"Westfalen im Bild" - Texte

Frick-Lemmer, Gundi
Alltagsleben der Sachsen
Münster, 1985




Einführung

Die Sachsen werden 150 n. Chr. erstmalig in den schriftlichen Quellen als ein im heutigen Schleswig-Holstein beheimateter Stamm erwähnt. Die Ableitung des Namens vom altsächsischen Wort 'Sahsun', das "die mit einem kurzen Schwerte", dem Sax, Bewaffneten bedeutet, und die Erwähnung des dem Stamm besonders verbundenen Gottes Saxnoth erlauben den Schluß, daß es sich um einen kriegerischen Kultverband handelte. [1] Gegen Ende des 3. Jahrhunderts und während des 4. Jahrhunderts sind Sachseneinfälle in nordgallischen Küstenlandschaften (Belgien, Nordfrankreich und England) überliefert; im 5. Jahrhundert kommt es zur Landnahme der Sachsen, Angeln und Jüten in England. Die Sachsen treten nicht nur als Eroberer und Plünderer in Erscheinung, sondern sächsische Kontingente finden sich auch als Söldner in der römischen Armee seit der Mitte des 3. Jahrhunderts. [2] Während noch im 4./5. Jahrhundert das sächsische Herrschaftsgebiet von der Nordseeküste landeinwärts Teile Schleswig-Holsteins und das heutige Niedersachsen umfaßte, breiteten sich im 5./6. Jahrhundert im Zuge weiterer Völkerwanderungen die Sachsen gegen Thüringen und nach Südwesten in den westfälischen Raum aus. Mit der Eroberung der zum fränkischen Reich gehörenden Stämme zwischen Lippe, Ruhr und Ijssel standen die Sachsen dem fränkischen Reich Anfang des 8. Jahrhunderts politisch selbständig gegenüber. [3]

Verschärft wurde dieser Herrschaftsanspruch von Franken und Sachsen durch die religiöse Frage. Das fränkische Königshaus hatte schon unter Chlodwig im Jahre 496 das Christentum angenommen, aber noch bis in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts waren weite rechtsrheinische Gebiete und Belgien heidnisch. Erst das seit 690 eingerichtete Utrechter Missionszentrum für die südlichen Niederlande und für das Niederrheingebiet bis zur Lippemündung sowie die von Bonifatius eingeleitete Missionierung in Hessen und Thüringen führten zur Christianisierung. Das Vordringen der heidnischen Sachsen in diese Gebiete suchten die Franken abzuwehren. Schon unter Pippin und Karl Martell begannen sie die Rückeroberung verlorengegangener Territorien und die Unterwerfung der Sachsen. Sie konnten sich aber nicht dauerhaft gegen die Sachsen durchsetzen. Erst Karl dem Großen gelang die Eingliederung des sächsischen Stammesraumes in den fränkischen Herrschaftsbereich, nachdem er mit Unterbrechungen mehr als 30 Jahre (772-804) gegen die Sachsen Krieg geführt hatte. Partielle Aufstände und Unterwerfungen während dieser Kriegsjahre deuten darauf hin, daß von einem geschlossenen sächsischen Stammesverband während dieser Zeit nicht gesprochen werden kann. [4]

Die Fränkischen Reichsannalen überliefern für das 8. Jahrhundert zur Zeit des von Karl dem Großen geführten Krieges gegen die Sachsen die Namen von drei Teilstämmen: die Westfalen unter der Führung von Widukind, die Engem unter der Führung von Bruno und die Ostfalen unter der Führung von Hassio. Diese Teilstämme traten als Heeresverbände auf, als Einheiten, die unter einem Führer in den Krieg zogen, der der führenden Adelsschicht angehörte. Im Zuge des Krieges wurden Sachsen deportiert und Franken auf sächsischem Boden angesiedelt. Die Einführung eines sächsisch-fränkischen Volksrechtes, die Errichtung von Klöstern, Königskirchen und Missionsbezirken diente der Festigung - der durch Zwangsbekehrung vollzogenen Annahme - des Christentums und somit der Sicherung der fränkischen Herrschaft. Mit der Eingliederung in das fränkische Reich hatten die Sachsen ihre politische Unabhängigkeit verloren; als politisch wirksame Kraft treten sie mit der Erhebung des Sachsen Heinrich I. zum (ost)-fränkischen König im Jahre 919 wieder in Erscheinung.

Die Sachsen waren bis zu ihrer Unterwerfung durch die Franken kein in sich geschlossener Stamm, sondern ein Zusammenschluß aus Stämmen ganz verschiedenen Ursprungs mit eigener Vorgeschichte. Die föderative Grundlage des sächsischen Großstammes tritt noch in karolingischer Zeit auf und zeigt sich in der verhältnismäßigen Selbständigkeit der sächsischen Heerschaften. Sie dokumentiert sich aber auch im Charakter der Volksversammlung in Marklo (an der Weser?), die durch die 'Vita Lebuini', der Lebensbeschreibung des heiligen Lebuin aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, überliefert ist:
"Einen König hatten die alten Sachsen nicht, sondern über einzelne Gaue waren Vorsteher bestellt, und es bestand die Gepflogenheit, daß sie jährlich einmal eine allgemeine Beratung im mittleren Sachsen am Flusse Weser und an einem 'Marklo' benannten Ort hielten. Hier pflegten alle Gauvorsteher zusammenzukommen, auch aus jedem einzelnen der Gaue je zwölf Gewählte (Vertreter) der Edlen und ebenso viele der Freien wie der Laten (Halbfreie). Sie erneuerten dort ihre Gesetze, entschieden über die wichtigsten Rechtsfälle und beschlossen in gemeinsamer Beratung, was sie im Verlauf des Jahres in Kriegs- wie in Friedenssachen unternehmen wollten." [6]

