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Die Aufklärung verändert Bildungsverständnis und Bildungsgrundlagen


 
 
 
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ergriff ein Reformschub das Bildungswesen und stellte sowohl das Elementarschulwesen wie auch die höhere Bildung auf neue Grundlagen. Unter dem Einfluss der Volksaufklärung, einer praktischen Reformbewegung mit ökonomischen Wurzeln, die hauptsächlich von engagierten Geistlichen getragen wurde, entstanden Schriften und ökonomische Ratgeber, die sich an den "gemeinen Mann" richteten, ein agrarreformerisches Programm propagierten und Erziehungsaspekte aufwiesen.[1] Aber auch den Herrschern geistlicher wie weltlicher Territorien, sekundiert von Beamten und Bürgergesellschaften, war die Hebung von Wohlstand und Bildung der Bevölkerung im Zuge des aufgeklärten Absolutismus ein großes Anliegen. Reformen im Geiste eines aufklärerischen Utilitarismus liefen den Interessen der Landesherren keineswegs entgegen, sondern dienten im Gegenteil der Rationalisierung und Intensivierung ihrer Herrschaft und erstreckten sich über die gesamte innere Ordnung (Wirtschaft, Verwaltung, Justiz, Schulwesen).[2] Parallel zu diesen ökonomisch motivierten Reformanstrengungen wuchsen die Nachfrage nach Bildung und die Bereitschaft der Bevölkerung, die Kinder regelmäßig zur Schule zu schicken. Sommerschulen wurden in dieser Zeit zu einer verbreiteten Einrichtung.[3]

Schließlich veränderten sich auch Unterrichtsinhalte und Unterrichtsmethodik unter dem Einfluss dieser Bewegungen. Insbesondere trugen eine verbesserte Lehrerbildung sowie die Erhöhung der Lehrerbesoldung wesentlich zur Hebung des Schulwesens bei. Die Elementarschulreform verliefen in den geistlichen und weltlichen Herrschaften Westfalens als obrigkeitlich-staatlicher Zugriff auf das Schul- und Bildungswesens weitgehend ähnlich: Auf Schulvisitationen und die Gründung staatlicher Aufsichtsgremien folgte der Erlass von Schulordnungen und die Errichtung von Lehrerseminaren sowie von Normalschulen, in denen bereits amtierende Schulmeister weitergebildet wurden. Zur Vereinheitlichung des Elementarschulwesens trug die Erarbeitung und Veröffentlichung von Lehrbüchern bei, die z.T. bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in Gebrauch blieben und selbsttätiges Denken statt Memorieren favorisierten. Die Reform der höheren Bildung war inhaltlich gekennzeichnet durch den Einbezug von Realien, Mathematik und Geschichte sowie der stärkeren Beachtung von Deutsch; strukturell lässt sich eine Abschottung der Gymnasien von den übrigen Latein-, Rektorats- und deutschen Schulen konstatieren, aus denen sich allmählich ein mittleres Schulwesens herausbildete.[4]

Die zeitlich früheste Reform setzte in Ostwestfalen ein, wo 1754 als erste umfassende Ordnung für das Landschulwesen überhaupt und als Vorbild der preußischen Entwicklung die "Königlich-preußische Landschulordnung für das Fürstentum Minden und die Grafschaft Ravensberg" erlassen wurde, die u.a. regelmäßige Visitationen festsetzte. 1765 folgte die Reorganisation des Gymnasiums in Minden (Mathematik, Geschichte, Realien sowie die Bevorzugung von Deutsch als Unterrichtssprache); 1776 eröffnete das Lehrerseminar in Minden. In der ebenfalls preußischen Mark folgte 1782 das "Reglement für die deutschen reformierten Schulen in Cleve und Mark". Die Reorganisation des Gymnasiums in Hamm und seine Zusammenlegung mit der dortigen Lateinschule zu einer fünfklassigen Ausbildungsstätte in den Jahren 1770 bis1781 diente der Verordnung als Vorlage. Dabei zeichnete sich eine, von der preußischen Regierung unterstützte und auch beim Archigymnasium in Soest erkennbare Tendenz ab, das Gymnasium als Gelehrtenschule gegenüber den Bürger- und Lateinschulen zu stärken. Um die dadurch entstandene Lücke einer mittleren Bildung zu schließen, eröffnete Hagen 1799 die erste Realschule in Westfalen. Diese dreiklassige Handlungs-, Bürger- und Lateinschule bot neben Latein und modernen Sprachen auch Unterricht in Mathematik und kaufmännischen Fächern an. Als einzige ihrer Art zog sie zu zwei Dritteln auswärtige Schüler – auch aus den Niederlanden und England – an. In der Mark wurde eine Schulvisitation der Landschulen 1798 durchgeführt; ein Lehrerseminar eröffnete erst vergleichsweise spät 1806 in Soest.[5]

