"Westfalen im Bild" - Texte

Hebbelmann, Georg
Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal
Münster, 1994



Einleitung

Am 09.03.1888 starb Wilhelm I., Deutscher Kaiser und König von Preußen, im Alter von neunzig Jahren. Bereits am 20.03.1888 forderte der Deutsche Reichstag Reichskanzler Bismarck auf, dem Reichstag eine Vorlage zwecks Errichtung eines Denkmals für den verstorbenen Kaiser zu machen. Möglicherweise wurden dadurch westfälische Reichstagsabgeordnete angeregt, auch in ihrer Provinz ein derartiges Denkmal zu erbauen.

Der erste Anstoß dazu kam aus der westfälischen Stadt Dortmund. Am 16.04.1888 hatte sich die dortige Stadtverordnetenversammlung mit der Frage der Errichtung von Kaiser-Wilhelm-Denkmälern befaßt und die Sorge geäußert, daß eine zu große Anzahl derselben den Bau eines wirklich würdigen Denkmals verhindern könnte. Um dem zuvorzukommen, schlug der Dortmunder Abgeordnete Hösch vor, daß die Provinz Westfalen ein kolossales Reiterstandbild an der Porta Westfalica bei Minden errichten sollte. Am 27.04.1888 verschickte der Dortmunder Oberbürgermeister Schmieding in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Westfälischen Städtetages ein Rundschreiben an alle Mitglieder, in dem er vorschlug, ein Denkmal zu Ehren Kaiser Wilhelms I. zu errichten.

Einen Tag zuvor hatte parallel zur Initiative des Städtetages die Mindener Stadtverordnetenversammlung ein provisorisches Komitee gebildet, das sich dem Bau eines Denkmals für Wilhelm I. bei Minden widmen sollte. Am 30.04.1888 schrieb der Mindener Oberbürgermeister Bleek an seinen Dortmunder Kollegen und schlug diesem einen der beiden Berge der Porta Westfalica als Denkmalstandort vor. Schmieding antwortete, daß er die Denkmalsangelegenheit bereits dem Städtetag, dem Oberpräsidenten, den Regierungspräsidenten, der Provinzialverwaltung und den Mitgliedern des Provinziallandtages mitgeteilt habe, ohne den Vorschlag "Porta Westfalica" zu erwähnen.

In Minden wurde man daraufhin in eigener Sache aktiv. Am 15.08.1888 und 22.08.1888 fanden am Ort Sitzungen statt, in denen das Mindener Denkmalkomitee endgültig konstituiert wurde und Einzelheiten über das auf einem der Portaberge zu errichtende Denkmal diskutiert wurden. Ein weiterer Beschluß des Komitees griff Anregungen aus der Bevölkerung auf: Das Komitee rief am 01.09.1888 zur Errichtung eines größeren nationalen Denkmals für Wilhelm I. an der Porta Westfalica durch die nordwestdeutschen Länder auf. Zu diesem Zweck setzte man sich mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens innerhalb und außerhalb Westfalens (u. a. mit dem Oberpräsidenten der Provinz Hannover, den Bürgermeistern von Bremen und Hamburg sowie den Verwaltungschefs in Oldenburg, Bückeburg und Braunschweig) in Verbindung.

Der Vorschlag, ganz Nordwestdeutschland an dem Denkmalbau zu beteiligen, wurde vom Landeshauptmann der Provinz Westfalen, Overweg, abgelehnt. Es ist daher nicht überraschend, daß der Vorstand des Westfälischen Städtetages am 30.09.1888 beschloß, den Provinzialausschuß zu bitten, ein auf die Provinz Westfalen beschränktes Komitee für die Errichtung des Denkmals zu bilden.

Am 09.10.1888 beschloß der Provinzialausschuß in Lippstadt die Bildung eines Komitees, das auf die Provinz Westfalen beschränkt sein sollte und die Vorbereitungen für die Errichtung des Denkmals unverzüglich zu treffen habe.

Ein letztes Mal stellte Landrat von Oheimb, Vorsitzender des Mindener Denkmalkomitees, auf der ersten Sitzung des Provinzialkomitees einen Antrag, beim Bau des Denkmals mit der Provinz Hannover und anderen Teilen des nordwestlichen Deutschlands zusammenzugehen. Dieser Antrag wurde jedoch abermals abgelehnt. Die Zustimmung der Versammlung fand dagegen ein weiterer Antrag Oheimbs, die gesamte Denkmalfrage dem Provinziallandtag bzw. -ausschuß zu übertragen. Damit war nach neunmonatigen Verhandlungen die Denkmalangelegenheit auf eine zentrale Selbstverwaltungskörperschaft, auf den Westfälischen Provinziallandtag, übertragen worden.

