"Westfalen im Bild" - Texte

Burgholz, Dieter
Markt und Jahrmarkt in Westfalen
Münster, 1988



Einleitung

Ein Platz, eine Straße, Stände, Körbe, Bauern und Händler, Käufer und Gaffer - ein buntes Treiben: Markt. Wohl kaum ein anderes Bild läßt sich in Ost und West, Nord und Süd mit diesen wenigen Worten anschaulicher vor die Augen eines Zuhörers zaubern. Unverkennbar und weltweit gleich sind die Gesten der Beteiligten: Anpreisen, Prüfen, Zögern, Wählen, Wiegen - schließlich Kauf und Zahlung. Ob im 17. Jahrhundert in den bewunderten Pariser Markthallen, auf Münsters bescheidenerem Prinzipalmarkt oder heute in Peking; hinter dem Zeit- und Lokalkolorit erscheint der arbeitsteilig wirtschaftende, aus der reinen Selbstversorgung herausgetretene Mensch.

Vor allem der Handel mit Nahrungsmitteln auf den städtischen Wochenmärkten veranschaulicht eindringlich diese Herauslösung aus der reinen Selbstversorgung. Zug um Zug verstärkt weltweit die Trennung von Stadt und Land, die Herausbildung bäuerlicher und städtischer Lebensweisen eine Arbeitsteilung, in der dem "platten Land" die Ernährung der Stadtbürger überantwortet wird, die Stadt jedoch zum bevorzugten Sitz von Handwerk, Gewerbe, Handel und Verwaltung heranwächst.

Hatte in Nordeuropa der Ansturm der Germanen den Untergang der römischen Stadtkultur verursacht, so erlebte vor allem das Hochmittelalter wieder eine beeindruckende Ausbreitung städtischen Siedlungen. Schnittpunkte von Handelswegen, Flußübergänge oder der Schutz durch Burg oder Kloster bestimmten vor allem im Frühmittelalter oftmals die Tage der Keimzelle der späteren Städte, bevor die Landesherren das Städtenetz durch planvolle, manchmal auch mißlungene Stadtgründungen zu ergänzen suchten.

Welche maßgebliche Bedeutung die unmittelbare ländliche Umgebung, der bäuerliche Versorgungsgürtel für die Ernährung dieser neugewachsenen Städte hatte, zeigt ein Blick auf die geographische Lage der Ansiedlungen. Geringe Agrarerträge hemmten die Ausbreitung vor allem in ausgedehnten Moor-, Bruch- und Heidelandschaften, sowie in den zahlreichen Gebirgszonen Mitteleuropas, sofern nicht durch die Ausnutzung natürlicher Wasserwege die Probleme der Warenzufuhr gemildert werden konnten. Allein auf den mühsamen Landwegen des Fernhandels waren die benötigten Getreidemengen, das Hauptnahrungsmittel, nicht heranzuschaffen. Hier konnte erst die moderne Transporttechnik über Kanal, Straße oder Schiene im 19. und 20. Jahrhundert ein Stadtwachstum ermöglichen.

Nur einige, vor allem im Spätmittelalter mehr oder weniger planvoll mit Stadtrecht bedachte Siedlungen konnten sich ohne Hilfe von außen durchbringen. Als Ackerbürgerstädte, als Dörfer mit Stadtrecht behielten sie dann jedoch weitgehend ihren bäuerlichen Charakter. Die größeren Städte blieben von Anfang an auf die Zufuhr von Nahrungsmitteln angewiesen. Hierüber dürfen auch nicht die innerhalb der Stadtmauern bis in das 20. Jahrhundert vorhandenen Ställe oder Schweinepferche hinwegtäuschen. Ihr Ertrag bot allenfalls Zusatzernährung, nie jedoch die hinreichende Grundlage der allgemeinen Verpflegung der Bevölkerung.

Eindringlich wird dies in den Bestrebungen ablesbar, mit denen sich das städtische Regiment um die Versorgung der Bevölkerung mühte. So ist in den mittelalterlichen Stadtrechten das Marktrecht immer wieder an zentraler Stelle erwähnt (Bild 1  Medien). Hier galt es den Lebensnerv der Stadt zu sichern. Zahlreiche Institutionen der Stadtwirtschaft widmeten sich dann auch dieser Hauptaufgabe: der Sicherung der Ernährung der Bevölkerung (Pirenne). Kennzeichnend ist, daß die Stadt sowohl in die Erzeugung, die Verteilung, als auch in die Preisgestaltung der Güter eingegriffen hat. Schaubacken, Verbot des Fürkaufs - des Aufkaufs der Waren vor den Toren der Stadt und vor Eröffnung des Marktes - und Preisfestsetzungen waren traditionelle Marktinterventionen der Kommunen. In der Urbanisierung des 19. Jahrhunderts veränderte der rasche Bevölkerungsanstieg der Städte das Versorgungsproblem in seiner Größenordnung und zwang die Gemeinden, neben den herkömmlichen Einrichtungen neue Institutionen wie Markthallen, Vieh- und Schlachthöfe oder auch Lebensmitteluntersuchungsämter aufzubauen.