Im Fürstentum Lippe profitierten die Reformen von der territorialen und konfessionellen Geschlossenheit sowie dem Engagement der Landesherren. Eine "Schulordnung für das platte Land" wurde hier bereits 1767 erlassen; 1774 folgte eine "Anweisung für Küster und Schulmeister", 1781 die Gründung des Lehrerseminars, 1786/87 eine Generalvisitation. 1793 wurde die Lehreranstellung von der Seminarbildung abhängig gemacht, ab 1809 hatten sich die Lehrer einer öffentlichen Prüfung zu unterziehen. Bereits 1810 unterrichten praktisch ausschließlich Seminarabsolventen an den lippischen Schulen. Neben der Frauenbildung (Gründung der Höheren Töchterschule 1784; der Bildungsanstalt für Lehrerinnen der Industrieschulen 1807) waren den lippischen Fürsten auch die Industrieschulen (Obstveredelung und Seidenzucht) ein Anliegen. Einen eigenen Weg beschritt das Fürstentum auch bei der höheren Bildung: 1788 wurden die fünfklassigen Gymnasien in Detmold und Lemgo reorganisiert, 1806 die dreistufige Bürgerschule (ohne alte Sprachen) zur Vorbereitung auf handwerkliche und kaufmännische Berufe gegründet. Dieses dreigliedrige Schulsystem unterschied sich wesentlich vom preußischen, das eine solche berufspraktische "Mittelstandsbildung" erst viel später realisierte.[6]

Im Bistum Münster trugen die Einheitlichkeit von Territorium und Konfession sowie die Einsatzbereitschaft und Fähigkeit leitender Beamter zur Wirksamkeit der Reformen bei. Generalvikar Franz von Fürstenberg legte den Grundstein hierfür mit seiner 1770 angestoßenen Gymnasialreform.[7] Auch hier waren Mathematik, Geschichte und Erdkunde sowie die Betonung des Deutsch- gegenüber des Lateinunterrichts Bestandteile der Neuerungen.[8] Durch die Förderung des Hochdeutschen wurde das Plattdeutsch, das bis weit in das 19. Jahrhundert Umgangssprache auch des Großteils der Stadtbevölkerung in Münster war, zurückgedrängt.[9] In der Verordnung über die Lehrart in den unteren Schulen des Hochstifts Münster aus dem Jahre 1776 fand die Reform ihren rechtlichen Rahmen. Ebenfalls 1776 erfolgte die Gründung des Priesterseminars, 1780 diejenige der Universität. Nach einer Erhebung über den Stand des Schulwesens zur Gewinnung allgemeiner Informationen aus dem Jahre 1772,[10] folgte ab 1782 die Reform des Elementarschulwesens, die mit einer ausführlichen Visitation der Landschulen durchgesetzt wurde. Nachhaltig wirkten insbesondere die Einrichtung von Lehrerkursen für bereits amtierende Lehrer unter Bernard Overberg in Münster ab 1783 (Lehrerinnenausbildung ab 1801) sowie die Gewährung von Lohnzulagen an Lehrpersonen, die sich erfolgreich der Prüfung ihrer Fähigkeiten unterzogen. Diese Zulagen ermöglichten den Lehrern allmählich, Schulunterricht als Haupttätigkeit auszuüben, was die Qualität der Unterweisung förderte. Das von Overberg 1788 geschaffene Lesebuch war in überarbeiteter Fassung noch 1877 in Gebrauch.[11]

Im Fürstbistum Paderborn – wo Franz Egon von Fürstenberg, der Bruder des münsterschen Bischofs amtierte – setzten die Reformen 1788 ein: Hier erneuerte eine Schulordnung das Elementarschulwesen und setzte die Aufsicht der Pfarrer sowie Lehrerprüfungen durch eine Schulkommission fest. Im gleichen Jahr wurde eine Normalschule gegründet und 1792 ein Leselehrmittel veröffentlicht. Das höhere Schulwesen Paderborns genoss um 1800 – nachdem sich 1773 die Jesuiten zurückgezogen hatten – immer noch einen guten Ruf.[12]

