Einzelthemen > Frauenstudium


 

1. Einleitung

 
 
 
"...und so wird es im tiefsten Herzen wohl auch jetzt darauf hinauslaufen: Gebt ihr uns heute den kleinen Finger der Immatrikulation, so wollen wir die ganze Hand weiterer Prüfungs- und Amtszulassungen auch schon bekommen. Wenn also auch Ihr Männerprivileg noch nicht gefallen ist, so ist es doch von neuen, weitgehenden Durchlöcherungen ernstlich bedroht."

Mit dieser Einschätzung über die Gefahren, denen männliche Wissenschaftler künftig durch ambitionierte Frauen ausgesetzt sein werden, begrüßte der damalige Rektor der Universität Münster, Prof. H. Erman, zu Beginn des Wintersemesters 1908/1909 neben den 1.713 männlichen erstmals auch sechs weibliche Studentinnen.

Bis Frauen im Jahr 1908 die Möglichkeit erhielten, an preußischen Universitäten ein ordentliches Studium aufzunehmen, war es ein langer Weg. Wesentliche Etappen auf diesem Weg ausgehend von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Weimarer Republik sollen im Folgenden für Preußen allgemein und für die älteste westfälische Universität in Münster im Besonderen nachgezeichnet werden.
 
 
 
 

2. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

 
 
 
In der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts formierenden bürgerlichen Gesellschaft wurden die Rollen von Mann und Frau neu definiert. In zahlreichen Theorien entwickelten Wissenschaftlicher und Politiker Aussagen über die Verschiedenheit der beiden Geschlechter, über ihre spezifischen Charaktereigenschaften und das daraus abzuleitende Leistungsvermögen. Nach diesen Auffassungen zeichnete sich der Mann durch Vernunft und Tatkraft aus, die Frau hingegen durch Gefühl und Fürsorge. In strikter Trennung der Arbeits- und Aufgabenbereiche von Männern und Frauen sollte die Frau dem Mann ergänzend zur Seite stehen. Der Mann sollte für den außerhäuslichen Erwerb sorgen, die öffentlichen Angelegenheiten in Politik, Wissenschaft und im Rechtswesen wahrnehmen, die Frau sich hingegen um die Familie und die Verwaltung des Hausstandes kümmern. Zum Schutze ihres empfindsamen Gemütes sollte sie sich von jeglicher nüchternen Verstandeskultur fernhalten. Entsprechend diesem Weiblichkeitsverständnis waren die den Frauen und Töchtern zugestandenen Bildungsräume vor allem höhere Töchterschulen und Privatunterricht mit dem Fächerkanon einer schöngeistigen Bildung.
Vergrößerung der Abbildung   Vergrößerung der Abbildung   Weitere Informationen zur Abbildung
Bildnis eines Mädchens mit Rose" (um 1835): Wie viele seiner Zeitgenossen auch sah Franz Wilhelm Harsewinkel die Frau als naturverbundene empfindsame Seele.
 
 
 

3. Die Vorgeschichte des Frauenstudiums

 
 
 
Als die Züricher Universität in den 1870er Jahren als erste deutschsprachige Universität Frauen zum Studium zuließ, löste das im Deutschen Reich eine heftige Debatte über das Für und Wider des Frauenstudiums aus. Eine Vielzahl von Streitschriften wurden verfasst. Die Gegner des Frauenstudiums aus Politik, Wissenschaft und Berufsorganisationen versuchten zu belegen, dass Frauen aufgrund ihrer "weiblichen Natur" unfähig seien zu studieren und einen akademischen Beruf auszuüben. Vor allem von Hochschullehrern wurde darüber hinaus argumentiert, dass Frauen das wissenschaftliche Niveau beeinträchtigten und die Sittsamkeit an den Universitäten gefährdeten. Andere Gegner fürchteten den Verlust der "Weiblichkeit" von Studentinnen, da wissenschaftliches Arbeiten die empfindsame weibliche Seele zerstöre.

Zahlreiche Frauenverbände, darunter der "Allgemeine Deutsche Frauenverein" (1865 in Leipzig gegründet) und der "Deutsche Frauenverein Reform" (1888 in Weimar gegründet), kämpften gegen diese Vorstellungen und engagierten sich für den Zugang von Frauen zu akademischer Bildung und zu qualifizierten Berufen. Während sich der ADF darauf beschränkte, die Zulassung von Frauen zum Lehramts- und Medizinstudium einzufordern, ging der "Deutsche Frauenverein Reform" weiter. Er verlangte die uneingeschränkte Zulassung von Frauen zu allen Studiengängen. In zahlreichen Petitionen baten sie die Landtage und den Reichstag, Frauen den Zugang zum Studium und zu akademischen Berufen zu genehmigen. Diese Forderung schloss die Zulassung von Frauen zum Abitur und eine Reform des Höheren Mädchenschulwesens ein.
 
