"Westfalen im Bild" - Texte

Kühlborn, Johann-Sebastian / Bérenger, Daniel / Berke, Stephan
Luftbildarchäologie in Westfalen
Münster, 1989



Einleitung

Unausrottbar haftet der Tätigkeit des Archäologen etwas Abenteuerliches, Besonderes an. Die Faszination geht sicherlich von dem Reiz aus, den die Entdeckungen unbekannter Kulturen in weit entfernten Ländern und reiche Schatzfunde ausüben. Diese allgemein verbreitete Faszination übersieht jedoch den bisweilen mühsamen und auch enttäuschenden Arbeitsalltag des Archäologen, der die aus dem Boden stammenden Funde als Urkunden zu deuten und mit den wenigen verbliebenen Steinen das schillernde Mosaik der Menschheitsgeschichte wieder sichtbar und verstehbar zu machen hat.

Nicht anders verhält es sich im Falle der Luftbildarchäologie! Allein der Begriff weckt Faszination und Abenteuer, obgleich die tägliche Routine nichts davon verspüren läßt. Zudem ist der Begriff "Luftbildarchäologie" im höchsten Maße irreführend, suggeriert er doch, daß vom Arbeitsplatz im Flugzeug archäologische Forschung betrieben oder gar die archäologische Tätigkeit auf der Erde ersetzt werden könnte. Nüchtern betrachtet läßt sich diese Art von Bildflug als archäologische Luftaufklärung umschreiben. Zahlreiche Neuentdeckungen, die dieser Erkundungsweise verdankt werden können, sind erst durch anschließende Schreibtisch- und Grabungsarbeiten offenkundig geworden.

Der Einsatz des archäologischen Luftbildes zählt neben den geophysikalischen Widerstands- und den Magnetometermessungen zu den gängigen Methoden moderner archäologischer Prospektion. Diese Erkundungsmethoden liefern als wertvolle Hilfsdisziplinen im Vorfeld archäologischer Grabungen wichtige Anhaltspunkte über Art und Größe einer archäologischen Fundstätte. Sie können aber nicht die Ausgrabungen und die wissenschaftliche Auswertung der ergrabenen Befunde ersetzen, da erst die Grabungen jene Fülle an verwertbaren Detailinformationen hervorbringen, mit deren Hilfe die Forschung einen archäologischen Fundplatz exakt einordnen und ihn in seiner kulturhistorischen Bedeutung würdigen kann.

Mit Hilfe des Flugzeuges kann der archäologisch geschulte Beobachter die Überprüfung der heutigen Kulturlandschaft nach Zeugnissen vergangener Menschheitsepochen über einen weitflächigen Raum hinweg vornehmen. Künstliche, d.h. vom Menschen verursachte Eingriffe in die natürliche Bodenstruktur, lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen aus der Vogelperspektive leichter verfolgen als auf dem Boden selbst. Diese Bodeneingriffe, ganz gleich, ob sie nun auf einen modernen Pipelinebau oder auf einen in der Jungsteinzeit angelegten Befestigungsgraben zurückzuführen sind, können sich teils im Pflanzenwuchs, teils als Erdverfärbung oder aber auch im Mikrorelief auf der heutigen Oberfläche zu erkennen geben. Nicht wenige der Neuentdeckungen archäologischer Fundstellen in Westfalen sind in den letzten Jahren gerade den archäologischen Bildflügen zu verdanken. Daneben liefert eine kontinuierliche Flugbeobachtung der bekannten Bodendenkmäler manchen zusätzlichen Hinweis über eine größere Ausdehnung des Areals. Darüber hinaus lassen sich in gelegentlich deprimierender Weise die Veränderungen in der Landschaft und der damit einhergehende Zerstörungsprozeß verfolgen, dem die archäologischen Bodendenkmäler durch moderne Bodeneingriffe, etwa durch Straßenbau, Erschließung von Baugebieten, Flurbereinigungen und agrarische Nutzung ausgesetzt sind.

