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Kriegsjahr 1914: Verwundete Soldaten mit Ärzten und Krankenschwestern in einem Lazarett, Berlin 1914  / Foto: LWL-Medienzentrum für Westfalen/001 Slg. Historische Landeskunde_1/01_4792







Niklas Weinhagen

Medizinalwesen


Im 18. Jahrhundert hatten die Pocken in den Ballungszentren die Pest als todbringende Seuche abgelöst und forderten hohe Opferzahlen. Schnell etablierte sich deshalb eine sozialmedizinische Neuorientierung. Die Impfung mit Kuhpocken ermöglichte erstmals eine aktive Immunisierung und ersetzte die herkömmliche Variolation mit echten Erregern. Im 19. Jahrhundert wurde in weiten Teilen Europas die Impfpflicht eingeführt. Nach einem Rückschlag im Deutsch-Französischen Krieg betrieb das Deutsche Reich eine weitreichende Seuchenvorbeugung, besonders gegen die Pocken.

Der Erste Weltkrieg löste einen Modernisierungsschub aus: Bakteriologische Hygiene stand dabei im Fokus des Lazarettwesens. Dennoch grassierten im zweiten und dritten Kriegsjahr, bedingt durch die prekäre Lebenssituation, zahlreiche Seuchen. Die Schlimmste war dabei der Typhus exanthematicus (Fleckenfieber). Weitere Krankheiten waren Malaria, die insgesamt 120 000 Mal behandelt wurde, Cholera mit 3 300 protokollierten Fällen, Ruhr mit 150 000 Fällen und Typhus mit 116 500 Fällen. Dem schlossen sich Diphterie, Scharlach, Masern und, besonders im Heer, Geschlechtskrankheiten an.[1]

Die Pocken traten zu Beginn des Krieges im deutschen Heer kaum in Erscheinung und spielten auch im weiteren Verlauf eine untergeordnete Rolle. Die meisten Vorfälle (ca. 450) verzeichnete das Heer im Osten. Für die Zivilbevölkerung wurde die Bedrohung durch die Pocken erst am Ende und nach dem Krieg evident. 1913 wurden im Reich nur zwölf Fälle gemeldet. 1917 stieg die Anzahl der Erkrankten, besonders im Norden, auf 443. Zwischen 1917 und 1921 wurden 11 591 Pockenfälle verzeichnet. 1768 davon verliefen tödlich. Ein Großteil der Verstorbenen war dabei älter als 40.[2] Dieser Anstieg weist allerdings nicht auf eine Rückkehr oder auf eine Kontaminierung des Pockenerregers hin: Die weitflächige Immunisierung gegen ihn verhinderte eine starke Verbreitung. Allerdings litt die deutsche Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt sehr an Hunger, Kälte und unter schlechten hygienischen Verhältnissen und war somit anfälliger für jeden Erreger.

Die transkribierte Quelle behandelt einen Pockenvorfall in der Gemeinde Rheine. Dieser stellte allerdings eine Ausnahme in der Region dar. Nach Bekanntwerden und sofortiger Isolation des Patienten verbreitete sich der Erreger nicht weiter. Das Landratsamt agierte hier als kommunale Selbstverwaltungsbehörde auf der unteren Ebene der staatlichen Verwaltungsbehörden. Dennoch oblag es ihr, den Vorfall sofort und schnell an höhere Instanzen weiterzuleiten und die weiteren Entwicklungen genau zu beobachten. Dies verdeutlicht einerseits die gute Kooperation zwischen den einzelnen Behörden, auch in Extremsituationen, und andererseits die Brisanz, mit der man die Pocken noch immer wahrnahm.
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Thyphusschutzimpfung deutscher Soldaten, 1914
 
Anmerkungen
[1] Vgl. Eckart, Wolfgang-Ulrich/ Gradmann, Christopher: Medizin, in: Hirschfeld, Gerhard/ Krumeich, Gerd/ Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009, S.210-220.
[2] Vgl. Vasold, Manfred: Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, S. 267f.
 
 
Literatur
  • Eckart, Wolfgang-Ulrich: Geschichte der Medizin, 5. Auflage, Heidelberg 2005.
  • Eckart, Wolfgang-Ulrich/ Gradmann, Christopher: Medizin, in: Hirschfeld, Gerhard/ Krumeich, Gerd/ Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2009, S.210-220.
  • Vasold, Manfred: Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991.