 
 
 

4. Die Anfänge des Frauenstudiums an der
Universität Münster

 
 
 
Die damals noch "Königlich Theologische und Philosophische Akademie Münster" beschäftigte sich erstmals 1892 mit der Frage nach der Zulassung von Frauen zum Studium. Das preußische Unterrichtsministerium hatte als Reaktion auf die Petitionen der Frauenvereine alle preußischen Landesuniversitäten aufgefordert, eine Stellungnahme zur Zulassung von Studentinnen abzugeben. Wie die meisten anderen Universitäten auch, sprach sich der Senat der Akademie in Münster "prinzipiell" gegen Frauen an der Hochschule aus. Als Gründe führten die Senatsmitglieder an, dass sie das wissenschaftliche Niveau der Vorlesungen durch Studentinnen gefährdet sähen. Zudem sei es mit Rücksicht auf die katholisch-theologische Fakultät nicht möglich, Frauen zum Studium zuzulassen.
 Stellungnahme der Akademie Münster zur Zulassung von Frauen zum Studium, 1892
 
 
Bereits 1902 bei einer erneuten Umfrage des preußischen Unterrichtsministeriums sprach sich die Universität nun als eine der wenigen preußischen Hochschulen für die Zulassung von Frauen mit Reifezeugnis aus. Nur an der katholisch-theologischen Fakultät sollten sich wegen der drohenden Sittengefährdung keine Frauen immatrikulieren dürfen. Die im Vergleich zu 1892 jetzt positive Einstellung lässt sich maßgeblich auf strukturelle Veränderungen an der Hochschule zurückführen. Als die Akademie Münster 1902 zur Universität erhoben wurde, war damit auch eine konfessionelle Öffnung verbunden. Diese bewirkte, dass sich fortschrittlichere protestantische Auffassungen, wie z. B. eine höhere Akzeptanz gegenüber dem Frauenstudium, an der Universität etablieren konnten.
 Stellungnahme der Universität Münster zur Zulassung von Frauen zum Studium, 1902
 
 
 

5. Die Zulassung von Gasthörerinnen an der Universität Münster (1905-1908)

 
 
 
Seit 1896 wurden Frauen im Rahmen der Vorbereitung auf die Oberlehrerinnenprüfung in Preußen gesetzlich als Gasthörerinnen zugelassen. Im Vergleich zum ordentlichen Studium beinhaltete der Gasthörerinnenstatus jedoch zahlreiche Einschränkungen: Den Gasthörerinnen stand nur ein Teil der Vorlesungen offen und diese waren nicht an den Lehrplan angebunden. Sie konnten keine Prüfungen ablegen und auch keine Abschlüsse erwerben, wodurch die Möglichkeiten einer selbständigen Existenzsicherung wesentlich eingeschränkt wurden.
Am 29.04.1905 beschloss der Senat der Universität Münster, dass in der Juristischen sowie in der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät unter Einschluss der medizinischen Vorlesungen Frauen künftig als Gasthörerinnen zugelassen werden können.
 
 
Während die Aufnahme eines Medizin- oder pharmazeutischen Studiums an anderen preußischen Universitäten bereits seit 1899 möglich war, wurde an der Universität Münster erst im Jahre 1905 eine medizinisch-propädeutische Abteilung eingerichtet. Somit konnten Frauen mit dem Berufswunsch Ärztin, Zahnärztin oder Apothekerin Medizin oder Pharmazie erst seitdem in Münster studieren.

Genauso lange dauerte es, bis sich angehende Oberlehrerinnen an der Universität Münster als Gasthörerin einschreiben konnten. Ein vergleichbares Angebot wie an anderen preußischen Universitäten (z.B. in Berlin), studienbegleitend Vorlesungen an der philosophischen Fakultät zu hören, bestand hier nicht. Erst 1905 erhielten Frauen mit Abitur in Preußen die Möglichkeit, nach einem sechssemestrigen Universitätsstudium die gleiche Prüfung für das höhere Lehramt abzulegen wie Männer. Seit diesem Zeitpunkt kam für Abiturientinnen, die den höheren Lehrberuf anstrebten, die Aufnahme eines Studiums als Gasthörerin an der Universität Münster in Frage.
Vergrößerung der Abbildung   Vergrößerung der Abbildung   Weitere Informationen zur Abbildung
In dem 1877 bis 1880 errichteten  "Neuen Akademiegebäude" besuchten die ersten Gasthörerinnen und Studentinnen in Münster ihre Lehrveranstaltungen. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg entstand an dieser Stelle das Fürstenberghaus.
 