Die Erfindung von Kamera und geeignetem Fluggerät ließ dies alles erst möglich werden, und schaut man auf die allerersten Unternehmungen, dann wird offenkundig, daß die militärische Luftaufklärung als Pate an der Wiege einer sich allmählich entwickelnden archäologischen Luftbildtechnik gestanden hat Die methodischen Grundlagen der archäologischen Luftbildprospektion wurden erst von dem englischen Archäologen Q.G.S. Crawford, der als Pilot der Royal Air Force im Ersten Weltkrieg den Wert dieser Beobachtungsmöglichkeit für die Archäologie erkannt hatte, wegweisend erarbeitet Er analysierte zu Beginn der zwanziger Jahre jene Faktoren, die zur Bildung archäologisch relevanter Luftbildspuren beitragen. Dazu zählen u.a. Besonderheiten im Pflanzenwuchs, schräg einfallendes Licht zur Sichtbarmachung der durch Menschenhand herbeigeführten Unebenheiten an der Oberfläche, die unterschiedliche Bodenfeuchtigkeit sowie die Verfärbung des vegetationslosen Bodens. Nach Crawfords eigenen Worten sei ihm die Entdeckung dieser Gesetzmäßigkeiten im Jahre 1922 gelungen.

Als weiterer Pionier der archäologischen Luftbildforschung ist der Ingenieur G.W.G. Allen zu nennen, der - wirtschaftlich unabhängig - in seiner Freizeit mit dem eigenen Motorflugzeug in den dreißiger Jahren besonders im Gebiet um Oxford unbekannte archäologische Denkmäler aufgespürt hat. Im Gegensatz zu Crawford, der wegen der kartographischen Vorzüge die Technik der Senkrechtaufnahme bevorzugte, arbeitete Allen als erster vorrangig mit der Schrägaufnahme. Allen nutzte die Schatteneffekte zur Sichtbarmachung der archäologischen Denkmäler, die bei Schrägaufnahmen besonders zur Geltung kommen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm diese Beobachtungsmethode, die heute einen hohen Perfektionsstand erreicht hat, ungeahnte Aufschwünge. In stärkerem Maße konnte die deutsche archäologische Forschung - insbesondere die Bodendenkmalpflege - dieses Hilfsmittel nach der Aufhebung des allgemeinen Motorflugverbotes im Jahre 1955 einsetzen. Die Vorreiterrolle übernahm das Rheinische Landesmuseum Bonn, namentlich in der Person des jüngst verstorbenen Archäologen W. Sölter. Seitdem gehört das archäologische Luftbildverfahren zu den unverzichtbaren Erkundungsmethoden, die zur Durchführung einer geordneten Bodendenkmalpflege anzuwenden sind.

Das methodische Handwerkszeug des fliegenden Archäologen hat sich aus der Erkenntnis entwickeln lassen, daß sich fast jede Veränderung der ursprünglichen Bodenstruktur unter bestimmten Voraussetzungen in der Vegetation, in der Beschaffenheit des Bodens an sich und im Oberflächenprofil als archäologischer Fingerabdruck zu erkennen gibt. Hierbei spielen klimatische Verhältnisse, die jeweilige Jahreszeit und der selten vorher zu bestimmende günstige Zeitpunkt, zu dem ein bekanntes oder unbekanntes Objekt gezielt oder zufällig überflogen wird, die entscheidende Rolle.

Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Denkmälergruppen, die aus der Luft erfaßt werden können: Die relativ kleine Gruppe der oberirdisch in starkem oder schwachem Geländerelief erhaltenen Bodendenkmäler und die völlig von der Oberfläche verschwundenen Bodendenkmäler.

Luftbildmäßig sind für die Beobachtung der archäologischen Oberflächenstrukturen hauptsächlich zwei Sichtmerkmale von Bedeutung: Die Schatten- und Schneemerkmale, wobei die Schattenmerkmale, die ein im Bodenrelief erhaltenes Bodendenkmal durch den Kontrast beleuchteter und im Schatten liegender Konturen sichtbar werden lassen, am häufigsten vorkommen. Auf diese Weise zeichnen sich feinste Unebenheiten im Gelände ab, die anders nicht mehr wahrnehmbar wären. Liegt im Winter auf einem derartigen Bodendenkmal eine Schneedecke, dann verstärkt sich dieser Effekt, begünstigt durch die starken Kontraste der tiefstehenden Wintersonne.

