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Das rasante Wachstum der Schülerzahlen durch die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen sowie die Zerstörung von Schulen im Bombenkrieg machen vielerorts den Neubau von Schulen nötig. Das Bild zeigt die Grundsteinlegung der Alexanderschule in Raesfeld 1949 (Ausschnitt) / LWL-Medienzentrum für Westfalen







Aufwachsen in Westfalen

Krisenjahre und Aufbruchsstimmung -
die Nachkriegszeit in Deutschland
1945-1965



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Inhaltsverzeichnis
Veronika Jüttemann /  Einleitung

Thomas Abeler /  1. Von der Not zur Normalität

Adalbert Hoffmann /  2. Kriegskinder

Ursula Janik /  3. Freizeitverhalten von Jugendlichen

Hans-Peter Johannsen /  4. Töchterheim Sonnenwinkel

Edith Kreyenschulte /  5. Vertriebenenkinder

Angela Prinz /  6. "Aufwachsen" im Sportverein

Norbert Schäfers und Roland F. Stiegler /  7. Besatzungskinder

Wilfried Voß /  8. Evangelische Kindheit



 
 




Thomas Abeler

Von der Not zur Normalität: Ernährungssituation und Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen im Westfalen der Nachkriegszeit mit Beispielen aus den Städten Gütersloh und Münster

 
 
 
Anstelle eines Vorwortes das Resume eines Normalverbrauchers zur Nachkriegszeit in zwei Auszügen aus Gedichten meines Onkels, Ernst Zilliken, die er im September 1947 und Juni 1957 ins Gästebuch meiner Eltern schrieb:

Es fuhr ein Vater mit seinem Sohn
Unter Zuständen wie in Babylon
Aus dem Ausland kommend (sprich: Rheinland-Pfalz)
In das hiesige Ausland, wo früher Schmalz
Und Butter und Honig in Mengen flossen
Doch heute ist es auch hier "beschossen".
Der Tomy hat dieses Land befreit
Vom unseligen Geist der Nazizeit
Und zeigt uns nun, was Demokratie,
Doch das dumme Volk begreift es nie:
Hierzu ist nötig ein mehrjähriges Fasten.
Derweil schafft er fort ohne Ruhe und Rasten
Die Kohle, das Holz und viel wertvolle Sachen
Und rechnet uns vor - es ist zum Lachen -,
Wieviel Kalorien wir dürfen verbrauchen,
Ohne unser kostbares Leben auszuhauchen,
Und wieviel wir später ihm sollen blechen
Und das es nun aus mit Feiern und Zechen ...

Münster, 07.09.1947


Von jeher gab es im Münsterland,
Das ist inzwischen doch sehr bekannt,
Auch in den allerschlechtesten Zeiten
Etwas Gutes zum Trinken und Beißen!
Das waren doch Zeiten - vor etwa 10 Jahr -
Als ich auch mit dem Söhnlein bei Euch war.
Damals machte ich ein Gedicht
Bei Korn und Schinken mit schmalem Gesicht!
Zwar scheint mir kann ich dichten noch heut,
Doch dies hat sich geändert ihr Leut':
Wie ein Rohr so schlank ich damals war,
Und heute? Man will es kaum haben wahr,
Da hat der Onkel nach altem Brauch
Einen ganz vollendeten "Onkel-Bauch"!
Aus dem Söhnlein ist ein Sohn geworden,
So trägt man heute auch wieder Orden,
Man fährt nur noch mit dem Automobil,
Und wundert sich, daß es gibt derer so viel.
Starrt abends nur auf den Fernsehschirm,
Zermartert sich auch nachts das Gehirn:
Was man anstellen könnte am nächsten Tag,
Um erhöhen zu können Profit und Ertrag.
Man rast und spurtet, man fliegt und rennt,
Die Grenzen der Länder man nicht mehr kennt.
In Amerika heute und morgen da
Und übermorgen in Afrika!
Man spaltet's Atom und denkt dabei:
Vielleicht kann ich morgen mit Raserei
Erreichen den Mond, den Mars, den Saturn.
Was es soll, weiß ebenso wenig der Wurm,
Der sich immerhin frisst seit viel tausend Jahren
Durch der Erde Krume, um uns zu sagen,
Daß durch sein stetiges Tun und Treiben
Die Erde uns Menschen fruchtbar mög' bleiben.
Auch Krankheiten hat man neue entdeckt:
Manager-Krankheit ist der modernste Effekt.
Daran sterben Menschen wie Fliegen an der Wand,
Früher hat man das nur bei Trierer Knaster gekannt.
Aber dies Treiben hält uns recht munter
Wir nennen es einfach: "Wirtschaftswunder"!

Münster, 10.06.1957
 
 
 
 

1. Einleitung

 
 
 
Bei dem übergeordneten Thema der Gruppe ergab sich für mich die Frage, welchen speziellen Schwerpunkt ich aus der Sicht des Mediziners setzen sollte. Neben dem naheliegenden Fokus zeitspezifische Krankheiten und den Gesundheitszustand fiel beim Literaturstudium immer wieder auf, dass die mangelhafte Ernährungslage mit ihrem Einfluss auf den Gesundheitszustand sowie die Wohnungsnot die entscheidenden Probleme waren, mit denen sich die Bevölkerung der Nachkriegszeit auseinanderzusetzen hatte und von denen Kinder und Jugendliche besonders betroffen waren.

Betrachtet man mit Eric Hobsbawm das 20. Jahrhundert als das der Extreme, so empfinden die meisten Deutschen, die damals erwachsen waren, die Zeit von 1943 bis 1948 als die Zeit des katastrophalen Tiefstands, also nicht erst ab 1945, und die Zeit der 50er und 60er Jahre, die Zeit des Wirtschaftswunders, als positiven Höhepunkt. [1]

Bezogen auf das Thema zeigt sich als Ausdruck der allgemeinen Verschlechterung in der Nachkriegszeit schon 1943 eine Zunahme von Infektionskrankheiten bei gleichzeitig negativer Entwicklung der Infrastruktur des Gesundheitssystems. Auch die Versorgung wird langsam schlechter. Anliegen der Arbeit ist es, unter anderem zu klären, wann die Zeit der Not ein Ende hat und man wieder von einer relativen Normalität im Vergleich zur Zeit vor dem Krieg sprechen kann. Elisabeth Domansky und Jutta De Jong beschreiben zutreffend: "Der Begriff 'Normalisierung' bezeichnet in diesem Zusammenhang den Prozess des Übergangs zu einer relativ geordneten bürgerlichen Gesellschaft, in der Menschen vor unrechtmäßigen Übergriffen des Staates geschützt leben und ein Minimum an wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit genießen." [2]

Ich erwarte dass diese Normalisierung je nach dem einzelnen Thema zu unterschiedlichen Zeitpunkten festzustellen ist.

Die Arbeit stützt sich in erster Linie auf die Archivrecherche in folgenden Archiven:
  • Stadtarchiv Münster, besonders mit den Akten des kleinen Rates und der Sammlung von Kriegs- und Nachkriegsdaten im Statistischen Jahrbuch 1949
  • LWL Archivamt Münster mit Unterlagen zur TBC und dem Kurwesen in Westfalen
  • Stadtarchiv Gütersloh mit detaillierten Datensammlungen einzelner Schulen, mit Wiegelisten, die in den Akten der Stadt Münster nicht zu finden waren, da die Unterlagen des Gesundheitsamtes aus dieser Zeit wahrscheinlich verloren sind.
  • Kreisarchiv Gütersloh mit den Akten der Altkreise Wiedenbrück und Halle
Eine zweite Basis ist die inzwischen vielfältige Literatur zur Nachkriegszeit, die ebenfalls reichliche Archivquellen erschließt. Für diesen Text, der aus der Sicht des Arztes geschrieben ist, spielen medizinische und medizinhistorische Quellen eine entscheidende Rolle, da sie gute Rückschlüsse auf den damals üblichen Stand der ärztlichen Kunst zulassen und so ein lebendiges Bild der medizinischen Möglichkeiten dieser Zeit erschließen. Dabei kann man versuchen, mit den Augen der damals tätigen Ärzte auf die anstehenden Probleme zu schauen.

Die dritte Grundlage für diese Arbeit sind Zeitzeugeninterviews, die, so war ursprünglich die Absicht, das Bild, das sich aus den Archiven ergab, anschaulich machen und neben der trockenen Statistik mehr die private Sicht auf die Zeit erkennen lassen sollten. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen, z. B. in der Sabine Heises, fällt aber auf, dass die Zeitzeugen dieser Befragung 2010 z. T. deutlich jünger sind und wahrscheinlich darum ein insgesamt positiveres Bild ihrer Kindheit zeichnen. [3] Sie führen z. B. aus, keinen Hunger gehabt zu haben, deuten auf der anderen Seite aber an, dass doch Mangel herrschte. Das hängt sicher damit zusammen, dass Kinder vieles als selbstverständlich hinnehmen, weil sie es aufgrund mangelnder Erfahrungen nicht mit anderen Umständen vergleichen können und weil ihre Geschichte aus heutiger Perspektive eine Erfolgsgeschichte ist, die einen guten Sinn haben muss. Vielleicht ist auch ein weiterer Gesichtspunkt wichtig: Die Wahrnehmung ihrer Umwelt ist stark durch die positive Sicht der Jugendlichen auf die Eltern, besonders auf die Mütter geprägt und kann deshalb nicht schlecht gewesen sein.

Davon abgesehen erinnern sich die Zeitzeugen an eine Welt voller Abenteuer und Bewährungsproben: Spielen in Trümmern, besser als jeder Abenteuerspielplatz, schon frühe Beteiligung an den Aufgaben der Erwachsenen wie Hamstern, Schlange stehen, Lebensmittel 'besorgen', Hilfe beim Wiederaufbau, dagegen keine oder zeitlich nur kurze und gering effektive Schule. All dies kann zu einer zu positiven Bewertung einer eigentlich schlimmen Zeit aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen führen. Trotz möglicher Einschränkungen ergeben sich aus den Interviews kleine Details, die schlaglichtartig und gut treffend besonders auch aus privater Sicht die Umstände der Nachkriegszeit beschreiben. Insbesondere die Auskünfte über psychische Beeinträchtigungen, die das ganze Leben spürbar bleiben, demonstrieren die Bedeutung dieser Interviews.

Eine Übersicht über die Zeitzeugen mit ihrem jeweiligen Geburtsjahrgang und dem Datum des Interviews habe ich in den Anhang gestellt. Alle Gespräche wurden in den Wohnungen der Interviewten geführt und aufgezeichnet.
 
 
 
 

2. Ernährungssituation

 
 
 

2.1. Vorgeschichte der Agrar- und Ernährungslage, die Zeit von 1933 bis 1945

 
 
 
Im Rahmen der allgemeinen Kriegsvorbereitungen kommt es bereits ab 1935 zu einer Umstellung der Industrie, schon ab 1933 der Landwirtschaft, nach dem Motto: "Kanonen statt Butter". [4] Als Beispiel ist es der deutschen Uhrenindustrie ab 1938 nicht mehr erlaubt, Damenarmbanduhren zu produzieren, da diese als nicht kriegswichtig angesehen werden. [5]

Sehr stark versucht das NS-Regime auch auf die Agrarproduktion einzuwirken, um Autarkie in der Nahrungsversorgung zu erreichen und damit Mittel für die Kriegsrüstung freizusetzen. Trotz großer Propaganda wird dieses Ziel aber nie völlig erreicht. So muss das deutsche Reich in der Vorkriegszeit bei wechselnden Ernteerträgen Nahrungsmittel wie z. B. Getreide vorwiegend aus Südosteuropa importieren. [6] Gleichzeitig werden aber erhebliche Vorräte angelegt und die Selbstversorgungsrate steigt von 68 % 1928 auf 83 % wenige Wochen vor dem Krieg an. Die Vorräte decken z. B. etwa den Brotbedarf für ein Jahr. [7] Dies ist sicher vorwiegend als Reaktion auf die schlechte Ernährungslage während des Ersten Weltkriegs zu sehen und wichtiger Teil der Kriegsplanung.

Sofort mit Kriegsbeginn werden als Rationierungsmittel Lebensmittelkarten ausgegeben, die die Menschen bis zur Währungsreform und zum Teil noch bis 1950 begleiten. Besonders regelt der Staat hier die Versorgung mit Brot, Nährmitteln, Zucker, Milch, Fleisch und Eiern, während die Versorgung mit Fisch und Gemüse in der Kriegszeit noch relativ frei bleibt.
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Lebensmittelkarten, Raucherkarte, Milchmarken, Brotmarken ca. 1944
 
 
Gleichzeitig mit der Steuerung des Verbrauchs durch Rationierung mit Lebensmittelkarten, die der Bevölkerung zunächst eine vergleichsweise hohe Kalorienzahl von ca. 2.500 kcal pro Tag zusichern, werden während des Krieges Nahrungsmittel aus den besetzten Gebieten, vorwiegend den östlichen Ländern importiert bzw. requiriert. Dies lässt sich leicht an der Versorgungslage der dort lebenden Bevölkerung ablesen, die wegen des Abflusses von Nahrungsmitteln Hunger leiden muss. Dazu muss man noch den 'privaten' Export der deutschen Besatzungssoldaten hinzurechnen.

Kalorienverbrauch pro Tag der Normalverbraucher in Europa 1941 bis 1944

Kalorienverbrauch pro Tag der Normalverbraucher in Europa 1941 bis 1944 [8]

Im Deutschen Reich selbst fallen bereits ab 1940 die landwirtschaftlichen Erträge ab. Der Grund hierfür sind eine Düngemittelknappheit durch die Konkurrenz um Kaliprodukte zur Munitionsproduktion und der Mangel an Maschinen und Arbeitskräften. Nur dadurch, dass im Vergleich zurzeit vor 1937 die Agrarfläche im "Großdeutschen Reich" zugenommen hat, scheinen die Zahlen nicht so problematisch. Der hohe Nettoimport dient dazu Vorräte anzulegen.

Landwirtschaftliche Erträge, Binnenverbrauch und Nettoimport im Deutschen Reich von 1933 bis 1943

Landwirtschaftliche Erträge, Binnenverbrauch und Nettoimport im Deutschen Reich von 1933 bis 1943 [9]

Gleichzeitig findet sich aber besonders 1944 eine deutliche Steigerung der Industrie- und Rüstungsproduktion als Folge der rücksichtslosen Ausnutzung aller Rohstoff- und Arbeitskraftressourcen, Rationalisierungs- und Modernisierungsmethoden. Gerade diese Erneuerung in der Industrie trotz der Bombenschäden ist einer der Gründe für die gute Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie nach dem Kriege. [10] Bis Ende 1944 gelingt es der Staatsführung, den landwirtschaftlichen Produktionsmangel durch Importe zum Teil auszugleichen, wobei die Kalorienzahl aber zum Ende des Krieges auf 1.500 kcal zurückgeht. Rückblickend führt 1949 der Leiter des Wirtschaftsamtes Münster dazu aus:
" ...brachte das dritte Kriegsjahr eine stärkere Senkung um 500 Kalorien auf etwa 1.900 Kalorien, die aber im 4. Kriegsjahr durch Lieferungen aus den besetzten Ostgebieten teilweise aufgeholt wurden ....Die Kalorientafel zeigte wieder 2.100 Kalorien. Danach ist eine stete langsame Abgleitung der Lebensmittelrationen festzustellen, doch repräsentieren Ende 1944 diese immer noch beinahe 1.800 Kalorien. Schon bei diesen im Verhältnis zur Nachkriegszeit verhältnismäßig hohen Rationen war die Unterernährung allgemein" [11]

Auch privat versucht man sich im Ausland zu versorgen. Dies erläutert in seinem Interview Herr M.H. geb. 1942 und bezieht sich dabei auf die 2.000 Briefe umfassende Korrespondenz seiner Eltern während und nach dem Krieg.
Interviewer: "Wo war der Vater?" Herr M. H.: "Der war bei der Eisenbahnflak und daher war er überall, also er hat sehr viel organisiert, wo er etwas kriegen konnte, in Geschäften in Deutschland, aber vorwiegend im Ausland, weil die Versorgungslage oft besser war dort. Hier war schon alles sehr rationiert, während man in Frankreich, in Holland noch Lebensmittel bekam und in Dänemark war er länger." [12]

Auch Frau Dr. Q. R. Jahrgang 1919 beschreibt die Zeit kurz vor Kriegsende:
"Zur Ernährung ... vor 45, da war das schlimm, da war ich in Halle Saale, da wurden die Kinder aufgelesen von der Straße, verhungert und verdurstet, sahen aus wie kleine Äffchen und waren übersät von Furunkulose, das war ein ganz schweres Krankheitsbild ... das waren meistens Flüchtlinge, meistens ausgesetzte Kinder, wo die Mütter wahrscheinlich umgekommen waren, das war ja der schwere Angriff auf Dresden, da waren kolossal schwere Diphtherie- und Scharlachfälle, die alle starben."

Als dann die Wehrmacht weiter zurück gedrängt wird, zeichnet sich die kommende Ernährungskrise bereits ab, obwohl dies für die Bevölkerung auf Grund der Vorratshaltung noch nicht deutlich wird. Ab dem Zeitpunkt des Kriegsendes verschlechtern sich die Verhältnisse dann offensichtlich ganz erheblich.
 
 
 

2.2. Agrar- und Ernährungssituation
von 1945 bis 1950

 
 
 
Die unmittelbare Nachkriegszeit war die Zeit der größten Ernährungsprobleme in Deutschland. Viele Menschen litten Hunger und waren unternährt. Bei der Betrachtung der Nahrungsmittelproduktion und -verteilung in der Zeit vom Kriegsende bis zur Währungsreform muss man jedoch ganz unterschiedliche Aspekte berücksichtigen, die allesamt zur Verschlechterung der Versorgung der Bevölkerung beitrugen.

Rückgang der Agrarfläche und Erträge: Zum einen fällt für die Versorgung der Menschen in Deutschland ein bedeutender Teil, ca. ein Drittel, der Agrarbasis in den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie aus. Zum Zweiten fallen die Hektarerträge seit 1940 bis 1947 deutlich ab. [13] Neben Arbeitskräften fehlt es besonders an Maschinen und Kunstdünger. Um den Arbeitskräftemangel bei der Ernte auch im Münsterland zu mindern und Schüler mit einsetzen zu können, bittet z. B. der Bürgermeister von Saerbeck den Oberkreisdirektor in Telgte am 07.05.1946, die Sommerferien zu verkürzen und die Herbstferien zu verlängern. Dementsprechend dauern die Sommerferien in diesem Jahr nur 23 Tage und die Herbstferien 16 Tage. [14]
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Kinder bei der Kartoffelkäfersammlung Gütersloh 1943; ein vergleichbares Bild aus der Nachkriegszeit lag dem Verfasser nicht vor.
 
 
Besserstellung der bisher benachteiligten Verbraucher: Zunächst sind die Displaced Persons (D.P.) wie Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter im Wesentlichen aus den Gebieten Polens und der Sowjetunion zu nennen, die bisher außerordentlich schlecht versorgt waren. So starben als Folge der schlechten Verpflegung durch das Naziregime während des Krieges z. B. bis zum 01.02.1942 von 3,2 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen 2 Millionen, also knapp 60 %. Im Vergleich kommen im Ersten Weltkrieg von 1,4 Millionen gefangenen Russen 5,4 % um. [15] Jetzt sollen sie bei gleichzeitig forcierter Repatriierung der deutschen Zivilbevölkerung vorgezogen und gut versorgt werden.

Soweit bei Kriegsende die Vorräte der Wehrmacht und des Reichsnährstandes nicht von der Zivilbevölkerung geplündert waren, kommen diese jetzt den D.P. zu Gute. Über diese Plünderungen schreibt Sabine Heise am Beispiel Münsters:
"....zum Kriegsende [ist es] zu Plünderung durch die Bevölkerung gekommen, so z. B. im Ersatzverpflegungsmagazin in Coerde am Karfreitag 1945." [16]

Auch Frau Dr. Q.R. berichtet aus dem Kreis Wiedenbrück.
"...Voigt und Wolf wurde gestürmt, als die Amerikaner kamen. [Fleischfabrik in Gütersloh]

Zunahme der Bevölkerung: Der neben der Reduktion der Agrarfläche gleichzeitige erhebliche Bevölkerungszuwachs resultiert aus Vertreibung und Flucht zunächst der Volksdeutschen aus Ost- und Südosteuropa Ende 1944 und dann im Wesentlichen durch die vertriebenen Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, den östlich der Oder gelegenen Teilen Brandenburgs, sowie den Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei. Dazu kommen in den westlichen Zonen später noch die Flüchtlinge aus der SBZ. Die britische und amerikanische Zone im Westen müssen zunächst etwa zwei Drittel der Vertriebenen aufnehmen, die sowjetische ein Drittel, was relativ zur Bevölkerungszahl und Fläche des Landes ein höherer Anteil ist. Die französisch besetzte Zone nimmt erst später und dann auch nur in geringerem Maße Vertriebene auf. Der Historiker Werner Abelshauser bilanziert:
"Zum Zeitpunkt der Bevölkerungszählung von 1946 lebten 7,1 Millionen Menschen in Westdeutschland, die vor Kriegsbeginn außerhalb der Grenzen des späteren Bundesgebietes gewohnt hatten. Bis 1950 stießen weitere 2,5 Millionen Menschen zu dieser Personengruppe hinzu." [17]


Herkunft der Vertriebenen, modifiziert

Herkunft der Vertriebenen, modifiziert [18]

Zum Verständnis der Lage der Vertriebenen und Flüchtlinge muss noch angemerkt werden, dass diese zunächst nicht in die größeren stark zerstörten Städte ziehen dürfen, sondern oft auf dem Lande untergebracht werden. In dieser Arbeit fällt dies besonders im Vergleich der Städte Münster und Gütersloh auf. In der Stadt Münster, in der über 60 % des Wohnraums zerstört sind, in der Innenstadt um 90 %, besteht bis 1950 ein Zuzugsverbot, so dass der Flüchtlingsanteil zunächst nur 4 bis 5 % beträgt. Am 31.12.1946 werden in Münster 3.644 Vertriebene, das sind 4,1 % der Bewohner, gezählt. [19] In Gütersloh sind es aber über 16 %, da man annimmt, dass dort Verpflegung und Wohnraum leichter zu bekommen sind, als in den weitgehend zerstörten Großstädten und Ballungszentren. [20] Auch im Landkreis Münster sind von 86.000 Personen 65.000 Einheimische, 8.900 Vertriebene, ca. 7.100 Evakuierte aus Münster, 4.700 Evakuierte aus anderen Orten und dazu kommen noch 5.000 Ausländer. [21]

