine Raum in Augenhöhe des Betrachters wird zu einem beleuchteten Miniatur-Innenraum. Er ist mit der gleichen motivischen Tapete ausgekleidet wie der "Realraum" um ihn herum, allerdings sind die einzelnen Bilder maßstabsgetreu verkleinert. Möbliert ist der Raum mit einer "Puppenstubeneinrichtung in Gestalt eines Biedermeier-Wohnzimmers". Ausgestattet mit Tisch, Stühlen, Sofa und Konsolen, besitzt es reinen Repräsentationscharakter und ist frei von sog. "Wohnaccessoires" wie Lampen, Kissen, Teppichen u. Ä. An der Rückwand des kleinen Zimmers befindet sich eine Standard-Flurleuchte mit kristalliner Glaskuppel, welche durch ihre Größe (sie ist normal groß) deplatziert und unproportioniert wirkt. Eine fremdartige Atmosphäre stellt sich ein, da der Raum durch eine orangefarbene Plexiglasscheibe schreinartig verschlossen wird, das Rauminnere dadurch also in orangenes Licht getaucht wird. Fremdartig und entrückt erscheint dieses zur Schau gestellte Wohnzimmer. Sowohl die äußeren Proportionen dieser "Box" als auch die selbstleuchtende "Mattscheibe in Dreidimensionalität" hinterlassen einen Eindruck, der zwischen Bühne und Fernseher changiert.

Kommentiert wird diese Arbeit durch eine Lesung aus dem "Off", dabei handelt es sich um eine CD-Aufnahme. Leise kann man einer geschulten Stimme folgen, die Sequenzen aus dem Buch "Die eigenen vier Wände – zur verborgenen Geschichte des Wohnens" von Gert Selle vorträgt. Erschienen ist dieses Buch im Campus Verlag Frankfurt/New York, 1993. Die für diesen Zweck ausgewählten Kapitel beschäftigen sich mit der Entstehungs- und Funktionsgeschichte der so genannten "Bewahrmöbel" wie Schränke, Kästen und Truhen und deren kulturelle und individuelle Bedeutung. Ebenso werden die psychologischen Dimensionen des Kastenmöbels und dessen wichtige Rolle im bürgerlichen Leben reflektiert.

Rita Kanne