"Westfalen im Bild" - Texte

Killing, Anke
Historische Rathäuser in Westfalen
Münster, 1995



Stadtentwicklung in Westfalen

Im Hochmittelalter, als sich das Bürgertum in großen und auch in kleineren Städten aus der Bindung an den Stadtherrn befreit und eine weitgehende wirtschaftliche, politische und rechtliche Selbstverwaltung erreicht hatte, gab es seinem neuen Selbstbewußtsein in dem Bau von Rathäusern sichtbaren Ausdruck. In Westfalen sind bis heute zahlreiche historische Rathäuser aus dieser und späterer Zeit erhalten geblieben. Die Bildserie stellt 24 ausgewählte Beispiele vor, um - vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der jeweiligen Stadt - die Vielfalt des Erscheinungsbildes, bautechnische Merkmale und zeittypische Bauformen aufzuzeigen.

Um die Entstehungszeit der Städte darstellen zu können, hat Carl Haase 1960 eine bis heute gültige Definition des Stadtbegriffs geliefert. lm Gegensatz zur älteren Forschung, die überwiegend von der Verleihung städtischer Rechte ausging, ist Haases Stadtbegriff durch ein "Bündel von Kriterien" [1] bestimmt, welches je nach Region und Zeit verschieden zusammengesetzt ist. Basierend auf diesem variablen Kriterienbündel erarbeitete Edith Ennen eine "Grundkonzeption der Stadt" [2], deren Merkmale ebenfalls in Wechselwirkung zueinander stehen: Die mittelalterliche Stadt hob sich mit ihrem äußeren Erscheinungsbild deutlich von dem umgebenden Land ab. Die inneren Struktur wies eine ständig geordnete Gesellschaft auf, die beruflich spezialisiert und stark von Handel und Gewerbe geprägt war. Vom agrarischen Umland unterschied sich die städtische Bevölkerung durch eine besondere Rechtsstellung, wodurch die Stadt eine hohe Anziehungskraft auf die Menschen ausübte, wie der Ausspruch "Stadtluft macht frei" erkennen läßt. Die Bürger waren aus der Verfügungsgewalt des Grundherrn befreit und besaßen je nach Grad der städtischen Autonomie das Recht auf Selbstverwaltung, eigene Gerichtsbarkeit und Besteuerung, Markt-, Zoll-, Münz- und Befestigungsrecht. Zudem war die Stadt ihrer Funktion nach ein zentraler Ort. Sie war wirtschaftlicher Mittelpunkt, aber auch auf politisch-administrativem oder kulturellem Gebiet konnte die Stadt eine führende Position einnehmen.

In Westfalen begann der städtische Entwicklungsprozeß um das Jahr 800 mit der Eingliederung der germanischen Sachsen in das Frankenreich durch Karl den Großen. Während einer ersten Periode entstanden die Städte Dortmund, Soest, Paderborn, Höxter, Münster und Minden. Den Ausgangspunkt dieser Städte bildete ein vorstädtischer Kern wie die neu eingerichteten Bischofssitze in Minden, Münster und Paderborn sowie die Königshöfe in Dortmund und Soest, während Höxter von seiner ausgesprochen günstigen Lage an einem Brückenübergang der Weser profitierte. Innerhalb der ummauerten Domburgen bzw. Königshöfe siedelten sich Händler und Handwerker an, von denen das weitere Wachstum ausging. Aufgrund der günstigen Verkehrslage dieser Orte - Dortmund, Soest, Paderborn und Höxter lagen am Hellweg, der wichtigsten Fernstraße zwischen Rhein und Elbe, zudem gewann seit dem 12. Jahrhundert mit dem Aufblühen des Nord- und Ostseehandels auch eine nördliche Route vom Rhein über Münster, nach Osnabrück und Minden große Bedeutung - entstanden bis ins 11. Jahrhundert in unmittelbarer Nachbarschaft Kaufleute- und Marktsiedlungen.