 
Während der folgenden drei Jahre (bis zur Zulassung zum ordentlichen Studium 1908) stieg die Zahl der Gasthörerinnen von vier im Jahr 1905 bis auf 24 im Jahr 1908/1909 an. In diesem Zeitraum genehmigte der Rektor insgesamt 64 Anträge von Frauen auf Zulassung (inklusive Wiederholungsanträgen).
 
 
 

5.1 Die soziale Stellung der Gasthörerinnen

 
 
 
Stellvertretend sollen hier die vier ersten Gasthörerinnen aus dem Jahr 1905 vorgestellt werden: Helene Falk, gebürtige Hammerin (geb. 1883) und Tochter eines Arztes schrieb sich zum Zweck der Vorbereitung auf das Staatsexamen für Medizin ein. Das gleiche Ziel verfolgte Margarete Moormann (geb. 1869), Tochter des Gutsbesitzerehepaares Antonia und Rudolf Boecker aus Werne. Bis zur Eröffnung der Medizinischen Fakultät 1925 konnte an der Universität Münster nur die ärztliche Vorprüfung abgelegt werden. Das medizinische Staatsexamen mussten die Studierenden an einer anderen Universität ablegen. Aloysia Pfennigs aus Neuss (geb. 1874), deren Vater als Kaufmann angegeben wird, immatrikulierte sich zwecks "wissenschaftlicher Weiterbildung" für Vorlesungen in Deutscher Geschichte. Die einzige Gasthörerin aus Münster, Margarete Steilberg (geb. 1886), Tochter eines Kaufmanns, schrieb sich für Deutsche Literatur ein, ebenfalls um sich wissenschaftlich weiterzubilden. Bei Studienantritt waren die genannten Gasthörerinnen zwischen 19 und 36 Jahren alt. Zwei gaben bei der Konfession "katholisch" an, eine "israelisch" und eine machte keine Angabe. Verhältnismäßig gut war die Qualifikation der vier Pionierinnen: Beide Gasthörerinnen der Medizin verfügten über ein Reifezeugnis, die beiden anderen über ein Lehrerinnen- bzw. Oberlehrerinnenzeugnis. Ähnlich wie auch der Großteil der nachfolgenden Gasthörerinnen kamen alle vier aus dem Bildungs- und Besitzbürgertum.

Für Münster fällt besonders der hohe Anteil von Töchtern und Ehefrauen Münsteraner Hochschullehrer auf (z.B. Winteresemester 1908/09 über 70 %). Als bemerkenswert erwies sich zudem der hohe Anteil verheirateter Gasthörerinnen (z. B. im Winteresemester 1908/1909 fast 50 %). Von diesen Frauen hatte die Mehrheit 'nur' eine höhere Mädchenschule besucht. Mit Blick auf die Vorbildung insgesamt rangierten die Gasthörerinnen mit Lehrerinnenzeugnis (ca. 75 %) vor den Hospitantinnen mit dem Zeugnis einer höheren Mädchenschule und einer verschwindend geringen Zahl von Frauen mit Abitur.
Vergrößerung der Abbildung   Vergrößerung der Abbildung   Weitere Informationen zur Abbildung
Von 1909 bis 1909/1910 studierte die Lehrerin, Schriftstellerin und spätere Reichstagsabgeordnete  Hedwig Dransfeld (1871-1925) aus Werl Neuere Philologie und Geschichte an der Universität Münster
 
 

5.2 Zulassungsbedingungen

 
 
