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Teil 2 –
Tagungsdokumentation
"Politische Partizipation von Frauen im 20. Jahrhundert"
Julia Paulus
Einleitung
Einleitung
Sektion 1
"Die Mühsalen des Anfangs..."
Kerstin Wolff
Kommunalpolitik und Geschlecht im 19. Jahrhundert - haben Frauen eine politische Stimme?
Elke Stolze
"Newcomerinnen" in den Parlamenten. Politikerinnen in der Weimarer Republik
Sektion 2
"Die Ebenen politischer Arbeit"
Susanne Sander
Elke Schüller
Sektion 3
Parteipolitische Handlungsfelder
Petra Holz
Gisela Notz
Amalia Sdroulia
Einleitung
Drei bedeutende Jubiläen waren der Anlass für die vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte am 05.12.2008 im Landeshaus der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe veranstaltete Tagung "Politische Partizipation von Frauen im 20. Jahrhundert": Die Reform des preußischen Vereinsrechts (1908), die Einführung des Frauenwahlrechts im Deutschen Reich (1918) sowie die Verabschiedung des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Grundgesetz (1949).
Das Ziel der Tagung bestand darin, beispielhaft -für noch vorzunehmende Forschungen in Westfalen/NRW- bereits durchgeführte Biografieprojekte zu Parlamentarierinnen anderer Landesteile vorzustellen. Hierbei sollte es in erster Linie darum gehen, den besonderen Stellenwert von biografischen Herangehensweisen, deren Fragestellungen und Zugriffsweisen zu Politikerinnen-Karrieren zu diskutieren.
Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte das Thema der politischen Partizipation, neben Ansprüchen auf (Aus-)Bildung und Erwerbsmöglichkeiten, zu den bedeutsamsten Forderungen der in konfessionellen, berufsbezogenen, karitativen und Bildungs-Vereinen organisierten Frauenbewegung. Der Begriff 'Partizipation' umfasste hierbei stets alle Verhaltensweisen von Bürgerinnen, die allein oder in einer Gruppe Einfluss auf Entscheidungen auf allen Ebenen des politisch-gesellschaftlichen Systems ausübten, sowohl in den sogenannten Vorfeldorganisationen des sich bereits zu Ende des Kaiserreichs weit entfalteten Vereinswesens wie auch im konventionell-politischen Bereich, aus dem Frauen allerdings bis zu den Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19.01.1919 weitestgehend ausgeschlossen waren.
Bis dahin hatte die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 wie auch die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 in ihrem Wahlgesetz das gleiche und geheime Wahlrecht ausschließlich auf männliche Deutsche begrenzt, die in einem deutschen Bundesstaat ihren Wohnsitz besaßen, mindestens 25 Jahre alt waren, nicht aktiv im Heer und bei der Marine dienten, nicht unter Vormundschaft oder Kuratel standen und keine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeindemitteln bezogen. Wählbar zum Abgeordneten bzw. nominierbar als Reichstagskandidaten im ganzen Reichsgebiet waren danach ausschließlich männliche Deutsche, die die Voraussetzungen des aktiven Wahlrechts erfüllten und einem Bundesstaat mindestens ein Jahr angehörten.
Zudem war die Möglichkeit der Mitarbeit von Frauen in politischen Parteien und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Erlangung des passiven Wahlrechts bis zum Jahr 1908 in der Mehrzahl der deutschen Bundesländer durch das politische Vereins- und Versammlungsverbot für Frauen beschränkt. Lediglich in Bayern, Hannover und Sachsen konnten Frauen aufgrund des dortigen Besitzwahlrechts bereits im Kaiserreich in Gemeinderäte gewählt werden. Dieses beschränkte Gemeindewahlrecht betraf Frauen allerdings nicht als Personen, sondern lediglich als allein stehende Grundbesitzerinnen. Demgegenüber besaßen Frauen das aktive Wahlrecht in sämtlichen preußischen Landgemeinden mit Ausnahme der Rheinprovinz, sowie in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen, im Königreich Sachsen und Bayern wie auch in einzelnen Bereichen verschiedener Großherzogtümer, wobei sich auch hier verheiratete Grundbesitzerinnen bei der Stimmabgabe vertreten lassen mussten. Lediglich in Kassel, Kolmar und Königsberg -seit 1914 auch in Berlin- konnten Frauen an den Wahlen der Armendeputationen teilnehmen. Auch zu den Schuldeputationen wurden Lehrerinnen erst 1906 durch das preußische Volksschulunterhaltungsgesetz zugelassen. [1]
Vertreterinnen der Frauenbewegung, wie Louise Otto und Hedwig Dohm, hatten bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Stimmrecht für Frauen gefordert. 1902 entstand schließlich der von Anita Augsburg und Lida Gustava Heymann gegründete 'Verein für Frauenstimmrecht'. Für dieses Recht demonstrierten bereits am 19.03.1911 mehr als eine halbe Million Frauen in Berlin.
