Orte > Landwehren im Fürstbistum Münster


 

Einleitung

 
 
 
Zu den Bodendenkmälern, deren Schutz und wissenschaftliche Bearbeitung den Bodendenkmalpflegeämtern Westfalens und des Rheinlandes obliegen, gehören auch die Landwehren aus mittelalterlicher Zeit. Bei ihnen handelt es sich um Anlagen, die aus parallel zueinander geführten Wällen und Gräben bestanden haben. Auf den Wällen bildeten dorniges Buschwerk und ineinander verflochtenes Gehölz einen heckenartigen dichten Bewuchs, der zusätzlich zu den teilweise Wasser führenden Gräben und den nicht geringen Höhenunterschieden ein wichtiges Element der Wehrhaftigkeit darstellte. Immer wieder kann man feststellen, dass natürliche Geländehindernisse in die Linienführung der Landwehren einbezogen wurden, beispielsweise Flüsse und Bäche, moorige Gebiete im Flachland und Steilhänge im Bergland. Bereits die Beschreibung der ursprünglichen Beschaffenheit von Landwehren zeigt somit an, dass sie als Annäherungshindernisse dienen sollten, und sie sind vorrangig zum Schutz von Dörfern, den dazugehörigen Feldern sowie den Feldmarken der Städte von Bauern und Bürgern errichtet worden.

Landwehrbau war die Reaktion dieser Bevölkerungsgruppen auf die im 14. und 15. Jahrhundert weit verbreiteten Adelsfehden, die trotz Intensivierung der Rechtspflege bis hin zum 1495 erlassenen offiziellen Fehdeverbot ein häufig genutztes Mittel blieben, die Ansprüche zumeist Adeliger durchzusetzen. In den Fehden des Mittelalters war es erklärtes Ziel der streitenden Parteien, die wirtschaftliche Grundlage des Gegners zu schwächen und ihn auf diese Weise zur Anerkennung der eigenen Rechtsansprüche zu zwingen. Streitigkeiten zwischen adeligen Grundherren haben immer auch die ihnen abgabepflichtigen Bauern betroffen, da auf diese Weise die wirtschaftliche Grundlage des Gegners empfindlich geschwächt wurde. In der Praxis bedeutete dies, dass die Frucht tragenden Felder, die Höfe selbst und das zur Weide getriebene Vieh den Übergriffen der Fehde führenden Gruppen ausgesetzt waren, die zu Pferde und bewaffnet den Bauern weit überlegen waren. Der Bau von Landwehren war der Versuch, solche Überfälle auf weiten Strecken undurchführbar zu machen. Schwachstellen blieben dagegen die Schnittpunkte der Landwehren mit den Verkehrswegen, die schon deshalb zusätzlich gesichert werden mussten, weil sie nach der Anlage von Landwehren für einen Durchzug am besten geeignet und somit Brennpunkte im Fehdegeschehen waren.

Je nach der Bedeutung eines Verkehrsweges wurden die Straßendurchlässe durch die Landwehr mehr oder weniger stark gesichert. Bei kleineren Wegen genügten Schlagbäume, die zumeist nur über Nacht verschlossen wurden. Im Fall von wichtigeren Straßen schien dies nicht ausreichend, sondern hier wurde der Straßenschutz so organisiert, dass Baum- oder Schlaghüter ständig den Durchlass überwachten und zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes mit einem beim Schlagbaum gelegenen Wohnhaus und Land ausgestattet wurden.

Wir kennen darüber hinaus auch zahlreiche Fälle, in denen auf dem Bäumergehöft ein Wartturm errichtet wurde. Der Baumhüter hatte ihn nicht nur in Stand zu halten, sondern er sollte in unruhigen Zeiten von seinem Plateau aus herannahende Feinde schon von weitem sehen, die Bevölkerung warnen und nicht zuletzt auch sich selbst dort in Sicherheit bringen. Warttürme bei Bäumergehöften finden sich häufig bei Landwehren, die größere Städte und ihre Feldmark ringförmig umzogen haben. Auf den Warnruf oder das Warnzeichen des Baumhüters hin wurden die Bürger durch den Glockenschlag der Pfarrkirche zusammengerufen, um die Feinde abzuwehren oder ihnen nach schon erfolgtem Raub die Beute wieder abzujagen. Die in vielen Städten Westfalens seit dem späten Mittelalter nachweisbaren Schützenbruderschaften dürften sich in dieser Zeit herausgebildet und dem Bedürfnis der Städte Rechnung getragen haben, in Fehdezeiten auf eine gut gerüstete und geübte Gruppe von Bürgern zurückgreifen zu können.