 
Insgesamt verfuhr die Universität Münster bei der Zulassung von Frauen als Gasthörerinnen großzügig und legte die Vorgaben des Ministeriums weit aus. An dieser Praxis änderte sich auch nach der Zulassung von Frauen zum ordentlichen Studium 1908 nichts. In seinen "Leitsätzen für die Zulassung von Frauen zum Studium an der Universität Münster" aus dem Jahr 1912 legte der Senat fest, dass Frauen mit Lehrerinnen- oder Sprachlehrerinnen-Examen die Möglichkeit haben, sich als Gasthörerin einzuschreiben (§ 3). Alternativ konnten Frauen den Gasthörerinnenstatus bei Nachweis von "schriftstellerischen, dichterischen Leistungen" oder der Vollendung des 30. Lebensjahres erwerben (§ 4). Gerade diese unscharfe Formulierung enthielt einen großen Interpretationsspielraum. Eine besondere Stellung nahmen die Ehefrauen und Töchter von Hochschullehrern ein. Sie konnten jederzeit den Gasthörerinnenstatus erhalten, wobei die einzige Auflage an die Töchter die Vollendung des 20. Lebensjahres war (§ 5).
 
 
 

6. Die Zulassung von Frauen
zum Studium (1908)

 
 
 
Vergleichsweise spät, sowohl im internationalen als auch im nationalen Vergleich, wurde am 18.08.1908 per Erlass Frauen auch in Preußen die Immatrikulation ermöglicht. Im Ausland konnten sich Frauen bereits viel früher immatrikulieren: in der Schweiz seit 1840, in Frankreich seit 1863 und in Russland (für medizinische Kurse) seit 1872. Für das Deutsche Kaiserreich ließ Baden als erstes Bundesland im Jahr 1900 Frauen zum Studium zu. Preußen zögerte die Zulassungsfrage bis 1908 hinaus, nur noch gefolgt von dem Schlusslicht Mecklenburg (1909).

Auch wenn die Zulassung für Frauen zum Studium einen großartigen Erfolg v.a. der Frauenbewegung darstellte, so war mit dem Erlass noch keine völlige Gleichberechtigung im Bildungswesen erreicht. Durch einen Ausnahmeparagraphen (§ 3) wurde Dozenten weiterhin die Option geboten, mit Genehmigung des Ministers Frauen "aus besonderen Gründen" von ihren Vorlesungen auszuschließen. Nicht zuletzt war dies ein Zugeständnis an die Gegner des Frauenstudiums. Für die Universität Münster müsste noch untersucht werden, wie häufig Professoren von ihrem Vetorecht Gebrauch machten und mit welcher Begründung sie Frauen die Teilnahme an ihren Veranstaltungen untersagten.
Vergrößerung der Abbildung   Vergrößerung der Abbildung   Weitere Informationen zur Abbildung
Der Senat der Universität Münster hatte bereits im Februar 1907 beschlossen, dass "die beschränkte Zulassung von Frauen zur akademischen Laufbahn außer in der Theologischen und Juristischen Fakultät den Interessen der Universitäten [...] nicht entgegenstehe". Eine unbeschränkte Zulassung von Frauen lehnte er jedoch ab, da sie mit der Universitätsverfassung nicht vereinbar sei. ( Quelle)

 Preußischer Ministerialerlass über die Zulassung von Frauen zum Studium, August 1908
 
 

6.1 Zulassungsbedingungen

 
 
 
In Preußen konnten sich laut Erlass die Studentinnen entweder mit einer Begabtenbescheinigung, nach bestandener Externenprüfung oder nach Ablegen der Reifeprüfung an Gymnasialkursen immatrikulieren. Speziell in Preußen hatten Frauen zudem die Möglichkeit, auf dem "vierten Weg", d.h. nach bestandenem Lehrerinnen-Examen zum Studium zugelassen zu werden. Mit der Einrichtung dieses Sonderbildungsweges zielte das Unterrichtsministerium darauf ab, Frauen weiterhin auf einen 'typisch' weiblichen Ausbildungsweg zu lenken. Dahinter stand die Annahme, die ausgebildeten Lehrerinnen würden es nach dem Examen vorziehen, sofort in den Beruf wechseln, statt zusätzlich noch ein Universitätsstudium für das höhere Lehramt zu absolvieren. Gleichzeitig vernachlässigte es das preußische Unterrichtsministerium, ausreichend "Studienanstalten" für Frauen einzurichten, an denen diese das 'normale' Abitur abschließen konnten. So standen im Jahr 1913 124 Oberlyzeen (ehemals Lehrerinnenseminare) nur 41 Studienanstalten gegenüber. Auch in Münster verzichtete das Ministerium unter Verweis auf das Lehrerinnenseminar auf die Gründung einer Studienanstalt für Frauen. Mit dieser restriktiven Politik hatte das Ministerium Erfolg. An der Universität Münster besaßen im Sommersemester 1910 nur gut 20 % aller Studentinnen das Abitur, die restlichen knapp 80 % verfügten 'nur' über ein Lehrerinnenzeugnis. Im Winteresemester 1912/1913 stieg die Quote der Abiturientinnen zumindest auf über 40 %.