Importbedarf von Nahrungsmitteln: Trotz Zwangsbewirtschaftung und vieler Anstrengungen ergibt sich von Anfang an ein hoher Importbedarf an Nahrungsmitteln, wie es ja auch z. T. vor und während der Kriegszeit war, wobei die anderen europäischen Länder aufgrund der Kriegsfolgen ebenfalls einen Rückgang der Nahrungsmittelproduktion erleiden. Zwar nicht zutreffend, aber trotzdem kennzeichnend für die Stimmung im europäischen Ausland, wird im Rat der Stadt Münster eine Rede des britischen Oppositionsführers W. Churchill, der die Ernährungspolitik der Regierung Atlee angegriffen hatte, referiert: Er habe behauptet, in Deutschland gebe es eine Versorgung bis 2.550 kcal, während einem Engländer nur 1.600 kcal zur Verfügung stünden. [22] Tatsächlich gab es in Westfalen um diese Zeit nur 700 bis 800 kcal pro Person. In einer anderen Sitzung des Münsteraner Rates erklärte Oberst Spottiswoode am 28.02.1946
"...dass Lebensmittelmangel in der ganzen Welt bestehe. Die Militärregierung habe bisher größere Mengen Getreide nach Deutschland importiert, die Lage erfordere es aber, dass dieser Import jetzt reduziert würde. Bis zur nächsten Ernte, deren Ergebnis niemand abschätzen könne, sei wenig Hoffnung auf Besserung. Deutschland sei auf seine eigene Ernte angewiesen." [23]

Lediglich die USA sind in der Lage und ab dem Beginn des Kalten Krieges im Rahmen der Containementpolitik auch willens, die nötigen Mengen zu liefern.
"Ab dem Winter 1948/1949 machen amerikanische Importe rund die Hälfte der in den Westzonen verzehrten Nahrungsmittel aus. Hinzu kommen Dünger und Futtermittel ..." [24]

Zerstörte Verkehrsinfrastruktur: Ein weiteres Problem, besonders im Hungerwinter 1946/1947 ist, dass die in den norddeutschen Häfen liegenden Importnahrungsmittel auf Grund der desolaten Verkehrswege und insbesondere wegen der zugefrorenen Wasserwege nicht die Bevölkerungsschwerpunkte in Westdeutschland erreichen können.
"Die zweite, seit Mitte Dezember anhaltende Kältewelle in diesem Jahrhundert setzte sich auch im Januar fort. Zugefroren waren die Wasserstrassen in Nord- und Westdeutschland, Schneestürme und Schneeverwehungen legten den Eisenbahnverkehr lahm. Bald sprach man vom 'achten Kriegsjahr', denn die Versorgungskrise nahm immer größere Ausmaße an." [25]

Im Nachkriegsdeutschland sind große Teile des Schienennetzes und des Lokomotivenparks zerstört, deutsche Lastwagen sind von Ausnahmen abgesehen auf Grund des Benzinmangels nicht einsetzbar oder ebenfall zerstört. Als Ausnahme lässt der britische Befehlshaber nach der Hungerdemonstration der Krupp- und Zechenarbeiter in Essen im Winter 1946/1947 alle ihm zur Verfügung stehenden KFZ nach Bremen fahren, um Brot zu holen, was dann am nächsten Tag eintrifft. [26]

Geringe Sterblichkeit in Münster von 1945 bis 1948: Auffällig und schwer zu interpretieren sind dabei Zahlen aus Münster, die zeigen, dass die Sterberate bei dieser schlechten Versorgung mit dem Tiefpunkt 100. Zuteilungsperiode April 1947 mit 746 kcal trotzdem niedriger ist, als vor dem Krieg und nach 1949. Außerdem ist ja noch zu berücksichtigen, dass nicht nur Hungersnot herrscht, sondern gleichzeitig ein eklatanter Mangel an Heizmaterial besteht und viele Menschen erfrieren oder an Infekten sterben.
"Historiker schätzen, dass allein in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen an den Folgen von Hunger und Kälte starben. Genaue Zahlen gibt es nicht." [27]

Sabine Heise berichtet aus einem Interview, das sie mit einem damaligen Arzt des Clemenshospitals führte. Herr N. L. geb. 1907 sagte ihr:
"...aber viele litten doch sehr unter Nahrungsmittelmangel, was sehr schlimm war...Nach dem Kriege sind viele Menschen gestorben. Das ist klar. An Unterernährung zuerst, hinterher weil sie keine Abwehrkräfte mehr hatten und somit irgendwelchen Krankheiten erlagen, irgendwelchen Infektionen. Vielfach gab es nach dem Kriege Lungenentzündungen....Es gab viele Todesfälle, wo die Leute wahrscheinlich viel länger hätten leben können, wenn alles an Lebensmitteln dagewesen wäre....Die häufigsten Krankheiten, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit vorkamen waren Magen- und Darmkrankheiten durch Unterernährung und allgemeine Infektionen, Virusinfektionen, Tuberkulosen, die man herauspicken konnte..." [28]

Die geringere Sterblichkeit in Münster mag zum Teil auf die positive Wirkung einer kalorien- und fettarmen Kost zurückzuführen sein, dafür spricht das fast völlige Verschwinden von Herzinfarkt und Schlaganfall aus der Todesursachenstatistik. Wahrscheinlich ist sie aber auch auf eine Änderung der Bevölkerungszusammensetzung nach dem Krieg zurückzuführen, die durch einen großen Frauenüberschuss, Zuzug nur junger Menschen bei Abwesenheit der älteren Generation und eine Übersterblichkeit älterer Personen im Krieg gekennzeichnet ist. Trotzdem spricht für die trotz allem gesünderen Lebensumstände 1947/1948, dass auch die Sterbezahlen in ganz NRW insgesamt relativ niedrig sind.

Sterbefälle in Münster 1934/1938 und 1947/1949

Sterbefälle in Münster 1934/1938 und 1947/1949 [29]


Sterbefälle in Münster 1934/1938 und 1947/1949

Sterbefälle 1949 in NRW, Westfalen und Münster [30]


Für die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen sind allerdings der Hunger und die Gefahr durch Infektionskrankheiten und Unfälle bestimmend. (Siehe Kap. 4.1 und 4.8)

Frau Brigitte N. Jahrgang 1933 erzählt im Interview:
"... Hunger abends im Bett, vor allem morgens, bei uns gab's dann schon Bratkartoffeln, aber dann mit Gerstenkaffee, weil man kein Fett hatte ... und Hunger hat man in diesem Alter ja immer."

Nahrungsmangel, Fehlernährung und Qualitätsprobleme: Neben dem eklatanten Mangel werden immer wieder Qualitätsprobleme der Nahrungsmittel beschrieben. Sehr bekannt ist die Tatsache, dass Brotgetreide durch amerikanische Lieferungen von Mais ersetzt wurde, angeblich als Folge eines Übersetzungsfehlers. In der Geschichte der Stadt Gütersloh findet sich ein Hinweis auf den vermehrten Einsatz von Gerste:
"Das Brot ist durch erhöhte Beimischung von Gerste in seiner Qualität geändert, je nach Vorratslage besteht das Brot heute bis zu 2/3 aus Gerste und 1/3 aus Roggen- oder Weizenbrotmehl ..." [31]

Das daraus folgende Problem besteht im raschen Gewichtsverlust des Brotes, da es durch Feuchtigkeitsverlust mehr Schwund hat. In Münster berichtet der Leiter des Wirtschaftsamtes, Dr. Engelmeyer, am 31.03.1947, zurzeit müsse man mit 90 % Maismehl und 10 % Kleie backen. [32] Schon an dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass neben der Mangelernährung auch eine deutliche Fehlernährung erkennbar ist, die sich aus heutiger Sicht besonders durch den nicht ausgleichbaren Eiweißmangel zeigt. Dieser betrifft ganz besonders die Heranwachsenden, da eine ausreichende Eiweißversorgung eine notwendige Bedingung für das Körperwachstum darstellt. (vgl. Kp.4.1)

Besserung nach der Währungsreform: Die Lage bessert sich schlagartig mit der Währungsreform, was unter anderem daran erkennbar ist, dass im Rat der Stadt Münster die Punkte Ernährungsproblematik ab dem 20.06.1948 immer wieder von der Tagesordnung abgesetzt und nur noch selten behandelt werden, obwohl immer noch über punktuellen oder befürchteten Mangel berichtet wird und die Versorgungslage längst nicht für alle Teile der Bevölkerung ausreichend ist. Hier sind, wie später dargestellt, die Gruppen der Vertriebenen, Flüchtlinge, Evakuierten, Vaterlosen und Ausgebombten als besonders Benachteiligte zu nennen.
 
 
 

2.3. Staatliche Organisation:
Lebensmittelkarten, Normalbedarf, Verteilungsprobleme, Kontrollen

 
 
 
Die Rationierung der Nahrungsmittelversorgung begleitet die Menschen bereits seit Kriegsbeginn. Nach anfänglich gut ausreichenden 2.500 kcal 1939/1940 sind es bei Kriegsende nur noch 1.500 kcal pro Tag in Münster. Die offiziellen Zuteilungen über Lebensmittelkarten liegen dann von 1945 bis zur Währungsreform 1948 immer deutlich unter der Grenze von 2.000 kcal pro Tag mit dem Tiefpunkt in der 100. Zuteilungsperiode April 1947 in Münster mit 764 kcal. Der Beigeordnete und Leiter des Wirtschaftsamtes Münster Dr. Engelmeyer berichtet am 25.04.1947, dass zur Zeit in einer Woche 673 Kalorien pro Tag statt der von der Militärregierung zugesagten 1.500 Kalorien ausgegeben werden könnten, diese enthielten zudem 85 % Kohlenhydrate, gleichzeitig lägen 5.000 ärztliche Atteste für die Notwendigkeit von Lebensmittelzusätzen vor. [33] Die Zahl von 764 kcal als Tiefpunkt der Versorgung bezieht sich auf die gesamten vier Wochen der 100. Zuteilungsperiode, in der letzten Woche dieser Periode sind es nur 673 kcal. Dazu gibt es eine Entschließung des Rates am 25.04.1947:
"Der Rat der Stadt Münster erwartet im letzten Augenblick zur Vermeidung einer unabsehbaren Katastrophe, dass die Besatzungsmacht unverzüglich durchgreifende Hilfe bringt." [34]

Die Lebensmittelkarten kennen fünf Kartengruppen von Verbrauchern und eine besondere Zuteilung für Säuglinge hier mit dem Beispiel 88. Zuteilungsperiode 29.04.1946.

Lebensmittelkarten und Zuteilung 29.04.1946

Lebensmittelkarten und Zuteilung 29.04.1946 [35]


Zulagen gibt es für Schwer- und Schwerstarbeiter, Kranke, Schwangere, und stillende Frauen. Zum Vergleich muss man die heutigen Bedarfswerte für Kinder und Erwachsene heranziehen, um zu realisieren, wie eingeschränkt die Versorgung Heranwachsender schon 1946 war. Die Bedingungen sind ein Jahr später noch viel katastrophaler.

Ernährungsbedarf von Kindern in kcal

Ernährungsbedarf von Kindern in kcal [36]

Ernährungsbedarf bei wenig körperlicher Aktivität von Jugendlichen und Erwachsenen in kcal

Ernährungsbedarf bei wenig körperlicher Aktivität von Jugendlichen und Erwachsenen in kcal [37]

Zeitgenössische Berichte beklagen immer wieder die schlechte Zusammensetzung der Nahrungsmittel, besonders den Fettmangel. Aus heutiger Sicht ist jedoch eher die knappe Eiweißversorgung insbesondere für die Kinder und Jugendlichen von Bedeutung, da bei Eiweißmangel Wachstumsstörungen zu erwarten sind und dieser Mangel nicht durch Ausweichwege im Stoffwechsel ersetzt werden kann (s. u.).

Nahrungszusammensetzung in Gramm 1937 als Normalversorgung, 1939/1940 und 1947 im Vergleich, modifiziert

Nahrungszusammensetzung in Gramm 1937 als Normalversorgung, 1939/1940 und 1947 im Vergleich, modifiziert [38]

In kcal umgerechnet ergäben sich als Tagesmenge 1937 ca. 3.261 kcal, 1947 ca. 1.250 kcal.
Die kcal-Menge 1937 entspricht in etwa dem Bedarf eines Schwerarbeiters, die von 1947, die ja während des Jahres oft deutlich unterschritten wurde, einer heute üblichen Diät mit dem Ziel einer Gewichtsabnahme von 0,5 kg bis 1,0 kg pro Woche.

Wer keine anderen Wege zur Selbstversorgung findet, keine Beziehungen hat oder nicht auf großzügige Zeitgenossen trifft hungert.

Die Zusammensetzung einer Normalkost sähe heute für einen Mann im Alter von 25 bis 59 Jahren bei normaler körperlicher Belastung folgendermaßen aus:
Gesamtbedarf: 2.900 kcal
55 - 60 % Kohlenhydrate = 319- 350g
30 % Fett = 96 g
10 % Eiweiß = 64 g [39]

An dieser Stelle ist es sinnvoll, darzustellen, was die Angaben von Nahrungsmittelbestandteilen auf den Lebensmittelkarten in konkreten Nahrungsmittelmengen bedeuten:
Kohlenhydrate:100 g Roggenmischbrot enthalten ca. 210 kcal, 45 g

KH: 100 g Kartoffeln enthalten 70 kcal, 15 g KH.

Fett: 100 g Margarine enthalten ca. 80 g Fett.

Eiweiß: 100g Rindfleisch enthalten 18 g Eiweiß
100 g Schweinefleisch enthalten 21 g Eiweiß
100 g Quark 20 % enthalten 13,5 g Eiweiß
1 Ei enthält 13,5 g Eiweiß
100 g Kuhmilch enthalten 3,3 g Eiweiß [40]

Neben der Rationierung der Lebensmittel greifen die Städte und Kreise aber auch zu anderen Mitteln, um die Versorgung der Bevölkerung und insbesondere der Kinder und Jugendlichen zu sichern. So werden nach der Einführung von Schulspeisung und Schwedenspeise in Münster in der Stadtküche an der Grevener Straße 19.400 Essen pro Tag gekocht. Davon sind 15.000 Portionen für die Schulkinder bestimmt, 4.000 für Kleinkinder in Kindergärten und 400 für Arbeiter bei der Trümmerräumung. [41] Unter dem Eindruck des besonders schwierigen Winters 1946/1947 beschließt der Rat der Stadt Münster, die Einrichtung von Volksküchen für 30.000 Personen sowie von Wärmestuben. [42] In wieweit diese Pläne umgesetzt werden, geht aus den Ratsakten nicht hervor.

Immer wieder wird über Unregelmäßigkeiten im Umgang mit den knappen Nahrungsmitteln durch städtisches Personal berichtet. Mehrere Ratssitzungen wird über die Unterschlagung/Diebstahl von großen Mengen Schmalz (je 25 kg), die der Küchenleiter gestohlen hat, gesprochen. [43] Später wird ein Abteilungsleiter im Wirtschaftsamt beschuldigt, Bezugsscheine unterschlagen zu haben. [44] 
 
 

2.4. Private Abhilfe

 
 
 
Beim Auswerten der Interviews und der Literatur kann man nur staunen, mit welcher Eigeninitiative die Bevölkerung die Ernährungsprobleme, sicher nur notdürftig, bewältigt. Auffällig ist, dass besonders aus der Sicht damals Jüngerer der Schwerpunkt darauf gelegt wird zu erzählen, mit welchen improvisierten Mitteln man sich 'durchgewurstelt' hat. Daneben ist es erstaunlich, wie wenige der Interviewpartner angeben, tatsächlich Hunger gehabt zu haben, obwohl gerade die Wiegelisten, in die die Schüler auf Grund alliierter Anordnung eingetragen werden, ein anderes Bild ergeben. So berichtet Herr M. H. Jahrgang 1942
"... Da merkte ich aus den Briefen [die sich seine Eltern zur Kriegszeit schrieben], dass die Versorgung hier schlecht war, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, Hunger selbst, weiß ich nicht so, Mutter schreibt, dass sie dies und jenes machen konnte, ich hab immer gut gegessen. Wie diese Wohnung wieder bezogen wurde [gemeint ist die Vorkriegswohnung der Familie], dass sofort wieder der Garten genutzt wurde. Ich habe Spinat gesetzt usw. und die Großeltern auch. Also Opa war noch in Greffen, er besorgte auch. Gegen Naturalien hat er Nachhilfe gegeben, das wurde nachher in der Verwandtschaft geteilt" [der Großvater war evakuierter Lehrer]

Auch zeigt sich, dass tatsächlich nicht alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen betroffen sind. In den Gütersloher Akten finden sich bei stark untergewichtigen Kindern immer wieder Vermerke: Flüchtlingskind, Vater gefallen oder in Kriegsgefangenschaft. [45] Für die abgesonderte Lage der Flüchtlinge in der Aufnahmegesellschaft spricht auch das Interview mit Frau Dr. Q.R., einer damals im Kreis Gütersloh tätigen Ärztin, die einer alt eingesessenen Medizinerfamilie entstammt.
"In die Flüchtlingslager kamen wir nicht rein, das waren alles andere Leute, ob das Ärzte vom Militär waren, die dies versorgten, das weiß ich gar nicht mehr."

Auch die beiden Zwillingsbrüder Heinz und Karl L. Jahrgang 1940 berichten:
"Diese Zeit in Telgte mit den vielen Flüchtlingen, es war ja unglaublich, was da alles reingepackt wurde, dieser Hass der Leute auf die Zugereisten."

Eine ähnliche Lage beschreibt auch Frau Brigitte N., Jahrgang 1933, evakuiert in Delbrück im Kreis Paderborn:
"Wir hatten gar nichts und die Bauern wollten uns nichts geben, den Evakuierten. Ich habe tüchtig gearbeitet in allen Ferien auf dem Bauernhof und zwar nur für ein Abendessen: Puddingsuppe mit Eischnee drauf und Pfannekuchen ... sowohl in den Osterferien als auch in den großen Ferien ... aufgeschrieben was ich da gemacht habe [mit 13 Jahren]: Heu gewendet, Garben aufgestellt, Kartoffeln gesucht und dann immer in so einen Sturzkarren reingekippt, dann Runkeln hacken, endlose Felder mit Runkeln, das war ein riesiger Bauernhof, ein Gut. Abgeerntete Felder, die durften wir später absuchen ... Apfelbäume geschüttelt, Fallobst durfte man mitnehmen, haben wir aufgepasst, dass uns keiner sah, und dann Bucheckern ... und da haben wir einen ganzen Sack voll Bucheckern gesammelt, das war fast ein Zentner und dafür haben wir 16 Liter Öl gekriegt.

Auf dem Lande, die mochten uns nicht, wir hatten ja nichts zu bieten, wenn da jemand kam mit einem Perserteppich ...

... Die Bauern waren wirklich hartherzig" [Frau Brigitte N. erzählt davon wie ihre Mutter zu Verwandten nach Westbevern fährt und dort mit einem halben Liter Milch abgespeist wird.]

... Wenn einer gar nichts hat, dann kann er noch besser abgeben, als wenn einer viel hat. Kann mich erinnern, da hatte einer von irgendwoher Öl bekommen, eine Flasche Öl. Da wurde eingeladen zum Reibekuchenessen, die haben selbst nichts von dem Öl gehabt."

Frau Bernhardine C. Jahrgang 1936 war in Marienfeld evakuiert und hat dort bei einer Bäckerfamilie gewohnt. 1950 nach Münster zurückgekehrt, erzählt sie.
"... Und da hab ich meine ersten Englischkenntnisse angebracht: have you chocolate please ... ja 1946 meine Freundin und ich und dann kriegten wir auch Schokolade ...

Meine Mutter hatte dann eine Wohnung bekommen am Sentmaringer Weg 1945, die war ganz feudal eingerichtet, da hatten nämlich Juden gewohnt, die wurde konfisziert. Und die hatten auch Besteck und ganz feine Gläser, und da ist Oma nach Marienfeld gefahren und hat Besteck und Gläser mitgenommen und hat gehamstert. Oma konnte das alles, die war damals 66 ... die ging hamstern, das konnte die, die konnte platt küren, die hat immer was gekriegt."

Ein Beispiel freundlicher Aufnahme als Evakuierte beschreibt Frau Mechthild S., Jahrgang 1945, in ihrem Interview.
"Solange wir im Behelfsheim in Gimbte waren ... hat die Mutter beim Bauern nebenan geholfen, der Schwiegersohn war Schneider ... bei denen durfte ich mich ständig an den Tisch setzen, ich fühlte mich wie Kind im Hause. Mutter sagte ... die haben uns fast mit durchgezogen."
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Mechthild S. mit Nachbarin 1948. Als diese fotografiert werden soll, stellt sie sich, ohne zu fragen, dazu. Sie gehört einfach zur Familie.
 
 
Auch die Zwillingsbrüder Heinz und Karl L., Jahrgang 1940, die nach der Evakuierung in Bayern im Oktober 1945 in Telgte gelandet sind, empfinden ihre Lage eher positiv.
"... Ich kann auch nicht sagen, dass wir eine Kindheit hatten, die belastend war. ... Also noch mal, wir hatten eigentlich eine ganz unbeschwerte Kindheit, es war für uns ein Kinderparadies. ... Wir haben da in Telgte auf dem Land gewohnt, und es war rundherum für uns Kinder nur schön.

Da ist ein Behelfsheim ... unser Vater ist da einfach eingerückt, .... Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, ein Klöchen, eine winzige Küche, so groß wie ein Badezimmer, kein fließend Wasser, kein Strom, Karbid- und Petroleumlampen.

Vater war arbeitslos, er fing an zu organisieren, Kappes geklaut, dann Kartoffeln, wir haben im Winter bis zu 30 Zentnern Kartoffeln gegessen ... dann haben sie ein Schwein gehalten, über einen Onkel, der Bauer war ... der hat den Leuten das Geld abgenommen, dem sind 100.000 Mark in der Michdüppe kaputt gegangen, weil er das nicht angegeben hatte. [Reichsmark als Bargeld, dessen Herkunft nicht nachgewiesen werden konnte, weil es z. B. Schwarzmarkterlöse waren, wurde bei der Währungsreform wertlos und konnten nicht umgetauscht werden.] ...In einem Pferdeanhänger wurde das Schwein versteckt, von Raestrup gebracht, das wurde im Keller bei W. geschlachtet, wir wurden vergattert.

Hühner hatten wir und Kaninchen.

Unsere Eltern haben für uns oft gehungert."

Frau Anneliese J., Jahrgang 1932, beschreibt die Entlohnung ihrer Großmutter in Form von Naturalien.
"Großmutter hat uns aufgenommen, ging zu den Bauern und nähte gegen Naturalien, so dass wir immer etwas zusätzlich hatten, wenn es gerade mal Speckschwarten waren, die in den Steckrübentopf kamen ... nicht gerade immer reichlich ... satt waren alle. ... und ich weiß, dass ich oft Hunger hatte, und wenn meine Mutter nicht da war, in den Küchenschrank guckte, ob irgend etwas da war, das ich essen konnte.

Aber wir hatten einen riesengroßen Garten mit an die 40 Obstbäumen, bauten selber Gemüse an, also mit Gemüse und Obst waren wir eingedeckt.

... Selber Hunger gehabt? Nicht gravierend, was außerhalb von Obst und Gemüse war: Brot war knapp, wir hatten Beziehungen." [Auffällig sind die doch unterschiedlichen Aussagen zu der Tatsache, ob man Hunger gehabt hat. Siehe auch dazu auch Kapitel 5]

Frau Monika S., Jahrgang 1942, erinnert sich an die Tauschwirtschaft.
"... Und dann ist der [Vater] mit einem Motorroller oder Motorrad immer nur auf Tour gewesen. Der hatte irgendwelche Beziehungen zu Fabriken in Emsdetten, hat dann Garne und solche Sachen mitgenommen und hat getauscht. Wir hatten manchmal plötzlich drei Enten, drei Gänse zu Haus. ... Hatten aber kein Brot."