Der Provinziallandtag war neben dem Provinzialausschuß und dem Landeshauptmann ein Organ des Provinzialverbandes (heute: Landschaftsverband Westfalen-Lippe). Seine Geschichte reicht zurück bis in das Jahr 1815. In diesem Jahr wurden mit der "Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden" die dem Königreich Preußen zugesprochenen altwestfälischen Länder zu einer Provinz zusammengefaßt. Getragen von einer starken Verfassungsbewegung ist vor allem das Selbstverwaltungsprinzip in den folgenden Jahrzehnten in der Provinz Westfalen durchgesetzt worden. Maßgeblichen Einfluß auf diesen Prozeß hatte der Reichsfreiherr vom und zum Stein. Eine wichtige Reform war die  Provinzialordnung von 1875, die in Westfalen erst am  01.08.1886 in Kraft trat. Die Provinz wurde aufgeteilt in einen staatlichen Verwaltungsbezirk mit dem Oberpräsidenten als Repräsentanten des Staates an der Spitze und in einen kommunalen Selbstverwaltungskörper, den Provinzialverband. Letzterer war ein Kommunalverband, dessen Mitglieder, die kreisfreien Städte und Landkreise, die Abgeordneten des Provinziallandtages wählten. Vom Provinziallandtag wiederum wurden der Provinzialausschuß und der Landeshauptmann gewählt. Der Landeshauptmann als Leiter der Provinzialverwaltung nahm mit den Landesräten die laufenden Geschäfte wahr. Der in der Regel einmal im Jahr für etwa zwei Wochen tagende Provinziallandtag hatte über den Erlaß von Provinzialstatuten und Reglements zu entscheiden, verabschiedete den Provinzialhaushalt und setzte die Höhe der Provinzialabgaben fest. Seit 1871 mußte der Provinzialverband umfangreiche Verwaltungsaufgaben übernehmen, aus denen sich der Staat zurückzog. Dazu gehörten u.a. der Straßenbau, die Behindertenfürsorge, sozialpflegerische Tätigkeiten und kulturelle Aufgaben.

Der Bau eines Denkmals gehörte eigentlich nicht zu, den Aufgaben des Provinzialverbandes. Was diesen veranlaßte, diese Aufgabe zu übernehmen, läßt sich nicht genau festmachen. Es dürften wohl unterschiedliche Beweggründe gewesen sein. Zum einen wollte die Provinz Westfalen sicherlich zu einer der ersten Institutionen gehören, die ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal errichtete. Zum zweiten beabsichtigte der Provinzialverband wohl, seine Treue und Verehrung für den verstorbenen Kaiser zu demonstrieren, und damit die Verbundenheit mit Preußen und dem Deutschen Reich zu signalisieren.

Möglicherweise spielte der erst zu Beginn der 1880er Jahre beendete Kulturkampf zwischen der Katholischen Kirche respektive den Katholiken und dem preußischen Staat in dieser Frage eine wichtige Rolle. Hatte doch der Kulturkampf besonders in den westlichen Landesteilen Preußens, in Westfalen und dem Rheinland, mit ihrem hohen Anteil an Katholiken zu erbitterten Auseinandersetzungen geführt. Eine unübersehbare Folge dieses Konflikts war das schwer angeschlagene Vertrauen der Katholiken in ihren Staat. Es waren Gräben aufgerissen worden, die erst in Jahrzehnten langsam geschlossen wurden. Dabei hatte die Mehrzahl der Katholiken die Reichseinigung von 1871 jubelnd begrüßt. Was sie in den Augen der protestantischen Preußen und des Reichskanzlers Bismarck aber verdächtig gemacht hatte, war die entsetzte Reaktion der Katholiken auf die Niederlage Osterreichs, der katholischen Vormacht des Deutschen Bundes, bei Königgrätz im Jahr 1866. Außerdem unterstellten die meisten Protestanten den Katholiken, daß sie nur einen "Herrscher" anerkennen, den Papst in Rom. Nach 1871 war diese Haltung für das neu errichtete, mehrheitlich protestantische Deutsche Kaiserreich und dessen Reichskanzler nicht länger tolerierbar. Bismarck hatte schon seit einiger Zeit versucht, die Kirchen und den Staat schärfer voneinander abzugrenzen, um den kirchlichen Einfluß auf die Politik auszuschalten. Das im Sommer 1870 durch den Vatikan verkündete  Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit in Glaubensfragen und die zugleich veröffentlichte kirchliche Ablehnung der Grundsätze des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Liberalismus, ließen den bestehenden Gegensatz zwischen dem preußischen Staat und der Katholischen Kirche zu einem Konflikt eskalieren, dem Kulturkampf. Daß sich die deutschen Katholiken im Kulturkampf auf die Seite ihrer Kirche stellten und jegliche staatliche Repression mit heftigem Widerstand beantworteten, hatte den Verdacht Bismarcks und der meisten Protestanten erhärtet, die Katholiken seien keine "guten Deutschen". Diese Unterstellung hatte die Katholiken immer besonders geschmerzt und schon während des Kulturkampfes und auch danach hatten sie versucht zu beweisen, daß sie sich in bezug auf die Reichstreue und ihr "Deutschtum" von niemandem übertreffen lassen wollten.

Dies war möglicherweise die psychologische Grundlage dafür, daß gerade die Provinz Westfalen kurz nach dem Tod Wilhelms I. ein Denkmal zu seinen Ehren errichten wollte. Nichts konnte sinn- und augenfälliger die Verbundenheit der Provinz zu Kaiser und Reich aufzeigen.




Westfalen im Bild, Reihe: Kulturdenkmale in Westfalen, Heft 8