Soest > Aldegrever: Der Kampf um den rechten Glauben und die Druckgraphik


 
Klaus Kösters

Der Kampf um den rechten Glauben und die Druckgraphik

 
 
 

1. Die Reformation und die neuen Drucktechniken

 
 
 
"Die hohen Wohltaten der Druckerei sind mit Worten nicht auszusprechen", stellte Martin Luther in seinen Tischreden fest und meinte damit vor allem die schnelle Verbreitung der Bibelübersetzung und der reformatorischen Schriften. Luther war in der Tat der Erfolgsautor des 16. Jahrhunderts. Seine Bücher machten rund ein Drittel der gesamten deutschsprachigen Buchproduktion aus. Um 1520 kursierten nach Schätzungen etwa 300.000 Exemplare seiner Druckschriften in Deutschland, [1] um 1530 waren es ca. 1/2 Million [2] - Zahlen, die angesichts des damals weit verbreiteten Analphabetismus erstaunlich sind.

Es ist heute ein historischer Gemeinplatz geworden, dass Buchdruck und Buchhandel durch die Reformation einen ungeheuren Aufschwung erlebten. Es war aber ein Verhältnis auf Gegenseitigkeit: Die schnelle Ausbreitung reformatorischen Gedankengutes wäre sicherlich ohne die neuen Drucktechniken nicht möglich gewesen. [3] Andererseits wurde aber erst durch die Massenverbreitung der reformatorischen Schriften klar, was für ein neuartiges Mittel man mit dem Buchdruck zukünftig besaß. Luther hatte also allen Grund, Gott öffentlich zu danken: "Der Buchdruck ist das höchste und größte Geschenk Gottes, weil Gott durch dieses Mittel die wahre Religion bis ans Ende der Welt bekannt machen und in alle Sprachen übertragen will." [4] Als aber später immer mehr falsche und entstellende Nachdrucke seiner Werke kursierten, kühlte sich Luthers Begeisterung für das neue Massenmedium ab. 1524 führte er auf einer Teilausgabe des Alten Testaments seine Wappenrose ein, die seine Authentizität als Verfasser bestätigten sollte. [5]

Luthers Rückgriff auf die alleinige Autorität der Bibel und die im Protestantismus überlegene Rolle des gesprochenen und geschriebenen Wortes förderten zwar die Ausbreitung von Druckschriften. Aber gleichzeitig tat sich ein Problem auf: Viel zu wenig Leute konnten damals lesen und schreiben, weshalb dem gesprochenen Wort Vorrang eingeräumt werden musste. So ist beinah überall - auch in Soest - die reformatorische Bewegung durch Prediger in Gang gesetzt worden, die an den Stadtkirchen die neue Lehre verkündeten und auf ein bereitwillig zuhörendes Publikum stießen. Um aber so viele Altgläubige wie möglich zur neuen Lehre zu bekehren, bedurfte es zusätzlicher Mittel. Es entstanden die kleinen gedruckten Flugblätter und Flugschriften, die zu Tausenden in den einzelnen Städten und auf dem Land kursierten. [6] Sie bestanden oft nur aus einer oder wenigen Seiten und waren schnell und billig herzustellen. Die Inhalte entsprachen entweder den zentralen Glaubensaussagen des Protestantismus, vor allem der lutherischen Rechtfertigungslehre, oder griffen polemisch das Papsttum und die katholische Geistlichkeit an. Die volkssprachigen Texte waren zumeist in Form von Reden oder Dialogen abgefasst, was auf eine Verbreitung durch lautes Vorlesen hinweisen könnte. [7] Neben dieser einfachen, verständlichen Sprache besaßen die Flugschriften auch Bilder, die zumeist in der Technik des Holzschnittes angefertigt waren. Die Bilder waren dabei nicht weniger wichtig als der Text. Sie waren ebenfalls leicht verständlich und unterstützten die propagandistische Aussage. So konnten auch Analphabeten die Botschaft verstehen.

Der Holzschnitt besaß in Deutschland bereits eine längere Tradition, bis Albrecht Dürer ihn zu einer eigenständigen Kunstform erhob. Seine aus mehreren Bildern bestehenden Holzschnittfolgen der "Apokalypse" (1498) oder der "Kleine Passion" (1511) [8] machten nicht nur den Künstler, sondern auch den künstlerischen Holzschnitt berühmt. Hans Baldung, die Brüder Beham, Albrecht Altdorfer und andere folgten seinem Beispiel. Konkurrenz erhielt der Holzschnitt durch den Kupferstich, der ebenfalls im 15. Jahrhundert entwickelt wurde und ebenfalls durch Dürer Verbreitung fand. Dem höheren Arbeitsaufwand in der Bearbeitung der Kupferplatten standen die Vorteile der größeren Auflage und feineren Darstellung entgegen. So waren zu Beginn der Reformation zwei graphische Techniken vorhanden, um die protestantischen Bildinhalte überall hin zu verbreiten.