Daneben war es die SPD, die bereits 1891 auf ihrem Erfurter Parteitag das Frauenwahlrecht als Forderung in ihr Parteiprogramm aufgenommen und 1895 als Antrag im Deutschen Reichstag eingebracht hatte. Nach der SPD waren es die linken Flügel der Liberalen, die Frauen zumindest in ihre Parteivorstände aufnahmen. 1903 hatte bereits die Freisinnige Volkspartei in den Bundesländern, in denen Frauen nicht durch das Vereinsgesetz gehindert waren, weibliche Mitglieder aufgenommen. Nach der Aufhebung des Vereinsverbots forderte 1908 die Freisinnige Vereinigung auf ihrem Parteitag die grundsätzliche Anerkennung der politischen Gleichberechtigung von Frauen und 1911 räumte schließlich auch die Fortschrittliche Volkspartei bei ihrer Gründung den Frauen einen offiziellen Platz in ihrer Partei ein. Dagegen war sowohl die Nationalliberale Partei wie auch die Zentrumspartei weit aus zurückhaltender. Während erstere Frauen lediglich als Mitglieder in einigen Ortsverbänden aufnahmen, kam es im Zentrum zunächst nur zu Zusammenschlüssen von Frauen außerhalb der Partei. [2]
Nachdem am 12.11.1918 per Dekret des Rates der Volksbeauftragten das gleiche, geheime, direkte und allgemeine Wahlrecht für alle Frauen und Männer ab 20 Jahre eingeführt worden war, wurde als Endtermin für das Einreichen der Wahlvorschläge für die Nationalversammlung der 04.01.1919 festgesetzt. Die Anzahl der Wahlvorschläge orientierte sich an den im jeweiligen Wahlkreis (insgesamt 36) zu wählenden Abgeordneten. Deren Anteil wiederum errechnete sich nach dem Grundsatz, dass auf durchschnittlich 150.000 Einwohner/-innen ein(e) Abgeordnete(r) entfiel. Je nach Einwohner/-innenzahl konnten auf diese Weise pro Wahlkreis sechs bis 17 Abgeordnete in den Reichstag gewählt werden.
Zu der Wahl zur Verfassunggebenden Nationalversammlung am 19.01.1919 und den Wahlen zu den Länderparlamenten lagen nur wenige Wochen, um die 17,7 Millionen wahlberechtigten Frauen zu ihrer ersten Entscheidung in der demokratisch zu gestaltenden neuen Republik zu mobilisieren. Da nur 15 Millionen wahlberechtigte Männer zu den Wahlurnen gerufen waren, hing der Ausgang der Wahl entscheidend von den Stimmen der Frauen ab. Nachdem noch im Oktober 1918 im Reichstag von allen Parteien bis auf die SPD das Frauenwahlrecht abgelehnt worden war, waren nun alle Parteien gezwungen, Frauen als politisch Handelnde anzusprechen, um sie für sich zu gewinnen. Etwa zehn bis 25 Prozent der Wahlwerbung aller Parteien richtete sich ausschließlich an sie, wobei Frauen durch die Propaganda der Parteien immer zuerst als 'Geschlecht' angesprochen wurden, wesentlich seltener als Angehörige einer sozialen Schicht oder einer Berufsgruppe, da alle Parteien davon ausgingen, dass Frauen sich in erster Linie durch soziale und kulturelle Themen mobilisieren lassen würden. So hob z.B. die DNVP-Wahlpropaganda vor allem auf die 'gute alte Zeit' des Kaiserreiches ab und legte dar, was die Frauen angeblich durch die Revolution verloren hatten. Die verbreitete Schreckensvision war, dass der allgemeine wirtschaftliche und moralische Niedergang die baldige Zerstörung des Familienlebens herbeiführen würde. Gläubige Frauen sollten die christliche Erziehung retten, da die weltliche Sozialisation die Kinder verderben würde. Spezielle Wahlpropaganda gab es auch für Heimarbeiterinnen und Dienstbotinnen, die gelobt wurden, dass sie nicht in die Industrie gehen, sondern 'frauentypische' Arbeit leisten würden. Zwar hatte sich das Zentrum vor 1919 nicht offen für die Einführung des Frauenwahlrechts ausgesprochen, aber spätestens seit dem Straßburger Katholikentag des Jahres 1905 hatte sich die Haltung des Zentrums gegenüber der Frauenfrage geändert und man verzichtete seitdem auf die offensive Bekämpfung des Frauenwahlrechts. Stattdessen bemühte sich das Zentrum nun aus den katholischen Verbänden geeignete Frauen zur politischen Mitarbeit heranzuziehen. Parallel hierzu kam es nun auch erstmals zu einer Zusammenarbeit fast aller bürgerlichen Frauenorganisationen unter Einschluss der vaterländischen Frauenvereine und der Vereinigung Konservativer Frauenverbände, die das Frauenstimmrecht bislang abgelehnt hatten. [3]
