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Ansgar Weisser

Der Landeshauptmann / Landesdirektor

 
 
 
Die Geschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Nach den Befreiungskriegen wurde das preußische Staatsgebiet erheblich vergrößert und nach dem Wiener Kongreß 1815 zur Förderung der inneren Integration der Landesteile in zehn Provinzen eingeteilt. Damit wurde auch in der neugegründeten Provinz Westfalen mit der Provinzialhauptstadt Münster der Grundstein für die Selbstverwaltung gelegt. Mit dem "Allgemeinen Gesetz wegen der Anordnung der Provinzialstände" in Preußen von 1823 wurde das Verfassungsversprechen von König Wilhelm III. eingelöst, eine Repräsentation des Volkes mit beschränkter Teilnahme an der Gesetzgebung zu schaffen. Im Oktober 1826 wurde der erste westfälische Provinziallandtag von Oberpräsident Freiherr von Vincke eröffnet - damit erhielt Westfalen zum ersten Mal eine politische Gesamtvertretung. Die Provinzialstände - Abgeordneten der Fürsten und Ritter, der Städte und Landgemeinden - durften jedoch lediglich für die Provinz bestimmte Gesetze beraten, Petitionen und Beschwerden, die die Provinz betrafen, an den König richten und über kommunale Angelegenheiten beschließen.

Nach der Reichsgründung 1871 erhielt die Selbstverwaltung Westfalens durch die Neuordnung der Provinzialverfassung eine neue Grundlage und erstmals echte Selbstverwaltungskompetenzen. Durch das "Regulativ für die Organisation der Verwaltung des Provinzialvermögens und der Provinzialanstalten in der Provinz Westfalen" wurde ein durch den Provinziallandtag gewählter ständischer Verwaltungsausschuss als Organ der provinziellen Selbstverwaltung geschaffen. Mit den Dotationsgesetzen von 1873 und 1875 erhielten die Provinzen zahlreiche Aufgaben zugewiesen, die mit staatlichen Finanzzuweisungen erfüllt wurden. Hierzu gehörten das Landarmenwesen, Fürsorgeanstalten für Blinde, Taubstumme und psychisch Kranke, das Straßenwesen, die Förderung von Kunst und Kultur sowie die Unterhaltung von Denkmälern.

Am 01.08.1886 wurde in Westfalen die in den preußischen Ostprovinzen bereits seit 1875 geltende Provinzialordnung eingeführt. Damit wurde aus den bisherigen Provinzialständen ein kommunaler Provinzialverband, der sich auf den Kreisverbänden aufbaute. Entsprechend wurde der Provinziallandtag nun nicht mehr von den Ständen, sondern von den Kreistagen gewählt. Entsprechend änderte sich der Charakter des Provinziallandtages von einer ständischen Interessenvertretung zu einer Vertreterversammlung der Stadt- und Landkreise. Da jedoch die Wahl der Kreis- und Stadtvertretungen nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht erfolgte, setzte sich auch der Provinziallandtag ausnahmelos aus bürgerlich-konservativen Parteien und Mitgliedern zusammen. Die Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse des Provinziallandtages wurden dem Provinzialausschuss übertragen. Der gewählte Landesdirektor, der in Westfalen seit 1889 die Bezeichnung "Landeshauptmann" führte, leitete unter Aufsicht des Provinzialausschusses die Provinzialverwaltung. Zur Erledigung der Aufgaben der Provinzialverwaltung wurden dem Landesdirektor ebenfalls vom Provinziallandtag zu wählende weitere obere Beamte (Landesräte) zur Seite gestellt. Finanzielle Träger des Provinzialverbandes wurden die Stadt- und Landkreise, jedoch erhielt der Verband auch weiterhin staatliche Zuweisungen für die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben. Die Verfassung des neuen Provinzialverbandes mit seinen Organen Provinzialversammlung, Provinzialausschuss und Landeshauptmann entsprach weitgehend der des heutigen Landschaftsverbandes.

In der Weimarer Republik wurde für die Provinziallandtage entsprechend der neuen demokratischen Grundsätze das allgemeine und direkte Wahlrecht eingeführt. Durch die bereits für September 1919 angeordneten Neuwahlen gelangten erstmals sozialdemokratische Abgeordnete in den Provinziallandtag, wenig später erfolgte erstmals die Wahl von drei Frauen in das 134 Abgeordnete umfassende Parlament. Mit der Demokratisierung hatte der Provinziallandtag auch bedeutende politische Mitspracherechte erhalten. So konnten der Oberpräsident und die Regierungspräsidenten nur noch im Einverständnis mit dem Provinzialverband ernannt werden. Zudem wählten die Provinziallandtage die Mitglieder des preußischen Staatsrates und entsandten Vertreter in den Reichsrat, so dass die Provinzen an der Gesetzgebung Preußens und des Reichs beteiligt waren. Aufgrund der Folgen des Ersten Weltkrieges erweiterte sich das Aufgabenfeld des Provinzialverbandes erneut, so auf dem Gebiet der Kriegsopferfürsorge und der Jugendwohlfahrtspflege. Ausgebaut wurde zudem auch die kommunalwirtschaftliche Betätigung und die Kulturpflege des Verbandes.

Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur wurde die regionale Selbstverwaltung beseitigt. Der Provinziallandtag und der Provinzialausschuss wurden aufgelöst und deren Kompetenzen sowie die Zuständigkeit des Landeshauptmannes auf den Oberpräsidenten übertragen. Die laufenden Geschäfte des Provinzialverbandes musste der Landeshauptmann nun im Auftrag des Oberpräsidenten wahrnehmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg löste die britische Militärregierung die preußischen Provinzen auf und verfügte 1946 die Zusammenlegung des nördlichen Rheinlands und Westfalens zum neuen Land Nordrhein-Westfalen, dem im Januar 1947 das bisher selbstständige Land Lippe angegliedert wurde. Während der Provinzialverband in der Nord-Rheinprovinz 1945 in die Provinzialregierung integriert wurde und nach der Landesgründung in der Landesregierung aufging, blieb der westfälischer Verband als einziger Provinzialverband weiter bestehen. Vor allem in Westfalen setzten nach 1945 engagierte Bemühungen zur Wiederherstellung der landschaftlichen Selbstverwaltung in Nordrhein-Westfalen und einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage ein. Im Mai 1953 wurde die "Landschaftsverbandsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen" nach langwierigen Auseinandersetzungen mit großer Zustimmung nahezu aller Parteien vom Landtag angenommen.

Mit dem Inkrafttreten der Verbandsordnung zum 01.10.1953 wurde der Provinzialverband Westfalen zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe, gleichzeitig konstituierte sich der Landschaftsverband Rheinland. Mit Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse im Land Nordrhein-Westfalen wurden die Landschaftsverbände nun wieder als Kommunalverbände konstruiert. Entsprechend erfolgt die Wahl zur Verbandsversammlung nicht mehr wie in der Weimarer Republik direkt durch die Bevölkerung, sondern in Anlehnung an die Ergebnisse der Kommunalwahlen indirekt durch die Vertretungen der Stadt- und Landkreise. Der in der Landschaftsverbandsordnung festgeschriebene Aufgabenkatalog spiegelt das Aufgabenspektrum der früheren preußischen Provinzialverbände wider und umfasst die Bereiche soziale Aufgaben, Jugendhilfe und Gesundheitsangelegenheiten, Straßenwesen, landschaftliche Kulturhilfe, Landes- und Landschaftspflege sowie Kommunalwirtschaft. Nach 1953 gab es mehrere Änderungen der Landschaftsverbandsordnung, die vor allem die Wahlbestimmungen zur Verbandsversammlung und die Zuständigkeiten der Verbände betrafen. Anfang 2001 gaben die Landschaftsverbände die Aufgaben im Bereich des Straßenbaus an einem Landesbetrieb für Straßenbau ab. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe mit Hauptsitz in Münster beschäftigt 13.000 Menschen und unterhält rund 100 Einrichtungen in allen Stadt- und Landkreisen Westfalens.


Relevante Gesetze zur Entstehung und Entwicklung der Provinzial- bzw. Landschaftsverbände


