"Westfalen im Bild" - Texte
Vogt, Arnold
Krieg und Gewalt in der Denkmalskunst
Münster, 1994
Einleitung
In beinahe allen Gemeinden des mitteleuropäischen Raumes sind heute Kriegerdenkmäler oder Mahnmäler zu sehen. Sie fallen m Unterschied zu anderen Kunstobjekten in vierfacher Hinsicht auf:- durch ihren durchweg vorteilhaften, publikumswirksamen Aufstellungsort, z.B. in oder bei einer Kirche, auf dem Markt, an einer Hauptstraße, in einem Park oder auf dem Friedhof;
- durch die bei ihrer Errichtung mitwirkenden namhaften Repräsentanten aus Staat, Behörden, Kirchen, Verbänden und anderen Einrichtungen;
- durch ihre Vielzahl; allein im Gebiet der alten Bundesländer wird ihre Zahl auf ca. 100.000 geschätzt;
- durch ihre Symbolik mit existentiellen gesellschaftlich-politischen "Aussagen" über Krieg und Frieden, Gewalt und Tod, Individuum und Gesellschaft.
Die Symbolik der Denkmäler als Identitätsstiftung der Überlebenden und Spiegel des Geschichtsbewußtseins
So gesehen, markieren die Denkmäler einen Kernbereich historischer Identität, denn es geht - kurz formuliert - um Leben und Tod, um Grundlagen individueller und national-kollektiver Existenz, soweit sie bedroht waren oder sind. Dies betrifft im wesentlichen die Folgen und Auswirkungen von Kriegen und Katastrophen, bei denen viele Tote zu beklagen waren. Das dort erzeugte Leid wurde bzw. wird häufig unter ausdrücklicher Berufung auf (vermeintlich?) nationalkollektive Interessen und Beweggründe propagiert und gerechtfertigt. Solche Sinnstiftungen und Identitätsangebote enthalten Aussagen sowohl im Rückblick auf das Vergangene, als auch ebenso mit prospektivem Anspruch. Sie schließen zugleich politische und ideologische Zukunftserwartungen ein, die beim öffentlichen, nationalen Totengedächtnis zur Sprache kommen. Dazu leisten Denkmäler und Gedenkstätten sowie sinnverwandte Bedeutungsträger - Gedenkmünzen (Orden, Medaillen), -blätter, -bücher, -schriften, -tafeln, -gebäude und Gedenkfeiern - einen wichtigen, normativen Beitrag. Sie werden unterstützt durch Predigten, Weiheansprachen und einschlägige gesetzliche Bestimmungen. Unter den zahlreichen Objekten zeichnen sich Kriegerdenkmäler, Mahnmäler und Gedenkstätten wesentlich durch ihre künstlerisch-architektonische Form aus, ferner durch ihre Widmung zur "Ehrung" von Kriegstoten sowie zum Gedenken der "Opfer" gewalttätiger Handlungen. [1]Mit ihrem Symbolcharakter, der aufwendigen, attraktiven Erscheinung inmitten bevorzugter Landschafts- oder Stadtbildgestaltung spiegeln sie das öffentlich vorherrschende Geschichtsbewußtsein. Denkmäler wollen ein maßgebender Wegweiser sein bei der Suche nach historischer und politischer Identität, nach Trost und nach Sinn für Leid und Tod von Gemeinde- und Familienangehörigen. So verknüpft das monumentale Totengedenken individuelle, persönliche Betroffenheit mit kollektiv nationalen, gesamtgesellschaftlichen Belangen. Dabei erfährt die historische Erinnerung an die Toten eine oft ideale, heroische Färbung, die beabsichtigt war, um den Überlebenden ein Beispiel, ein Vorbild und einen Ansporn anzubieten.