Eines der berühmtesten Beispiele dieser frühen propagandistischen Druckwerke stammt aus der Wittenberger Werkstatt des Lucas Cranach: das "Passional Christi und Antipassional" von 1521. [9] Es zeigt in mehreren Blättern auf der einen Seite den armen und bescheidenen Christus und stellt auf der anderen den maßlosen Reichtum und die übersteigerte Prachtentfaltung der Papstkirche dagegen. Kurze Texte verdeutlichen die Bildaussage. Das Oberhaupt der römischen Kirche wird so als der wahre Antichrist vor Augen geführt. Aldegrever wird sich später von dieser kleinen Druckschrift inspirieren lassen.

Gerade die Cranach-Werkstatt mit ihrer Fülle von Bilderfindungen ist das beste Beispiel, wie sich eine protestantische Kunst etablierte, nachdem die Reformatoren zunächst die katholischen Missbräuche der Bilderverehrung scharf verurteilt und als "religiös getarnten kommerziellen Schwindel" [10] gebrandmarkt hatten. Die protestantische Vorrangstellung des Wortes wies den Bildern in den Kirchen eine nachrangige Bedeutung zu. Für Luther und seine Anhänger waren die sakralen Bildwerke überflüssig geworden. Einer der Hauptangriffspunkte der Reformatoren richtete sich gegen die Äußerlichkeit der katholischen Glaubenspraktiken, also auch gegen die vielen verehrten Heiligenfiguren und -Bilder in den Kirchen. Luther ging allerdings nicht so weit wie einige seiner Mitstreiter, welche kurzerhand die Kirchen ausräumten und die Kunstwerke zerstörten. Für ihn waren die Bilder neutral. Gefahr drohte von den Betrachtern, welche die zahlreichen Heiligenfiguren und Heiltümer abergläubisch anbeteten und im Verbund mit Geldspenden die göttliche Gnade zu kaufen suchten. Luther sprach den Bildern jegliche Bedeutung für das Seelenheil ab, eine gewisse Rechtfertigung besaßen sie allenfalls als Mittel der Unterweisung der Laien. So bekamen die Bilder letztlich wieder eine Bedeutung, und zwar im Rahmen der protestantischen Propaganda und Erziehung zum neuen Glauben.

Die Bilderkritik der Reformatoren veränderte den Kunstmarkt. Die früher für Künstler so lukrativen Aufträge von Stiftern oder Ordensgemeinschaften, die Kirchen mit Altären oder Bildwerken auszustatten, gingen mit der Einführung der Reformation rapide zurück. Heinrich Aldegrever sollte diese veränderte Einstellung zu spüren bekommen. So ist der einzige erhaltene und von ihm gemalte Altar in der Soester Wiesenkirche (1525/26) auch sein letztes sakrales Werk. Danach verlegte er sich auf die zukunftsträchtigere Druckgraphik. [11]
 
 


Anmerkungen

[1] Dixon 1997
[2] Seebaß 1991
[3] van Dülmen 1999, S. 25-28
[4] Martin Luther: Kritische Gesamtausgabe, Abt. 2: Tischreden, Bd. 1. Weimar 1912, S. 523, Nr. 1038. Op. cit. nach Chartier 1999, S. 315
[5] "Dis zeichen sey zeuge / das solche bucher durch meine hand gegangen sind / den des falschen druckens vnd bucher verderbens /vleyssigen sich ytzt viel Gedruckt zu Wittemberg." Zitiert nach: Wittmann 1999, S. 52
[6] Seebaß veranschlagt die Anzahl der Flugschriften Mitte der zwanziger Jahre auf über eine Million. (Seebaß 1991, Abschn. II). Wittmann geht zwischen 1501 und 1530 von ca. 10.000 religiösen und politischen Fugschriften mit in einer vermuteten Auflage von je 1000 Exemplaren aus, also insgesamt ca. 10 Millionen (Wittmann 1999, S. 53).
[7] Chartier 1999, S. 333
[8] Knappe 1964, 151-166 und 253-290
[9] Die Druckschrift besaß ein Titelblatt und 16, antithetisch gegenübergestellte Holzschnitte mit erläuterndem Text.
[10] Hofmann 1984, S. 33
[11] Ob Heinrich Aldegrever diesen "künstlerischen Berufswechsel" aus wirtschaftlicher Not oder aus eigenem Antrieb vornahm (immerhin war er überzeugter Lutheraner), lässt sich anhand der Quellenlage nicht mehr ermitteln.