Im 11. und 12. Jahrhundert entwickelten sich die vorstädtischen Siedlungen allmählich zu mittelalterlichen Städten. Am Ende des 12. Jahrhunderts besaßen fast alle eine Befestigung, welche die verschiedenen Kerne verband und vom umgebenden Land trennte. Zugleich war in den Städten eine neue bürgerliche, überwiegend aus Kaufleuten bestehende Führungsschicht entstanden, die eine planmäßige Wirtschaftspolitik betrieb und zusammen mit den adeligen Familien die Stadtregierung bildete. Für die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts ist in jeder Stadt ein Rat bzw. in Münster ein Schöffenkolleg belegt, und es erfolgten erste Aufzeichnungen der städtischen Rechte, die bis auf jene von Höxter bedeutende Vorbilder für später gegründete Städte darstellten, so daß meist an Territorial- und Diözesangrenzen gebundene Stadtrechtsfamilien entstanden. Sowohl ihrer geographischen Ausdehnung als auch ihrer wirtschaftlichen Stellung nach zählten die genannten Städte bis in das 19. Jahrhundert zur Spitzengruppe in Westfalen. Sie gehörten beinahe ausnahmslos zu den frühesten westfälischen Münzstätten und entfalteten sich zu bedeutenden regionalen Handelsplätzen sowie zu Hauptstädten der westfälischen Hanse.

Mit dem Sturz Heinrich des Löwen im Jahr 1180 endete in Deutschland die Zeit der traditionellen Stammesherzogtümer. An Heinrichs Stelle übernahmen zahlreiche kleine Territorialfürsten die Herrschaft, die auch in Westfalen bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts die treibende Kraft bei den Städtegründungen wurden. Sie hatten den Nutzen der Stadt als Festung und zur Intensivierung ihrer Herrschaft sowie zur Verbesserung ihrer Finanzen erkannt, da eine günstig gelegene Handels- bzw. Fernhandels- und Gewerbestadt hohe Einkünfte aus Abgaben für Markt, Zoll, Münze und Gericht für den Stadtherrn abwarf. Gleichzeitig muß das starke Wachstum der Städte vor dem Hintergrund einer nach 700 beginnenden und mehrere Jahrhunderte andauernden Bevölkerungszunahme und vor einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung durch den Fern- und Nahhandel gesehen werden.

Carl Haase hat die weitere Entstehungsgeschichte der westfälischen Städte bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts in verschiedene Perioden unterteilt. [3] In dem Zeitraum vom Ende des 12. Jahrhunderts bis etwa 1240 stieg die Zahl der Städte stark an, wobei zwei Gruppen zu unterscheiden sind. Einerseits entwickelten sich ältere, gewachsene Siedlungen - beispielsweise Herford während dieser Zeit zur Vollstadt, andererseits wurden teilweise in Anlehnung an bestehende Siedlungen Städte - wie die Neustadt von Lemgo gänzlich neu gegründet und angelegt. Neben den Edelherren von Lippe, die Herford, Lippstadt und Lemgo errichteten, gründeten die Erzbischöfe von Köln unter anderen die Städte Brilon, Rüthen, Attendorn und Recklinghausen, die Bischöfe von Münster Coesfeld, Warendorf und Bocholt sowie die Herren von Brakel die gleichnamige Stadt. Die überwiegende Zahl dieser Städte besaß mit 20 bis 50 ha Flächenausdehnung im Mittelalter die Größe von Mittelstädten. Nach wie vor war die Wahl ihres Standorts in erster Linie von der Verkehrslage bestimmt: Sie erstreckten sich fast alle an bedeutenden Handelsstraßen, nahmen am Fernhandel teil und verfügten, wie die Städte der ersten Periode, über eine Stadtmauer.