Ärmliche Verhältnisse, und wie man sich mit 'Kohlenklau' hilft, zeigt das Interview mit Frau Bernhardine C., Jahrgang 1936.
"Wir waren auch arm, meine Mutter war geschieden, lebte allein mit Oma ... sie hatte so ein Herrenjackett, das trug sie alltags, sonntags hatte sie einen umgenähten Soldatenmantel und ich trug sonntags ihre Alltagsjacke ... das empfindet man nicht als so schlimm ...

... meine Oma hat dann Kohlen geklaut, die hatte so einen kleinen Karren, ist nachts mit meinem Bruder zum Geister Bahnhof gefahren, da kamen Kohlen an, und damit das nicht so klapperte, hat sie diese Räder mit Lumpen umwickelt ... da wurden dann Kohlen herunter geworfen ... also die Nachricht bekam sie von Herrn W. der im Rangierbahnhof Lokführer war, der wohnte bei uns im Haus, und dann holte sie sich einen Sack voll Kohlen."

Im Gegensatz zur Isolierung Fremder werden in den Interviews immer wieder Beziehungsgeflechte unter den Einheimischen beschrieben. Man hatte Freunde auf dem Lande, bekam ein Stück Gartenland zur Verfügung gestellt oder kannte den Bäcker oder Fleischer besonders gut.

So erzählt Frau Dr. Else S., Jahrgang 1939:
"... Wir sind in H. geblieben, weil da die Versorgung besser war ... wir hatten einen ziemlich großen halben Pfarrgarten, den meine Mutter bestellte ... alle möglichen Sachen, die wir von den Bauern kriegten, wir konnten Kartoffeln zum Stecken kriegen, wir kriegten alle möglichen Sämereien, wir Kinder hatten sogar unsere eigenen Beete ... wir haben sehr viel aus dem Garten bezogen: Erbsen, Bohnen, Stangenbohnen, Buschbohnen, alles war Geschenk von den Bauern.

... das war 1946 ... wir kriegten Butter von den Bauern, alles so hintenherum, meine Mutter war ganz gut im Organisieren ... ich kann mich nicht erinnern, dass ich Hunger gehabt hätte ... meine Tante hat geschrieben, die uns mal eine Zeit lang besucht hatte ... die hat nach Hause geschrieben, ich hab hier so schrecklichen Hunger."

Über die Möglichkeiten in ländlicher Umgebung am Stadtrand berichtet Frau Helma B., Jahrgang 1945:
"... Wir wohnten ja am Stadtrand und da waren dann auch Bauern, und wenn man da guten Kontakt hatte, so hatte meine Großmutter schon mal geholfen, da irgendwo, die konnte gut kochen, da kriegtest du so Kartoffeln, das ging schon, und wir hatten ja auch einen großen Garten, da hat man sich selber versorgt."

Aus dem Raum Gütersloh erinnert sich die Ärztin Frau Dr. Q. R. Jahrgang 1919:
"Der Ernährungszustand in ... das ging. Sie müssen immer bedenken, die Bewohner hatten alle eine Ziege oder ein Schwein oder eine Kuh im Hinterhaus ... der Ernährungszustand war noch nicht so schlecht, er war nicht optimal ... die kriegten Zusatzkarten und die hatten ja auch alle Gärten ...

Nur die Heizschwierigkeiten waren da, das alle auf die Bahn losgingen und dann nachts Kohlen klauten ...."

Wesentlich in dieser Zeit ist sicherlich die individuell unterschiedliche Fähigkeit zu handeln oder, wie es heißt, zu kompensieren. "Erstaunlich viele Worte bezeichneten Formen des Eigentumswechsels, die nicht im Einklang mit den Gesetzen standen... fringsen, kompensieren, organisieren...Lateinschüler verlängerten die Liste der unregelmäßigen Verben um stehlere, klauo, momopsi, langfingeratum." [46] Man geht auf die Felder, um Kartoffeln nachzulesen. Wenn es möglich ist, liest man auch vor der eigentlichen Ernte und nimmt die Eigentumsverhältnisse nicht ganz so ernst, was dazu führt, dass die Zahl dieser Delikte hochschnellt.

Dazu passend Anmerkungen der Zwillingsbrüder Heinz und Karl L., Jahrgang 1940:
"Zwischen Münster und Warendorf gab es provisorische Stromleitungen an der Bahn entlang, von den Alliierten ...da sind die beiden hingegangen und haben ein Kabel von 400 Metern rausgeschnitten, haben das mit dem Bollerwagen weggeschleppt und haben das erst mal versteckt. ... Sie haben dann von dem Haus aus die Leitung durch den Wald gelegt und bei den Bauern angeschlossen... Irgendwann hat uns Vater aus dem Bett geschmissen, es war nachts ... es hatte einen Gewitterregen gegeben ... da hatten die mit dem Roder Kartoffeln ausgemacht und Vater hat uns gesagt, wir müssen los und Kartoffeln suchen. Da sind wir alle los, die ganze Familie mit dem Bollerwagen und ich sehe heute noch, da war Vollmond, und die Kartoffeln waren durch den Regenguss alle blank, sahen aus wie ein Kiesel, da haben wir in der Nacht sechs Zentner Kartoffeln gesammelt, da war wieder Nahrung da."

Wer kann, benutzt seinen Garten, um Gemüse und Kartoffeln anzubauen. Sabine Heise zitiert eine Interviewpartnerin Geburtsjahr 1928:
"Ein großes Stück Wiese haben wir umgegraben ... Spinat, Erbsen, Kohl, Tomaten usw., Kartoffeln natürlich ... null Fleisch da, kein Fett, und das Brot war auch nicht so ganz reichlich."

Zusätzlich wird von Zuckerrüben, Tabak, Hühnern und eigenen Eiern erzählt, dass man ein Schwein gehalten habe, das mit Muscheln aus der Werse gefüttert wurde. [47] Ein übliches Verhalten ist es, auf Hamsterfahrten zu gehen und bei den Bauern auf dem Lande Lebensmittel zu tauschen oder darum zu betteln.

Von einer besonderen Art einer Hamstertour und der Bedeutung der Naturalwirtschaft erzählt Frau Brigitte N., Jahrgang 1933:
"Was ganz schlimm war: meine Freundin konnte gut singen, und dann sind wir von Bauernhof zu Bauernhof und haben da gesungen ... und ich kann mich an so ein Stück fünf Zentimeter Zwiebelwurst erinnern ... das hatten sie dann uns gegeben. So kriegte man dann immer mal oder so ein kleines Stückchen Speck, also wir haben ordentlich gehamstert.

Da hat mein Vater wieder gearbeitet aber nur gegen Naturalien. Die Bauern hörten, da ist ein Architekt, und die wollen eine neue Scheune bauen ... und dann hat er das gegen Speck und Kartoffeln ...

Dann wurde manchmal bekannt gegeben, dass ein Wagen, so ein Leiterwagen war das, der fuhr dann morgens um fünf oder um sechs Uhr dahin, wo es erlaubt war zu pflücken. Ich kann mich erinnern, dass ich mit meiner Mutter nach Salzkotten gefahren bin, und da haben wir Erbsen pflücken dürfen. Mutter hat jede Menge Erbsen eingekocht, aber die Gläser sind alle hochgegangen ... wir hatten doch gar kein Wasser."[Zum Auskochen der Gläser als Desinfektion]

Ein besonderes Phänomen ist der Schwarzmarkt, hier kann man aus dubiosen Quellen alles kaufen. Gleichzeitig ist der Schwarzmarkt auch der Ort einer legalen Tauschbörse. Die Schwarzmarktpreise sind allerdings für den Normalverbraucher mit einem Monatsgehalt von 130 bis 140 RM unerschwinglich. Es kosten in Gelsenkirchen:
1 Pfund Butter 180 RM
1 Pfund Zucker 60 RM
3 Pfund Brot 60 RM
1 Pfund Kaffee 500 RM
1 Pfund Speck 220 RM
1 Spule Nähgarn 100 RM
2,5 m Stoff 2.000 RM [48]

Zigaretten gelten als Ersatzwährung und kosten je nach Herkunft (Deutschland, England, USA) 7 - 10 RM pro Stück.

Über die Bedeutung der Zigarettenwährung berichtet mein Vater:
"Jetzt halfen uns die Zigarren aus Bünde [dort konnte meine Mutter zu Kriegsschluss eine große Kiste voller Zigarren kaufen, weil sie dort evakuiert war]. Diese tauschten wir gegen deutsche und amerikanische Zigaretten. Ich stellte fest, dass die amerikanischen Zigaretten beliebter waren, und so hatte ich immer zwei Zigarettenetuis in den Taschen, das eine rechts und das andere links. Je nach Notwendigkeit gab ich eine deutsche oder eine amerikanische Zigarette. Damals gab es vergünstigte Baukredite, zu denen uns unser Steuerberater Herr T. verhalf. Allerdings gingen dabei viele von den eingetauschten Zigaretten für Herrn T., der Kettenraucher war, für die Bauarbeiter, die Lieferanten von Zement und Stein sowie für den Architekten Herrn W. drauf." [49]

Wer kein Geld hat, tauscht eigentlich lebensnotwendige Dinge wie Kleidung oder bietet Wertgegenstände wie Uhren, Schmuck, Fotoapparate an, um Nahrung zu bekommen.

Wieder sind bestimmte Bevölkerungsgruppen die Benachteiligten, Flüchtlinge, die nichts zu tauschen haben, sowie die Ausgebombten, die alles verloren haben. (Vgl. Artikel von Edith Kreyenschulte in diesem Buch)
 
 
 

2.5. Schulspeisung

 
 
 
Eine weitere Hilfe zur Bewältigung der Ernährungskrise von Heranwachsenden ist die Schulspeisung, die in Münster im Februar 1946 beginnt, in Süddeutschland und im Ruhrgebiet zum Teil schon 1945, z. B. in Duisburg eine Milchspeisung, kleine Schulspeisung genannt, im Oktober 1945. [50]

Rückblickend berichtet der Stadtrat Hemesath im November 1949 ausführlich über Entwicklung und Stand der Schulspeisung in Münster.
"Die Anfänge der Schulspeisung reichen bis in den November 1945 zurück ... Seine geistigen Väter waren vor allem der Leiter der Abteilung Erziehung und Religion bei der amerikanischen Militärregierung, Herr Prof. Langer und der frühere Präsident der Vereinigten Staaten, Hoover. ... es sei noch einmal rückblickend darauf hinzuweisen, dass in der Zeit der Herrschaft der Ideen des Morgenthau-Planes diese Aktion edler Menschlichkeit ihren Anfang nehmen konnte, ..."

Er führt weiter aus, dass man in Münster schon Ende 1945 eine zentrale Großküche geplant habe, obwohl keiner die Katastrophe der Jahre 1946/1947 geahnt habe. [51]

Die Schulspeisung soll einer besseren Ernährung der Heranwachsenden dienen und besteht in den ersten Jahren bis Ende 1947 vorwiegend aus zwei Komponenten: ca. vier Tage eine Suppe aus Mehl und Erbsen, an zwei Tagen eine süße Suppe aus Keksen und Milch, die etwa 300 bis 400 Kalorien enthalten und sich abgesehen von ihrem Geschmack auch wegen ihrer Eintönigkeit nur einer begrenzten Beliebtheit bei den Kindern erfreuen.
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Schulspeisung, Datierung möglich 1930, wahrscheinlich Nachkriegszeit. Stadtarchiv Münster
 
 
Zur Schulspeisung erzählen die Zwillingsbrüder Heinz und Karl L., Jahrgang 1940, damals in Telgte evakuiert:
"Thema Schulspeisung: in Telgte gab es dann die Schulspeisung, es hieß, immer die Erbsensuppe, die schmeckt nicht... die ging dann immer in die Hecke rein....Mutter war dann immer froh, dass wir die Schulspeise bekamen... Die Schulspeisung war dann immer was mit Rosinen und Maisbrot [positiv betont]."

Auch Frau Dr. Else S., Jahrgang 1939, berichtet die Reaktion der Mutter:
"... Mutter hat das später gesagt, wenn es die hier nicht gegeben hätte, dann hätte sie uns nicht so gut durchgekriegt."

Frau Anneliese J., Jahrgang 1933, erinnert sich positiv:
"Schulspeisung war gut ... da bin ich sogar in den Ferien hingegangen. ... Schulspeisung 90 Prozent gut, Erbsensuppe mochte ich nicht so gerne ... Kekssuppe war gut, das mochten wir Kinder. Kunsthonig, die Mütter waren erfinderisch, die haben ja irgendwie die dollsten Brotaufstriche gemacht, das nannte man dann Gänseschmalz und das war das letzte.

Zur Schokolade: Cadbury, die Tafeln waren so schmal, bisschen größerer Riegel. Schulspeisung, ich hab mich immer drauf gefreut, wir hatten Hunger."

Bei der organisatorischen Vorbereitung der Schulspeisung Anfang 1946 gibt es laut einem Brief des Stadtdirektors von Gütersloh an den Oberkreisdirektor Wiedenbrück vom 31.01.1946 in Gütersloh mehrere Probleme: Es fehlen Kochgelegenheiten in den Schulen, was dadurch gelöst wird, dass eine zentrale Küche bei der Fleischwarenfabrik Voigt und Wolf eingerichtet wird. Es fehlt an Kochgefäßen und Thermoskannen, sowie Transportmitteln. Daher wird im Rat vorgeschlagen, die Rationen den Familien doch direkt zukommen zu lassen. [52] Dieser Vorschlag wird aber nicht umgesetzt, sondern es gibt die öffentliche Schulspeisung, die an einem zentralen Ort gekocht und in den Schulen verteilt und gegessen wird.

Am 13.06.1947 berichtet der Stadtdirektor aus Gütersloh an den Oberkreisdirektor die Zahlen der Teilnehmer, Gütersloh hat damals ca. 38.000 Einwohner:
6.123 Berechtigte
190 nicht teilnehmende Berechtigte
72 Vollselbstversorger
130 noch auszuschließende Selbstversorger. [53]

Außerdem berichtet er über eine Sonderverteilung. Dazu gehören Zuckerstangen, zwei pro Person, Würstchen, Schokolade, es handelt es sich um 40 oder 50 g-Tafeln oder kleine Riegel, es gibt dazu keine Gewichtsangaben in den Akten. Diese Sonderverteilungen gab es z. B. zu Weihnachten. In den Weihnachtsferien 1947/1948 werden in Gütersloh eine zusätzliche Schulspeisung und eine Sonderverteilung durchgeführt. Diese enthält 1/4 l Kakao pro Kind, für drei Kinder eine Dose Erdnüsse, drei Kekse pro Kind, je ein 'Partial Dinner' für drei Kinder, das Zuckerwaren enthält, eine Stange Drops und eine Tafel Schokolade pro Kind. Außerdem wurden Nährstangen verteilt, deren Zusammensetzung nicht zu eruieren war. [54]

Die normale Schulspeisung setzt sich folgendermaßen zusammen:
An vier Wochentagen gibt es die Mahlzeit A:
30 g zerkleinerte Biskuits
40 g Hülsenfrüchte
10 g Fleischextrakt oder Fleischwürze
5 g Salz.

An zwei Wochentagen gibt es die Mahlzeit B:
50 g zerkleinerte Biskuits oder Haferflocken (Semolina)
15 g Zucker
20 g Trockenmilch (E-Milch). [55]

Aus diesen Zutaten soll jeweils 1/2 Liter Suppe hergestellt werden. Eine chemische Analyse, die durch das städtische Untersuchungsamt Bielefeld durchgeführt wird, ergibt folgendes Bild:

Chemische Analyse der Schulspeisung

Chemische Analyse der Schulspeisung [56]


Eine Qualitätsverbesserung im Ruhrgebiet beschreibt Priamus erst ab Dezember 1947. [57]

Dementsprechend zeigt der Speiseplan in der Woche des 23.08.1948 in Gütersloh:
2 Tage Nudelsuppe
2 Tage gewürzte Suppe mit Speck
1 Tag Weizenflocken mit Rosinen
1 Tag Brötchen mit Bouillon. [58]

Obwohl die Zusammensetzung der Schulspeisung aus heutiger Sicht wenig attraktiv erscheint, dürfte sie trotzdem einen sehr hohen Anteil daran haben, dass die Kinder die Notzeit bis 1949/1950 einigermaßen überlebten. Für einen beträchtlichen Teil war es die einzige warme Mahlzeit. [59] Besonders beliebt bei den Kindern waren Extras wie Schokolade oder Kekse, deren Abgabe penibel abgerechnet und von der Verwaltung sorgfältig überwacht wurde. Gerne, obwohl streng verboten, versuchen Kinder, die Schulspeisung oder was man zusätzlich ergattern kann, mit nach Hause zu nehmen, um dies dem Rest der Familie, insbesondere den noch nicht schulpflichtigen Geschwistern zur Verfügung zu stellen. Sabine Heise zitiert eine Interviewpartnerin, geboren 1932:
"Zu der Zeit gab es von den Amerikanern die sogenannte Schulspeisung. Das war so eine Erbsensuppe. Es gab immer abwechselnd einmal Erbsensuppe und irgendwas Süßes, wir sagten Kekssuppe dazu ... es war jedenfalls süß und hatte so Keksstückchen darin aufgelöst ... Nun waren die Schulen geschlossen, [Ferien oder Kohlenmangel?] ... es war meine Aufgabe, jeden Vormittag, möglichst spät - bis zwölf - glaub ich ... Schulspeisung abzuholen. Kurz vor Ende, wenn nicht alles abgeholt war, hatte man die Chance, einen Schlag mehr zu kriegen. Wir hatten damals eine 3-Liter-Milchdüppe, und die kriegte ich meistens voll." [60]

Es gab allerdings auch Probleme, die das Bild trüben. Neben immer wieder aufkommenden Klagen über Qualität und mangelnde Abwechslung ist es für manche Familien ein Problem, 0,15 RM, kurzzeitig sogar 0,65 RM und nach der Währungsreform sogar 0,15 DM, pro Mahlzeit zu bezahlen. Gerade Flüchtlinge und vaterlose Familien können den Betrag nicht aufbringen, obwohl sie es am Nötigsten hätten. Dies führt dazu, dass die Teilnahme an der Schulspeisung nach der Währungsreform um die Hälfte zurückgeht. Als Beispiel finden sich die Angaben der Schule Kattenstroth Gütersloh. Ursprünglich wurden 1.040 Portionen ausgegeben, nach der Währungsreform wurden 133 Portionen als nicht gezahlt vermerkt und 310 abgemeldet. [61] Erst nach Kostensenkung bzw. Kostenbefreiung steigt die Beteiligung wieder an.

In Gütersloh gibt es dazu schon früher eine Resolution des Flüchtlingsausschusses vom 07.05.1947 mit der Bitte um Kostenübernahme für die Schulspeisung ab dem dritten Kind, da der Betrag nicht zu erbringen sei. Gebeten wird auch um Ausdehnung der Speisung auf Kindergärten für Kinder von 3 bis 6 Jahren. [62] Nach der Währungsreform versucht man zeitweilig, die Kosten durch freiwillige Spenden zu senken, was aber nur zum Teil gelingt. [63] Erst als die Schulspeisung 1949 kostenfrei wird, steigen die Teilnehmerzahlen auf einen Höchststand.

In Münster kostet die Schulspeisung am 20.07.1946 pro Teilnehmer 0,65 RM. Es gibt zu diesem Zeitpunkt je 1.000 Freikarten vom Caritasverband und vom Verkehrsverein, bei 15.000 Teilnehmern. [64]

Die Portionspreise in Gütersloh werden zum Beispiel durch Schreiben der Kreisverwaltung Wiedenbrück vom 03.08.1948 von 0,20 DM auf 0,15 DM reduziert auf Anweisung des Kultusministers NRW. Dies sind nur die Herstellungs- und Verteilungskosten der Kommunen. Eine erneute Herabsetzung auf 0,12 DM erfolgt am 01.12.1948. Die Zeitung Die Welt meldet am 30. November 1948: Unentgeltliche Schulspeisung ab 01.01.1949 durch kostenlose Lebensmittel von Besatzungsmächten und Zuzahlung der Länder von zwei Mill. DM und der Bi-Zonenverwaltung von zwei Mill. DM. [65]

Im Jahr 1950 läuft die bisherige Art der Schulspeisung aus und wird dann von einer Milch- und Kakaoverteilung abgelöst.
 
 

2.6. Hilfe durch nichtstaatliche
Organisationen: Care, Schweizer Hilfe, Schwedenspeise

 
 
 
Carepakete aus den USA bedeuten einen Anlass zur Hoffnung und bergen Inhalte, die man in dieser Zeit im Allgemeinen nur vom Hörensagen kennt, wie Kaffee, Kakao, Schokolade usw. Allerdings überwiegt die psychologische Wirkung wohl die reale. Es werden insgesamt 8 Millionen Pakete im Wert von 360 Millionen DM geschickt. Dementsprechend fällt rechnerisch ein Paket in der ganzen Zeit auf jeden siebten Einwohner, Reichhard schreibt sogar: nur auf jeden zehnten Haushalt. [66]

Interview der Zwillingsbrüder Heinz und Karl L., Jahrgang 1940:
"Einmal im Jahr ein Carepaket, das wurde dann ausgepackt, es war ein Paket von unseren Verwandten in den USA.

... Und dann gab es die Fresspakete, die haben wir 53/54 gekauft, für 50 Pfennig, das waren dann Soldatenrationen der Engländer oder Amerikaner."