Von der Frauenbewegung wurden in der Auseinandersetzung um den Zugang zu höherer Bildung alle Bevorzugungen und Ausnahmeregelungen für Frauen prinzipiell abgelehnt. Zu den vehementen Verfechtern des Abiturs als Zulassungsbedingung zum Studium gehörte der Wiesbadener Verein "Frauenbildung - Frauenstudium". Er engagierte sich besonders für die Einrichtung von weiblichen Vollgymnasien (Studienanstalten) anstelle von Abiturkursen.
1913 wandte sich der Verein "Frauenbildung - Frauenstudium" in einem  Rundschreiben an die Professoren der Philosophischen Fakultät der Universität Münster, um für eine Unterstützung beim Protest gegen eine Erweiterung der Zulassungsbestimmungen für Frauen zum Studium zu werben.
 
 
 

7. Die Situation nach 1908 an der
Universität Münster

 
 
 

7.1 Entwicklung der Studentinnenzahlen

 
 
 
Die Zahl der Studentinnen stieg in den Jahren nach der Zulassung von Frauen zum Studium in Münster kontinuierlich an. Im Winteresemester 1908/09 standen sechs Studentinnen 1.713 Studenten gegenüber (0,35 % aller Studierenden). Im Winteresemester 1912/1913 waren bereits 172 Studentinnen (bei 1982 Studenten) eingeschrieben, was einer Quote von 8,7 % entsprach. Während des Ersten Weltkrieges erreichte der Frauenanteil an der Universität Münster über 12 %. Der Grund dafür bestand darin, dass die Anzahl der Studenten infolge des Krieges stagnierte und die Anzahl der Studentinnen gleichzeitig stieg. Nach Kriegsende sanken die Studentinnenzahlen wieder auf die Vorkriegsverhältnisse mit einer Frauenquote von etwa 9 % zurück. Insgesamt entsprachen die Verhältnisse an der Universität Münster der Gesamtentwicklung an den preußischen Landesuniversitäten.
Eine Statistik der Studierenden insgesamt sowie unterteilt nach Frauen und Männern für die Jahre von 1902 bis 1964 (bzw. 1965 bis 2004) bietet die Website der Universität Münster.
 
 

7.2 Fächerwahl der Studentinnen

 
 
 
Die Münsteraner Studentinnen studierten in den ersten Jahren nach 1908 vorwiegend Philosophie und andere Fächer der erweiterten Philosophischen Fakultät wie Neue Philologie, Germanistik, Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften. Hier hatten sie die besten Chancen, auch ohne Abitur 'nur' mit einem Lehrerinnenexamen einen guten Studienabschluss zu absolvieren. Für ein Medizinstudium schrieben sich dagegen nur wenige Frauen ein. Im Sommersemester 1910 beispielsweise standen fünf Medizinstudentinnen 64 Studentinnen der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät gegenüber (Quote: 7,8 %). Im Winteresemester 1912/1913 zeigte sich der Kontrast noch deutlicher: Während 165 Studentinnen in der Philosophischisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät immatrikuliert waren, gab es nur sieben Studentinnen der Medizin (Quote: 4,2 %).
 
 
 

7.3 Konfession der Studentinnen

 
 
 
Die katholische Prägung - bei Studenten gleichermaßen wie bei Studentinnen - war das auffälligste Charakteristikum der Universität Münster. Im Vergleich zu anderen preußischen Universitäten, wo durchschnittlich 2/3 aller Studentinnen protestantisch waren, bildeten in Münster die katholischen Studentinnen die absolute Mehrheit.
 