Nicht immer mussten Landwehrtürme in die Landwehr integriert gewesen sein. Gerade im Hügelland Ostwestfalens wurden Landwehrtürme an exponierten Stellen ohne Anbindung an eine Landwehr errichtet, um eine weite Sicht auf die Straßen zu haben und dies insbesondere an der Grenze zu den Nachbarterritorien. Gute Beispiele für exponierte Landwehrtürme finden wir an der südlichen Stadtgrenze von Warburg ebenso wie bei Brilon, Grenzstädten zwischen dem Fürstbistum Paderborn und Hessen bzw. dem kölnischen Westfalen und der Grafschaft Waldeck. Überlieferte Ansichten und Grundrisse sowie noch vorhandene Warttürme zeigen, dass die Ausgestaltung der Türme unterschiedlich war: Rundtürmen mit nur geringem Durchmesser standen Anlagen gegenüber, deren Türme innerhalb einer Ummauerung standen und die kleinen Festungen ähnlich waren.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Landwehren hat im 19. Jh. im Zuge eines allgemein stärkeren Interesses an den Überresten des Mittelalters begonnen. Dass sie niemals aus dem Blickfeld der Forschung geraten sind, mag dem Umstand zuzuschreiben sein, dass sie in vielen Teilen Deutschlands, besonders in Westfalen, deutlich sichtbare, aber – etwa in Form von Flurnamen - auch nicht so offensichtliche Spuren hinterlassen haben, die zur Beschäftigung mit ihnen herausforderten. Bahnbrechend für die Landwehrforschung in Westfalen sind die Arbeiten von Karl Weerth, die er 1938 und 1955 in den Westfälischen Forschungen publiziert hat. Darin unterscheidet er Landwehren, die Städte umgaben, von solchen im ländlichen Bereich, die zumeist auf die Ausdehnung der Kirchspiele bezogen waren, und behandelt auch die Territoriallandwehren, die einige der im Spätmittelalter herausgebildeten politischen Einheiten Westfalens in Teilstrecken umzogen haben. Zum Schutz von Land und Leuten in verstärktem Maße seit dem 14. Jh. angelegt, wie K. Weerth anhand zeitgenössischer Quellen wahrscheinlich machte, förderten Landwehren jedoch später auch die "Abrundung der Hoheitsgebiete" und führten beim Auf- und Ausbau der Territorialstaaten dazu, "daß mancherlei fremde Rechts- und Besitztitel durch den Herrn der Landwehr aufgesogen wurden".

In engem Zusammenhang mit der Frage, wann der Landwehrbau in Westfalen eingesetzt hat, steht die Feststellung, wer die Initiative dafür gegeben hat. Zweifellos waren es die Landesherren der im Entstehen begriffenen Territorien, auf die überall die Verantwortung für den Landwehrbau zurückging und die mit dieser Maßnahme ihre Bevölkerung vor wirtschaftlicher Not und Zerstörung bewahren, gleichzeitig aber auch eigene Interessen gegen den Adel durchsetzen wollten. Voraussetzung dafür war, dass die geistlichen und hochadeligen Herrschaftsträger Westfalens und des Rheinlandes die Friedenswahrung ihrem Aufgabenbereich angegliedert hatten, eine Entwicklung, die in Westfalen seit der 2. Hälfte des 13. Jhs. in einer Schwächephase des deutschen Königtums eingesetzt hat.

Die Machterweiterung der Landesherren dokumentiert sich in den Landfriedensbündnissen, die seit 1298 zwischen einzelnen Landesherrn und Städten abgeschlossen wurden. Wie sich 1336 an einem außerwestfälischen Beispiel belegen lässt, stand der Landwehrbau als eine Maßnahme, die den Landfrieden unterstützte, in engem Zusammenhang mit dem Abschluss von Landfriedensbündnissen und -verträgen. Damals gehörte zu den Kompetenzen von acht für die Erhaltung des Landfriedens im Herzogtum Braunschweig zuständigen Männern auch, über die Landwehren zu gebieten, die folglich damals bereits bestanden oder gerade gebaut wurden. Während mit den Landfriedensverträgen die rechtliche Grundlage zwischen den Vertragspartnern geschaffen wurde, garantierte der Landwehrbau zusammen mit weiteren Maßnahmen, dass zumindest in einzelnen Territorien zeitweilig eine gewisse Befriedung durchgesetzt werden konnte.