Da die Schulspeisung im Wesentlichen den 6- bis 14-jährigen Kindern zugute kommt, älteren nur, wenn sie weiterführende Schulen oder Berufsschulen besuchen und dann nur an den Schultagen, bleiben Kinder im Kleinkind- und Kindergartenalter unberücksichtigt. Besonders hier hilft das Schwedische Rote Kreuz mit der Schwedenspeisung. Vor der Ausgabe muss ein Löffel Lebertran als Rachitisprophylaxe genommen werden. In Münster gibt es ab dem 04.11.1946 eine Kleinkinderspeisung mit Hilfe Schweizer und Schwedischer Spenden über das Rote Kreuz. [67] Bei dieser Aktion werden zusätzlich Schutzimpfungen gegen Lungentuberkulose durchgeführt, die BCG Impfung, die nicht wirklich vor Tuberkulose schützt, aber die TBC-Meningitis, die Hirnhautentzündung, verhindert, sowie Kleidung und Schuhe geliefert. [68] Es gelingt aber nicht, diese Hilfe durchgehend während des ganzen Jahres zu liefern, da auch in Schweden die Vorräte irgendwann erschöpft sind. [69] Der städtische Beigeordnete in Münster, Hemesath, berichtet dementsprechend am 10.03.1947, es gebe eine Kleinkinderspeisung durch das Rote Kreuz für 3.800 Kinder, die jetzt unterbrochen werde und schon vorher unzureichend gewesen sei. [70]

Aber auch private Einrichtungen der Schweiz helfen, was von der Bevölkerung positiv wahrgenommen wird. Die Schweizer Hilfe ist anders organisiert und wird nicht über das Deutsche Rote Kreuz verteilt, sondern persönlich von Schweizer Helfern nach Deutschland gebracht. Hier beschreibt Priamus eine im Ruhrgebiet stattfindende private Aktivität: die Schweizer Dörfer. Diese Initiative will Hilfe zur Selbsthilfe geben, richtet Nähstuben und Kindertagesstätten ein, auch Schuster- und Schreinerwerkstätten, wo von den Betroffenen selbst Kinderbettchen aus Munitionskisten, Strickarbeiten und Sandalen aus Holz und Stroh gefertigt werden, wie man sie in den südlichen Kantonen der Schweiz als sog. Zoccoli trägt. Er zitiert den Initiator Dr. Alfred Ledermann,
"Wir müssen alles tun, was in unseren Kräften liegt, um die aufbauenden Kräfte der Deutschen ... zu stärken und zu ermutigen." [71]

Es geht auch darum "seelische Kalorien" zu verteilen, indem zum Beispiel Kinderfeste in den Schweizer Dörfern organisiert werden. So unterscheidet sich die Schweizer Spende durch persönliches soziales Engagement und Vorbild von der anonymen Schul- oder Schwedenspeisung. [72]
 
 
 
 

3. Die Gesundheit in der Nachkriegszeit

 
 
 

3.1. Krankenhaussituation in Münster

 
 
 
Geht man von den Einrichtungen des Deutschen Gesundheitswesens bis 1939 als Normalfall aus, so zeigen sich bereits vor Kriegsende erhebliche Infrastrukturschäden und Versorgungsprobleme. Diese entstehen durch Zerstörungen im Rahmen der Bombenschäden, Umwidmung von Krankenhäusern, Produktionseinschränkungen bei der Herstellung von Impfstoffen, Medikamenten und Verbandsstoffen. Als Beispiel kann man gut die Krankenhaussituation in der stark zerstörten Stadt Münster beleuchten. Zum Kriegsende sind noch ca. 670 von zuvor 3.600 Betten zu verwenden. Ende 1947 waren es 1.817, 1948 schon 2.025, und 1949 wieder 2.849 Betten, darunter 515 psychiatrische der Provinzialheilanstalt. [73] Das zerstörte und umgewidmete Clemens-Hospital arbeitet notdürftig mit wenigen Betten im Haus Kannen weiter. Dabei handelt es sich um eine psychiatrische Anstalt in Amelsbüren, ca. 7 km außerhalb der Stadt. Zusätzliche Betten gibt es noch in Wilkinghege. Die Ordensschwestern des St. Franziskus-Hospitals und der Raphaelsklinik sieht man Steine klopfen, um ihre zum großen Teil zerstörten Krankenhäuser wieder aufzubauen. Zunächst können nur wenige Betten genutzt werden und es fehlt an Medikamenten, Verbandszeug, Operations- und anderen medizinischen Einrichtungen. Dabei ist die Belastung der jungen Schwestern außerordentlich. Wie mir 1975 eine inzwischen verstorbene Ordensschwester aus dieser Zeit sinngemäß erzählte,
"Wir mussten auch körperlich viel und hart arbeiten, das Essen für die Schwestern war knapp, da die Patienten Vorrang hatten. Wenn nicht viele von uns vom Lande mit bäuerlicher Herkunft gekommen wären und die Eltern und Geschwister das Krankenhaus und den Orden nachhaltig mit Lebensmittelgaben und Brennmaterial unterstützt hätten, wäre die Aufgabe nicht zu bewältigen gewesen. Dazu kam die hohe Gefährdung durch Infektionskrankheiten, besonders durch TBC und Hepatitis. Viele von uns sind damals jung an der TBC gestorben." [74]

Eher beiläufig bestätigt wurde die hohe Infektionsgefahr durch die Angabe einer anderen Schwester im Jahr 2009, die 1945 in einen Orden eintrat und als Novizin an TBC und Hepatitis B erkrankte. Die individuellen Leistungen dieser Schwestern, die aufopferungsvoll gearbeitet haben, alles für die Patienten gaben und selbst Gesundheit und Leben riskierten, sind nie wirklich gewürdigt worden, da sie neben der Gesamtaufbauleistung der Orden in der Nachkriegszeit in den Hintergrund treten.

Leider gelang es in Münster nicht mehr, medizinisch auf der Kinderstation tätige Zeitzeugen wie Ärzte oder Krankenschwestern zum Interview zu finden, da sie entweder verstorben oder krank waren. Es konnte aber ein Interview mit einer Ärztin im Kreis Gütersloh geführt werden, die sich ab 1945 in der Praxis des Vaters vorwiegend mit Kindern beschäftigt hatte. Die Angaben von Frau Dr. Q.R. finden sich besonders in den Kapiteln zu den einzelnen Krankheiten.

Zusätzlich gelang es weder im Städtischen Archiv, noch im Gesundheitsamt der Stadt Münster entsprechende individuelle Krankheitsunterlagen zur Nachkriegszeit zu finden, da diese möglicherweise bei einem Umzug verloren gingen. Auch im LWL Archivamt sah man sich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht in der Lage, individuelle Krankenakten zur Verfügung zu stellen.
 
 
 

3.2. Impfungen und Hygieneprobleme

 
 
 
Neben der Betrachtung der Verluste der Krankenhäuser im Verlauf des Krieges mit entsprechender Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung, ist die Gesundheit der Bevölkerung vor allem durch Hygienemangel und die damit zu erwartenden Seuchen gefährdet. Während des Krieges wurde auch nur noch sporadisch geimpft, was die britische Militäradministration schnell für einzelne Krankheiten nachholt. Auf Anordnung der Militärregierung muss sich die Bevölkerung im August 1945 gegen Typhus und Cholera - gemeint ist wahrscheinlich Paratyphus - impfen lassen. [75] An der auf Anordnung der Militärregierung durchgeführten Schutzimpfung gegen Typhus und Paratyphus in Münster nehmen von 55.000 Aufgeforderten allerdings nur 2.000 teil. [76] Auch die während des Krieges unterbrochene Pockenimpfung ist 1945 rasch nachgeholt.

Besonders bei Vertriebenen und Flüchtlingen werden immer wieder Entlausungsaktionen mit DDT durchgeführt, ebenso werden die zahlreichen Tümpel in den Bombentrichtern verfüllt oder mit DDT mückenfrei gemacht. Auf diese Weise versucht man, durch Insekten übertragene Infektionskrankheiten wie Fleckfieber zu verhindern. Es kommt auch tatsächlich nicht zu größeren Epidemien in der Nachkriegszeit.

Folgende Zahlen seit Mai 1945 beim Gesundheitsamt Münster gemeldeter Infektionskrankheiten werden in der öffentlichen Sitzung der Stadtvertretung vom 01.10.1947 von Dr. Kropf, Leiter des Gesundheitsamtes, angegeben:

Gemeldete Infektionskrankheiten beim Gesundheitsamt Münster 1945/1947 zum Zeitpunkt 01.10.1947

Gemeldete Infektionskrankheiten beim Gesundheitsamt Münster 1945/1947 zum Zeitpunkt 01.10.1947 [77]


Die Geschlechtskrankheiten, die an erster Stelle der Statistik stehen, sind für die Kinder insofern von Bedeutung, da die Lues (Syphilis) bereits im Mutterleib übertragen werden kann und so die Säuglinge bereits schwer geschädigt geboren werden. Bei der Gonorrhoe (Tripper) werden alle Kinder durch die sog. Credé Prophylaxe vor Ansteckung geschützt.

Auch Frau Dr, Q.R. berichtet dazu aus ihrer Praxis:
"...eine angeborene Lues bei Kindern, das habe ich öfter gesehen."

Das Ausmaß der schlechten Versorgung der Bevölkerung, das auch Auswirkungen auf die hygienischen Verhältnisse hat, zeigt sich an den Kleidungsvorräten: "Für Säuglinge zwei Jäckchen, 2 Höschen, 2 Hemdchen, 1 Moltontuch eine Gummiunterlage" als noch vorhandene Ware, die nach Bedarf zugeteilt werden soll. Dies ist die Menge, die lt. Westfalen Zeitung am 23.08.1946 für ca. 36.000 Einwohner in Gütersloh zur Verfügung steht. [78]
 
 
Als Folge kommt es häufig zu Hygienemangelkrankheiten wie Krätze und Furunkulose, so werden 1946 dem Gesundheitsamt Münster 3.340 Fälle an Krätze gemeldet. [79]

Reichhard/Zierenberg resümieren:
"Bereits im Sommer 1945 gelingt es, die Gesundheitslage zu stabilisieren. Zwar breiten sich Diphtherie, Typhus und TBC aus, große Seuchen sind jedoch nicht aufgetreten. Welche Rolle das reichlich eingesetzte Entlausungsmittel DDT gespielt hat, ist ungeklärt." [80]
 
 
 

3.3. Wohnraumsituation

 
 
 
Die schwierige gesundheitliche Lage durch Hygienemängel wird in ganz Deutschland, besonders aber in Münster, durch die schwere Wohnungsnot und daneben auch durch den extremen Mangel an Schul- und Schulnebenräumen wie Toiletten verstärkt. In Münster sind nach dem Krieg 60 % des Wohnraums nicht benutzbar, die Innenstadt sogar zu ca. 90 % zerstört.
"Von 33.737 Wohnungen, die vor dem Kriegsausbruch den 132.760 Einwohnern zur Verfügung standen, waren nur 1.050 unbeschädigt geblieben." [81]

Eine im Dezember 1947 durchgeführte Wohnungskontrolle ergab einen Bestand von 18.177 Wohnungen. Die Belegungsdichte pro Wohnung betrug 6,37 Personen im Vergleich dazu 1939 3,93 und Ende 1977 2,82 Personen. [82]

Heute rechnet man mit mehr als 42 qm pro Person. [83]

1947 müssen sich in Münster 137 Schüler einen Klassenraum teilen, lediglich Gymnasien und Berufschulen sind etwas besser gestellt. [84] Trotz Schichtunterrichts ist die Enge kaum vorstellbar, und dass sich ansteckende Krankheiten unter diesen Bedingungen leichter ausbreiten, leuchtet ein. Noch 1957 ging ich mit 58 Mitschülern in die sehr gut gefüllte vierte Klasse der Martini Volksschule. Der Schichtunterricht dauert in Münster z. B. am Johann-Konrad-Schlaun-Gymnasium dann noch bis 1959. [85] Im Vergleich dazu ist dieses Problem im Ruhrgebiet bereits 1949 weitgehend gelöst. [86]
 
 
 
Zur problematischen Wohnraumsituation in Münster berichtet Elisabeth Domanski aus einem Interview mit Frau A, Jahrgang 1938:
" ... haben dann 13 Jahre da oben gelebt ... mit 5 Personen auf 2 Zimmern, Toilette übern Hof, draußen, wo es bei Wind und Wetter durch pfiff. Bis wir dann hier 1959 zum Rotdornweg kamen." [87]

In dieser Hinsicht ist mein Bild aus der Kindheit durch die Dachwohnung im Nachbarhaus geprägt. Bis 1956 lebten dort auf knapp 45 qm sieben Personen, in dem ersten Raum mit kleiner Dachluke, ohne fließendes Wasser, eine dreiköpfige Familie, Eltern mit erwachsener Tochter. In drei weiteren winzigen Mansarden hauste eine Familie mit kleinem Jungen und in einem fünften Raum eine alleinstehende Dame, alles ohne Badezimmer, Toilette auf der halben Treppe. Dies waren dann ca. 6,4 qm pro Person.

Auch Frau Mechthild S., Jahrgang 1945, beschreibt die engen Wohnbedingungen:
"Es waren viele solcher Verhältnisse, wo die Leute unheimlich eng wohnten. Ich kann mich an diese Zwei-Zimmer-Wohnungen erinnern, die hatten drei Kinder und einen Opa und die Eltern, das waren drei Erwachsene und drei Kinder in 64 qm."

Die schwierige Wohnraumsituation wurde auch durch den Mangel an Brennstoff noch verschlimmert.

Im Interview der Zwillingsbrüder Heinz und Karl L., Jahrgang 1940, wird besonders an die kalten Winter erinnert:
"Und dann gab es diesen furchtbar kalten Winter 46/47. Da haben unsere Eltern Backsteine im Ofen heiß gemacht, die kamen dann in Tücher in die Ehebetten und da waren Vater und Mutter und vier Kinder, wir waren dick angezogen.

Wir hatten nur Strümpfe und Leibchen, kurze Hosen und ein Paar Schuhe.

... Geht in den Wald, Anmachholz holen! ... Die Wälder waren völlig leer gefegt."
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Notwohnung einer Flüchtlingsfamilie in Münster 1949

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Flüchtlingsunterkunft in der Lotharinger Kaserne Münster 1949.

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Mechthild S. auf dem Brunnen vor dem Behelfsheim der Familie 1948.
 
 

3.4. Öffentliche Bäder in Münster

 
 
 
Eine weitere Schwierigkeit für die Hygiene ist auch das Fehlen von Bädern in den Wohnungen. Auch sind die öffentlichen Bäder in Münster bis auf das Stadtbad II an der Wolbecker Straße zerstört. Dieses Bad bietet Brause- und Wannenbäder und wird gern genutzt. Es muss zwar zwischenzeitlich wegen Kohlemangel schließen, aber 1946 kommen 53.235 Besucher, 1948 sogar 82.208. An öffentlichen Badeanstalten werden der Aasee und die Werse benutzt, wobei die hygienischen Verhältnisse hier sicher problematisch sind. Das Baden in der Werse wird 1952 verboten, nachdem in Münster 16 Fälle von Kinderlähmung aufgetreten sind. Schäfers beschreibt, dass er selbst eine Magen-Darm Infektion hatte, die die Mutter auf das Baden im Aasee zurückführt. [88]
 
 
 

3.5. Meldepflichtige Krankheiten, Sterberaten
und Säuglingssterblichkeit

 
 
 
In Münster werden 1947 bis 1949 folgende meldepflichtige Krankheiten registriert:

Meldungen an Infektionskrankheiten in Münster 1947 bis 1949

Meldungen an Infektionskrankheiten in Münster 1947 bis 1949 [89]


Die Zahl der Todesfälle durch Infektionskrankheiten und die Kindersterblichkeit gehen bis 1949 in Münster nur leicht zurück. [90] In Gütersloh zeigt sich der Rückgang der Infektionskrankheiten in der Todesstatistik 1951 bis 1955 dann deutlich, besonders auch an der normalerweise nicht so im Blickfeld stehenden Lungenentzündung. Bis 1950 stirbt noch etwa jeder Fünfte an Infektionskrankheiten. Wenn man aber die Vergleichzahlen aus 1930 hinzunimmt, ist auch schon vor der Währungsreform eine gewisse Besserung zu erkennen.

Auszug aus der Todesursachenstatistik Münster 1930,1947,1948 mit Krankheiten, die auch oder vorwiegend Kinder betreffen

Auszug aus der Todesursachenstatistik Münster 1930,1947,1948 mit Krankheiten, die auch oder vorwiegend Kinder betreffen [91]


Der Rückgang der Todesursache Infektionskrankheit ist schon in geringem Maß 1947 zu bemerken. Ebenso fängt auch die Kindersterblichkeit, die ja ebenfalls zu einem beträchtlichen Teil infektionsbedingt ist, an zurückzugehen.

Sterblichkeit durch Infektionskrankheiten in Münster

Sterblichkeit durch Infektionskrankheiten in Münster

Sterbefälle von Kindern und Jugendlichen in Münster 1947/1948 nach Alter

Sterbefälle von Kindern und Jugendlichen in Münster 1947/1948 nach Alter. [92]


In der folgenden Statistik von 1951 bis 1955 sind mehrere Fakten auffällig: Es werden in Gütersloh keine Todesfälle an Kinderlähmung gemeldet. (Siehe auch Kapitel 4.5. : Poliomyelitis). 1952 wird lediglich in neun Fällen eine Desinfektion wegen Kinderlähmung verzeichnet. Die Haupttodesursache bei Infektionskrankheiten ist die Lungenentzündung. Kontinuierlich gehen die Infektionskrankheiten als Todesursache in der ersten Hälfte der 50er Jahre zurück, von 18,4 % 1947 in Münster auf 3 % 1955 in der Gütersloher Statistik.

Todesstatistik Infektionskrankheiten Stadt Gütersloh 1951 bis 1955

Todesstatistik Infektionskrankheiten Stadt Gütersloh 1951 bis 1955 [93]

Leider werden sowohl in Münster als auch in Gütersloh zwar Todesstatistiken nach Alter und Todesursache getrennt geführt, aber es gibt keine Verbindung dieser Statistiken, so dass auf die Todesursachen speziell bei Kindern, nur indirekt geschlossen werden kann. Im Vordergrund stehen neben der Frühgeborenensterblichkeit durch Unreife, eventuell auch Unter- und Fehlernährung, sicher die typischen Kinderkrankheiten aber auch Infekte wie TBC und Lungenentzündung.

Hoch sind auch die Zahlen zur Säuglingssterblichkeit in Gelsenkirchen: 1945 beträgt sie 20 %, 1949 weniger als 8 %. [94] Annemarie Ohler und Norbert Ohler finden für die Säuglingssterblichkeit einen Extremwert in Berlin von 72 % im Juli 1945. [95] Allerdings sieht man eine 'Normalisierung' auf Vorkriegswerte schon 1948. Darauf weisen die Sterblichkeitsraten für Säuglinge ab 1948 in Münster hin. Dabei sind die Ursachen nicht explizit erfasst.

Säuglingssterblichkeit vor und nach dem Krieg in Münster

Säuglingssterblichkeit vor und nach dem Krieg in Münster [96]


Als Ursache finden sich Diagnosen wie Frühgeburt, Lebensschwäche, Darmkatarrh und andere Infektionskrankheiten.

Interview mit der Ärztin Frau Dr. Q. R. Jahrgang 1919: ... Säuglingssterblichkeit, da hatte ich Glück, ich hatte gute Beziehungen nach Bethel [Kinderkrankenhaus in Bielefeld]."

Im Vergleich zur frühen Nachkriegszeit liegt dann die Säuglingssterblichkeit im Kreis Wiedenbrück 1961 bei 2,87 %, 1962 bei 2,75 %. [97] Nachdem die Säuglingssterblichkeit Ende der 40er Jahre fast wieder den Vorkriegsstand erreicht, hängt die weitere Absenkung in den 50er und 60er Jahren sicher mehr mit neuen und besseren Vorsorgemaßnahmen während der Schwangerschaft und medizinischen Fortschritten bei der Entbindung zusammen.

Zur Problematik der insgesamt niedrigeren Sterberaten ist auf Kapitel 2.2 zu verweisen.
 
 
 
 

4. Spezielle Krankheitsbilder

 
 
 

4.1. Ernährungsmangelkrankheiten

 
 
 
Die Kalorienmenge zwischen 1945 und 1948 entspricht aus ernährungsmedizinischer Sicht einer strengen Diät mit dem Ziel einer erheblichen Gewichtsabnahme. Aus heutiger ärztlicher Sicht wird bereits eine Unterschreitung von 1.000 Kalorien Mischkost als problematisch angesehen, da der Körper eine negative Eiweißbilanz aufweist, indem er zum Einen zu wenig aufnimmt und zum Anderen den Energiebedarf durch Abbau körpereigenen Muskeleiweißes deckt. Eiweiß kann auch nicht aus dem Fett- oder Kohlenhydrathaushalt, also anderen Stoffwechselwegen aufgebaut werden, da dazu die essentiellen Aminosäuren, spezielle Eiweißbausteine, nötig sind.

Nach dem Krieg ist die Ernährung nicht nur kalorienreduziert, sondern auch mit 85 % stark Kohlenhydrat betont und sehr eiweiß- und fettarm, wobei nach heutiger Ansicht die gewünschte Zusammensetzung einer Mischkost bei 55 bis 60 % Kohlenhydraten, 30 % Fett und 10 % Eiweiß liegt. [98] Diese Kombination von Unter- und Fehlernährung in der Nachkriegszeit ist besonders für den wachsenden Körper des Kindes fatal. Dementsprechend finden wir auch Berichte von Hungerödemen und Ascites, d.h. Bauchwassersucht, als Folge des Eiweißmangels wie später bei den sogenannten Biafrakindern. [99] Eine Abhilfe gegen diese Krankheit beschrieb der frühere internistische Chefarzt der Raphaelsklinik in Münster, Dr. Rei, seinen jüngeren Assistenten, wenn er von der Medizin in der Nachkriegszeit erzählte. Sehr wirkungsvoll sei die Gabe von Molke gewesen, die zwar kalorienarm, aber eiweißreich ist. Damit seien Ödeme und Ascites rasch verschwunden und die Kinder hätten sich gut erholt. Was damals noch nicht bekannt war, ist die Tatsache, dass Molke neben dem Eiweiß auch Stoffe enthält, die die Produktion des Wachstumshormons anstoßen und so einen zusätzlichen Effekt haben. [100] Auch hatte der Eiweißmangel neben den schlechten hygienischen Verhältnissen sicher einen negativen Einfluss auf die Körperabwehr, da die Abwehrstoffe des Körpers aus Eiweiß bestehen. Hier ist z. B. an Wundheilungsstörung im Rahmen von Hautkrankheiten zu denken.

Neben der Unterernährung und den Folgen des Eiweißdefizits sind auch andere Mangelkrankheiten beschrieben. Von den Schweizer Ärzten, die die Aufnahmeuntersuchungen von Kindern aus Deutschland durchführten, die zur Genesung, Erholung und Gewichtszunahme in der Schweiz aufgenommen wurden, wird der jämmerliche Zustand dieser Kinder hervorgehoben. Sie leiden neben dem Untergewicht an Furunkulose und Krätze, an Rachitis als Folge des Vitamin-D-Mangels und Skorbut als Folge des Vitamin-C-Mangels. [101] Letzteres ist heute in Frage zu stellen, da ein Mangel an Vitamin C Trägern wie Kartoffeln, Gemüse und Obst allenfalls nur kurzzeitig vorstellbar ist. Vielleicht sind die Bedingungen im Ruhrgebiet aber doch so schlecht gewesen, dass tatsächlich ein Vitamin C Mangel bestand.

Das Problem der Rachitis durch Vitamin-D-Mangel wird neben der zu geringen Aufnahme aus der Nahrung dadurch verstärkt, dass Kinder wegen des Fehlens von Kleidung und Schuhen in der Wohnung bleiben müssen, und sie so nicht das nötige Sonnenlicht bekommen, das für die Entstehung der aktiven Form des Vitamins in der Haut nötig ist. Priamus beschreibt: Noch Anfang 1948 haben 21 % der Schulkinder in Essen keinen Mantel und keine Schuhe. [102]

Vergleicht man die für die Schulärzte 1947 verbindlichen Normalwerte für Größe und Gewicht nach Weißenberg mit den heute benutzten Tabellen von Hesse, Jäger, Vogel und Mitarbeitern, so ist festzustellen, dass zum Beispiel ein durchschnittlicher 14-jähriger Junge heute 19 cm, ein gleich altes Mädchen 14 cm größer ist als 1947. Gleichzeitig fällt aber auf, dass sich die medizinische Auffassung vom Normalgewicht geändert hat. Normalgewicht 1947 bedeutet bei Jungen etwa ab dem 9. Lebensjahr fast 10 % mehr als heute, ebenso bei Mädchen ab dem 10. Lebensjahr. Bei 16- bis 18-jährigen Mädchen liegt 1947 die Abweichung nach oben bei 20 %. [103] Dies muss natürlich auch bei den Angaben über allgemeines Untergewicht bei Kindern der Nachkriegszeit, verglichen mit unseren heutigen Vorstellungen, berücksichtigt werden. So sprechen die Meldungen des Schulleiters der Altstadtschule Gütersloh 1946 von 87 % untergewichtigen Schülern. [104] Wir würden nach heutigen Maßstäben etwa 50 % sehen, dazu müsste man noch eine Normabweichung von 10 % rechnen, die bei Messungen zu allen Zeiten festzustellen wäre. Am 30.12.1946 berichtet der Leiter des Gesundheitsamtes in Münster, Dr. Kropf,
"...der Ernährungszustand der Schulkinder sei nicht schlechter als in Friedenszeiten...". [105]

Vermutlich wird dies aber in den Hungermonaten der ersten Hälfte 1947 schlechter.