 
 

7.4 Studentische Vereine

 
 
 
Nach 1908 schlossen sich die ersten Studentinnen an der Universität Münster zu Vereinen zusammen: 1909 wurde der "Akademische Frauenbund Münster" (AFB) und ein Jahr später der "Verein Münsterscher Studentinnen" gegründet.
  • Akademischer Frauenbund Münster
    Der AFB verfolgte laut Satzung vom 01.07.1909 das Ziel, akademische und nationale Interessen der weiblichen Mitglieder wahrzunehmen. Um Mitglied zu werden, mussten Studentinnen über das Reifezeugnis einer Studienanstalt für Mädchen oder einer deutschen höheren Lehranstalt für Jungen verfügen und die deutsche Nationalität besitzen. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges offenbarte sich die nationale Gesinnung des Vereins besonders stark: 1915 änderte er seinen Namen in "Deutscher Akademischer Frauenbund Münster". Seine Mitglieder gehörten zum Großteil der Philosophischen Fakultät an, wobei die naturwissenschaftliche Richtung der Fächer dominierte. Über das praktische Engagement des Vereins ist wenig bekannt. Die Mitglieder trafen sich offensichtlich regelmäßig zu geselligen und sportlichen Treffen. Zweimal stellte der Vorstand beim Ministerium für geistige Angelegenheiten einen Antrag auf Beihilfe für ein Ruderboot, zweimal lehnte der Minister ab. Über politische Aktivitäten finden sich keine Hinweise. Seit 1923 sank der Verein mit nur noch drei Mitgliedern in die Bedeutungslosigkeit. Erst für die Zeit nach 1945 finden sich wieder Aufzeichnungen, die die Wiedergründung des Akademischen Frauenbundes in Münster belegen.
 
 
  • Verein Münsterscher Studentinnen
    Viel offener und weniger national eingestellt war der 1910 gegründete "Verein Münsterscher Studentinnen". Er beabsichtigte, die "speziellen Interessen" des Frauenstudiums zu vertreten. Den Schwerpunkt seines Engagements bildeten soziale Netzwerke und informelle Selbsthilfe (z.B. Hilfe bei Studien- und Wohnungsangelegenheiten). Mitglied konnte jede an der Westfälischen Wilhelms-Universität immatrikulierte Frau deutscher Reichsangehörigkeit werden. In ihrem ersten Entwurf vom 04.02.1910 hatten die Vereinsgründerinnen sogar vorgesehen, dass Gasthörerinnen und Ausländerinnen außerordentliche Mitglieder werden können. Dieser Passus war jedoch vom Rektor gestrichen worden. In den nächsten 13 Jahren schwankten die Mitgliedzahlen zwischen acht und 28. Im Gegensatz zum Akademischen Frauenbund, der 1918 seine Satzung änderte und nur noch "christliche Studentinnen deutscher Nationalität" als Mitglieder aufnahm, blieb der "Verein Münsterscher Studentinnen" offen auch für Studentinnen anderer Konfessionen.
 
 
Insgesamt verhielten sich die beiden Vereine politisch eher unauffällig: Negative Erfahrungen wie Diskriminierungen an der Universität wurden von ihnen nicht thematisiert. Auch ein aktives Engagement für weibliche Bildungsrechte, obwohl bei beiden Vereinen in den Satzungen ausdrücklich verankert, spielte offensichtlich keine Rolle. In beiden Vereinen dominierte die soziale Arbeit.
 
 
 
 

8. Die Zulassung von Frauen zur
Habilitation (1920)

 
 
 
Erst nach Annahme der Weimarer Verfassung wurde es Frauen ermöglicht, sich zu habilitieren. Der Antrag von Edith Stein (1891-1942) vom 12.12.1919 bildete die Grundlage für den preußischen Ministerialerlass vom 21.02.1920, in dem Frauen die Möglichkeit zur Habilitation zugestanden wurde. Einzelnen Frauen gelang es, sich schon vor dieser offiziellen Entscheidung zu habilitieren.



9. Pionierinnen an der Universität Münster

9.1 Die erste "ordentlich" immatrikulierte Studentin

Mit der Matrikelnummer 1 schrieb sich die gebürtige Osnabrückerin Auguste Rannenberg im Wintersemester 1908/1909 für Mathematik und Naturwissenschaften ein. Da die Naturwissenschaften mit der Philosophie zusammen bis 1948 eine Fakultät bildeten, gehörte Auguste Rannenberg nach ihrer Immatrikulation der Philosophischen Fakultät an. Die evangelische Studentin wohnte 1908 in Münster am Bispinghof 19/20. Ein Jahr später schrieb sie sich um und studierte vom Wintersemester 1909/1910 bis zum Sommersemester 1911 als eine von wenigen Frauen in Münster Medizin. Wie das Abgangsbuch für das Jahr 1911 belegt, verließ die Studentin nach sechs Semestern die Universität Münster, vermutlich um nach bestandener Vorprüfung das Studium an einer anderen Universität fortzusetzen und dort das Staatsexamen zu machen. Erst 1925 wurde in Münster (nach 1780-1818) erneut eine Medizinische Fakultät eingerichtet, an der die Studierenden das Staatsexamen ablegen konnten.