Methoden moderner Denkmalsbetrachtung und -dokumentation
Der intentionale Charakter der Denkmäler verweist zugleich auf einen umfassenden "erzieherischen" Anspruch. So verwundert es nicht, wenn Gedenkstätten bzw. Denkmäler an Schulen in verschiedenen Unterrichtsfächern verwandt, in Schulbüchern ausführlich dargestellt und in der Erwachsenenbildung untersucht werden (vgl. auch Museumsausstellungen, kriegskritische Projekte, Führungen, Rundfunksendungen, Bürgerinitiativen). [2] Darüber hinaus bilden sie ein wichtiges Instrument öffentlicher Propaganda, indem sie die Erinnerung an frühere Interessenkonflikte und Gewalttaten an einen ideologischen Kontext binden. Außer "pädagogischen" Aufgaben und der Propaganda sind memorative, religiöse Aspekte des Totengedächtnisses zu erwähnen, weil sich Gedenkstätten auch als Ersatzobjekt für unbekannte oder anderswo gelegene Grabstätten anbieten. Dazu stellen sich Fragen an die volkskundliche Forschung des Totenbrauchtums, ferner Fragen an religiöse, kirchlich-theologische und liturgische Traditionen des Begräbnisses und der Denkmalsweihe und nicht zuletzt auch an das kirchliche Gefallenengedächtnis. Wer schließlich nach Entstehung und Gestaltung einer Gedenkstätte fragt, ist auf historisch-wissenschaftliche, sozial- und ideologiekritische Recherchen verwiesen (vgl. das weite Feld der Stiftungsinitiativen, der Einweihungsfeierlichkeiten, der jährlichen Gedächtnisfeiern). Demgegenüber gilt die äußere Gestaltung primär als Gegenstand der Kunstgeschichte. Neuere Untersuchungen liegen aus der Friedens- und Konfliktforschung vor.Die moderne interdisziplinäre und interinstitutionelle Betrachtung von Kriegerdenkmälern und Mahnmälern setzte sich in der Forschung schrittweise seit den 60er und 70er Jahren durch. [3] Wichtige Anstöße erfuhr die moderne Forschung aus den Anforderungen internationaler Beziehungen, den Neuerungen des "Denkmalschutzes" sowie aus dem innenpolitischen Bewußtseinswandel. Bahnbrechend wirkte auf wissenschaftlicher Ebene Reinhart Koselleck 1976/9 mit umfassend neuen, grundlegenden Forschungsansätzen über "die Herausforderung der Mahnmäler und Kriegerdenkmäler als Identitätsstiftungen der Überlebenden". [4] Er akzentuierte vor allem den ideologischen Charakter der Denkmäler gegenüber künstlerischen, religiösen und volkskundlichen Voraussetzungen des Phänomens. Seine "... Analyse brachte weltweit die Erforschung von Kriegerdenkmälern in Gang" [5], so zum Beispiel am "Bielefelder Zentrum für Interdisziplinäre Forschung". Unter den beteiligten Institutionen war auch die Kasseler "Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V.", die zu Forschungszwecken eigens ein Zentralinstitut und ein Museum für Sepulkralkultur unterhält.
Auf der Grundlage der jüngeren Forschungs- und Ausstellungsvorhaben wurde erstmals eine ganzheitliche, wissenschaftlich-methodisch gesicherte Gesamtbetrachtung der Gedenkstätten möglich. Diese neue Basis ermöglicht zugleich einen Dialog über Grenzen hinweg - zur Verständigung über nationale, ideologisch-politische, religiös-konfessionelle oder sonstige Grenzen hinaus. Erstmals wurde ein Instrumentarium geschaffen, um Strukturen, Interessen und Beziehungen, die dem offiziellen Totengedächtnis zugrundeliegen, in ihren vielfältigen Chancen und Problemen offenzulegen.