Weitaus größer ist die Gruppe der an der Oberfläche unsichtbaren Bodendenkmäler. Überpflügte Grabhügel, eingeebnete Siedlungs- und Bestattungsplätze, Befestigungsanlagen sowie andere auf Menschenhand zurückzuführende Bodeneingriffe sind auf dem Erdboden kaum noch wahrnehmbar, anders aus der Vogelperspektive! Die Ursache hierfür liegt in dem vom Menschen vorgenommenen Eingriff in den Boden, der zu dessen physikalischer und chemischer Veränderung geführt hat. Diese Beeinträchtigungen des natürlichen Bodengefüges geben die Grundlage jeder archäologischen Luftbildprospektion ab. In der Praxis haben sich die sogenannten Bodenmerkmale, Feuchtigkeitsmerkmale, Frostmerkmale und Bewuchsmerkmale als markante Beobachtungskriterien für jene Bodendenkmäler erwiesen, die völlig von der Oberfläche verschwunden sind.

Aus dem Vorherigen wird deutlich, daß die Gegebenheiten im Boden und die klimatischen Verhältnisse die ausschlaggebenden Faktoren jeder archäologischen Luftbildprospektion sind. Trotz dieser "Gesetzmäßigkeiten" hängt der Entdeckungserfolg des archäologischen Flugbeobachters entscheidend von der Spürnase und vom Glück ab. Im rechten Augenblick ein bislang unbekanntes Bodendenkmal, das sich im Jahreszyklus meist nur für wenige Tage, in Extremfällen nur für wenige Stunden zu erkennen gibt, zu überfliegen, entzieht sich jeder Vorausplanung. Da sich fast jede künstliche Veränderung der Bodenstruktur, gleich welcher Zeitstellung, über die Vegetation, die Bodenverfärbung oder das Bodenrelief mitteilen kann, besteht die eigentliche Schwierigkeit darin, archäologisch bedingte Merkmale zu erkennen und bei der Vielzahl an Auffälligkeiten die zahlreiche Spreu vom Weizen zu scheiden. Dabei werden den Beobachtern in der Luft und den Interpreten am Boden detektivische Fähigkeiten abverlangt. Nicht jedes kreisrunde Merkmal ist von vornherein in seinem Ursprung auf das Wirken des prähistorischen Menschen zurückzuführen. Manche dieser Marken können auf gänzlich andere Weise zustande kommen: So frißt und tritt ein auf einer Weide angepflocktes Tier in seinem Aktionsradius regelmäßige, kreisrunde Marken in die Weide, Hexenringpilze und eingeebnete Bombentrichter können genauso in die Irre führen. Beregnungsanlagen hinterlassen noch Tage später verdächtige, kreisrunde Feuchtigkeitsmerkmale. Einer gradlinig verlaufenden Spur in der Nähe von Nottuln konnte man ohne vorherige Kenntnis über den jungsteinzeitlichen Fundplatz nicht ansehen, ob es sich um das Teilstück eines prähistorischen Befestigungsgrabens oder um einen aufgelassenen Feldweg handelt. An Standorten eines Melkwagens auf Kuhweiden bilden sich rechteckige, sogenannte positive Bewuchsmerkmale. Zahlreiche Auffälligkeiten in Getreidefeldern sind in ihrem Ursprung auf heutige Düngemethoden zurückzuführen. Einst gerodete Wallhecken können gelegentlich eine alte, umfriedete Anlage vortäuschen. Geologische Risse im Untergrund lassen an der Oberfläche bizarre, geometrische Muster entstehen, die gelegentlich archäologische Strukturen verdecken können.

Mit der Auswertung eines archäologischen Luftbildes und seiner Interpretation setzt also die eigentliche archäologische Arbeitsweise ein. Durch die enge Kooperation der in der Luft und am Boden arbeitenden Archäologen kann das gewonnene Bildmaterial nutzbar gemacht werden. Im Luftbild festgehaltene Auffälligkeiten müssen durch eine Überprüfung der Fundnachrichten und durch eine Begehung des Platzes nach Oberflächenfunden, wie etwa Keramik, Steinwerkzeuge, Münzen etc. überprüft werden. Nicht selten läßt sich weder vor Ort noch am Schreibtisch das Zustandekommen eines Luftbildbefundes klären. Hier geben erst archäologische Suchschnitte, wie im Falle des jungsteinzeitlichen Erdwerkes von Oberntudorf, die letzte Sicherheit.

(J.-S. K.)




Westfalen im Bild, Reihe: Archäologische Denkmäler in Westfalen, Heft 4