Im Vergleich zur Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät dauerte es an den anderen Fakultäten zum Teil recht lange, bis sich die ersten Studentinnen immatrikulierten: an der Medizinisch-Propädeutischen Abteilung im Sommersemester 1909, in der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät im Sommersemester 1913 und in der Theologischen Fakultät im Sommersemester 1919 (evangelische Richtung) bzw. erst im Sommersemester 1946 für die katholische Richtung.
Vergrößerung der Abbildung   Vergrößerung der Abbildung   Weitere Informationen zur Abbildung
Die Philosophin  Edith Stein aus Breslau versuchte zwischen 1919 und 1923 vergeblich, mit verschiedenen Arbeiten zur Habilitation zugelassen zu werden. Mit Westfalen verbindet Edith Stein, dass sie von 1932 bis 1933 in Münster am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik lehrte. Das Foto stammt aus dem Jahr 1931 und wurde in Wien aufgenommen.



Vergrößerung der Abbildung   Vergrößerung der Abbildung   Weitere Informationen zur Abbildung
Im  Abgangsbuch für das Jahr 1911 steht in der obersten Zeile die Abmeldung der ersten Studentin Auguste Rannenberg vermerkt
 
 

9.2 Die erste Absolventin der
Höheren Lehramtsprüfung

 
 
 
Die erste Frau, die an der Universität Münster die Höhere Lehramtsprüfung ablegte, war Hedwig Montag. Nach bestandenem Lehrerinnenexamen gelangte sie über den in Preußen möglichen "vierten Weg" an die Universität. Sie wurde am 09.03.1889 in Hildesheim geboren, war katholisch und ledig. Vom Sommersemester 1910 bis zum Sommersemester 1913 studierte sie Alte und Neue Philologie und Geschichte in Münster. Im Februar 1914 legte sie hier ihre höhere Lehramtsprüfung ab. Nach ihrem Studium arbeitete Hedwig Montag als Studienrätin in Siegburg, wo sie vom 22.04.1915 bis zum 08.04.1916 gemeldet war. Danach verzog sie nach Gelsenkirchen.
Vergrößerung der Abbildung   Vergrößerung der Abbildung   Weitere Informationen zur Abbildung
Die im Universitätsarchiv Münster verwahrten  Personalverzeichnisse geben differenziert Auskunft über Lehrende und Studierende an der Universität Münster. Hier ein Auszug aus dem Verzeichnis von 1908/1909 mit den ersten 'ordentlich' immatrikulierten Studentinnen
 
 

9.3 Die erste Promovendin

 
 
 
Johanna Richter war die erste Frau, die an der Universität Münster promovierte. Die am 26.12.1874 in Nürnberg geborene evangelische Tochter des Geheimen Kommerzienrates Richter aus Herford besuchte die höhere Töchterschule in Rudolstadt in Thüringen. 1905 machte sie ihr Abitur am humanistischen Gymnasium in Limburg an der Lahn. Im Sommersemester 1907 studierte sie ein Semester Germanistik in Heidelberg, bevor sie im Winteresemester 1907/1908 an die Universität Münster wechselte. Hier schrieb sie sich für die Fächer Allgemeine Sprachwissenschaften, Englische Philologie und Sanskrit ein. Am 24.02.1909 meldete sie sich für die Promotion an, am 10. März legte sie ihre Abschlussprüfung, das so genannte Rigorosum, ab. In ihrer sprachwissenschaftlichen Dissertation untersuchte sie den "Ursprung und [die] analoge Ausbreitung der Verben auf - abw". Verglichen mit anderen preußischen Universitäten wie z.B. in Berlin, wo Frauen immerhin ab 1899 (mit Ausnahmegenehmigung) promovieren konnten, war Münster in seiner Entwicklung spät.
Vergrößerung der Abbildung   Vergrößerung der Abbildung   Weitere Informationen zur Abbildung
Ihre  Promotionsurkunde erhielt Johanna Richter, erste Promovendin an der Universität Münster, am 23.11.1909.
 
