Kirche und Kirchhof im Dorf > Adelsgestühl


Fürstenempore in der evangelischen Pfarrkirche Rheda (Ausschnitt) / Münster, Westfälisches Landesmedienzentrum/K. F. Klose, 05_8912






Sabine Kötting

Wer hat den besten Platz?

Der Kirchenraum in Rinkerode
bei Münster

Trat ein einfacher Bauer des Dorfes Rinkerode im 17. Jahrhundert in seine Kirche, dann wurde ihm bewusst, welch geringe Stellung auf Erden er innehatte. Der eigentlich sehr hohe Raum war um einiges kleiner, als sich von Außen vermuten ließ. Eine große Trennwand, der Lettner, auch Chorschranke genannt, teilte den Innenraum der Kirche in der Mitte in zwei Hälften. Dies machte besonders den Raum vor der Chorschranke sehr dunkel. Im Winter konnte dies mangels Kerzen ein Problem werden. Der imposante, oft mit biblischen Szenen verzierte Lettner ließ keinen Blick auf die Rituale der Heiligen Messe zu. Wollte der Bauer ihr folgen, so musste man angestrengt den Worten und Gesängen auf der anderen Seite zuhören. Nur wenn der Pfarrer auf der alles überragenden Kanzel stand, konnte der Bauer die Predigt mitverfolgen.

Anders sah es bei den Adeligen aus, die im Dorf das Sagen hatten. Diese gingen nämlich durch einen eigenen Eingang in die Kirche. Hier erwartete sie ein erhebender Anblick: Der Tabernakel, der Hochaltar, die Epitaphien der Vorfahren, der Taufstein; ein Raum, angefüllt mit sakralen Gegenständen.

Die Adeligen besaßen im Gegensatz zu den einfachen Kirchgängern, die vor dem Lettner saßen oder standen, eigene Kirchenbänke. Jede Adelsfamilie besaß kunstvoll angefertigte Stühle. Selbstverständlich prangte gut sichtbar das Familienwappen darauf. Man präsentierte sich!

Aus diesem Grund waren die Bänke auch nicht nur schön anzusehen, sondern auch groß, hoch und platzergreifend. Außerdem standen die Adelsstühle nicht irgendwo, sondern es gab favorisierte Plätze. Direkt vor dem Hochaltar links war zum Beispiel der beste Platz. Wer diese Stelle für sich in Besitz genommen hatte, der zeigte für alle anderen Kirchgänger an, welchen Stand er sich zumaß. Nämlich den höchsten im Dorf.

Das Phänomen, durch den Sitzplatz im Kirchenraum sozialen Rang visualisieren zu wollen, war nicht untypisch in der Frühen Neuzeit. Selbst hinter der Chorschranke, bei der einfachen Bevölkerung gab es handfeste Streitigkeiten um die besten Plätze. Nicht selten mussten obere Gerichtsinstanzen sich mit solchen Fällen beschäftigen.

Im Fall von Rinkerode waren es besonders die beiden Familien derer von Galen und von Kerckerinck, die mit ihren großen Gestühlen ihren Rang im Dorf und in der Gesellschaft demonstrieren wollten. Den von Galen waren die von Kerckerinck immer schon ein Dorn im Auge gewesen. Diese entstammten nämlich einer münsterischen Erbmännerfamilie, waren also ihrem Ursprung nach nicht adelig. Die von Galen stammten dagegen aus uraltem Adel, waren aber erst seit dem 14. Jahrhundert in der Gegend um Münster ansässig und besaßen damit nicht dieselbe Anciennität wie die von Kerckerinck. Vor diesem Hintergrund spielten sich nun die Ereignisse in Rinkerode ab. Die Familie von Galen hatte ihre Sitzplätze an der eben beschriebenen, am meisten begehrten Stelle, links vor dem Hochaltar bezogen. Ihre Kontrahenten saßen zwar zurückgesetzt, aber nah an der Kanzel und an ihrem Familienaltar. Dies wertete ihre Lage wieder auf. Insgesamt gesehen, waren die beiden Familien also gleich präsent. Dies konnten die von Galen nicht so bestehen lassen. Zunächst verwehrten sie den von Kerckerincks den Gang zu ihren Gestühlen, später setzte sich der Konflikt außerhalb der Kirche fort und er wurde zu einer jahrelangen Fehde. Die Streitsache landete zu guter Letzt vor dem Sendgericht.

Man kann erkennen, dass die Präsenz Adeliger in (Dorf-)Kirchen zu einer bestimmten Ausstattung führen konnte. Nicht nur, dass Adelige Altäre stifteten und das Geld für Epitaphien besaßen, auch die Aufteilung des Raumes konnte stark beeinflusst werden. Es konnte eine Aufteilung in eine "bäuerliche" und eine "adelige Sphäre" stattfinden. Trotz der durch das Trienter Konzil geforderten Bedingung, dass für alle Besucher der Messe die Sicht zum Hochaltar frei sein müsse, verhinderten große hohe Adelsgestühle mit mächtigen Armlehnen nicht nur die Sicht des einfachen Volkes, sondern auch diejenige der privilegierten Schichten. Die Adeligen hatten also neben dem Motiv des Besuches der Heiligen Messe noch einen weitern Grund, die Kirche zu besuchen: Die Zurschaustellung ihres vermeintlichen Ranges!













Die Kirche und der Kirchhof im Dorf -
Berichte aus Westfalen im
konfessionellen Zeitalter






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Grundriss der alten Pfarrkirche
in Rinkerode


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Katholische Pfarrkirche St. Pankratius
in Rinkerode, um 1930


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Fürstenempore in der evangelischen
Pfarrkirche in Rheda, um 1950