Von der Mitte bis zum Ende des 13. Jahrhunderts wurden überwiegend Städte gegründet, deren weitere Entwicklung ausblieb. Diese Zwerg- und Kleinstädte dienten in einer Zeit verstärkter territorialer Auseinandersetzungen vornehmlich als Burg bzw. Festung zur Sicherung von Grenzen oder als Verwaltungssitz. Daher trat die Verkehrslage als Standortfaktor zugunsten einer besonderen Schutzlage, z. B. auf einem Bergsporn, zurück, obwohl diese oftmals eine künftige Ausdehnung der Städte unmöglich machte. Zudem waren jene Städte stark befestigt, und der Einzugsbereich ihres Marktes beschränkte sich meist auf die nähere Umgebung, während der Regional- und Fernhandel eine geringere Rolle spielte. Auch in dieser Periode taten sich der Erzbischof von Köln, die Bischöfe von Paderborn, Minden und Münster - letztere errichteten unter anderen die Städte Horstmar und Haltern - bei den Neugründungen besonders hervor. Ebenso schufen die Edelherren von Lippe mit Blomberg und Detmold zwei weitere Städte in ihrem Territorium.

In der Zeitspanne vom Ende des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts trat neben die Festungskleinstädte mit der Minderstadt (Freiheit, Wigbold) ein neuer Stadttyp. Oftmals erhielt diese im Gegensatz zur voll ausgebildeten Stadt nur eingeschränkte städtische Rechte. Sie war meist nicht ummauert bzw. besaß als Befestigung nur einen einfachen Erdwall mit einer Palisade und gewährte daher nur einen geringen Schutz. In der Regel lag die Minderstadt an eher unbedeutenden Straßen, und das Marktgeschehen konzentrierte sich ausschließlich auf das umgebende Land. Neben zahlreichen Gründungen der Erzbischöfe von Köln verliehen der Bischof von Münster z. B. Werne und Schöppingen, die Grafen von der Mark Schwerte und die Edelherren von Lippe Salzuflen den Status von Minderstädten, während die Edelherren von Steinfurt Burgsteinfurt und die Herren von Zuylen Anholt als vollwertige Städte gründeten.

Die tiefe Krise des 14. Jahrhunderts - Hungersnöte und Seuchen traten in ungewöhnlich dichter Folge auf, und Mitte des Jahrhunderts wurden die meisten europäischen Länder von einer Pestwelle überzogen, wodurch die Bevölkerungszahl stark zurückging - führte auch in Westfalen zu einem Wendepunkt in der Stadtentwicklung. Die Städtegründungen nahmen langsam ab, und das Wachstum vieler Städte stagnierte. Auch die wirtschaftliche Situation war einem Wandel unterworfen. Der Fernhandel, von dem besonders die Hellwegstädte profitiert hatten, verlor vor allem aufgrund der Verlagerung der Handelswege in den westeuropäischen Raum an Bedeutung, gleichzeitig büßten viele Städte ihre Nahmarktfunktion ein. Wirtschaftliche Verluste erlitten beispielsweise Dortmund und Soest auch durch die Auseinandersetzung mit den Grafen von der Mark (1388/89) bzw, dem Erzbischof von Köln während der Soester Fehde (1444-1448).

Am Ende des 15. Jahrhunderts war die Krise überwunden, und die Bevölkerungszahl hatte fast den Stand vom Anfang des 14. Jahrhunderts erreicht. Mit dem Anstieg der Bedeutung der Eisengewinnung und -verarbeitung seit dem 13./14. Jahrhundert und deren Steigerung durch den Einsatz von Wasserkraft im Sieger- und Sauerland entwickelte sich vor allem in der Grafschaft Mark ein neuer, industriell geprägter Stadttyp. Diese Siedlungen unterschieden sich jedoch in ihrem äußeren Erscheinungsbild noch nicht wesentlich von den bisherigen Kleinstädten.