In einer Statistik aus dem Dezember 1947 von drei Schulen in Gütersloh ergibt sich, dass 10 bis 18 % der Kinder ein Untergewicht von mehr als 20 % haben, 40 bis 50 % haben ein Untergewicht von mehr als 10 %. [106] Dies betrifft besonders Kinder aus Familien ohne Vater und von Flüchtlingen, was schon damals von den Erstellern der Statistik besonders angemerkt wurde.
 
 
 

4.2. TBC

 
 
 
Das Krankheitsbild:Die Tuberkulose ist eine im ganzen Körper aber meistens in der Lunge auftretende Infektionskrankheit, die durch säurefeste Stäbchen, die Tuberkelbazillen, übertragen wird. Es kommen zwei Hauptformen vor, die auch unterschiedliche Erreger und Ansteckungswege haben. Am häufigsten findet sich die Infektion mit dem Typ humanum, der im wesentlichen Lungentuberkulose auslöst. Ein Erkrankter mit offener, ansteckender Tuberkulose hustet die Bazillen aus. Diese infizieren dann einen anderen, indem dieser die Hustentropfen einatmet. Es kommt bei dem Angesteckten zuerst zu einer Gewebsentzündung der Bronchien und Lunge mit Beteiligung der benachbarten Lymphknoten an der Lungenwurzel. Dies ist im Röntgenbild als Primärkomplex erkennbar. Gleichzeitig wird auch der Hauttest, die so genannte Tuberkulinprobe, positiv. Die Tuberkulose kann in diesem Stadium ohne weitere Maßnahmen vernarben und damit ausheilen, dies ist der Regelfall, aber wesentlich sind die schlimmeren Verläufe.

Einer der Zwillingsbrüder Heinz und Karl L., Jahrgang 1940, berichtet von einem wahrscheinlich harmlosen Verlauf und der Hilflosigkeit, was die Therapie angeht:
"Ich hatte als Kind Hilus-TB, ich musste Sahne haben, es gab ja nichts."

Es kann sich aber auch durch entzündliche Gewebszerstörung eine Höhle/Kaverne in der Lunge bilden, die Anschluss an das Bronchialsystem hat, wodurch die TBC 'offen' ist und damit infektiös, da der Patient die Bazillen aushustet und in seiner Umgebung verbreitet. Oder die Bakterien verteilen sich mit dem Blutstrom in alle Körperregionen. Es gibt dann z. B. eine Beteiligung der Hirnhäute oder eine miliare, d. h. grießkornartige Aussaat in die Lunge. Beide Formen sind sehr gefährlich und verlaufen rasch tödlich.

Andere Formen sind nicht so akut lebensgefährlich. So kann sich die Krankheit durch hämatogene Aussaat, d. h. verteilt mit dem Blutstrom, auf die Haut z. B. im Gesicht ausdehnen mit der Folge eines Gesichtsgeschwürs, Lupus vulgaris, auf die Knochen mit Zerstörung der Wirbelknochen und Buckelbildung des Rückens, auf die Nieren, Blase und Genitalorgane mit möglichen der Folge einer Unfruchtbarkeit.

Der zweite Erreger, der einen anderen Infektionsweg hat und besonders Kinder betrifft, ist der Typ bovinum. Hier infiziert die Milch von erkrankten Kühen den Rachen und Darm der Kinder. Die Kühe husten infolge ihrer Tuberkulose und weisen Lymphknoten auf, weshalb sie als perlsüchtig beschrieben werden. Von der infizierten Rachenschleimhaut der Kinder ausgehend befällt diese Art der Tuberkulose besonders die Halslymphknoten unter dem Bild der Skrophulose.

Frau Dr. Else S., Jahrgang 1939 und später Ärztin, berichtet von ihrer Mutter, die darauf achtet, auf welchen Bauernhöfen die Kühe TBC-infiziert sind:
"... Wir durften bei den Bauern Milch holen, 20 Pfennig pro Liter, ... (Mutter) war vorher schon mal rumgegangen und hatte gehorcht, wo husten die Kühe und wo nicht ... es waren damals so viele... wir durften praktisch nur bei fünf Bauern die Milch holen, woanders nicht."

Geschichte der TBC:
In der Geschichte ist uns die Tuberkulose bereits durch ihre Knochenbeteiligung von ägyptischen Mumien bekannt. Auch gibt es Berichte aus der Antike, in denen schon damals der gute Einfluss des Klimawechsels beschrieben wurde. Im Mittelalter ist sie ebenfalls verbreitet, prominente Opfer sind wahrscheinlich der Hl. Franziskus und die Hl. Elisabeth. Eine Volksseuche wird die Tuberkulose im 19. Jh. Dies wird durch das starke Bevölkerungswachstum und die enge, hygienisch schwierige Wohnsituation in den Städten begünstigt. Dass sie die Seuche des 19. Jh. ist, zeigt auch die Beschäftigung von Komponisten und Schriftstellern mit diesem bedrückenden Problem. Man denke an die Opern La Traviata von Verdi und La Bohème von Puccini oder an den Roman der Zauberberg von Thomas Mann, in dem er ein lebendiges und detailgenaues Bild einer Davoser TBC-Heilstätte für die bessere Gesellschaft zeichnet. Auch Chopin ist ein berühmtes Opfer der TBC, und Zille beschreibt sie eindrücklich in seinen Milieubildern.

Durch die Verbesserung von Ernährung, Wohnsituation, Hygienebedingungen und durch die jetzt üblich werdende Isolierung in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg geht die Zahl der Erkrankten deutlich zurück, um dann im Krieg und in der Nachkriegszeit wieder anzusteigen. Nach einem zweiten Rückgang der Zahlen in den 20er und 30er Jahren steigt die Häufigkeit auf Grund der Hygiene- und Wohnungsprobleme sowie der schlechten Ernährung während und nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu einem Höhepunkt 1947 wieder an. Wirksame Mittel der Behandlung sind bis auf Klimakuren und operative Methoden für bestimmte Patienten zunächst praktisch nicht vorhanden. Weil die 'Schwindsucht' ja immer mit Untergewicht einhergeht, achtet man besonders bei Kindern darauf, dass sie gut genährt sind.

Wege der Behandlung:
Einem dänischen Arzt gelingt es Ende des 19. Jahrhunderts mit UV-Strahlen einer Speziallampe Hauttuberkulose zu heilen. Dieser Beobachtung folgend, sieht der Schweizer Arzt Dr. Bernhard, dass sich auch durch Sonnenlicht in großen Höhen die Hauttuberkulose bessert, und dies führt zur Gründung von Heilkurorten in den Höhen der Alpen, da ja auch der positive Einfluss des Klimawechsels lange bekannt ist.

Die erste Behandlung einer Kaverne durch Pneumothorax gelingt dem italienischen Arzt Carlo Forlanini aus Padua 1882, der mit dieser später häufig angewandten Methode vielen Kranken das Leben rettet. Hierbei wird ein künstlicher Kollaps der Lunge durch Luft- oder Ölgabe in den Rippenfellspalt herbeigeführt wonach die Entzündung zur Ruhe kommt und sich abkapselt. Alternativ entfernt man in einem chirurgischen Eingriff Rippen und ab den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts auch Teile der Lunge. Diese Verfahren kann natürlich nur bei einseitigem Befall der Lunge zum Erfolg führen. [107]

Erst als Robert Koch 1882 die Tuberkelbazillen entdeckt, und damit der Weg der Ansteckung bekannt wird, kann man mit Maßnahmen der Hygiene und Isolierung versuchen, die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen.

Die geängstigte Bevölkerung ist dementsprechend gerne geneigt, TBC-Patienten auszuschließen, fast ist es eine unanständige Krankheit. Die Gründe für diese Ausgrenzung bestehen in der hohen Ansteckungsgefahr, gerade jüngere auch gut gestellte Personen sind betroffen. Weiter beeindruckt der lange Verlauf über Jahre hinweg und die schlechte Prognose, aber auch die akute Gefährlichkeit etwa durch Tod infolge einer Hirnhautbeteiligung, einer miliaren Aussaat oder eines Blutsturzes. So werden TBC-Kranke sozial isoliert: Heirate nicht in eine Familie, in der es TBC-Kranke gibt. Vielleicht kann man dies mit der Aura vergleichen, die heute Aids-Patienten umgibt.
 
 
 
Ein erster wesentlicher Schritt in der Bekämpfung der Tuberkulose ist die intensive Reihenuntersuchung der ganzen Bevölkerung und besonders der Menschen, die mit Tuberkulosekranken Kontakt haben.

Es gelingt zunehmend Patienten mit ansteckungsfähiger Tuberkulose zu identifizieren, sie zu isolieren und einer Therapie zuzuführen.

Zusätzlich werden Wanderausstellungen organisiert, um die Bevölkerung auf die Gefahr der Tuberkulose hinzuweisen und ein Verständnis für das Krankheitsbild zu erreichen.
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Röntgenzug Sauerland vor der Altstadtschule Gütersloh 1957.
 
 
Die Entwicklung einer wirksamen medikamentösen Therapie, der speziellen Chemotherapie der Tuberkulose, beginnt 1946 mit der Entdeckung des Streptomycins, zu dem Ende der 40er Jahre die Tuberkulostatika INH und PAS hinzukommen.

Die neue Möglichkeit der Kombinationschemotherapie mit Streptomycin und den Sulfonamiden TB. I/698 und PAS führt dazu, dass die Zahl der Fälle erheblich ansteigt, die seit 1949 ambulant und nicht mehr so lange stationär behandelt werden. [108] Die Zeit der stationären Behandlung dauert seitdem im Allgemeinen nur noch ein bis sechs Monate, vorher sind es neun bis zwölf. [109] Man kann damit bereits Anfang der 50er Jahre von einer Dreierkombination, wie sie heute üblich ist, sprechen. Als man zuvor 1946 mit der Streptomycintherapie als Einzeltherapie beginnt, zeigt es sich, dass dies rasch zu Resistenzen der Tuberkelbazillen führt. [110] Mit der Dreierkombination wird diese Resistenzbildung vermieden, und es ist erstmalig absehbar, dass ein endgültiger Sieg über die Tuberkulose möglich wird.

Ein Resümee der Behandlungserfolge, aber auch der noch bestehenden Probleme ergibt sich aus einer Besprechung des Arbeitsausschusses der Zentralstelle für TBC in Westfalen im Mai 1955. Medizinaldirektor Amend trägt vor:
" ... eine große Wandlung von Mortalitäts- zum Invaliditätsproblem. Die Todesfälle haben rapide abgenommen ... fast gleichbleibend die Kurve der an aktiver TBC Leidenden ... immer noch hohe Säuglings-TBC ...." [111]

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Röntgenreihenuntersuchung im Röntgenzug Sauerland in Gütersloh 1957.

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Gesundheitsausstellung zur TBC Gütersloh ca. 1957.
 
 
Damals ahnt man noch nicht, dass es bald fast keine Neuinfektionen mehr geben sollte.

Dass die TBC heute wieder ein Problem ist, hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass häufig immungeschwächte Patienten mit Aids betroffen sind, und zum Anderen auf Grund sozialer Probleme vor allem in den Ländern des ehemaligen Ostblocks die nötige Dauer der Therapie, im Allgemeinen sechs bis neun Monate, nicht eingehalten wird. Dadurch entstehen zunehmend medikamentenresistente Tuberkuloseerreger. Man kann sich diese Resistenzbildung so vorstellen, dass bei nicht genügend langer und intensiver Therapie in der Bakterienpopulation Keime übrig bleiben, die quasi gelernt haben, trotz des Medikamentes zu überleben, und diese sind dann nicht mehr empfindlich d.h. resistent.

Fallberichte aus den Interviews:
Aus der Sicht der Ärztin berichtet Frau Dr. Q. R. Jahrgang 1919:
"Tuberkulose: viele junge Mädchen, bildschöne junge Mädchen mit 16 bis 17 Jahren, die dann am Abend vorher auf dem Tanzparkett waren, am nächsten Morgen tot, durch eine Meningitis. Dann habe ich [unter meinen Patienten] zwei Kinder verloren auch an einer Tuberkulose, ein Vierjähriger ... das Kind hatte 40° Fieber und es war eine Miliar-Tuberkulose ... es gab wohl viel Tuberkulose."

Auch Frau Dr. Else S., Jahrgang 1939, die später Ärztin wurde, erzählt von Ihren Erlebnissen im Zusammenhang mit dieser Erkrankung: Die Familie hat eine junge Haushälterin, deren Mutter als Flüchtling in einer Kaufmannsfamilie lebt und die, obwohl dem Gesundheitsamt eine offene TBC bekannt ist, nicht isoliert wird und sich im Dorf mit Näharbeiten durchschlägt. Der Mutter der Interviewpartnerin fällt auf, dass sich diese Frau nicht den Säugling der Familie anschauen will, weil sie wohl weiß, dass sie ansteckend ist.
"und die hat also dann im Dorf ihre offene Tuberkulose herumgestreut, also es war ziemlich schlimm, und bei dem Kaufmann [bei dem sie mit ihrer Tochter einquartiert ist] sind drei von den Kindern an einer tuberkulösen Hirnhautentzündung gestorben und zwei an einer offenen Lungentuberkulose, die dann rasend schnell verlaufen ist, die waren dann nach 14 Tagen tot. Man hatte ja auch nichts dagegen, das muss so 46 ... 47 gewesen sein."

Aus der Sicht des Kindes erzählt Frau Bernhardine C., Jahrgang 1936:
"... wir wurden alle gegen Tuberkulose geimpft in Marienfeld, das wurde dick und ist im Krankenhaus aufgeschnitten worden [stark positive Impfreaktion bei bereits bestehender ev. abgekapselter Form der Tuberkulose]. Wir mussten, mein Bruder und ich, zur Durchleuchtung, Hilusdrüsenverfettung, das fand ich so gemein.

... meine Schwester war ein ganz kleines, zartes Mädchen, aß sehr schlecht und meine Oma und meine Geschwister sind 1945 schon nach Münster gekommen, die hatten natürlich wenig zu essen ... so mit etwa acht Jahren wurde die erste Lungentuberkulose entdeckt ... das war so 1947/1948 ... dann kam sie zuerst nach Langenhorst in eine Lungenheilstätte, zwischendurch zu Hause, dann kam sie nach Nordkirchen, war auch eine Lungenheilstätte, dann nach Nettelstädt, war immer noch nicht zu Ende und weil sie ein Fünf-Mark-Stück großes Loch hatte, nach Bad Lippspringe, und alles war für sie eine fürchterliche Zeit. Da war sie ein halbes Jahr, hat den ganzen Tag draußen gelegen, in der Nähe eines Tannenwaldes, musste morgens, mittags, abends Haferbrei essen, kam so aufgequollen nach Hause, dass ich sie nicht wiedererkannt habe. Ja dann war die Rede davon, dass sie einen Pneu bekommen sollte ... und dann hat man sie noch einmal geröntgt und dann war das Loch zu ... was noch schlimmer ist, die beiden Frauen [gemeint ist die spätere Schwägerin] hatten nasse Rippenfellentzündung, das war lebensgefährlich, ja sie ist heute noch sehr kurzatmig, hatte noch Bronchialkrebs."

Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeit:
1947 werden in Münster 2.016 Fälle von Tuberkulose bei 91.910 Einwohnern, 1948 2.445 Fälle gemeldet. [112] Die Statistik für NRW sieht folgendermaßen aus:

Fälle aktiver Tuberkulose/10.000 Einwohner in NRW von 1938 bis 1948

Fälle aktiver Tuberkulose/10.000 Einwohner in NRW von 1938 bis 1948 [113]


Aus dieser Tabelle geht zum Einen hervor, dass der Gipfel der Krankheitszahlen 1947 erreicht wird, und zum Anderen die Tuberkulosehäufigkeit bereits während des Krieges stark ansteigt.

Die Zahl der Sterbefälle an TBC beträgt 1946 in der Provinz Westfalen 4.993, das entspricht 6,9 pro 10.000 Einwohner, davon haben eine Lungenbeteiligung 3.737 Patienten, eine tuberkulöse Meningitis 368 und eine andere Organbeteiligung 88. [114]

Die TBC betrifft alle, vom Säugling bis zum Greis, wobei eine Häufung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen festzustellen ist. In den Heilstätten der Provinz Westfalen stehen 1946 ohne Berücksichtigung von Krankenhausbetten 3.050 Betten, 1948 auch nur 4.068 Betten zur Verfügung, was ebenfalls als nicht ausreichend zu sehen ist. Die Zunahme der Tuberkulosefälle im Regierungsbezirk Arnsberg beträgt in dieser Zeit 33 % und die Zahl der Kuranträge verdoppelt sich. [115] 1953 sollen es 4.500 Heilstättenbetten werden, dazu kommen noch etwa ebenso viele Betten in Krankenhäusern. [116] Spezielle Einrichtungen gibt es auch für Kinder bis Mitte der fünfziger Jahre, z. B. für leichtere Fälle im Schloss Rheda.
 
 
 

4.3. Diphtherie

 
 
 
Schon in Babylon wird die Diphtherie als eine von Dämonen gebrachte Krankheit beschrieben, derer man sich mit Tonamuletten zu erwehren versuchte. Auch jüdische Quellen aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft charakterisieren die Krankheit als "Tau im Kehlkopf", an dem man erstickt, eine Krankheit, die vorwiegend Kinder aber auch Erwachsene befallen kann. In Griechenland wird sie erstmals "Halsbräune" genannt - nach den schmutzig-braunen Belegen im Hals - und es gibt klinische Beschreibungen, die den Ablauf und das epidemische Auftreten gut schildern. [117]

Wir wissen heute, dass es sich um eine bakterielle Infektion handelt, wobei die Kranken nicht so sehr durch die Bakterien selbst sondern im Wesentlichen durch das von ihnen gebildete Toxin geschädigt werden.

Das klinische Bild ist sehr beeindruckend: Nach einer kurzen Inkubationszeit von zwei bis fünf Tagen entzünden sich Rachen, Mandeln, Gaumensegel und evtl. Kehlkopf sowie Luftröhre, auf denen sich bräunliche Belege bilden - daher der Name Hals- oder Rachenbräune. Diese Belege können sich in die Tiefe ausdehnen und die Atmung bis zur Erstickung behindern. Dass ein solches Krankheitsbild, bei dem man sieht, wie ein Kind langsam hilflos erstickt, die Eltern und Behandelnden seelisch außerordentlich belastet, liegt auf der Hand.

Bis zum Ende des 19. Jahrhundert sind alle Versuche, diese Krankheit zu behandeln, vergeblich. Der französische Arzt Bretonneau, der erstmals den ansteckenden Charakter dieser Krankheit erkennt, führt 1825 den Luftröhrenschnitt ein, der das Atemhindernis beseitigt. Trotzdem sterben bis zu 70 % der Kinder an toxischem Herzversagen und Atemlähmung. Wirklich beherrschen kann man diese Krankheit erst, nachdem Emil von Behring fußend auf den Erkenntnissen von Emile Roux die Antitoxinbehandlung erfunden hat. Er findet heraus, dass man mit der Gabe des Serums diphtherieinfizierter Tiere, akut erkrankte Kinder heilen kann, dadurch dass dieses Serum das Diphtherie-Toxin im Blut der Erkrankten inaktiviert. 1913 erfindet er zusätzlich die sogenannte TA-Impfung, eine wirksame Prophylaxe. Mit dieser Impfung durch ein Toxin-Antitoxingemisch sind Kinder zumindest einige Jahre vor der Diphtherie wirksam geschützt. [118]

Umso erstaunlicher ist es, dass in der Kriegs- und Nachkriegszeit die Erkrankungshäufigkeit doch noch beträchtlich ansteigt. Dies liegt daran, dass z. B. im Kreis Wiedenbrück von 1943 bis 1948 nicht mehr geimpft wurde. [119] Dazu werden auch in den Jahren 1949 bis 1951 nicht überall öffentliche Schutzimpfungen gegen Diphtherie und Scharlach durchgeführt. Die Todesfälle durch Diphtherie in Münster betragen 1947 zwei, 1948 null und 1949 zwölf Patienten, im Vergleich dazu gab es 1930 zehn Todesfälle. [120] Obwohl damit bei weitem nicht die Todesraten wie z. B. durch Darmkatarrh erreicht werden, ist die Diphtherie doch besonders im Gedächtnis von Krankenschwestern und Ärzten haften geblieben, da das Erlebnis sowohl für sie als natürlich auch in erster Linie für die Eltern eine schwere psychische Belastung gewesen sein muss. In ihrem Interview erzählt Frau Dr. Q.R. aus dem Kreis Gütersloh, dass besonders die Zeit während ihrer Facharztausbildung zur Kinderärztin gegen Ende des Krieges in Halle, Saale, schlimm gewesen sei. Es habe eine schwere, nicht beherrschbare Epidemie vor allem unter den Vertriebenen in den letzten Tagen des Krieges gegeben. (Siehe auch Interview Frau Dr. Q.R. Kapitel 2.1.)

Die Statistik des Landes NRW zeigt für 1946/1948 folgende Fallzahlen für Diphtherie:

Diphtheriestatistik NRW 1946 bis 1948

Diphtheriestatistik NRW 1946 bis 1948 [121]


In einem Bericht des Statistischen Amtes Münster wird ausgeführt:
"Die Zunahme der Diphtherie- und Scharlacherkrankungen ist wohl einerseits auf die engen Wohnverhältnisse zurückzuführen, die einer Übertragung der Krankheit förderlich sind, sowie zum Teil darauf, dass der im Krieg und ersten Nachkriegsjahren durch die Schutzimpfungen erreichte Impfschutz nicht mehr so wirksam ist. Da in der Bevölkerung eine gewisse Impfmüdigkeit unverkennbar ist, wurde von der Möglichkeit der Schutzimpfung in Folge dessen nicht der genügende Gebrauch gemacht. Der Verlauf der Diphtherie- und Scharlacherkrankung hat jedoch gezeigt, dass die Schutzgeimpften zwar von der Ansteckungsgefahr nicht absolut befreit sind, dass dagegen die Erkrankung bei Geimpften wesentlich milder verläuft. Der Impfschutz währt etwa zwei Jahre." [122]

Hier muss angemerkt werden, dass schon ab 1941/1943 und zum Teil auch nach dem Krieg kein oder nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stand, man vergleiche die Aussagen oben in diesem Kapitel aus dem Kreis Wiedenbrück. In den frühen 50er Jahren verliert die Diphtherie durch konsequente Impfung in den Schulen ihren Schrecken. Heute gehört die Diphtherieimpfung zum umfangreichen Katalog der Säuglingsimpfungen: Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Polio, Hämophilus- Influenza-B, Hepatitis B, Pneumokokken, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen und mit 12 bis 15 Monaten Meningokokken. D.h. wir impfen heute im ersten Lebensjahr gegen zwölf verschiedene Infektionskrankheiten. [123]

Zu den Problemen mit der Verträglichkeit der ersten Impfungen in den 50er Jahren berichte Frau Dr. Q. R., Jahrgang 1919:
"... Zu Impfungen: DPT [Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus], das war das erste, da habe ich ein Kind dran verloren, darauf wurde der DPT-Impfstoff aus dem Handel gezogen für ein halbes bis ein Jahr ... muss Anfang der 50er Jahre gewesen sein."
 