Im Herzogtum Westfalen berief der Kurfürst 1781 eine Schulkommission ein, 1787 erließ er eine Schulverordnung, die eine Lehrerprüfung festsetzte. Eine Normalschule wurde trotz Protest der westfälischen Landstände in Bonn errichtet. Mit der Schulvisitation 1794 und der Berufung des Pfarrers Friedrich Adolf Sauer zum Normallehrer begannen die Reformen zu greifen. Er eröffnete 1795 eine Normalschule, an der er die folgenden 30 Jahre kostenlos unterrichtete und verfasste ein Erstlesebuch. Die "Instruktion für Schulinspektoren" von 1798 verpflichtete die Pfarrer zur wöchentlichen Inspektion der Schulen. 1800 folgte eine Verordnung, die festlegte, wie sie visitieren sollten; zudem wurden Unterrichtsgegenstände und Lehrmethode bestimmt. Eine Besonderheit von Kurköln stellte der 1794 eingeführte Industrieunterricht dar: Handarbeitsunterricht für die Mädchen (Stricken, Spinnen, Nähen, Kräuterkunde) und Handwerksunterricht (Obstbaumzucht, Gartenbau; Anfertigung von Werkzeug, Textil-, Holz-, Schuhwaren) für die Jungen. Die Zeitgenossen lobten die moralischen pädagogischen und ökonomischen Auswirkungen.[13]

Da alle Gymnasien und höheren Schulen des Herzogtums Westfalen Klosterschulen waren (Wedinghausen, Werl, Attendorn, Geseke und Brilon) und unter hessischer Herrschaft 1802 praktisch alle Klöster säkularisiert wurden, behielt nur Arnsberg (Wedinghausen) ein Gymnasium. Inhaltlich waren bereits 1799 Reformen (Deutsch als Unterrichtssprache, Mathematik, Geschichte) eingeführt worden.[14]
 
Anmerkungen
[1] Vgl. dazu Böning, Holger, Hanno Schmitt und Reinhart Siegert, Volksaufklärung, Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts, Bremen 2007, S. 14ff.
[2] Vgl. dazu Stolberg-Rilinger, Barbara, Politische und soziale Physiognomie des aufgeklärten Zeitalters, in: Hammerstein, Notker und Ulrich Herrmann (Hg.), Handbuch der Bildungsgeschichte Bd. 2, 18. Jahrhundert, München 2005, S. 1-32, hier S. 11.
[3] Hanschmidt, Alwin, Bernard Overberg und die Reform des Elementarschulwesens im Fürstentum Münster, in: Peters, Meinolf (Hrsg.), Schulreforn im Fürstbistum Münster im ausgehenden 18. Jahrhundert, Ibbenbüren 1992, S. 7-23, hier S. 18.
[4]Saal, Friedrich Wilhelm, Das Schul- und Bildungswesen, in: Kohl, Wilhelm (Hg.), Westfälische Geschichte, Bd. 3, Das 19. und das 20. Jahrhundert, Wirtschaft und Gesellschaft, Düssedorf 1984, S. 558.
[5] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 541ff.
[6] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 547-550.
[7] Das Bildungswesen begriff er als ein aufeinander abgestimmtes Ganzes, in dem Universität, Gymnasium und Volksschule einander voraussetzten und ergänzten. Hanschmidt, Alwin, Aufgeklärte Reformen im Fürstbistum Münster unter besonderer Berücksichtigung des Bildungswesens. In: Klueting, Harm (Hg.), Katholische Aufklärung - Aufklärung im katholischen Deutschland, Hamburg 1993, S. 319-334, hier S. 319ff.
[8] Franz Freiherr von Fürstenberg, Schulordnung, 22. Januar 1776, Münster 1960.
[9] Hanschmidt, Alwin, 1773 bis 1815. Vom Jesuitengymnasium zum preußischen Gymnasium, in: Lasalle, Paulinum 1997, S. 67.
[10] StADülmen, A 254.
[11] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 550-552.
[12] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 553.
[13] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 554f.
[14] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 553-558.