Die Vita nennt drei Stände der Sachsen: die Adligen, die Freien und die Halbfreien (Laten oder Liti). Als nicht rechtsfähiger 'Stand' gelten die Unfreien. Die Rechtsquellen des 8. und beginnenden 9. Jahrhunderts, die Elemente sowohl des fränkischen Rechts als auch des älteren sächsischen Volksrechtes aufweisen, zeigen in der Höhe der Strafgelder die rechtlich hervorgehobene Position des Adelsstandes an, während zumindest die Stellung der Freien und Halbfreien in rechtlicher Hinsicht einander gleicht. [7] Der sächsische Adlige war Grundherr; seine soziale Stellung wird durch die Größe seines Landes und seines Reichtums bestimmt worden sein. Grundlage seiner hervorgehobenen Stellung ist das "Herreneigentum an Menschen" [8], also die Verfügbarkeit über Unfreie, die die Bewirtschaftung des Landes, die Viehzucht und den Haushalt sicherten. Die Unfreien lebten in völliger wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit und standen außerhalb der Rechtsgemeinschaft. Der Stand der 'Freien', mit den Merkmalen der persönlichen und rechtlichen Freiheit ausgestattet, bildete die große Masse des Volkes, während sich die Halbfreien in Abhängigkeit von einem Herren, dem sie Zins zu zahlen und Dienste zu leisten hatten, befanden. [9]

Insgesamt war das wirtschaftliche Leben der Sachsen, wie das der anderen germanischen Stämme, bis zum 8. Jahrhundert rein 'bäuerlich' bestimmt. Die Wirtschaft zielte primär in ihrer hauswirtschaftlichen Ausrichtung auf Bedarfsdeckung ab, obwohl sich auch Ansätze einer gewerblichen Produktion herausbildeten. [10]

Drei Jahrhunderte herrschten die Sachsen in Westfalen, bis sie - nach ihrer Unterwerfung durch Karl den Großen - dem Frankenreich eingegliedert wurden. Mit ihnen nimmt die Geschichte Westfalens ihren historischen Anfang.

Diese Bildserie versucht, den Alltag der Sachsen zu verdeutlichen, und damit zugleich die Lebensverhältnisse des frühmittelalterlichen Menschen aufzuzeigen. Beispielhaft werden die Lebensbereiche 'Produktion', 'Wohnen' und 'Religion' untersucht.

Konzipiert ist diese Bildserie sowohl für den Einsatz im Geschichtsunterricht an allgemeinbildenden Schulen als auch für den Sachunterricht in Grundschulen. Im Geschichtsunterricht kann diese Serie im Zusammenhang mit den Sachsenkriegen Karls des Großen eingesetzt werden (Wer, waren die Sachsen? Wie haben sie gelebt?). Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen einen Perspektivwechsel des Schülers, der aus dem Blickwinkel der Sachsen die Frage nach der 'Rechtmäßigkeit' des Krieges neu aufwirft und beurteilt. Die Bildserie kann ebenso im Rahmen der unterrichtlichen Behandlung der Wirtschafts- und Sozialstruktur des Mittelalters (Grundherrschaft, Gefolgs- und Lehnswesen) verwendet werden, da sie grundlegende Informationen zur agrarisch bestimmten Lebensweise des frühen Mittelalters enthält. Als Lerninhalt im Sachunterricht der Grundschule (Soziale Studien) ist sie geeignet, die Schüler mit landesgeschichtlichen Zeugnissen der Vergangenheit bekannt zu machen.


[1] Vgl. A. Genrich, S. 2ff.
[2] Vgl. F. Laux, S. 56.
[3] Vgl. A.K. Hömberg, S. 8f.
[4] Vgl. insges. A.K. Hömberg, S. 9 und S. 19-28.
[5] Die umfangreiche Diskussion um die Entstehung der drei Teilstämme soll hier nicht berücksichtigt werden, dazu auch: A.K. Hömberg, S. 13.
[6] Zit. nach A. Genrich, S. 84.
[7] Vgl. M. Last, S. 451.
[8] F. Lütge, S. 23.
[9] Vgl. M. Lintzel, S. 355 u. S. 368-375. Die Entstehung des Standes der Unfreien wird darauf zurückgeführt, daß die Sachsen die Angehörigen der unterworfenen und eingegliederten älteren Germanenstämme zwar in die Rechtsgemeinschaft einbezogen, ihnen aber nur eine mindere Rechtsstellung einräumten. Vgl. dazu F. Lütge, S. 43.
[10] Vgl. F. Lütge, S. 18f. und S. 43f.




Westfalen im Bild, Reihe: Vor- und Frühgeschichte in westfälischen Museen, Heft 3