 

9.4 Die erste Ärztin in Münster

 
 
 
1913 nahm Margarete Moormann in Münster als erste Ärztin ihre Praxistätigkeit auf. Sie hatte zu den ersten Gasthörerinnen an der Universität Münster gehört, die sich 1905 nach bestandenem Abitur mit dem Zweck der Vorbereitung auf das medizinische Staatsexamen eingeschrieben hatte. Sie wohnte mit ihrer acht Jahre jüngeren Schwester Antonie Moormann zusammen, die ebenfalls 1906 und 1907 als Gasthörerin der Universität Münster eingeschrieben war. Nach ihrer erfolgreichen ärztlichen Vorprüfung im Jahr 1907 wechselte sie nach München, wo sie 1910 das Staatsexamen machte und anschließend in der medizinischen Poliklinik das praktische Jahr ableistete. Dort arbeitete sie anschließend als Volontärsassistentin, bevor sie 1913 nach Münster zurückkehrte und sich hier als "Ärztin für Frauen und Kinder" niederließ.
 
 
 

10. Literatur

 
 
 

10.1 Allgemeine Geschichte

 
 
 
Boedeker, Elisabeth / Meyer-Plath, Maria
50 Jahre Habilitationen in Deutschland, 1920-1970. Göttingen 1974.

Berg, Christa (Hg.)
Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4: 1870-1914. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. München 1991.

Hoppe, Ulrike
Katholische Studentinnenvereine 1909-1936. Ihr Selbstverständnis und ihre Vorstellungen vom weiblichen Lebenszusammenhang. Bonn 1990.

Huerkamp, Claudia
Frauen, Universitäten und Bildungsbürgertum. Zur Lage studierender Frauen 1900-1930. In: Hannes Siegrist (Hg.), Bürgerliche Berufe. Zur Sozialgeschichte der freien und akademischen Berufe im internationalen Vergleich. Göttingen 1988. S. 200-222.

Kaelble, Hartmut
Chancengleichheit und akademische Ausbildung in Deutschland 1910-1960. In: Geschichte und Gesellschaft 1 (1975), S. 121-149.

Kleinau, Elke / Opitz, Claudia (Hg.)
Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart. Frankfurt a.M. 1996.

Langewiesche, Dieter / Tenorth, Heinz-Elmar
Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 5: 1918-1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur. München 1989.

Mertens, Lothar
Vernachlässigte Töchter der Alma Mater. Ein sozialhistorischer und bildungssoziologischer Beitrag zur strukturellen Entwicklung des Frauenstudiums in Deutschland seit der Jahrhundertwende. Berlin 1991.

Schlüter, Anne (Hg.)
Pionierinnen - Feministinnen - Karrierefrauen? Zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland. Pfaffenweiler 1992.
 
 
 

10.2 Westfälische Geschichte

 
 
 
Albers, Helene u. Christiane Beuvink-Jenke
"Ganz sich zu emancipieren und womöglich zu studiren..."- Die Anfänge des Frauenstudiums an der Universität Münster. In: Arbeitskreis Frauengeschichte (Hrsg.): FrauenLeben in Münster. Ein historisches Lesebuch, 1. Aufl., Münster 1991, S. 198-212.
Anschaulich geschriebener Überblick über die Einführung des Frauenstudiums in Münster unter Berücksichtigung der Entwicklung in Preußen

Paul-Menn, Susanne
Doktorinnen der Medizin. Die ersten Ärztinnen in Münster. In: Arbeitskreis Frauengeschichte (Hrsg.): FrauenLeben in Münster. Ein historisches Lesebuch, 1. Aufl., Münster 1991, S. 237-251.
Grundlegender Artikel über Berufschancen und -felder der ersten Medizinerinnen in Münster

Schönert, Margarete
Von Leerstühlen zu Lehrstühlen: Zur Entwicklung der Situation von Frauen an der Universität Münster, in: Weiberkaleidoskop. 80 Jahre Frauenwahlrecht: Politische Erinnerung und Erfahrung, Münster 1999, S. 28-31.
Knappe Einführung in die Thematik mit Ausblick auf die aktuelle Situation von Frauen an der Universität Münster

Schuhmacher, Michaela
Lehrende, forschende und studierende Frauen an der Universität Münster- eine empirische Untersuchung. In: Kuhn, Annette, u.a. (Hrsg.): Lila Schwarzbuch. Zur Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft (Geschichtsdidaktik: Studien, Materialien. Bd. 35). Düsseldorf 1986. S. 58-90.
Empirische Erhebungen über die Situation der Wissenschaftlerinnen an der Universität Münster zwischen dem Winteresemester 1918/19 und dem Winteresemester 1982/83 sowie den Studentinnen zwischen dem Winteresemester 1907/08 und dem Winteresemester 1982/83