Die Übernahme der Friedenswahrung lässt sich im Fürstbistum Münster besonders seit der Regierungszeit Bischof Ludwigs aus dem Geschlecht der Landgrafen von Hessen (1310-1357) beobachten. Während des Landfriedens von 1319, den der Erzbischof von Köln mit den Bischöfen von Münster und Osnabrück, den Bischofsstädten sowie Soest und Dortmund auf drei Jahre abschloss, wird der Bau von Landwehren um die westlich von Münster gelegenen Kirchspiele Roxel, Albachten und Bösensell urkundlich erwähnt und mit dem allgemeinen Nutzen und dem Bemühen um den Frieden begründet. Weitere Hinweise auf den Landwehrbau im Münsterland vermittelt die Chronik Levolds von Northoff, der eine Niederlage Ludwigs 1323 bei einer Landwehr im Herrschaftsbereich des Bischofs ortet. Aus diesen beiden frühen Erwähnungen, denen noch weitere Hinweise für das westliche und nördliche Münsterland hinzugefügt werden können, wird deutlich, dass Landwehren in der Amtszeit Ludwigs von Hessen und verstärkt während des Landfriedens von 1319 im Münsterland Verbreitung gefunden haben.

Dass in dieser Zeit auch die ersten Landwehren um die Städte entstanden sind, verdeutlicht eine Studie, die sich mit den Stadtlandwehren des östlichen Münsterlandes, denen von Ahlen, Beckum, Telgte und Warendorf, beschäftigt hat. Eines ihrer Ergebnisse ist, dass städtische Landwehren keine statischen Gebilde waren, sondern im 14. Jh. in ihrer Linienführung mehrfach verändert wurden. Dies wurde notwendig, weil immer mehr Bauern ihre Höfe auf dem Land verließen, in die Stadt zogen und von dort aus ihre Felder bearbeiteten. Urkunden dieser Zeit vermitteln uns den Wüstungsvorgang sehr anschaulich: Als Wüstung galt die Örtlichkeit, deren Bebauung zerstört, wegtransportiert oder dauerhaft verlassen worden war. Diese Definition gibt einen wichtigen Hinweis darauf, dass insbesondere die Unsicherheit der Verhältnisse zu einem Zuzug in die mit Mauer und Graben befestigten Städte geführt hat. Die von den Stadtbürgern bewirtschafteten Gärten und Äcker im Nahbereich gehörten zur Feldmark der Stadt, die sich allmählich vergrößerte und deren wirksamer Schutz zwangsläufig die Erweiterung der Landwehr nach sich ziehen musste.

Seit dem Spätmittelalter zeichnen sich die Stadtfeldmarken der münsterländischen Städte durch wenig Besiedlung aus, und sie haben diesen Eindruck bis in die Mitte des 19. Jhs. gewahrt. Ausnahmen bildeten die Siechenhäuser der Leprosen, die außerhalb der Ummauerung an viel befahrenen Wegen lagen und oft mit einer Kapelle ausgestattet waren. Ihre isolierte Lage resultierte aus der Angst der Stadtbevölkerung vor der Ansteckungsgefahr durch die Kranken. Auch Wassermühlen, die oftmals zu aufgegebenen Höfen gehörten, verblieben wegen der Bindung an Flussläufe an ihrem angestammten Platz in der Feldmark.

Erweiterungen von Landwehren sind keine Einzelerscheinungen der Städte Ahlen und Beckum, sie lassen sich auch andernorts nachweisen und bisweilen in ihrem Verlauf nachzeichnen, so beispielsweise in Lemgo, Lippstadt und Hildesheim. Die Beobachtung, dass nicht nur der ummauerte Stadtkern eine Vergrößerung erfahren konnte, sondern auch die von der Landwehr umschlossene Feldmark, lässt erkennen, dass der frühe Landwehrbau in Westfalen in eine Zeit fällt, in der die Phase der Wüstungsbildung und der Umbau der stadtnahen Siedlungslandschaft noch nicht beendet war. Die Entwicklung der städtischen Feldmark zu einem von Besiedlung weitgehend frei gehaltenen Bereich und der Ausbau der Stadtlandwehr stehen also in ursächlichem und offenkundigem Zusammenhang zueinander.

Am Beispiel Warendorfs lässt sich ein weiteres Phänomen anschaulich machen: War erst einmal eine umlaufende Landwehr gebaut, dann bemühten sich die Städte um die rechtliche Beherrschung der ihr zugeordneten Feldmark, das heißt, sie versuchten, andere Gerichtsrechte und Gerichtsherren auszuschließen und dieses Gebiet, in dem bis auf wenige Ausnahmen keine Personen ständig leben sollten, durch den Rat der Stadt zu ordnen. In Warendorf ist dieser Vorgang sehr gut bis in die Neuzeit zu belegen und verhilft zu der Erkenntnis: Landwehren berücksichtigen nicht nur vorhandene Besitzstrukturen, sie förderten auch neue Entwicklungen, insbesondere auf rechtlichem Gebiet, und besaßen somit innovative Wirkung. Offenkundig haben das die Besitzer von Höfen nahe den Städten auch ganz bewusst registriert.