Zur Erschließung des Symbolcharakters der Denkmäler im Grenzbereich historisch-politischer, sozial-, kunst- und kulturgeschichtlicher Aspekte werden unterschiedliche Methoden angewandt, wie zum Beispiel die Frage nach dem "Sitz im Leben" der Denkmäler, die Ikonographie und die lkonologie. [6] Für die präzise Erschließung der Denkmäler, ihres Wesens und ihrer Kernaussage wird die thematische Wechselbeziehung von Inschrift, künstlerisch-architektonischer Form und Aufstellungsort zugrundegelegt. [7]
Die "Aussagen" sollen im Kontext aufschlußreicher Dokumente beurteilt werden wie: Reden und Gesetzes- bzw. Verwaltungsvorschriften, offizielle Empfehlungen oder alternative Denkmalspläne, amtliche Verlautbarungen zur gewünschten Rezeption, Festprotokolle, Bestattungssitten, Lieder, Gebete, Predigten und Entgegnungen, Soldatenbriefe und weitere sinnverwandte Objekte (Baudenkmäler, Gedenkliteratur, Orden, Fahnen, Uniformen etc.), Soweit sie mit den "Aussagen" eines Denkmals übereinstimmen, ist dessen ganzheitliche Bewertung und Gewichtung im Spektrum der entscheidenden gesellschaftlichen politischen Interessen und der je nach Standort unterschiedlichen Perspektiven möglich. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Denkmäler erneut als wichtige Zeugen des bei ihrer Errichtung vorherrschenden Geschichtsbewußtseins, als Spiegel gesellschaftlich politischer, kirchlich religiöser und militärischer Wertvorstellungen.
Freilich unterliegen die Denkmäler auch einem Funktionswandel. Denkmäler werden vergessen, verändert und ergänzt oder als anstößig verworfen und zerstört. [8] Auch in diesem Konfliktpotential spiegeln sich Staat und Gesellschaft. Immer wieder werden Denkmäler und Initiativen für neue Entwürfe am Anspruch aktueller, politischer, auch fachwissenschaftlicher Kontroversen gemessen. Von besonderem Interesse erscheinen dabei Fragen nach dem aktuellen Anspruch und dem Stellenwert der Kriegerdenkmäler und Mahnmäler: Sind sie einer rationalen, historisch-kritischen und politischen Kultur verpflichtet? Oder sollen sie eher "die Besinnung auf die gemeinsame Geschichte" bewirken: "...zur Stärkung von Identität... als konsensförderndes Gemeinsamkeitsgefühl und -bewußtsein..., das die Legitimität und die Handlungsfähigkeit (Zukunftsfähigkeit) von Gesellschaften stärkt"? [9]
Alles in allem erweisen sich Denkmäler und Gedenkstätten als Kreuzungs- und Kristallisationspunkt im komplexen Beziehungsgefüge von gesellschaftlich politischen Interessen (u.a. der Stifter), von Wissenschaft und den Adressaten der Denkmalserrichtung. Unter ihnen bestehen enge wechselseitige Verbindungen, die die Gestaltung und Wirkung der Denkmäler und Gedenkstätten in einer Art Perpetuum-Mobile nach folgender Übersicht beeinflussen: [10]
[Übersicht wird noch eingearbeitet]
Quellenkritische Grundlagen für Unterricht, Gedenkstätten- und Archivpädagogik
Im Folgenden werden Kriegerdenkmäler und Mahnmäler als erkenntniskritische "Quellen" zur Bewertung und Sinnstiftung von Krieg und Gewalt vorgestellt. Aus der Typen- und Formenvielfalt sind figürliche Denkmäler ausgewählt worden. Sie sollen in ihrer Kontinuität und in ihrem Wandel anhand der wechselnden "Ehr"- und "Opfer"-Vorstellungen, der Denkmalsintentionen und -entwürfe, der Totenbezeichnungen und Widmungen, der Aufstellungsorte, der künstlerischen Ausdrucksformen und der Stifter und ihrer Widersacher erörtert werden.Die ausführliche Dokumentation der ausgewählten Denkmäler mag zu denkmals- und quellenkritischer Medienarbeit beitragen, zum Beispiel im regionalgeschichtlichen Unterricht. [11] Nach ähnlichem Muster bieten sich andererseits weiterführende, auch archivpädagogische Möglichkeiten, um zusätzliche Denkmäler vor Ort zu erschließen. [12] Besondere Beachtung verlangen dabei
- die wechselnden, historisch politischen Rahmenbedingungen der Denkmalsgestaltung und -errichtung wie umgekehrt
- das aktuelle Bewußtsein gegenüber dem historischen Fragenhorizont der Stifter, schließlich
- die Kontinuitäten und Brüche in der Entwicklung.