Vom Anfang des 16. Jahrhunderts, wo etwa die Grenze zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit liegt, bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges - dem Zeitalter der Glaubenskämpfe - entstanden keine neuen Städte in Westfalen, nur einige Minderstädte wie z. B. Hattingen entwickelten sich zur Vollstadt. Nach 1648 begann vor allem in den preußischen Gebieten, der Grafschaft Mark, Tecklenburg und Minden-Ravensberg, der langsame Obergang zur modernen Landesherrschaft. Die preußische Regierung führte ein neues Stadtmodell, die Akzisestadt ein. Es wurden "geeignete, wirtschaftlich auf Handel und Gewerbe basierende größere Dörfer oder Minderstädte durch einfache Verordnung zu "Städten" erhoben und durch Steuergrenzen gegen das flache Land - wo man statt dessen Handel und Gewerbe einzuschränken suchte - abgegrenzt, ..." [4] Daneben griff der sich ausbildende absolutistische Staat zunehmend zentralisierend in die verwaltungs- und finanzpolitische Verfassung der Städte ein, um auf diese Weise territoriale und landschaftliche Besonderheiten mit dem Ziel einer unumschränkten Herrschaft zu überwinden.

Der wachsende Steinkohlebergbau führte im 17. und 18. Jahrhundert zu einem Aufschwung der Städte im südlichen Westfalen, während das westliche Münsterland sowie das Ravensbergerland unter dem Einfluß der Niederlande eine Zunahme der industriellen und heimgewerblichen Textilproduktion erfuhr. Während des 19. Jahrhunderts entstanden schließlich vor allem im Ruhrgebiet zahlreiche neue Wirtschafts- und Industriestädte, deren kommunales Leben wie auch das der älteren Städte durch die allgemeine Städte- und Gemeindeordnung geregelt wurde, die ähnlich dem mittelalterlichen Stadtrecht bürgerlicher Initiative wieder mehr Spielraum ließ. [5]


Historische Rathäuser in Westfalen

Noch heute ist das Rathaus der Versammlungsort des Rates und gilt als "Sinnbild örtlicher Selbstverwaltung". Das mittelalterliche Rathaus stand fast immer im Zentrum der Stadt, häufig zwischen Marktplatz und Kirche. Zudem hob es sich im späten Mittelalter und vor allem seit der frühen Neuzeit durch eine repräsentative Bauweise oder einen exponierten Standort von den umgebenden Häusern ab. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Rathäuser aufgrund der zunehmenden Differenzierung der Aufgaben der städtischen Verwaltung zu klein, und zudem machte die kommunale Neuordnung in den 70er Jahren in kleineren Städten - wie in Burgsteinfurt und Borghorst - den Bau eines neuen, gemeinsamen Rathauses notwendig. Die im 20. Jahrhundert erbauten Rathäuser liegen meist außerhalb des Stadtzentrums, zwischen Altstadt und Wohn- oder Industrieansiedlungen, und sind als Rathaus trotz ihrer immer noch repräsentativen Architektur kaum erkennbar. Die alten Rathäuser beherbergen heute häufig nur noch stark von der Öffentlichkeit frequentierte Ämter, wie das Standes-, Presse- oder Verkehrsamt, dienen repräsentativen Aufgaben oder werden in wachsendem Maß als Museen oder Kulturzentren genutzt. Viele dieser Rathäuser sind im Zweiten Weltkrieg zerstört und später weitestgehend im Originalzustand wiedererrichtet worden, um an das jahrhundertealte Selbstverständnis des städtischen Bürgertums anzuknüpfen, das sich in den traditionellen Rathäusern manifestierte.