 
 

4.4. Pneumonie

 
 
 
Eine schon vor dem Krieg häufige, auch Kinder betreffende Krankheit mit einer Sterblichkeitsraterate von bis zu 30 % ist die meist durch Pneumokokken und andere Bakterien übertragene Lobärpneumonie. Diese ist damals die häufigste schwere Infektionskrankheit überhaupt. Es ist eine Form der Lungenentzündung, die man als Arzt heute fast nicht mehr sieht. Sie nimmt wie die anderen Infektionskrankheiten auch besonders nach dem Kriege zu, wird aber, so erscheint es heute, mehr als eine normale, schicksalsbedingte Gefahr hingenommen. Anders lässt sich der späte Einsatz des gut wirksamen Penicillins, wodurch die Sterblichkeit auf unter 5 % abfällt, nicht erklären. Zwar ist Penicillin nach 1945 zunächst nur für Erkrankte an Gonorrhöe reserviert, man hätte aber bei konsequenter Ausdehnung der Anwendung auf die Pneumonie und die komplizierte Angina Tonsillaris, bzw. den Scharlach, sicher vielen Menschen und besonders Kindern das Leben retten oder Folgekrankheiten vermeiden können. Abgesehen von Einzelfällen setzte sich die Antibiotikagabe als Standarttherapie bei diesen Krankheitsbildern erst Mitte der 50er Jahre durch.
 
 
 

4.5. Poliomyelitis

 
 
 
Die Poliomyelitis auch Spinale Kinderlähmung, eine Virusinfektion, scheint es nach ägyptischen Papyri und Mumienfunden schon in der Antike gegeben zu haben. Sie ist eine Erkrankung, die mit zunehmender Hygiene häufiger wird, da sie unter diesen Bedingungen nicht schon im Säuglings- sondern erst in höherem Kindesalter auftritt. Im 19. und 20. Jh. bekommt sie größere Bedeutung.

Die Ärzte Heine aus Deutschland und Medin aus Schweden beschreiben erstmals die anatomischen und pathophysiologischen Befunde. Heine nennt sie Spinale Kinderlähmung, da der Sitz der Erkrankung, obwohl sie auch im Gehirn selbst stattfinden kann, im Wesentlichen das Rückenmark ist. Dort werden besonders die motorischen Nervenzellen des Vorderhorns, die die Bewegung der Muskeln steuern, geschädigt, was sich dann in einer Lähmung ausdrückt. Der Übertragungsweg dieser Virusinfektion erfolgt durch den Stuhl des Erkrankten (fäkal-oral). Wahrscheinlich nur jeder 100. Erkrankte bekommt über die Zeichen einer Grippe hinaus die schwerwiegenden, teils bleibenden Lähmungen. Die schwerste Komplikation neben dem akuten Tod ist die Atemlähmung mit der Notwendigkeit der künstlichen Beatmung in der Eisernen Lunge wegen der Beteiligung des Halsmarks und Ausfall der Phrenikusnerven, die von dort das Zwerchfell, den Hauptatemmuskel, versorgen. [124] Die Patienten mit Atemlämung werden bis zum Hals, der mit einer Manschette abgedichtet ist, nur der Kopf schaut heraus, in eine Stahlröhre gelegt. In dieser Röhre wird nun im Wechsel ein Über- oder Unterdruck erzeugt, dem der Brustkorb und die Lunge passiv folgen. Auf diese Weise strömt Luft in die Lunge und versorgt so den Körper mit dem nötigen Sauerstoff. In diesen Geräten liegen die Kinder Tage bis Monate bis die für die Atmung nötigen Nerven und Muskeln wieder ausreichen kräftig sind. Es hat aber auch Fälle einer lebenslangen Dauerbeatmung gegeben, die nachts und einige Stunden am Tag nötig war.
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Eiserne Lunge für Kinder und Jugendliche.

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Eiserne Lunge, geöffnet.
 
 
Eine große Kinderlähmungsepidemie gibt es 1952 in Deutschland und in der ganzen Welt, deshalb werden in einer telefonischen Durchsage des Medizinalamtes der Bezirksregierung Münster am 16.07.1952 Schulwanderungen und Ausflüge verboten, ebenso das Baden in Hallen- und Freibädern, da das Wasser nicht ausreichend gechlort sei. In Münster werden zwischen dem 06.07. und 12.07.1952 17 und zwischen dem 12.07. und 14.07. 11 neue Fälle von Kinderlähmung gemeldet. Der Kultusminister des Landes NRW verlängert am 14.08.1952 die Schulferien wegen der Polio. [125] In Deutschland sind es insgesamt 9.517 Fälle, die diagnostiziert werden. Aber die Sterblichkeitsrate fällt seit den 30er Jahren von 17,5 % auf 7,5 %, d.h. von 35.765 Personen, fast ausschließlich Kinder von zwei bis fünfzehn Jahren, die in Westdeutschland von 1946 bis 1955 erkranken, sterben 3.383. [126]

In einem Brief des LWL an den Minister für Arbeit Soziales und Wiederaufbau NRW vom 03.05.1954 werden 535 Personen als von Folgeschäden betroffen angegeben. [127] Dabei handelt es sich zu ca. 60 % um Beinlähmungen, zu 20 % um Armlähmungen. Die restlichen 20 % haben kombinierte Lähmungen bzw. Gesichts-, Zungen- oder Stimmbandlähmungen.

Am 28.02.1956 werden noch einmal ausführliche Maßnahmen durch die Gesundheitsämter zur Bekämpfung der übertragbaren Kinderlähmung verlangt. Diese beziehen sich auf Krankenhausbehandlung in Spezialabteilungen und Isolierung, die eingehende Hygieneberatung der betroffenen Familien und öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten sowie die Notwendigkeit der Klassen- und Kindergartenschließung. [128]

Über die fehlenden Behandlungs- und Prophylaxemöglichkeiten sagt Frau Dr. Q. R. Jahrgang 1919:
"Zur Polio ... man hatte keinen Schutz, man steckte seine Hände in die Desinfektion und das war's."

Frau Mechthild S., Jahrgang 1945, erlebt die Polioepidemie während der Evakuierung in Gimbte, einem kleinen Dorf nördlich von Münster, und berichtet über die Hygienemaßnahmen und die große Angst in der Bevölkerung:
"Das erste Jahr 1952 in Gimbte ...in der Schule... ich kann mich erinnern, dass Mutter mir ein kleines weißes Handtuch mitgegeben hat ... wir mussten im Sommer ... jedes Mal, bevor wir das Butterbrot auspackten, da mussten wir alle der Reihe nach hin und Hände waschen. Seife lag da wohl aber das Handtuch musste jeder auf dem Arm mitnehmen."

Eine weitere Erzählung von ihr unterstreicht die große Angst der Leute vor der Kinderlähmung. Wegen einer Mandelentzündung seiner Tochter muss der Vater aus einer Gaststätte nach Münster telefonieren, um die Kinderärztin zu benachrichtigen. Im Dorf vermutet man daraufhin, es handele sich um eine Kinderlähmung.
"Am Sonntag nach der Kirche war ich schon an Kinderlähmung gestorben ... es gab Getratsche, es gab offensichtlich eine große Angst davor."

An Gesamterkrankungszahlen der Epidemie 1952 werden angegeben:

Deutschland 9.500 Erkrankte
USA 57.000 Erkrankte
Dänemark 3.000 Erkrankte [129]

Obwohl die Zahlen nicht so hoch sind wie 1952, erkranken mit Lähmungszeichen in NRW noch 1957 347 Patienten, das sind 0,23 auf 10.000 Einwohner, 1958 272 Patienten, 0,17 auf 10.000 Einwohner. [130] Dies ist umso tragischer, als Versuche mit der wirksamen Salk-Impfung in Niedersachen schon 1957 stattfinden und bereits 1958 die generelle Impfung gefordert wird, dies jedoch auf freiwilliger Basis. [131]

Die Spritzenimpfung nach Salk oder die Schluckimpfung nach Sabin, 1952 von Salk und 1954 von Sabin entwickelt, wird noch 1955 nicht von der WHO empfohlen. Nachdem sich dann die wissenschaftliche Empfehlung ändert, erfolgen erste Impfungen in NRW 1957 in Form der Salk-Impfung, drei Mal eine Spritze, allerdings nur sporadisch und nicht allgemein verbindlich. Dagegen wird in der DDR ab 1960 sehr konsequent die gesamte Bevölkerung bis 40 Jahre mit der Sabin-Schluckimpfung geimpft. Das führt dazu, dass die DDR praktisch zwei Jahre eher frei von Kinderlähmung ist als die Bundesrepublik. [132]

In der Bundesrepublik gibt es noch bis 1961 größere Poliowellen, die allerdings nicht das Ausmaß einer Epidemie erreichen. Dabei definiert man Epidemie als zeitlich begrenzte, massenhaft auftretende Infektionskrankheit. Es erkranken 1961 noch 4.461 Kinder mit Lähmungserscheinungen, davon sterben 305. Erst mit der öffentlichen Empfehlung der Schluckimpfung nach Sabin 1962 kommt es auch in der Bundesrepublik zu einem drastischen Rückgang der Erkrankungshäufigkeit. [133]
 
 
 

4.6. Hygienemangelkrankheiten: Krätze, Furunkulose

 
 
 
Skabies (Krätze), die sehr viele Personen, besonders auch Kinder, in der Nachkriegszeit betroffen hat, ist eine durch Milben übertragene Krankheit, die besonders bei engen Wohnbedingungen und hygienisch schlechten Verhältnissen mit nicht gereinigter Kleidung vorkommt. Die Milben sitzen in der Kleidung und bohren sich in die Haut. Aber man merkt erst nach vier bis fünf Wochen, dass man infiziert ist. Durch das Kratzen der juckenden Haut kommt es dann auch zu zusätzlich aufgepfropften bakteriellen Infektionen, die das Bild komplizierter machen. Bei schlechter Abwehrlage sind diese Erscheinungen noch stärker. In erster Linie betroffen sind die Zwischenfingerräume, die Augenbrauen und die Leistengegend, diese durch Geschlechtsverkehr. Eine erste genaue Beschreibung der Erkrankung und des Erregers als lausähnliches Tier, das zu töten sei, stammt von dem arabischen Arzt AT-Taberi aus der zweiten Hälfte des 10. Jh. [134]

In der Nachkriegszeit kann man die Krätze mit antiparasitär wirkenden Mitteln wie Cuprex und die Kleidung wohl auch mit DDT behandeln, was für den Menschen nicht ungiftig ist. Die Wäsche, Kleidung, Betten usw. muss man sorgfältig reinigen und desinfizieren, was naturgemäß schwierig ist, wenn man, wie oft in der Nachkriegszeit, keine Seife und Waschmittel hat. [135] In Münster werden an das Gesundheitsamt gemeldet:
Jahr Fälle
1947 1.476
1948 1.609
1949 891

Gemeldete Krätzefälle 1947-1949 in Münster


Frau Dr. Q. R. Jahrgang 1919 berichtet dazu aus dem Kreis Gütersloh:
"Krätze gab es viel, Krätze in den Augenbrauen bei Kindern, Läuse nun ja, die waren auch an der Tagesordnung."

Auch die durch Staphylokokken übertragene Furunkulose (Hauteiterung mit Abszessbildung), die sich zum Beispiel leicht auf eine Pubertätsakne aufpfropfte, ist durchaus als Folge der Hygienemängel zu sehen und wurde auch so von den Schweizer Ärzten, die die Kinder bei Kurbeginn untersuchten, interpretiert.
 
 
 

4.7. Andere Infektionskrankheiten: Typhus, Scharlach, Hepatitis (Gelbsucht)

 
 
 
1946 werden dem Gesundheitsamt Münster 43 Fälle von Typhus und 46 Fälle von Paratyphus gemeldet. [136] Dies sind hochfieberhafte schwere, z. T. lebensgefährliche Durchfallserkrankungen, die durch das Bakterium Salmonella Typhi übertragen werden. Typhuserreger gelangen mit dem Stuhl ins Abwasser und verseuchen bei defekten Leitungen so das Brunnenwasser. Außerdem gelangen sie im Rahmen der sog. Kopfdüngung, bei der die Fäkalien über die Pflanzen gegossen werden, in den Speiseplan des Menschen. Deshalb muss hier von einer hohen Seuchengefahr ausgegangen werden, da die Abwassersituation zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder auf ausreichendem Stand ist und die Kopfdüngung ein übliches Verfahren darstellt.

Als Beispiele beschreibt Schäfers eine Tante, die in einer ausgebauten Schrebergartenlaube wohnt, und die Fäkalien selbstverständlich zum Düngen nutzt. Die Wohnung eines Freundes liegt im obersten Stockwerk eines Mietshauses und hat nur ein Plumpsklo im Keller. Andere Bekannte benutzen einen diskret versteckten Eimer mit selbstgebasteltem Holzdeckel. [137] Trotzdem stirbt in Münster an Typhus nur 1947 ein Patient, 1948 und 1949 keiner. [138] Das liegt wahrscheinlich daran, dass man versucht hat, schon früh eine zentrale Wasserversorgung einzurichten, was zum Teil schon Mitte 1945 gelingt, da der Wasserturm im Süden der Stadt unzerstört geblieben ist. Abgesehen von der Tatsache, dass es in Münster noch 200 Hausbrunnen gibt, sind die Leitungswasserkontrollen in Münster hygienisch einwandfrei. [139]

Während die Erkrankungszahlen für diese Krankheiten in Münster also nur mäßig erhöht sind, gibt es zum Beispiel in Bochum eine Typhusepidemie mit 480 Fällen und einer Sterblichkeit von 20 % bei der deutschen Bevölkerung. Von den erkrankten Ausländern, wohl Angehörige der Besatzungsarmee sterben nur 2,5 %. In anderen Landesteilen gibt es ebenfalls schwerere Typhusepidemien. So beschreiben Ohler und Ohler die Verhältnisse in Franken und Bayern: Es habe 1938 2,4 Typhusfälle auf 100.000 Einwohnern gegeben, 1946 sind es 42,8 und sogar 60,2 im Regierungsbezirk Oberfranken, der besonders viele Flüchtlinge und Vertriebene aufnehmen muss. [140]

Eine häufig auftretende Erkrankung, die besonders in enger häuslicher Gemeinschaft grassieren konnte, ist der durch Streptokokken ausgelöste Scharlach und die Angina Tonsillaris, Mandelentzündung. Dieses Krankheitsbild ist zum einen hoch akut, und es kann eine sogenannte toxische Verlaufsform mit Abszess Bildung annehmen. Aber zum anderen ist es sehr gefährlich durch die Folgeerkrankungen: Dies ist erstens die Endocarditis, Herzinnenhautentzündung, im Rahmen eines rheumatischen Fiebers. Diese kann zu damals noch nicht korrigierbaren Herzklappenfehlern mit der Folge eines frühen Todes an Herzschwäche Führen. Zweitens der Glomerulonephritis, Nierenentzündung, die wie auch die Endocarditis akut zum Tode führen kann oder nach Jahren zu einer heute dialysepflichtigen, in den 50er Jahre tödlichen Niereninsuffizienz. Als drittes wäre die Scharlachotitis, Mittelohrentzündung, zu nennen mit der Konsequenz der Schwerhörigkeit. Obwohl bei einigen Ärzten schon bekannt ist, dass diese Krankheitsbilder, wenn man sie früh erkennt, gut mit Penicillin zu beherrschen sind, wird diese Therapie wirklich konsequent erst in der zweiten Hälfte der 50er Jahre eingesetzt. In Münster sterben lediglich 1949 drei Kinder an Scharlach, 1947 und 1948 keines. [141]

Über die unterschiedlichen Behandlungen berichtet Frau Dr. Else S., Jahrgang 1939, die später Ärztin wurde:
"... Meine Schwester, die Christel; hat eine toxische Angina durchgemacht, kam dann in Leer ins Krankenhaus und die kriegte dann schon die ersten Penicillinspritzen [1946 bis 1947].

... Und ich hab in H. ganz schweren Gelenkrheumatismus durchgemacht ... acht Wochen im Bett gelegen, kein Penicillin gekriegt"

Die ganze Familie hat sich wahrscheinlich immer wieder gegenseitig mit Streptokokkeninfekten angesteckt. Heute würde man alle Mitglieder für drei Tage mit Penicillin behandeln, um die kreisende Infektion zu unterbrechen.

Auch Frau Dr. Q. R. Jahrgang 1919 sagt zur Bekanntheit von Penicillin 1945:
"... Ich weiß nur, dass 1945 die Amerikaner in unserem Hause waren, das war eine Sanitätsgruppe, die dann nach sieben Monaten wieder auszog, das war im Oktober/November 1945, da haben wir das Haus gereinigt und 'zentnerweise' Penicillin weggeschüttet, weil wir nicht wussten, was das war ... Zu Prontosil, [Sulfonamid-Antibiotikum, das in Deutschland 1932 von Domagk erfunden wurde] das kannten wir. Das bekam ich selbst mit 13 bei einer Mastoiditis [Mittelohrentzündung mit Befall des Knochens] das musste gemeißelt werden."

In ihrem Interview erzählt Frau Anneliese J., Jahrgang 1932:
"Mandelentzündung häufiger,... nein, kein Penicillin, Gelenkrheuma gehabt und Herzschwäche."

Es kommt aber auch zu anderen Epidemien, z. B. Masern. So erkranken in Roxel, einem Vorort von Münster, im März 1947 50 % der Kinder, in der einklassigen Bauernschaftsschule Saerbeck 1956 von 34 Kindern 19. [142] In der Münsteraner Statistik erscheinen lediglich 1948 zwei Todesfälle.

Zwar werden auch Fälle von Ikterus, d.h. Gelbsucht, erwähnt, doch kann man dieses Symptom, hinter dem sich, wie wir heute wissen, verschiedene Krankheiten verbergen, praktisch nicht behandeln. Die Patienten werden wegen der Infektiösität lediglich isoliert. Wahrscheinlich hat es sich am häufigsten um die Hepatitis A gehandelt. Diese grippeähnliche, sehr ansteckende Erkrankung betrifft oft Jugendliche und heilt nach vier bis sechs Wochen folgenlos aus. Der bereits oben zitierte Chefarzt Dr. Rei erinnerte sich dabei an Hepatitis A Infektionen, die ganze Dörfer betroffen hätten.

Frau Helma B. , Jahrgang 1945, erleidet selbst eine Gelbsucht:
"... Mit sechs da hatte ich eine Hepatitis, muss 51 gewesen sein, später war klar, dass es eine Hepatitis A gewesen war."

Die Patientin wurde im Clemens-Hospital behandelt und lag dort mit anderen Kindern, wahrscheinlich gemeinsam isoliert, auf einem Zimmer.

Die viel gefährlichere Form der Hepatitis B, früher Serum-Hepatitis genannt, die bei 5 % der Erkrankten chronisch wird, kann man damals noch nicht sicher unterscheiden. Da sie durch Blutkontakt, z. B. durch Injektionsnadeln im Krankenhaus übertragen wird, ist sie zu dieser Zeit die klassische Infektion des medizinischen Personals, von der bis zu 15 % der Schwestern und Ärzte betroffen sind. Daneben stecken sich aber auch häufig Patienten in den Krankenhäusern an den unsterilen Injektionsnadeln an. Der Hepatitis B fallen etliche Erkrankte nach vielen Jahren durch die später daraus entstehende Leberzirrhose und das Leberzellcarzinom zum Opfer. Heute ist dieses Problem durch Impfung und Verwendung von Einmalmaterial weitgehend gelöst. Aus der Nachkriegszeit liegen mir dazu keine speziellen Berichte vor.
 
 
 

4.8. Unfälle

 
 
 
Auf Grund schlechter Verkehrsverhältnisse, nicht gesicherter Trümmergrundstücke und als zeitbezogene Besonderheit wegen noch häufig zu findender Munition kommt es in der Nachkriegszeit auch zu einem Anstieg von Unfällen als Todesursache, besonders auch bei Kindern. An tödlichen Unfällen werden in Münster registriert:
Jahr Unfalltote
1947 35
1948 45
1949 45

Unfalltote 1947-1949 in Münster

Dabei geht aus der Statistik leider nicht hervor, wie hoch der Anteil der Kinder war. [143]

Schäfers beschreibt, wie Jugendliche im Rahmen der Trümmerräumung und Steingewinnung beim Abpicken des Mörtels von den Steinen durch eine Mauer verschüttelt werden.
"... Ich kam rechtzeitig, um zu sehen, wie ein Großer [Er selbst ist erst neun bis zehn Jahre alt] staubüberschüttet zum Krankenwagen humpelte. Für einen anderen kam jede Hilfe zu spät. Ich sah, wie seine Leiche, mit dunklen Decken verhüllt, abtransportiert wurde." [144]
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Kinder in Trümmern August 1941. Stadtarchiv Münster
 
 
Am 29.03.1946 berichtet der Landrat des Landkreises Münster, dass in diesem Monat durch alte Munition sechs Kinder getötet und eines schwer verletzt wurde. Ebenso meldet der leitende Polizeioffizier dem Schulamt am 06.05.1946 die Verletzung eines zehnjährigen Mädchens, das bei einer Schulwanderung Flakgeschosse gefunden hatte. [145]

In einem Interview mit Elisabeth Domanski erklärt Frau C., Jahrgang 1931:
" ... Wir haben Handgranaten in den Schlammteich geschmissen, abgezogen und reingeschmissen." [146]

Ich selbst erinnere mich an einen Klassenkameraden aus Telgte, der noch 1958 mit Freunden Munition aus der Ems fischte, um damit Raketenautos zu konstruieren. Erst als einer der Freunde dabei auf Grund einer Explosion seine halbe Hand verlor, endete dieses gefährliche Spiel.
 
 
 

4.9. Seelische Folgen: vaterlose Kinder, posttraumatische Belastungsstörungen

 
 
 
Der Krieg hat die etablierte Familienordnung und vor allem die traditionelle Rolle des männlichen Familienoberhauptes geschwächt. Wir sehen verbreitet vaterlose Familien, dazu kommt noch, dass die Erziehung besonders durch HJ und BDM aber auch durch andere NS-Institutionen zu einem Autoritätsverlust der Familie insgesamt geführt hat. [147] In dem Abschnitt dieses Projekts über die Evakuierung, beschreibt Adalbert Hoffmann das Phänomen der posttraumatischen Belastungsstörung eingehend.

Von psychischen Folgen des Krieges erzählt Herr M. H., Jahrgang 1942:
"... Ich hab immer gut gegessen, meine Schwester war da schon etwas schwieriger. Die hat natürlich den Krieg viel bewusster erlebt als ich. Ich habe keine negativen Erlebnisse an den Krieg, außer, das lese ich jetzt, wenn geschossen, also auch Tiefflieger in Greffen, gut, wenns so rundherum ballerte, dann habe ich geweint. Meine ältere Schwester hat mehr mitgekriegt, die hat eine Ahnung gehabt, dass das gefährlich war."