In Anlehnung an die traditionelle Bündelung des Lebensmittelangebotes auf dem Markt oder den Scharren, den Verkaufsständen der Bäcker und Fleischer, dachte man, auch zur besseren Kontrolle der Qualität, an eine Konzentration von Verkauf und Produktion. Markthallen sowie Vieh- und Schlachthöfe sind typische Beispiele, wie die kommunale Daseinsvorsorge des späten 19. Jahrhunderts auf schon in mittelalterlichen Großstädten verbreitete Einrichtungen zurückgriff. In den zum Teil programmatischen Artikeln des "Handbuch[s] der Kommunalwissenschaften" von 1924 läßt sich nachlesen, wie weit darüber hinaus die hochfliegenden Pläne mancher Sozialingenieure reichen konnten. In sozialhygienischen Zentraleinrichtungen sollten Schlachthof, Zentralfleischerei und -bäckerei, Milch- und Volksküchen und, zur besseren Ausnutzung der vorhandenen Wasser- und Wärmeinstallationen, auch noch die städtischen Badeanstalten kombiniert werden. Oftmals ist man jedoch noch im Planungsstadium von der wirtschaftlichen Entwicklung überrollt worden. So plante etwa die Stadt Münster noch die Errichtung einer Markthalle, als sich in Berlin schon der Trend zur Ausbreitung der Lebensmittelgeschäfte über die gesamte Stadt durchsetzte und wegen ausbleibender Kundschaft die ersten Hallen schon wieder geschlossen wurden.

Ungebrochene Lebenskraft zeigen hingegen bis heute die jahrhundertealten Wochenmärkte. Ursprünglich in der Stadtmitte, im Zentrum der wirtschaftlichen, administrativen und kulturellen Aktivitäten vollzog sich Woche für Woche die Versorgung der Stadt auf den verschiedenen Marktplätzen und -straßen. An vielen Stellen lebt dies noch in den alten Straßen- und Platznamen fort: Roggen- und Fischmarkt, an den Scharn oder Fleischhauergasse. Neben der reichhaltigen Auswahl und der Frische der Produkte schätzen die Käufer bis heute die Atmosphäre des Markttreibens, die sich den sterilen Verpackungskünsten der "Supermärkte" entzieht. Nur wenige nutzen den Markt noch als Haupteinkaufsquelle, doch birgt ein Marktbesuch - ein kleines Stück "lebendiges Mittelalter" - jedesmal ein wenig Freizeitwert.

1981 ermittelte das "Statistische Jahrbuch Deutscher Gemeinden" den heutigen Bestand an Wochenmärkten in Städten mit mehr als zwanzigtausend Einwohnern: In 443 Gemeinden existierten insgesamt 1.181 Marktplätze, durchschnittlich kommen 31 qm Marktfläche auf je einen Einwohner. Rund 46.000 Marktbeschicker, immerhin noch rund 30 v . H. von ihnen unmittelbare Erzeuger, bieten Woche für Woche ihre Waren an.

Eine andere Entwicklung nahmen die Jahrmärkte und Messen. Sie sind ganz allmählich gewachsene Ausdifferenzierungen auf spezielle Marktformen. So bestand noch in der berühmten Messestadt Leipzig, dem deutschen "Klein Paris", bis in dieses Jahrhundert hinein die Verbindung von Messe, Jahrmarkt und Vergnügung, die bei Goethe und Thomas Mann Eingang in die Faustdichtung fand. Im berühmten Wörterbuch der Gebrüder Grimm ist nachzulesen, daß man die Bezeichnungen "Jahrmarkt" oder "Messe" gleichbedeutend für alle periodischen Marktveranstaltungen verwandte. Schon der Name verrät oftmals die ursprünglich enge Anlehnung der Marktveranstaltung an kirchliche Feste (z.B. die Detmolder "Andreasmesse", der Telgter "Maria-Geburts-Markt", der "Send" in Münster oder die zahlreichen "Weihnachtsmärkte", siehe Bild 9  Medien, Bild 10  Medien, Bild 11              Medien und Bild 12  Medien), die den Besuchern im kirchlichen Jahreslauf eine feste zeitliche Orientierung und einen zusätzlichen Anlaß zum Besuch boten.

Unter den periodischen Veranstaltungen fanden sich Messen für Groß- und Einzelhandel, Jahr- oder Krammärkte von überwiegender Bedeutung für den Kleinhandel und Spezialmärkte wie Woll- oder Getreidemärkte (siehe Bild 7          Medien) für Produkte der Agrarwirtschaft. In Westfalen ist es nicht zur Ausbildung einer bedeutenden überregionalen Messe gekommen. Seine zahlreichen Jahr- und Krammärkte dienten vor allem der gewohnheitsmäßigen Versorgung des städtischen Umlandes mit Gewerbeprodukten (siehe Bild 9        Medien). Als vorindustrielle Relikte dienen sie in unseren Tagen eher dem Vergnügen, da ihre ländliche Versorgungsfunktion in unserem "automobilen Jahrhundert" durch die stets erreichbaren Einzelhandelsgeschäfte der Nachbarstadt abgelöst wurde.

Das vorliegende Heft eignet sich zum Einsatz im Geschichts- und Geographieunterricht, bzw. der Wirtschafts- und Sozialkunde. Durch Auswahl der Bilder oder Schwerpunktsetzung ist eine Verwendung in allen Jahrgängen der Sekundarstufe I denkbar, da viele Motive unmittelbare Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt auch jüngerer Schüler bieten. Unterrichtsbegleitend sind stadtkundliche Exkursionen (Straßennamen und Marktplätze), ein Blick in das kommunale Archiv, ein Besuch bei der örtlichen Marktaufsicht oder der vergnüglichere Bummel über einen der vielen in Westfalen abgehaltenen Märkte und Jahrmärkte denkbar. Zwischen all den Ständen, Händlern und Käufern läßt sich dann erleben, wie faszinierend das alte Spiel von Angebot und Nachfrage, die Wurzel unserer "Marktwirtschaft", auch heute noch ist.




Westfalen im Bild, Reihe: Westfälische Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Heft 4