Im Mittelalter war das Rathaus ein "multifunktionales Gebäude" [6], das im Zentrum des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens der Stadt stand. Der damalige Rat war mit weit mehr Kompetenzen als der heutige ausgestattet. Er besaß die gesetzgebende und ausführende Gewalt und übte zugleich - die heutige Gewaltenteilung war im Mittelalter unbekannt - die Rechtsprechung aus. So wurde der Ratssaal, der in der Regel im Obergeschoß des Gebäudes lag, für Rats- und Gerichtssitzungen, aber auch für repräsentative Ereignisse, Empfänge und Festveranstaltungen genutzt. Spätestens seit dem 15. Jahrhundert, im Zusammenhang mit der Entwicklung der bürgerlichen Wohnstube, wurden in den Rathäusern kleine, beheizbare Ratsstuben und Kammern für das Archiv oder die Schreibstube eingerichtet. In vielen Fällen befand sich in ihnen auch das städtische Gefängnis. Gleichzeitig war das Rathaus der Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens der Stadt. In Verkaufshallen im Erdgeschoß wurde Markt abgehalten, und hier waren meist auch Waage, Eichmaße und -gewichte zur Kontrolle des Marktgeschehens untergebracht. Unter der Laube tagte in vielen Städten das Niedergericht, das vor allem Marktstreitigkeiten regelte und andere geringere Vergehen ahndete. Daneben wurde in den Kellern Wein und Bier deponiert; häufig befand sich dort auch ein Ausschank, und in den zum Teil mehrgeschossigen Dachstühlen waren beispielsweise Getreide oder andere Waren gelagert.

Der Grundtypus aller Rathäuser war ein relativ kleiner, zweigeschossiger, rechteckiger Saalbau, der seine Vorbilder wahrscheinlich in profanen Hallen- oder Saalbauten des niederländisch-flandrischen Raumes und in den Kommunalpalästen Norditaliens hat. [7] Das älteste Beispiel in Westfalen war bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg das Rathaus von Dortmund, das im Jahr 1232 errichtet worden ist. [8] In Münster, wie noch in vielen Rathäusern anderer Städte, ist der Saalbau im hinteren Teil des in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts umgebauten Rathauses noch erhalten. Die Fassaden dieser Saalbauten waren entsprechend ihrer Nutzung gestaltet. So befanden sich im Erdgeschoß häufig Arkaden oder Laubengänge und im Obergeschoß eng nebeneinanderliegende Fensterreihen. Das zweite Stockwerk war zunächst meist über eine äußere Freitreppe erreichbar.

Von Beginn an standen zwei Bautypen - das giebel- und das traufenständige Rathaus - nebeneinander, wobei die ursprüngliche Ausrichtung vermutlich von der Einpassung in die jeweilige städtebauliche Situation abhing. Für die später errichteten Bauten waren wahrscheinlich die Rathäuser der Mutterstädte oder die der drei Obergerichtshöfe Westfalens - Dortmund, Soest und Münster - die Vorbilder. So besaß das Dortmunder Rathaus eine giebelständige Gerichtslaube, hinter der eine große Halle lag. Dieser Rathaustyp findet sich auch in Brakel und Münster, wobei Münster zunächst ein traufenständiges Rathaus besaß und bei dem späteren Umbau die Ausrichtung des Gebäudes änderte. In Soest steht ein Anfang des 18. Jahrhunderts neu erbautes, zum Marktplatz gerichtetes, traufenständiges Gebäude, ein Rathaustyp mit hinter der Laube offener oder geschlossener Kaufhalle, der auch in Affendom, Schwerte und Lemgo steht. In den im Einflußbereich von Münster gelegenen Städten lassen sich zwei unterschiedliche Tendenzen erkennen. Zum einen griffen z. B. Steinfurt und Werne die giebelständige Gerichtslaube auf, während sich zum anderen in Haltern und Bocholt ein Rathaustyp mit traufenständiger Laube entwickelte.