Frau Monika S., Jahrgang 1942, weist später eine deutliche posttraumatische Belastungsstörung auf. Sie schildert eine Szene, die sich noch Ende der 40er Jahre auf dem Schulhof abgespielt hat, als sie wohl englische Militärflugzeuge hört:
"An dieses Brummen der Flugzeuge kann ich mich erinnern und das war eine ganze Zeit, dass mich das ängstigte. Und dieses Brummen, das ist ja heute noch so, das waren Aufklärungsflugzeuge ... in der Schule noch in den Pausen, wenn dann so Aufklärungsflugzeuge kamen, dann lagen wir vor Angst platt auf dem Boden, dann haben wir uns auf dem Schulplatz flach hingelegt, nicht bewegt und dann hinterher ist, Gott sei Dank, nichts passiert."

Über den Aufenthalt im Bunker oder Luftschutzkeller berichtet sie:
"Da haben wir beide noch so Vorstellungen von dieser Enge, diesen engen Gängen im Keller, wo dann die alten Leute, die beteten Rosenkränze und was weiß ich wurde gebetet. Dann wurden die kleinen Kinder reingenommen, manchmal aber auch in der Nähe des Ausgangs, damit man schneller raus kam. Auch waren viele Säuglinge da und kleine Kinder und saßen dann so eng auf Bänken. Ich erinnere mich an eine flackernde Birne und weiß dann, wenn die irgendwie in der Nacht kamen, dann fingen die so an zu flackern ... hab dann nur die betenden Leute in Erinnerung. Dass wir ewig nur so Ängste hatten ... haben eigentlich so eine schöne Kindheit verlebt. Was ich hinterher so gemerkt habe, dass diese Ängste, mit sechs bis acht Jahren, dass ich Angst hatte, meine Eltern zu verlieren, wenn sie nur aus dem Haus gingen. Das hat sich eine ganze Zeit lang so erhalten. Wenn die mal raus gingen, nur ein paar hundert Meter in einen Kleingarten und wir lagen zu Hause in den Betten, da hab ich in Erinnerung, dass mich Nachbarn auf der Straße fanden, so mit fünf bis sechs Jahren, weil ich eben Angst hatte, dass etwas passiert. Ich bin im Nachthemd raus gerannt."

Schwer zu schaffen macht ihr auch folgende Erinnerung:
"Alles zusammen [sie berichtet von einem Mann, der sie und ihre Schwester verfolgt hat] in einer fremden Stadt, ein Lehrer, der ziemlich gewalttätig ist, Aufnahme zur Realschule, wenn man das zusammen sieht, Ängste, Druck, schaffe ich das? ... Ich hatte lange Schwierigkeiten, mich an geschlossene Räume zu gewöhnen, dass ich eigentlich nicht umfiel, dass mir nichts Schlimmes passierte.

1947 bekam ich eine Mittelohrentzündung und es gab keine Antibiotika. Im Krankenhaus Ängste, Besuch durfte nicht kommen, vor lauter Angst konnte ich keine Kinderkur antreten. Ich hatte eigentlich lange das Gefühl, du musst dich anstrengen, du darfst nichts sagen ... wir haben uns nicht gewehrt ... das Gefühl der Sicherheit, das ist das Thema."

Die Folgen dieser Erlebnisse spürt sie bis ins Erwachsenenalter:
"Aber es hat Auswirkungen gehabt, wie ich dann in späteren Jahren diese diffusen Ängste mitgenommen habe, zum Beispiel in Krisen, Entscheidungen, irgendwelchen Erkrankungen. Die Lösung von zu Hause ist nicht gelungen. Dieses Gefühl, du bist verantwortlich, auch du kannst nicht selbst einfach sagen, was du willst, man hat sich den Gelegenheiten anzupassen, das war durch die Kriegszeit der Anfang dieser Entwicklung. ... Ich habe hinterher eine Gesprächstherapie gehabt."

Frau Anneliese J., Jahrgang 1933, bemerkt zu Bombenangriffen:
"... wenn ich Brandgeruch heute rieche, dann erinnere ich mich daran, die ganze Stadt roch danach. Am Schinkendenkmal [Promenade, Fürstenbergstrasse], da waren wir immer im Keller und da bin ich mal fast verschüttet ... ein Ausgang war nicht mehr zu benutzen und ich habe daher heute noch eine unheimliche Platzangst, eine Phobie. Ich brauche immer einen Fluchtweg, zum Beispiel in der Bahn, dass möglichst keine im Gang stehen, dass ich weg kann. ... Im Keller ... irgendwann war das so schrecklich, dass ich da drin saß. Ich habe immer offenen Türen, ich brauch das irgendwie ... bis der Arzt dann einmal sagte: kann das der Luftschutzkeller sein, ihre Angst eingeschlossen zu sein. Ich bin noch nie geflogen ... das Gefühl, die machen die Tür zu ..."

Frau Bernhardine C., Jahrgang 1936, ist in Marienfeld evakuiert, nachdem die Familie 1942 ausgebombt war:
"... ich hab nie gefühlt, dass ich Heimweh hatte, dass ich traurig war ... ich hatte doch wohl eine Belastung, denn die Lehrerin hat der Mutter gesagt, ihre Tochter sitzt nur da und träumt und spielt mit dem Griffel, die macht überhaupt nicht mit. Das Ergebnis war, ich hatte mangelhaft und ungenügend im ersten Schuljahr ... das zeigt eigentlich doch, dass ich eine Belastung hatte, die ich aber nicht gespürt habe."

Neben den schweren Traumatisierungen der Kinder durch die Kriegsereignisse selbst mit Bomben und Tieffliegern sind in den ersten Nachkriegsjahren mindestens 30 % aller deutschen Familien unvollständig und die Scheidungsziffern steigen nach 1945 deutlich an. [148] Die Folgen für die seelische Gesundheit und das Verhalten der Kinder sind nicht hoch genug zu veranschlagen.

Frau Helma B., Jahrgang 1945, beschreibt eine Nachkriegsbeziehung:
"... Meine Freundin hatte einen 'Onkel Paul' weil die Mutter Kriegerwitwe war."

Sie erzählt auch, dass sich ihre Eltern in den späten 40er Jahren scheiden ließen, was sie aber nicht gerne in der Klasse zugeben wollte, sie habe immer gesagt, ihr Vater sei vermisst.

In einem Schreiben des Ministers für Soziales und Wiederaufbau NRW vom 30.01.1954 werden Stadt- und Landkreise, der Landschaftsverband Westfalen Lippe (LWL) und andere Träger aufgefordert, Einrichtungen zur ärztlichen und pädagogischen Behandlung auffälliger und seelisch erkrankter Kinder, die sich besonders unter Vertriebenen- und Flüchtlingskindern gezeigt hätten, einzurichten. Diese hätten folgende Symptome gezeigt, die Diagnoseformulierungen richten sich dabei nach dem Stand der Psychiatrie der Zeit:
  • Fremdneurosen (milieugeschädigte Kinder)
  • Randneurosen (fehlerhafte Gewohnheiten)
  • Organneurosen (Enuresis, Onanie, Schlafstörung, vegetative Dystonie)
  • Stottern
  • Psychische Auffälligkeiten nach kräfteverzehrenden Krankheiten (Psychosomatik)
  • Folgezustand von Kinderlähmung
  • Krampfleiden
  • Nachwirkungen von Tuberkulöser Meningitis (nach Streptomycin und Neotebenbehandlung)
  • Dysharmonische Entwicklung (Retardierung, Akzeleration) [149]

Aus einem Kurbericht des Kinderkurheimes des Landkreises Herford in Vlotho, "Ebenöde" geht 1954 hervor, dass in acht Wochen 60 Kinder behandelt wurden. Folgende Diagnosen werden angegeben:
  • Bettnässen
  • leichte Sprachstörungen
  • Pavor nocturnus (nächtliche Angstzustände)
  • Nägelkauen
  • neurovegetative Übertragungen und Kindernöte nach Scheidung, Zerrüttung, Kriegs- und Fluchtereignissen

Als Kurerfolg wird neben einer Heilung von 25 % und einer Besserung von 50 % auch die Gewichtszunahme als wichtiges Ziel erwähnt. [150]

Aus heutiger Sicht mag diese Zusammenstellung und Wertung von psychischen Erkrankungen willkürlich und nicht immer zutreffend erscheinen. Sie zeigt aber doch, dass auch 1954 wahrscheinlich noch erhebliche posttraumatische Belastungsstörungen durch Kriegsfolgen vorliegen und die Defekte in den Familien dieser Zeit ihre Spuren in der Psyche der Kinder hinterlassen haben.

In der Zeit des Wirtschaftswunders sind diese Erlebnisse eventuell zu unterdrücken. Wenn man aber älter wird und vielleicht ein Resümee seines Lebens zieht, kommen gerade die bedrückenden Kriegserlebnisse wieder an die Bewusstseinsoberfläche. Noch heute berichten Interviewpartner, die längst das Rentenalter erreicht haben, erstmals über Angstzustände und typische Symptome einer solchen Erkrankung.
 
 
 

4.10. Kuren

 
 
 
Wegen der doch erheblichen Gesundheitsstörungen bei Kindern der Nachkriegszeit, insbesondere wegen des Untergewichtes, das als wesentlicher Risikofaktor für die TBC angesehen wird, richten Institutionen wie Kommunen, Landschaftsverband und konfessionelle Einrichtungen wieder Kurheime ein. Die Stadt Münster hatte vor dem Krieg ein Kinderheim auf der Insel Juist, das zunächst von Engländern und Flüchtlingen besetzt war, und nimmt den Betrieb dort wieder 1947 auf.
"Wir Kinder wurden damals zum dicker werden verschickt." [151]

Die Waage war der wesentliche Indikator für den Erfolg des Kuraufenthaltes, was sogar die Jugendlichen verinnerlicht haben, wie Gottfried Schäfers in einer Szene aus eigener Anschauung beschreibt. Als er nach einer solchen Kurmaßnahme auf dem Schulhof Nachlaufen spielt, wird er von einem Mitschüler gemaßregelt:
"Ich finde es unverantwortlich, dass du hier so rumtollst! Deine Eltern haben viel Geld für deine Kur ausgegeben und du läufst dir die Pfunde jetzt wieder herunter!" [152]

Aus der Sicht der Ärztin urteilt Frau Dr. Q. R. Jahrgang 1919:
"Nach dem Kriege habe ich viele weggeschickt, die waren eigentlich alle gesund, nur schlechtes Gewicht, die waren mickrig, das war alles."

Auch Herr M. H. Jahrgang 1942 sagt:
"... die ärztliche Stellungnahme, das wurde bei uns alles aufgehoben: wechselnde Esslust ... ja die Kur, das waren vier Wochen in den Ferien, wie gesagt 1952, da war ich etwa zehn Jahre, ich hatte dort, ich erinnere mich, eineinhalb Pfund zugenommen. Während der Kur hatte ich eine Angina."

Neben den durch die o.g. Einrichtungen durchgeführten Kuren in Deutschland gibt es auch eine weitere Hilfe durch zeitliche Aufnahme in Familien fremder Länder in Form eines Ferienaufenthaltes. Kinder werden zum "Aufpäppeln" in Holland, Frankreich und ganz besonders in der Schweiz aufgenommen.

In einem Bericht über die Aufnahme von Kindern in der Schweiz, die zum Teil über das Rote Kreuz, zum Teil privat vermittelt werden, wird im Sommer 1948 aus NRW berichtet, dass 200 Kinder über die Caritas, 100 Kinder über den evangelischen Gemeindedienst und 150 als Flüchtlingskinder geschickt werden. Diese Aufenthalte gibt es seit 1946 bis weit in die 50er Jahre. [153] In der frühen Nachkriegszeit bis 1948 werden Kinder sogar nach Irland und Schweden geschickt. Allein aus Westfalen fahren z. B. 1953 1.500 Kinder nach Frankreich. [154]

Zum Kurwesen in Deutschland zeigt eine Statistik vom 01.04.1947 bis 31.03.1948 der Verwaltung des Provinzialverbandes Westfalen, des späteren LWL, folgende Zusammenstellung der Befunde und Diagnosen von 5.528 Kindern, die in Kur geschickt wurden.

Die Gewichtszunahme beträgt 1,5 bis 2,8 kg während der Kur. Als Aufnahmediagnosen werden genannt:

Aufnahmediagnosen 1947/1948 von Kindern bei Kurbeginn nach Geschlechtern getrennt (von 5.528)

Aufnahmediagnosen 1947/1948 von Kindern bei Kurbeginn nach Geschlechtern getrennt (von 5.528)

TBC bezogene Aufnahmediagnosen 1947/1948 bei Kurbeginn von 5.528 Kindern

TBC bezogene Aufnahmediagnosen 1947/1948 bei Kurbeginn von 5.528 Kindern


Interessant ist auch, welche Erkrankungen bei den Kindern während der Kur auftreten, da sie ein gutes Bild für das Maß der Häufigkeit von Infektionserkrankungen in dieser Zeit abgeben.

Erkrankungen während des Kuraufenthaltes 1947/1948 von 5.528 Kindern in Kur

Erkrankungen während des Kuraufenthaltes 1947/1948 von 5.528 Kindern in Kur [155]
 
 
 
 

5. Zusammenfassung und Diskussion:
Ende der Not? Das Wirtschaftswunder das andere Extrem?

 
 
 
Zwar gibt es bereits viele Bücher und Berichte über die Nachkriegszeit, die ein anschauliches Bild auf der Basis von Archivquellen, besonders auch mit Hilfe von zeitgenössischen Interviewpartnern zeichnen. Über die Darstellung der Nachkriegszeit in dieser Literatur hinaus aber ist es mein Anliegen, aus der Perspektive und mit dem Sachverstand des Arztes auf diese Zeit zu schauen. Aus diesem Grund stellen die großen Mengen an gesundheits- und ernährungsbezogenen statistischen Zahlen und Angaben, die sich in den Archiven Münster, Gütersloh und Wiedenbrück fanden, eine so wichtige Quelle für diese kritische Beurteilung dar. Mit dieser Hilfe ist es möglich, ein stimmiges Bild der Gesundheits- und Ernährungssituation der Kinder und Jugendlichen zu zeichnen. Auch waren für meine Arbeit neben den Archivmaterialien, die mir selbst zur Verfügung standen, die Archivfunde, die sich aus der Literatur ergaben, eine sehr wichtige Information für neue Erkenntnisse. Nur sie können eine objektive Grundlage für eine Interpretation bieten, wobei diese aus historischer Sicht von heute sicher anders ausfallen muss als aus dem Blickwinkel der Zeitgenossen.

Die Gefahr ist natürlich, dass man heute auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte zurückschaut und die einzelnen Entwicklungsaspekte nur als alternativlosen Schritt auf diesem Weg sieht. Eine weniger positive Entwicklung, die die Zeitgenossen durchaus befürchteten, man denke hier z. B. an die große Streikbewegung wegen Hungers und steigender Preise in der ersten Zeit nach der Währungsreform, können wir uns kaum vorstellen, und es erscheint schwierig, mit den Augen der Menschen dieser Zeit zu schauen und nachzuvollziehen, welcher Bedrohung sie sich auch in ihrer Gesundheit ausgesetzt sahen.

Die Interviewpartner dieser Arbeit setzen z. T. im Vergleich zu den Aussagen aus älteren Untersuchungen z. B. Jakobi/Heise, Domanski und Priamus dessen erste Auflage schon 1985 erschien und bei denen die Befragten im Allgemeinen eher geboren waren, etwas andere Akzente in der Beurteilung der Nachkriegszeit. Es ist wohl so, dass man erst ab einem bestimmten Alter die negativen Seiten des Erlebten genauer im Gedächtnis behält und sie nicht im Nachherein sinnstiftend vergoldet. Aber es fallen doch gelegentlich, obwohl z. B. immer wieder behauptet wird, man habe nicht gehungert, kurze Bemerkungen, die für das Gegenteil sprechen.

Doch sind bei aller Skepsis den persönlichen, mit Sinn erfüllten und interpretierenden Aussagen gegenüber, die im Rahmen der Oral History gemacht werden, diese Aussagen so faktenreich und gleichzeitig so privat, dass ohne sie viele der berichteten Tatsachen nicht ausreichend gewürdigt würden. Insbesondere die psychischen Belastungen der Heranwachsenden der Kriegs- und Nachkriegszeit sind auf anderem Wege kaum darstellbar.

Ein gutes Beispiel dafür, dass wir heute manches anders sehen als unsere Zeitgenossen der vierziger Jahre, ist die Bewertung des Normalgewichts von Kindern, das nach der Statistik der Zeit (1946) von bis zu 97 % der Untersuchten unterschritten wurde. Da wir heute andere Normwerttabellen benutzen als 1945 bis 1950, wären aus unserer Sicht höchstens 50 % der Kinder wirklich untergewichtig. Die Interpretation der Ärzte nach dem Krieg war insofern aber dennoch nicht unberechtigt, da damals der Satz galt, nur ein untergewichtiges Kind bekommt eine TBC. Das wichtigste Ziel einer jeden Kur war deshalb die Gewichtszunahme, da nur ein ausreichendes Gewicht vor Infektionskrankheiten zu schützen schien. Dies scheint uns heute absurd, weil wir annehmen, dass ein übergewichtiges Kind gesundheitlich eher mehr gefährdet ist. Man muss aber berücksichtigen, dass wir es heute mit ganz anderen Krankheitsbildern zu tun haben als die Ärzte der Nachkriegszeit.

Ein normal erfahrener Arzt kennt heute Krankheitsbilder wie TBC, Krätze (Skabies), Scharlach, Diphtherie und Lobärpneumonie, die gefährliche Form der Lungenentzündung, nur noch aus Büchern, kaum noch aus eigener Anschauung. Dabei gab es bei häufigem Auftreten dieser Erkrankungen vor 65 Jahren anfangs fast keine und noch bis Mitte der 50er Jahre nicht ausreichende Mittel zu ihrer Bekämpfung, und sie hatten ganz erhebliche Sterbe- oder Invaliditätsraten zur Folge. Bis 20 % der Todesfälle und mehr gingen darauf zurück, und Kinder waren besonders betroffen.

So wurde zum Beispiel die erste wirklich wirksame Therapie der TBC mit einer Dreierkombination von Tuberkulostatika Anfang der 50er Jahre eingeführt. Auch die Antibiotika Behandlung von Erkrankungen wie Lungenentzündung, Scharlach, Angina Tonsillaris usw. wurde erst Mitte der 50er Jahre üblich.

Gegen die besonders 1952 aber auch noch bis 1961 häufig auftretende Poliomyelitis mit der Gefahr der peripheren Lähmung an Armen und Beinen aber auch der Atemlähmung, die die Kinder in die Eiserne Lunge zwang, gab es überhaupt noch keine wirksamen Mittel. Erst die Schluckimpfung löste dieses Problem 1962, obwohl es früher hätte sein können, da die Salk Impfung bereits 1957 eingeführt und empfohlen wurde.

Der beängstigende Verlauf der Diphtherie, die besonders in der Epidemie 1948/1949 auftrat, beeindruckte wie später die Poliomyelitis die Öffentlichkeit so stark, weil die Behandlungsmittel fehlten und eine wirksame, an sich mögliche Prophylaxe nicht eingesetzt wurde. Man fühlte sich dem üblen Schicksal ausgeliefert. Die teilweise fast panikartige Reaktion, die damals doch berechtigt war, erinnert uns heute an das übersteigerte Ausmaß der Aufmerksamkeit, die BSE und Vogelgrippe erregt haben, das aber in keiner Weise der wirklichen Bedeutung des Krankheitsbildes entsprach. Nach Wiederaufnahme der allgemeinen Impfung gegen Diphtherie verschwindet das Krankheitsbild Mitte der 50er Jahre.

Etwas unverständlich ist die geringe Aufmerksamkeit, mit der die damals auch noch bei Kindern häufige und immerhin zu 30 % tödliche Lobärpneumonie, Lungenentzündung, beachtet wurde. Aus heutiger Sicht kann man kaum nachvollziehen, wie wenige Menschen bis in die Mitte der 50er Jahre mit dem schon damals zur Verfügung stehenden Penicillin behandelt wurden, das in den Jahren der Nachkriegszeit im Wesentlichen nur für Patienten mit Gonorrhöe vorbehalten war. Dasselbe gilt für heute klassische Anwendungsgebiete, wie Scharlach und Streptokokkenangina, echte Mandelentzündung, die ja schwere Spätfolgen wie Herzfehler und Nierenversagen haben können.

Insgesamt können wir uns heute kaum noch vorstellen, welche auch z. T. tödliche Gefahr mit den damals noch häufigen Infektionskrankheiten verbunden war, und man darf nicht vergessen, dass das später fast völlige Verschwinden dieser gefährlichen Krankheiten in den 60er Jahren noch 1950 keineswegs der allgemeinen Erwartung entsprach.

In dem Interview mit der Ärztin aus dem Kreis Gütersloh sagt diese, dass es in medizinischer Hinsicht endgültig erst in den 60er Jahren viel besser wurde. Dass wir heute mit einer ungezielten, nicht angebrachten, viel zu häufigen Antibiotikatherapie von banalen Infekten konfrontiert sind, steht auf einem anderen Blatt.

Kaum glauben können wir heute, wie wenig Aufmerksamkeit den seelischen Nöten der Kinder entgegengebracht wurde. Genau so verhielt man sich auch gegenüber den Soldaten und den Frauen mit den Erlebnissen von Hunger, Vergewaltigung und Tod der Kinder auf der Flucht. Auch sie waren ebenfalls durch ihre Erfahrungen besonders schwer traumatisiert und konnten oft erst am Ende ihres Lebens, wenn überhaupt, darüber sprechen. Hier zeigt sich, wie wichtig die Interviews für das schlüssige Gesamtbild der damaligen Verhältnisse sind. Ohne sie, d.h. nur auf Grund von Statistiken, wäre kein zutreffendes Bild der damaligen Zeit zu zeichnen. Noch einmal ist hier auf Kapitel 3.1.der Arbeit von Adalbert Hoffmann in dieser Veröffentlichung zu verweisen.

Ein anderes Phänomen ist beim Blick auf die Nachkriegszeit ebenfalls wichtig. Es gibt völlig unterschiedlich betroffene Gruppen in der Bevölkerung. Wer in seiner vertrauten Umgebung lebt und über ein funktionierendes Beziehungsnetz verfügt, kann in dieser Zeit mit Initiative und Glück recht und schlecht überleben. Viele der Interviews und die von Erfolg geprägten Erzählungen unserer Eltern zeigen das sehr deutlich. Ganz anders sieht es aus, blickt man auf die Gruppen der Kinder ohne Vater, von Vertriebenen, Flüchtlingen, Evakuierten und Ausgebombten. Hier finden sich Hunger, eine extreme Wohnungsnot, Schmutzkrankheiten, alle Infekte und nicht zuletzt auch psychische Belastungen, die die Betroffenen ein ganzes Leben begleiten, somit ein besonders schlimmes Bild der Nachkriegszeit.