30.04.1815 
 Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Behörden 
22.05.1815 
Verordnung über die zu bildende Repräsentation des Volks 
05.06.1823 
 Allgemeines Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände 
27.03.1824 
 Gesetz wegen Anordnung der Provinzial-Stände für die Provinz Westfalen 
21.06.1842 
 Verordnung über die Bildung eines Ausschusses der Stände der Provinz Westfalen 
11.03.1850 
 Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Ordnung für den preußischen Staat 
15.09.1871 
 Regulativ für die Organisation der Verwaltung des Provinzialvermögens und der Provinzialanstalten in der Provinz Westfalen 
15.09.1871 
 Verordnung über die Einrichtung und Verwaltung des Landarmen- und Korrigendenwesens in der Provinz Westfalen 
30.04.1873 
 Gesetz, betreffend die Dotationen der Provinzial- und Kreisverbände 
29.06.1875 
 Provinzialordnung 
08.07.1875 
 Gesetz, betreffend die Ausführung der §§ 5 und 6 des Gesetzes vom 30. April 1873 wegen der Dotation der Provinzial- und Kreisverbände 
01.08.1886 
 Gesetz über die Einführung der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 in der Provinz Westfalen [mit Text der Provinzialordnung und des Wahlreglements für die Provinz Westfalen
20.06.1887 
Statut für die Provinz Westfalen betreffend die Ausführung der §§ 36, 37 und 38 der Provinzialordnung vom 1. August 1886 
13.03.1889 
Zweites Statut für die Provinz Westfalen betreffend die Ausführung der §§ 93, 91 und 41 der Provinzialordnung vom 1. August 1886 
24.04.1889 
Allerhöchste Verordnung betreffend die Führung des Titels "Landeshauptmann" seitens des ersten Beamten der Provinzial-Verwaltung von Westfalen 
02.03.1898 
Drittes Statut für die Provinz Westfalen betreffend die Ausführung der §§ 41 und 93 der Provinzial-Ordnung vom 1. August 1886 
02.06.1902 
 Gesetz, betreffend die Überweisung weiterer Dotationsrenten an die Provinzialverbände 
11.08.1919 
Die Verfassung des Deutschen Reichs ("Weimarer Reichsverfassung"), hier Art. 63 
30.11.1920 
 Verfassung des Freistaats Preußen (insbesondere die Artikel 33, 53, 72, 74 und 88) 
03.12.1920 
 Gesetz, betreffend die Wahlen zu den Provinziallandtagen und zu den Kreistagen 
03.06.1921 
 Gesetz über die Bestellung von Mitgliedern des Reichsrats durch die Provinzialverwaltungen 
07.10.1925 
 Wahlgesetz für die Provinziallandtage und Kreistage 
08.07.1933 
 Gesetz über den Staatsrat 
17.07.1933 
 Gesetz über den Provinzialrat  
17.07.1933 
 Gesetz über die Übertragung von Zuständigkeiten der Provinzial-(Kommunal-)Landtage, der Verbandsversammlung des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk und der Kreistage auf die Provinzial-(Landes-)Ausschüsse, den Verbandsausschuss und die Kreisausschüsse 
14.02.1934 
 Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates 
15.02.1934 
 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Provinzialrat 
15.12.1933 
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Erweiterung der Befugnisse des Oberpräsidenten 
09.11.1938 
 Gesetz über die Erweiterung der Befugnisse der Oberpräsidenten 
12.05.1953 
 Landschaftsverbandsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen 
09.06.1954 
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gemeindewahlen im Lande Nordrhein-Westfalen sowie einiger Bestimmungen des kommunalen Verfassungsrechts 
27.08.1984 
Neufassung der Landschaftsverbandsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen 
14.07.1994 
Neufassung der Landschaftsverbandsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen 
09.05.2000 
Zweites Gesetz zur Modernisierung von Regierung und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen 



Zum Teil bzw. in Auszügen abgedruckt bei:

Heinrich Westermann (Hg.)
Systematische Zusammenstellung der für die Provinzial-Verwaltung von Westfalen geltenden Gesetze, Verordnungen, Reglements und sonstigen Bestimmungen, 2. berichtigte Auflage. Münster 1902.

Naunin, Helmut
Entstehung und Sinn der Landschaftsverbandsordnung in Nordrhein-Westfalen. Münster 1963.


Literatur


Bruns, Alfred
150 Jahre Westfalenparlament. Dokumente zur Ausstellung im Landeshaus Münster. Münster 1976.

Häming, Josef (Bearb.)
Die Abgeordneten des Westfalenparlaments 1826-1978 (Westfälische Quellen und Archivverzeichnisse, Bd. 2). Münster 1978.

Häming, Josef (Bearb.)
Die Abgeordneten des Westfalenparlaments 1826-1978. Nachtrag 1983 (Westfälische Quellen und Archivverzeichnisse, Bd. 9). Münster 1984.

Hammerschmidt, Wilhelm (Hg.)
Die provinzielle Selbstverwaltung Westfalens. Münster 1909.

Hartlieb von Wallthor, Alfred
Die landschaftliche Selbstverwaltung Westfalens in ihrer Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert, Teil 1: Bis zur Berufung des Vereinigten Landtags (1847) (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volksforschung Bd. 14). Münster 1965.

Hartlieb von Wallthor, Alfred (Hg.)
Geschichte und Funktion regionaler Selbstverwaltung in Westfalen (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volksforschung Bd. 22). Münster 1978.

Hubatsch, Walther (Bearb.), Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945, Bd. 8: Westfalen, Marburg 1980.

Huber, Ernst Rudolf
Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Stuttgart 1960.

Jeserich, Kurt G. A. / Pohl, Hans / von Unruh, Georg-Christoph (Hg.)
Deutsche Verwaltungsgeschichte, 6 Bde. Stuttgart 1983-1988.

Naunin, Helmut
Entstehung und Sinn der Landschaftsverbandsordnung in Nordrhein-Westfalen. Münster 1963.

Teppe, Karl (Hg.)
Selbstverwaltung und Herrschaftsordnung. Bilanz und Perspektiven landschaftlicher Selbstverwaltung in Westfalen (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volksforschung Bd. 25). Münster 1987.

Teppe, Karl
Provinz, Partei, Staat. Zur provinziellen Selbstverwaltung im Dritten Reich, dargestellt am Beispiel Westfalens (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 38). Münster 1977.

Weißer, Ansgar (Hg.)
Staat und Selbstverwaltung. Quellen zur Entstehung der nordrhein-westfälischen Landschaftsverbandsordnung von 1953 (Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 45). Paderborn 2003.

Weißer, Ansgar
Die Entstehung der Landschaftsverbandsordnung und die Auseinandersetzung zwischen Staat und Selbstverwaltung um den inneren Aufbau Nordrhein-Westfalens. In: Geschichte im Westen 18 (2003), S. 205-225.
 

(Stand: 2006)