Die ältesten erhaltenen Rathäuser in Westfalen sind im späten 13. und 14. Jahrhundert erbaut worden. Die Blütezeit des Rathausbaus lag jedoch im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Zu dieser Zeit hatte sich die städtische Selbstverwaltung voll etabliert, und vor allem kleine Städte errichteten anstelle älterer Vorgänger neue, größere und repräsentative Rathausbauten, während dagegen in anderen Städten seit dem Spätmittelalter die Saalbauten räumlich unterteilt oder wie in Lemgo durch Anbauten ergänzt worden sind. Die im 16. Jahrhundert entworfenen Rathäuser in Anholt, Schöppingen oder Rüthen zeichnen sich durch eine geschlossene Bauweise aus. In Bocholt und in Paderborn besitzen die Rathäuser zwar eine Laube, diese wurde jedoch nicht mehr für Gerichtsverhandlungen genutzt. Hintergrund dieser veränderten Gestaltung war ein Wandel der Funktion der Rathäuser: In ihnen saßen nur noch der Rat und die Verwaltung, und es befanden sich dort die städtischen Repräsentationsräume, aber in ihnen fand kein Markt mehr statt. Häufig ist nun - parallel zum bürgerlichen Wohnungsbau - das Kellergeschoß über Bodenniveau angehoben, wodurch auch das Erdgeschoß mit den Repräsentationsräumen leicht erhöht ist. [9] Alle Geschosse waren in verschiedene kleinere Amtsräume unterteilt und über eine innere Treppe zugänglich.

Die repräsentative architektonische Gestaltung der Rathäuser beschränkte sich zunächst nur auf deren Schauseite; erst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts wurde Wert auf eine entsprechende Innenausstattung gelegt. Wie die Sakralbauten oder Schlösser des Adels war die Architektur des Rathauses dem Wandel der Epochen der Baukunst unterworfen. Neben typischen Bauelementen von der Gotik bis zum Klassizimus finden sich landschaftsspezifische Merkmale wie der münsterländische Dreistaffelgiebel oder die Architektur- und Ornamentformen der Weserrenaissance. Um 1500 wurde die Fachwerkbauweise vor allem in den kleineren Städten als repräsentative Form in den Rathausbau übernommen. Im Mittelalter dagegen waren Fachwerkbauten oftmals aus Prestige- aber auch aus Sicherheitsgründen durch Steinhäuser ersetzt worden. Als Baumaterial wurde in erster Linie Haustein aus westfälischen Steinbrüchen, häufig kombiniert mit Fachwerk, verwendet, nur selten trat seit dem 14. Jahrhundert Backstein als Baumaterial auf.


[1] C. Haase, Die Entstehung der westfälischen Städte, 4. Auflage mit einem neuen Vorwort und kritischen Nachwort (1964), Münster 1984, 8.
[2] E. Ennen, Die Stadt zwischen Mittelalter und Gegenwart, in: Rheinische Vierteljahresblätter 30, 1965, 118-131, hier: 119f.
[3] Vgl. Haase (siehe Anm. 1), 39ff.; M. Balzer, Grundzüge der Siedlungsgeschichte (800-1800), in: W. Kohl (Hg.), Westfälische Geschichte, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des alten Reiches, Düsseldorf 1983, 231-273, hier: 246ff.
[4] Haase (siehe Anm. 1), 180.
[5] Vgl. Ennen (siehe Anm. 2), 433.
[6] J. Paul, Rathaus und Markt, in: Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland, Bd. 4, Katalog der Landesausstellung Niedersachsen 1985, hg. v. C. Meckseper, Stuttgart 1985, 89-106, hier 89.
[7] Vgl. C. Meckseper, Mittelalterliche und frühneuzeitliche Rathäuser in Niederdeutschland, in: Das Rathaus in Höxter, hg, v. G. U. Großmann (Schriften des Weserrenaissance-Museums Schloß Brake, Bd. 7), München/Berlin 1994, 127-146, hier: 131f.
[8] Vgl. E. G. Neumann, Geschichte und Bau, in: H. Apphuhn/E. G. Neumann, Das alte Rathaus zu Dortmund, Dortmund 1968,10-56.
[9] Vgl. Paul (siehe Anm. 6), 97.




Westfalen im Bild, Reihe: Kulturdenkmale in Westfalen, Heft 11