Wenn auch die Ernährungslage nicht für alle gleich schlecht ist, und die Gefahr durch Krankheiten zu sterben, relativiert werden muss, immerhin sterben in Münster pro 1.000 Einwohner nie so wenig Menschen wie in der frühen Nachkriegszeit, so ist die Wohnungsnot für alle eine schlimme, durchaus krankheitsrelevante Tatsache. 6,4 qm pro Person bedeuten eine Enge mit Konsequenzen besonders für Hygiene und Psyche, die man sich heute, wo jedem Menschen im Durchschnitt mehr als 42 qm zur Verfügung stehen, nicht mehr vorstellen kann. [156] Aber auch hier gilt, dass der Wohnraum unterschiedlich verteilt ist und nicht alle so extrem eng behaust sind. Es gibt Bevorzugte und Benachteiligte.

Von besonderer Bedeutung für die Wahrnehmung scheint mir, dass sich die Verhältnisse in der Zeit des Wirtschaftswunders in ganz wenigen Jahren für fast alle in einem Ausmaß bessern, wie man es bis 1950 nicht erwarten konnte. Damit entsteht auch die Möglichkeit, die Traumatisierungen der Kriegs- und Nachkriegszeit rasch zu vergessen und zu verdrängen, sie vielleicht als schlimmen Anfang einer dennoch guten Entwicklung zu sehen, eine Sinnstiftung nach dem Motto: per aspera ad astra. Dass eine solche Bewältigung dieser seelischen Traumata nicht immer gelungen ist, beweisen unsere Interviews. Wir können dieses extreme Wechselbad der Erlebnisse und Gefühle heute bei relativem Wohlstand und vergleichsweise fehlender sowohl positiver als auch negativer wirtschaftlicher Dynamik fast nicht mehr nachvollziehen. Trotzdem finden sich auch heute noch Hinweise auf eine tiefe Prägung der Deutschen durch diese Zeit: das rasch entstehende Gefühl der Gefahr und Unsicherheit, unsere Angst zu verlieren, die Sorge vor Krankheiten, wir sind ja fast Weltmeister in der Konsultation von Ärzten, das Festhalten an erworbenen Dingen und Besitzständen, vielleicht aber auch die Fähigkeit, Mitleid mit anderen Völkern zu haben, denen es schlecht geht, wie man an einer breiten Spendenbereitschaft erkennen kann.

Zusammenfassend kam es bei dieser Arbeit darauf an, das vorhandene Bild der Nachkriegszeit besser zu differenzieren und insbesondere aus der Sicht des Arztes zu interpretieren. Es ist allerdings weder möglich, eine absolut objektive Sicht der Zeit unabhängig vom Blickpunkt, den persönlichen Erfahrungen und Einstellungen des heutigen Betrachters darzustellen, noch eine zutreffende Interpretation aus der Sicht des Zeitgenossen zu geben.
 
 
 
 

6. Literaturverzeichnis

 
 
 
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7. Verzeichnis der Zeitzeugen

 
 
 
Frau Helma B. - Jahrgang 1945, wächst am Stadtrand von Münster im Haus der Großeltern auf, die sehr gute Beziehungen zu den benachbarten Bauern haben. Außerdem besitzen sie einen großen Garten, so dass die Ernährungslage als unproblematisch wahrgenommen wird. Frau B. leidet als Kind wohl unter der Trennung und Scheidung der Eltern und gibt in der Schule an, der Vater sei vermisst.
Interview am 20.04.10 (11:42 min, 6,4 MB MPEG)










 
 
Frau Bernhardine C. - Jahrgang 1936, evakuiert im Juni 1942 nach Marienfeld, Rückkehr im Januar 1951.
Interview zusammen mit Adalbert Hoffmann am 19.01.2010 (37:35 min, 34,3 MB, MPEG)




 
 
Herr Martin H.* - Jahrgang 1942 (Juli), evakuiert im Juni 43 nach Mecklenbeck, dann August 1944 Greffen, April 1946 wieder zurück nach MS.
Interview zusammen mit Adalbert Hoffmann am 23.02.2010 (20:42 min, 19,4 MB MPEG)





 
 
Frau Anneliese J. - Jahrgang 1932, 1943 KLV mit Freiherr vom Stein Gymnasium nach Bayern, Rückkehr August 1945.
Interview zusammen mit Adalbert Hoffmann am 23.02.2010 (21:14 min, 19,4 MB MPEG)





 
 
Zwillingsbrüder Heinz und Karl L. - Jahrgang 1940 (September), evakuiert 1944 ins Allgäu, im Oktober 1945 nach Telgte, Rückkehr nach Münster 1953.
Interview zusammen mit Adalbert Hoffmann am 26.01.2010 (49:24 min, 45,14 MB MPEG)





 
 
Frau Brigitte N. - Jahrgang 1933, kommt aus Paderborn und ist, nachdem die Familie dort ausgebombt wird, in Delbrück evakuiert. Sie erlebt dort Abweisung und wenig Hilfe durch die ortsansässige Bevölkerung.
Interview am 30.03.10 (21:43 min, 20,8 MB MPEG)





 
 
Frau Dr. Else S. Jahrgang 1939, Familie stammt eigentlich aus Berlin, Vater nach dem Krieg kurz in einem Dorf in der Nähe von Bremen Pfarrer, bekommt schon 1948 einen Ruf an die Universität Münster, Kinder folgen erst 1949. Fühlt sich im Dorf gut akzeptiert, viele Nachbarn helfen der Familie. Wird selbst später Ärztin für Kinderradiologie.
Interview am 17.12.2009 (21:14 min, 14,4 MB, MPEG)




 
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Mechthild S. im Kreis der Nachbarskinder, 1948.
Frau Mechthild S.- Jahrgang 1945, wächst in einem Behelfsheim in Gimbte auf, erinnert sich besonders an die Hilfe der Nachbarn, die einen kleinen Bauernhof hatten und selbst aus heutiger Sicht arm waren. Der Sohn dort war Schneider und die Mutter von Frau S. half ihm aus und hatte so einen kleinen Erwerb. Sie selbst fühlte sich wie Kind im Hause der Nachbarn, wird von einem jüngeren Sohn, der etwa ihr Alter hat, in der Schule gegenüber den anderen Dorfkindern geschützt. Interview am 07.01.2010 (23,41 min, 21,6 MB, MPEG)




 
 
Monika S. - Jahrgang 1942, evakuiert 1944 nach Emsdetten, 1951 zurück nach MS.
Interview zusammen mit Adalbert Hoffmann am 26.01.2010 (2,38 min, 2,4 MB, MPEG)




 
 
Interview zusammen mit Adalbert Hoffmann am 26.01.2010 (25,09 min, 25,9 MB, MPEG)





 
 
Interview zusammen mit Adalbert Hoffmann am 26.01.2010 (1,16 min, 1,18 MB, MPEG)





 



 
Die mit * bezeichneten Zeitzeugen habe ich auf ihren Wunsch hin anonymisiert.
Die Gespräche fanden in den Wohnungen der Zeitzeugen statt.
 
 
 



Anmerkungen

[1] Hobsbawm, Eric, Das Jahrhundert der Extreme, Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, London 1994.
[2] Domansky, Elisabeth / De Jong, Jutta: Der lange Schatten des Krieges, Münster 2000, S. 229.
[3] Jakobi, Franz-Josef / Link, Roswitha (Hg.) / Heise, Sabine (Bearbeiterin), Geschichte im Gespräch: Kriegsende 1945 und Nachkriegszeit in Münster, Münster 1997.
[4] Es gibt keine gesicherten Angaben zur Herkunft dieses Schlagwortes. Meistens wird es zeitlich mit der Kriegsvorbereitung im Göringschen Vierjahresplan für die Wirtschaft im Reich in Verbindung gebracht.
[5] Abeler, Franz, Erinnerungen Jugend Ausbildung Familie - Firma Engelkemper, unveröffentlichtes Manuskript aus dem Archiv der Fa. Engelkemper Münster Lindberghweg 144, 1996, S. 23.
[6] Backe, Herbert, Um die Nahrungsfreiheit Europas, Leipzig 1942, S. 225, zitiert nach: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Agrarwirtschaft_und_Agrarpolitik_im_Deutschen_Reich_%281933%E2%80%931945%29 S. 11 (Zugriff 27.08.2010).
[7] Tooze, Adam, Ökonomie der Zerstörung, München 2007, S. 485, zitiert nach: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Agrarwirtschaft_und_Agrarpolitik_im_Deutschen_Reich_%281933%E2%80%931945%29 , S. 17 (Zugriff 27.08.2010).
[8] Volkmann, Hans-Erich, Ökonomie und Expansion München 2003, S. 372, zitiert nach: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Agrarwirtschaft_und_Agrarpolitik_im_Deutschen_Reich_%281933%E2%80%931945%29 , S. 17 (Zugriff 27.08.2010).
[9] Tooze, Adam, Ökonomie der Zerstörung, München 2007, S. 918f., zitiert nach: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Agrarwirtschaft_und_Agrarpolitik_im_Deutschen_Reich_%281933%E2%80%931945%29 S. 17 (Zugriff 27.08.2010).
[10] Abelshauser, Werner, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München 2004, S. 73.
[11] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 121, Stadtarchiv Münster 266/473.
[12] Zu den Interviewpartnern siehe die jeweilige Kurzcharakterisierung im Anhang.
[13] Reichhard, Sven / Zierenberg, Malte, Damals nach dem Krieg, eine Geschichte Deutschlands 1945 bis 1949, München 2009, S. 70.
[14] Stadtarchiv Münster Kreis C Nr. 379.
[15] Aly, Goetz, Hitlers Volksstaat Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt 2005, S. 20.
[16] Jakobi, Franz-Josef / Link, Roswitha (Hg.), Geschichte im Gespräch, S. 65.
[17] Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 285.
[18] Echternkamp, Jörg, Nach dem Krieg. Alltagsnot, Neuorientierung und die Last der Vergangenheit 1945-1949, Zürich, 2003, S. 50, zitiert nach Reichhard, Zierenberg, Damals nach dem Krieg, München 2009, S. 135.
[19] Jakobi, Franz-Josef / Link, Roswitha (Hg.), Geschichte im Gespräch, S. 16.
[20] Brief, Stadtdirektor Gütersloh an Militärregierung Wiedenbrück, Stadtarchiv Gütersloh, D 528.
[21] Jakobi / Heise, Geschichte im Gespräch, S 17.
[22] Akten des Kleinen Rates (später Hauptausschuss) 17.03.1947 Stadtarchiv Münster.
[23] Ratsakten 1946/1947 I /3, Bd. 1, Stadtarchiv Münster.
[24] Reichhard / Zierenberg, Damals nach dem Krieg, S. 79.
[25] Häusser, Alexander / Maugg, Gerdion, Hungerwinter, Deutschlands humanitäre Katastrophe 1946/47, Berlin 2009, S. 10.
[26] Reichhard / Zierenberg, Damals nach dem Krieg, S. 114-116.
[27] Häusser / Maugg, Hungerwinter, S. 10.
[28] Jakobi, Franz-Josef / Link, Roswitha (Hg.), Geschichte im Gespräch, S. 112.
[29] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 13.
[30] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 13.
[31] Freie Presse Gütersloh 31.07.1946.
[32] Akten des Kleinen Rates (später Hauptausschuss) vom 31.07.1947, Stadtarchiv Münster.
[33] Akten des Kleinen Rates (später Hauptausschuss) vom 25.04.1947, Stadtarchiv Münster.
[34] Ratsakten 46/47 I/3 Bd. 1.
[35] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 128 Nr 266/473 Stadtarchiv Münster.
[36] Adam, Ernährungsmedizin, Bd. 4, 8/3 S. 1.
[37] Adam, Ernährungsmedizin, Bd. 4, 8/3 S. 2.
[38] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, Stadtarchiv Münster 266/473.
[39] Adam, Olaf, Ernährungsmedizin in der Praxis, Balingen 2006, Bd. 4 8/7.
[40] Adam: Ernährungsmedizin, Bd. 4 8/3.
[41] Schäfers, Gottfried, Als unser Münster sich wieder machte, Münster 1981, S. 8.
[42] Ratsakten 1946/1947 I/3, Bd. 1, Stadtarchiv Münster.
[43] Akten des Kleinen Rates (später Hauptausschuss) vom 16.12.1946, Stadtarchiv Münster.
[44] Akten des Kleinen Rates (später Hauptausschuss) vom 07.07.1947, Stadtarchiv Münster.
[45] Stadtverordnetenprotokoll 20.11.1945-10.10.1948 Stadtarchiv Gütersloh D 524.
[46] Ohler, Annemarie / Ohler, Norbert, Kinder und Jugendliche in friedloser Zeit. Aus deutscher Geschichte in den Jahren 1939 bis 1945, Münster 2010, S. 243.
[47] Jakobi / Heise, Geschichte im Gespräch, S. 71.
[48] Priamus, Heinz-Jürgen, Ruinenkinder. Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet nach dem Zweiten Weltkrieg, Essen 2005, S. 48.
[49] Abeler, Franz, Erinnerungen, S. 28.
[50] Priamus, Ruinenkinder, S. 116.
[51] Akten des Kleien Rates (später Hauptausschuss) 1945 bis 1949, Stadtarchiv Münster, 15. 11.1949.
[52] Stadtarchiv Gütersloh D 1576.
[53] Stadtarchiv Gütersloh D 1577.
[54] Stadtarchiv Gütersloh D 1578.
[55] Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Landesernährungsamt B, Unna-Königsborn, 23.1.46, Erlass Nr. 113, Stadtarchiv Gütersloh, D 1576.
[56] Stadtarchiv Gütersloh D 1577.
[57] Priamus: Ruinenkinder S. 130.
[58] Stadtarchiv Gütersloh D 1581.
[59] Priamus: Ruinenkinder S. 44.
[60] Jakobi, Franz-Josef / Link, Roswitha (Hg.), Geschichte im Gespräch, S. 169.
[61] Stadtarchiv Gütersloh D 1581.
[62] Stadtarchiv Gütersloh D 1577.
[63] Stadtarchiv Gütersloh D 536.
[64] Akten des Kleinen Rates (später Hauptausschuss) vom 20.07.1946, Stadtarchiv Münster, Ratsakten 46/47 I/3.
[65] Stadtarchiv Gütersloh D 1581.
[66] Reichhard; Zierenberg: Damals nach dem Krieg, S. 255.
[67] Heise, Geschichte im Gespräch, S. 64.
[68] Priamus, Ruinenkinder, S. 146.
[69] Priamus, Ruinenkinder, S. 141.
[70] Akten des Kleinen Rates (später Hauptausschuss) 10.03.1947, Stadtarchiv Münster.
[71] Priamus, Ruinenkinder, S. 149 und S. 152f.
[72] Priamus: Ruinenkinder S. 160.
[73] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 14, Stadtarchiv Münster 266/473.
[74] Schwester M. J., Gedächtnisprotokoll des Autors 1975.
[75] Haunfelder, Bernd, Münster, die Nachkriegszeit 1945 bis 1965, Bilder und Chronik, Münster 1993, S. 14.
[76] Referat des Leiters des Gesundheitsamts Dr. Kropf, 20. 08 1945, Ratsprotokoll 1945 bis 1948, S. 29f., Stadtarchiv Münster.
[77] Öffentliche Sitzung der Stadtvertretung vom 01.10.1947, Ratsakten I/3 Bd. 1, Stadtarchiv Münster.
[78] Kulla, Gütersloher Geschichte 1918-1955, Bd. 2, Stadtarchiv Gütersloh, DEK 1 Kulla.
[79] Schäfers, Als unser Münster, S. 10; Ohler / Ohler, Kinder und Jugendliche, S. 245.
[80] Reichhard / Zierenberg, Damals nach dem Krieg, S. 134f.
[81] Schäfers, Als unser Münster, S. 23.
[82] Schäfers, Als unser Münster, S. 24.
[83] Focus, 15.04.2006, In Westdeutschland vergrößerte sich der Wohnraum auf 42,5 Quadratmeter im Jahre 2006. URL: http://www.focus.de/immobilien/mieten/wohnflaeche_aid_53463.html (Zugriff 02.11.2010).
[84] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 20, Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[85] Stiefermann, Reinhard (Hg.), Das Johann-Conrad-Schlaun-Gymnasium Münster 1900-2000, Münster 2000, S. 186.
[86] Priamus, Ruinenkinder, S. 92.
[87] Domansky / de Jong, Der lange Schatten, S. 262.
[88] Schäfers, Als unser Münster, S. 20/2.
[89] Provinzialhauptstadt Münster Statistischer Jahresbericht 1949, S. 14, Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[90] Provinzialhauptstadt Münster Statistischer Jahresbericht 1949, S. 52f., Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[91] Provinzialhauptstadt Münster Statistischer Jahresbericht 1949, S. 43f., Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[92] Provinzialhauptstadt Münster Statistischer Jahresbericht 1949, S. 43f., Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[93] Statistische Jahresberichte 1951 bis 1955, Stadtarchiv Gütersloh.
[94] Priamus: Ruinenkinder S. 61.
[95] Ohler / Ohler, Kinder und Jugendliche S. 247.
[96] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 44 Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[97] Kreisarchiv Wiedenbrück, Besprechungsbericht 03.05.1963, Fach 125 Nr. 6.
[98] Adam: Ernährungsmedizin, Bd. 4 8/6, S, 4-6.
[99] Priamus: Ruinenkinder S. 31f.
[100] Melnik, Bodo, Milchkonsum: Aggravationsfaktor der Akne und Promotor chronischer westlicher Zivilisationskrankheiten, JDDG, 2009 7, S. 1-11. Wiley, Andrea S., Dairy and Milk Consumption and Child Growth: Is BMI Involved? An Analysis of NHANES 1999-2004, American Journal of Human Biologie 22:517-525 (2010).
[101] Ohler / Ohler, Kinder und Jugendliche, S. 245.
[102] Priamus: Ruinenkinder S. 55.
[103] Stadtarchiv Gütersloh, Tabelle von Weißenberg entsprechend dem Erlass des Kultusministers NRW über den Regierungspräsident Minden vom 09.05.1947 D 1577 und Hesse, V. / Jäger, H. / Vogel, I., Größen- und Gewichtsperzentilen von Jungen und Mädchen (publiziert von Novo Nordisc), Mainz 1996/1997.
[104] Schreiben des Stadtdirektors Gütersloh an die Militärregierung Wiedenbrück vom 10.3.47 Stadtarchiv Gütersloh D 1576.
[105] Akten des Kleinen Rates (später Hauptausschuss) 31.12.1946, Stadtarchiv Münster.
[106] Stadtarchiv Gütersloh D 1565.
[107] TBC-Geschichte zusammengefasst nach Winkle, Stefan, Geißeln der Menschheit, Kulturgeschichte der Seuchen, Düsseldorf 1997, S. 83 ff.
[108] Naunin, Helmut, Landschaftliche Selbstverwaltung, Wiederaufbau in Westfalen, 1945 bis 1951, Statistisches Amt Münster, 1952, S. 136, LWL Archivamt Münster.
[109] Naunin, Wiederaufbau, S. 138, LWL Archivamt Münster.
[110] Naunin, Wiederaufbau, S. 138, LWL Archivamt Münster.
[111] LWL Archivamt Münster 620/2051.
[112] Schäfers, Als unser Münster, S. 9.
[113] Pressenotiz Volksecho 14.09.1949, Stadtarchiv Münster Kreis C Nr. 381 BD 1.
[114] LWL Archivamt Münster 911/54.
[115] LWL Archivamt Münster 911/54.
[116] LWL Archivamt Münster 620/2051.
[117] Winkle, Geißeln der Menschheit, S. 252ff.
[118] Winkle, Geißeln der Menschheit, S. 280ff.
[119] Titgemeyer, Thomas, Das Gesundheitswesen der Nachkriegszeit am Beispiel des Landkreises Wiedenbrück 1945 bis 1955, Inauguraldissertation, Heidelberg 2000, S. 214.
[120] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 44, Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[121] Statistisches Jahrbuch NRW 1949, S. 288, LWL Archivamt 630/254.
[122] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 14, Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[123] Armann, Michael: Impfplan der STIKO für das 1. bis 18. Lebensjahr , URL: http://www.kinderjugendarzt-armann.de/Downloads/Impfplan.pdf (Zugriff 22.10.2010).
[124] Hühnerbein, Jos., Zur Geschichte und Epidemiologie der Kinderlähmung, aus: Desinfektion und Gesundheitswesen. Polio Sonderheft 1958 Nr. 3 (März) S. 34.
[125] Stadtarchiv Kreis C, 381 BD 1.
[126] Hühnerbein, Zur Geschichte und Epidemiologie der Kinderlähmung, S. 34.
[127] LWL Archivamt Münster 630/268.
[128] LWL Archivamt Münster 630/268.
[129] LWL Archivamt Münster 630/268.
[130] Otterpohl, Margret, Poliomyelitis der Jahre 1957/58 im Lande Nordrhein-Westfalen. Dissertation Düsseldorf 1961, S. 2.
[131] Wohlrab, R. / Steiniger, F., Poliobekämpfung aus: Desinfektion und Gesundheitswesen, Polio Sonderheft 1958 Nr. 3 (März), S. 33 .
[132] Tartler, Georg, Die Poliomyelitis-Schutzimpfung eine Großtat der prophylaktischen Medizin, Greifswald 1965, S. 14ff.
[133] Stück, Burghard, Poliomyelitisviren/Poliomyelitis, aus: Infektionskrankheiten, Suttarp, Norbert / Mielke, Martin / Kiehl, Wolfgang / Stück, Burghard (Hg.), Stuttgart 2004, S. 383.
[134] Winkle, Geißeln der Menschheit, S. 1055.
[135] Steigleder, Gerd Klaus, Taschenatlas der Dermatologie, Stuttgart 1981, S. 141, und Therapie der Hautkrankheiten, Stuttgart 1981, S. 248ff.
[136] Schäfers, Als unser Münster, S. 9.
[137] Schäfers, Als unser Münster, S. 24-26.
[138] Provinzialhauptstadt Münster, Statistisches Jahrbuch 1949, S. 52, Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[139] Referat des Leiters des Gesundheitsamtes Dr. Kropf, 20.08.1945 Ratsprotokoll 1945 bis 1948 S. 29f., Stadtarchiv Münster.
[140] Lindner, Ulrike, Bayern im Bund, Bd. 1, S. 219, zitiert nach Ohler / Ohler, Kinder und Jugendliche S. 246.
[141] Provinzialhauptstadt Münster, Statistisches Jahrbuch 1949, S. 52, Stadtarchiv Münster Nr 266/473.
[142] Stadtarchiv Münster Kreis C Nr. 379.
[143] Provinzialhauptstadt Münster, Statistischer Jahresbericht 1949, S. 52 Stadtarchiv Münster Nr.266/473.
[144] Schäfers, Als unser Münster, S. 96.
[145] Stadtarchiv Münster Kreis C Nr. 379.
[146] Domanski; de Jong: Der Lange Schatten, S. 248.
[147] Reichard / Zierenberg, Damals nach dem Krieg, S. 44.
[148] Reichard / Zierenberg, Damals nach dem Krieg, S. 171.
[149] Archivamt LWL, Münster, 630/231.
[150] Archivamt LWL, Münster, 630/231.
[151] Schäfers, Als unser Münster, S. 7.
[152] Schäfers, Als unser Münster, S. 9.
[153] LWL Archivamt Münster 630/255.
[154] LWL Archivamt Münster 630/254.
[155] LWL Archivamt Münster 630/441.
[156] www.Focus.de: In Westdeutschland vergrößerte sich der Wohnraum auf 42,5 Quadratmeter im Jahre 2006. URL: http://www.focus.de/immobilien/mieten/wohnflaeche_aid_53463.html (Zugriff 01.11.2010).