Als militärische Hindernisse haben die städtischen Landwehren nach dem Dreißigjährigen Krieg ihre Bedeutung weitgehend verloren. Wenn sie dennoch nicht überpflügt wurden, sondern in städtischem Besitz weiter bestanden, so ist der Grund darin zu sehen, dass sie im waldarmen Münsterland wichtige Holzreserven bereit stellten. Die veröffentlichten Kämmereirechnungen und Ratsprotokolle der Stadt Warendorf geben eine Vorstellung davon, wie streng Holzfrevel und Beschädigungen der Landwehr im frühen 17. Jh. geahndet wurden. Später finden sich auf den Landwehren Baumbestände, die einen wichtigen Bestandteil des städtischen Vermögens darstellten und zur Bargeldbeschaffung bevorzugt verpfändet wurden. Von großer Bedeutung war das Holz der Landwehren auch für die Instandsetzung der öffentlichen Straßen, die sich bis zum Chausseebau des frühen 19. Jhs. zumeist in schlechtem Zustand befanden und immer wieder durch das Einfahren von Erde und Reisig gebessert werden mussten. Auf diese Weise haben sich bis zur Anlage der Urkatasteraufnahme in den 20er Jahren des 19. Jhs. nicht nur die Ausbauphasen der städtischen Landwehren erhalten, sondern auch die Reste der älteren Systeme, deren Ansprache als Landwehren die Flurbezeichnung "Landwehr", aber auch die Überlieferung der Namen von Schlagbäumen sowie die städtischen Besitzrechte an ihnen klarstellen.

Um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie Landwehren in die mittelalterliche Kriegsführung der Städte einbezogen waren, bietet sich die Betrachtung der Soester Fehde an, die 1444-1449 stattfand. Eher beiläufig erwähnen die mittelalterlichen Chronisten dieser weiträumigen Kriegshandlung Landwehren, die bisweilen durchbrochen wurden, Schlagbäume, die unabgeschlossen den Gegnern in die Hand fielen oder von ihnen ausgegraben wurden, insbesondere aber das gefahrvolle Leben der Wächter auf den Warttürmen, die die Bauern auf den Feldern vor Reitern warnten und bisweilen selbst dafür mit dem Leben bezahlen mussten. Welche Bedeutung gerade den Warten zufiel, machen die erbitterten Überfälle auf die Warttürme um Soest ebenso deutlich wie die Zerstörung der Steinernen Warte südlich von Dortmund, die von den Bürgern danach noch massiver wieder aufgebaut wurde. Der defensive Charakter der städtischen Kriegsführung, der auch den mittelalterlichen Landwehrsystemen zu Eigen war, wird charakterisiert von dem Soester Chronisten und Stadtschreiber Bartoldus von der Lake, der nach einer geglückten Rettung einiger Bürger durch die aus der Stadt geeilten Mitbürger bemerkt, dass die Verfolgung der Feinde, das Nachjagen, bisweilen gut sei, es aber für Städte nicht ratsam erscheine, dies allzu oft zu tun.

Im Bistum Münster markiert der Landwehrbau den Anfang einer systematischen landesherrlichen Verwaltung zum Zweck der Landesverteidigung, die später zum Aufgabenbereich der Ämter gehörte. Die hohe Aussagekraft, die mittelalterlichen Landwehren für die Entwicklung der Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse eines Herrschaftsbereiches zukommt, sollte Ausgangspunkt sein für eine stärkere archäologische Beachtung dieser so unscheinbaren wie weit verbreiteten Bodendenkmäler.

Ein Kooperationsprojekt mit:

Logo des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe

Altertumskommission für Westfalen

LWL-Museum für Archäologie / Amt für Bodendenkmalpflege, Fachreferat Mittelalter und Neuzeitarchäologie
 
Literatur
Kneppe, Cornelia
Cornelia Kneppe, Die Stadtlandwehren des östlichen Münsterlandes, Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen XIV, Münster 2004.

Weerth, Karl
Westfälische Landwehren. Westfälische Forschungen, Bd. 1, 1938, S. 158-198; Bd. 8, 1955, S. 206-213.