Die Eröffnung des Opel-Werks in Bochum im Jahr 1962 steht beispielhaft für den Strukturwandel im Revier. Der Kadett wurde zum Aushängeschild der neuen Wirtschaftskraft an der Ruhr. Ein Opel Kadett A Baujahr der ersten Baureihe gehört denn auch zu den Highlights der Ausstellung „Schichtwechsel“, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) ab Sonntag, 3. Juli, in seinem Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum präsentiert. Am Mittwoch (29.6.) wurde der Wagen mit Hilfe eines Krans in das erste Geschoss der Maschinenhalle gehievt.
Mit über 100 Exponaten zeigt die Ausstellung den Wandel im Revier: Von der großen Kohlekrise 1958 und dem Rückzug des Bergbaus aus dem Ruhrgebiet bis zur Ansiedlung neuer Industrien, Universitäten und der Entdeckung der Industriekultur. Im Mittelpunkt steht dabei die Stadt Bochum, die am stärksten von den Zechenstilllegungen betroffen war und früh nach zukunftsweisenden Alternativen suchen musste. Erinnerungsstücke, persönliche Dokumente und lebensgeschichtliche Interviews zeigen, wie die Menschen den Herausforderungen des umfassenden Wandels begegneten.
Vom Wirtschaftswunder in die Krise
Mitte der 1950er-Jahre boomt die Wirtschaft. Das Ruhrgebiet ist der Motor des Wirtschaftswunders. Vollbeschäftigung herrscht, und in Erwartung steigenden Wachstums werden gezielt Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. Doch im Frühjahr 1958 kommt unvermittelt die Krise: Die heimische Steinkohle ist der Konkurrenz des modernen Erdöls und der billigen Importkohle nicht mehr gewachsen. Schnell türmen sich riesige Kohlehalden auf. Tausende von Bergleuten werden in Mülheim, Essen und Bochum in unbezahlte „Feierschichten“ geschickt. Wenig später folgen die ersten Zechenschließungen, die ersten Fördertürme fallen. Die Krise trifft das voll auf den Bergbau ausgerichtete Ruhrgebiet ins Mark. Zehntausende Bergarbeiter gehen auf die Straße und demonstrieren gegen die Stilllegungen und für Hilfen der Politik zum Erhalt der Zechen. Sie sehen die Zukunft einer gesamten Region in Gefahr: Schwarze Fahnen an der Ruhr.
Blick in die Ausstellung
Von der Förderung zur Fertigung: Graetz und Opel in Bochum
Bochum ist wie kaum eine andere Stadt im Revier von der Kohleförderung abhängig. Über 40.000 Bergleute arbeiten in den 17 Zechen, hinzu kommen zahlreiche Beschäftigte in der Zulieferindustrie. Bereits Anfang der 1950er-Jahre versucht die Stadt, andere Wirtschaftszweige zu stärken. Mit der Eröffnung der Graetz Fernsehwerke gelingt 1956 die Ansiedlung einer viel versprechenden Zukunftstechnologie. Erstmals bietet das Werk auch massenhaft Arbeitsplätze für Frauen in der Fertigung an – ein Novum in der männerdominierten Berufswelt des Reviers.
Mitte 1960 kann Bochum einen weiteren Erfolg feiern: Nach langen Verhandlung entschließt sich der General Motor Konzern, in Bochum ein neues Opel-Werk zu errichten. Für die Ansiedlung macht die Stadt zahlreiche Zugeständnisse und übernimmt die Haftung für mögliche Bergschäden. Ende 1962 wird das Werk auf dem Gelände der kürzlich stillgelegten Zeche Dannenbaum eröffnet. Es bietet fast 10.000 neue Arbeitsplätze in Bochum. Produziert wird der neue Opel Kadett, der sich schnell zum Erfolgsmodell entwickelt. Ein originaler Opel Kadett der ersten Baureihe in der Luxusvariante ist in der Ausstellung zu sehen.
Bildung statt Kohle: Die Ruhr-Universität
Die Gründung einer Universität im Ruhrgebiet gilt zu Beginn der 1960-er Jahre als wichtige Maßnahme für den notwendigen Strukturwandel. Aus einem harten Konkurrenzkampf um die Ansiedlung geht die Stadt Bochum schließlich vor Dortmund als Sieger hervor. Am 18. Juli 1961 beschließen die Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtages die Errichtung der ersten neugegründeten Universität der Bundesrepublik in Bochum. Innerhalb weniger Jahre entsteht in Bochum-Querenburg eine moderne Campus-Universität, die nun auch vermehrt „Arbeiterkindern“ Zugang zu höherer Bildung ermöglichen soll. Zu den prominenten Studierenden der ersten Jahre zählt unter anderem der heutige Bundestagspräsident Norbert Lammert, der für die Ausstellung seinen damals hochmodernen computerlesbaren Studentenausweis als Leihgabe zur Verfügung stellt.
Protest gegen Schließungen
Auf den Abbau von Arbeitsplätzen und den Rückzug der Industrie reagieren die Menschen im Ruhrgebiet oft mit Protest. Angesichts von Entlassungen und Zechenstilllegungen trugen die Bergleute schon früh ihren Protest auf die Straße. 1959 fordern 60.000 Kumpel beim Marsch auf Bonn den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und Maßnahmen zur sozialen Absicherung.
Auch die Mitarbeiter der Bochumer Opelwerke demonstrieren immer wieder gegen den Abbau von Arbeitsplätzen. Die überraschende Schließung des Bochumer Nokia-Werkes war der letzte große Schock, der tausende auf die Straße trieb, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen. Protestplakate und Streikutensilien zeugen von der Wut, aber auch von der Kreativität der Menschen im Protest.
Kultur und Wandel
Kultur hat den Wandel im Ruhrgebiet von Anfang an begleitet und gestaltet. Bereits 1969 kämpften die ersten Künstler und Intellektuellen für den Erhalt der Dortmunder Zeche Zollern als Baudenkmal, in den 1980er-Jahren engagierten sich Bewohner von Bergarbeitersiedlungen für den Erhalt ihrer Häuser. Als erstes Museum seiner Art gründet der LWL 1979 das Westfälische Industriemuseum, das stillgelegte Orte der Industrie als Baudenkmäler erhält und zu Museen ausbaut. So wird auch die 1973 als letztes Bochumer Bergwerk stillgelegte Zeche Hannover als Denkmal und Museum erhalten.
Mit dem Festival Kemnade International gründet die Stadt Bochum 1974 eines der ersten Festivals, das sich der Verständigung zwischen Ausländern und Ansässigen verschrieben hat. In den folgenden Jahren entwickelt sich das Fest zu einem viel beachteten Festival der Weltmusik.
Mit dem Theaterstück „Next Generation“ zeigen heute Jugendlichen aus verschiedenen Städten des Ruhrgebiets mit und ohne Migrationshintergrund ihre Vorstellungen, Ängste und Hoffnungen für die künftige Entwicklung der Region. Eine Installation am Ende der Ausstellung gibt den Besuchern die Möglichkeit, ihre Erwartungen für einen Wandel der Region zu zeigen.
Begleitprogramm