Die vordergründigen militärisch-politischen Anlässe der Denkmalserrichtung und die großen kriegerischen und gewalttätigen Auseinandersetzungen und Terrorakte stellen nur die äußeren Rahmenbedingungen. Einige grundlegende Entwicklungslinien werden an den ausgewählten aufschlußreichen Denkmälern, die überwiegend aus Westfalen stammen, deutlich. Sie ermöglichen zudem eine vergleichende Betrachtung zu den für Westfalen so charakteristischen konfessionell-religiösen, ländlichen und urbanen Regionen.
[1] Der Begriff "Ehre" bildet eine zentrale Kategorie der Gedenkstättenentwicklung. Eine militärische "Ehre", d.h. auch Denkmalswürdigkeit, wurde dem gemeinen Soldaten erstmals von den preußischen Reformen in der sogenannten Reorganisationskommission unter Scharnhorst zuerkannt und in umfangreichen, bis in das Privatleben reichenden Bestimmungen, in Strafrecht und -vollzug verankert. Mit dem "Ehr"-Begriff korrespondieren die Begriffe "Helden" und "Opfer" vgl. Manfred Messerschmidt, Die politische Geschichte der preußisch-deutschen Armee, Band 2 (Abschnitt IV, Teil 1) des Handbuchs zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939, München 1979.
[2] Arnold Vogt, Den Lebenden zur Mahnung, Hannover 1993, S. 240f. (mit zahlreichen Unterrichtsbeispielen und Museumsausstellungen).
[3] Martin Bach, Studien zur Geschichte des deutschen Kriegerdenkmals in Westfalen und Lippe, Frankfurt, Bern, New York 1985.
[4] Reinhart Koselleck, Die Herausforderung der Mahnmale, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 257 vom 13.11.1976.
[5] Michael Jeismann, Der Totenkult der Demokraten, ein Pariser Kolloquium über die Erforschung von Kriegerdenkmälern, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 270 vom 21.11.1991.
[6] Reinhart Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Odo Marquard und Karlheinz Stierle (Hg.), Identität, Poetik und Hermeneutik: Band 8, München 1979, Wolfgang Krüger (Hg.), Auferstehung aus Krieg und KZ in der Bildenden Kunst der Gegenwart, Kasseler Studien zur Sepulkralkultur: Bd. 4, Kassel 1986, S. 20-29, S. 199-224 (Mit Beiträgen zur Methode, Formgeschichte, "Sitz im Leben" und "Basis" der Denkmäler), Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Band 1, Heidelberg 1985, S. 17-25, Band 6, Heidelberg 1987, S. 35.
[7] S. Anm. Nr. 6; vgl. Siegmar Holsten, Allegorische Darstellungen des Krieges 1870-1918, ikonologische und ideologiekritische Studien, München 1976.
[8] Harold Macuse, Frank Schimmelpfennig und Jochen Spielmann, Steine des Anstoßes, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in Denkmalen 1945-1985, hg. vom Museum für Hamburgische Geschichte, Hamburg 1985.
[9] Jürgen Kocka, Wider die historische Erinnerung, die Geborgenheit vorspiegelt, Geschichte als Aufklärung oder Geschichte als Identitätslieferantin, in: Frankfurter Rundschau Nr. 2 vom 4.1.1988.
[10] Vgl. dazu Arnold Vogt, Hochschulstudium für museale Vermittlung und Museumspädagogik, 1993 erstmals auch in Deutschland, in: Kölner Museums-Bulletin, Berichte und Forschungen aus den Museen der Stadt Köln, Sonderheft 2-3/1993, S. 81.
[11] Karl Hermann Beeck, Zur Einführung, in: Ders. (Hg.), Landesgeschichte im Unterricht, Band 11 der Schriftenreihe zur Geschichte und Politischen Bildung, Düsseldorf, Kastelaun, Ratingen 1973; Paul Leidinger Landes- und Regionalgeschichte in Geschichtswissenschaft und Unterricht, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik, 12, 1984.
[12] Franz Josef Jakobi, Archive und Geschichtsbewußtsein, zur geschichtsdidaktischen Dimension der Archivarbeit, in: Paul Leidinger und Dieter Metzler (Hg.), Geschichte und Geschichtsbewußtsein, Festschrift Karl Ernst Jeismann zum 65. Geburtstag, Münster 1990, S. 680-704.