Die Aufstellung der Wahlvorschläge für die 36 Wahlkreise im Deutschen Reich wurde aufgrund der Kürze der Zeit meist in aller Hektik betrieben, wobei Frauen von den Parteien kaum Berücksichtigung erfuhren. So sank deren Mandatsanteil auf Reichsebene von 9,6% in der Nationalversammlung auf nur noch 3,9% im Jahre 1933. Doch obgleich die Zahl der weiblichen Abgeordneten im Laufe der Weimarer Republik in den Landesparlamenten und dem Reichsparlament eher ab- als zunahm, konnten die wenigen Parlamentarierinnen dennoch wichtige Rechtspositionen für Frauen durchsetzen, so z.B. die Zulassung von Frauen als Richterinnen, Schöffinnen und Geschworene (1922), das Heimarbeiterlohngesetz (1923), das Mutterschutzgesetz (1927); Frauen arbeiten mit an der Reichsverfassung, am Betriebsrätegesetz, beim Wahlrecht von Frauen zu den Kaufmanns- und Gewerbegerichten, bei der Revision des Familien-, Ehe- und Güterrechts, beim Jugendwohlfahrts- und Jugendgerichtsgesetz, bei der Erwerbslosenfürsorge, dem Reichsschulgesetz, wenn es um die Rechte von Beamtinnen ging oder um die Lohngleichheit von Frauen und Männern. [4]
Allerdings wurde das Engagement von Politikerinnen in der Öffentlichkeit häufig genug lediglich kritisch diskutiert, was nicht zuletzt dazu führte, dass das 20. Jahrhundert als eine Epoche erscheint, zu deren Charakteristika gerade die mangelnde Präsenz von Frauen im politisch-öffentlichen Raum gehörte. Bislang wurden diese Beobachtungen lediglich unter der Fragestellung diskutiert, welche Schwierigkeiten und Probleme für die auffällig niedrige Repräsentanz von Frauen in politischen Gremien und in der politischen Öffentlichkeit anzuführen seien. Gängige Partizipationskonzepte, die allgemein mit dem Nachweis verbunden waren, dass die Defizite der Frauen in ihrem angeblich nur einseitig auf soziale und kulturelle Belage eingeschränkten politischen Engagement lägen, transportierten hierbei einen Politikbegriff, der sich ausschließlich auf den klassischen Horizont politischer Institutionen und deren Mittlerorganisationen bezog. Alles, was darüber hinaus ging, galt als vor- und unpolitisch. Ein solcher Politikbegriff jedoch vermittelt wiederum nur die gängige fiktive Trennung von öffentlicher und privater Sphäre und blendet nicht selten weitergehendes gesellschaftliches Engagement-insbesondere in Frauenvereinen und -verbänden-als nicht politikrelevant aus.
Mit dieser Tagung sollte deshalb der Versuch unternommen werden, an regionalen Beispielen über biografiegeschichtliche Zugriffsweisen politische Partizipation in einem weiteren Sinne zu verstehen: Als umfassendes Engagement der an gesellschaftlichen Prozessen Beteiligten. Unter dieser Prämisse wird in den nachfolgenden Beiträgen insbesondere dem Selbstverständnis, dem jeweiligen Politisierungsprozess, den politischen Strategien und (geschlechts-)spezifischen Zugangs- und Handlungsmöglichkeiten sowie dem Umgang mit Macht von Frauen in vornehmlich männlich strukturierten parlamentarischen Räumen nachgegangen. Im Zentrum der Studien stehen somit Fragen nach den Karrieremöglichkeiten sowohl von Parlamentarierinnen wie auch von Politikerinnen als Lobbyistinnen.
Konkrete Fragestellungen hierzu lauten:
Die Beiträge der ersten Sektion, die überschrieben ist mit "Die Mühsalen des Anfangs...", beschäftigen sich mit dem Selbstverständnis und den Zuschreibungen derjenigen Politikerinnen, die als Pionierinnen im 19. und frühen 20. Jahrhundert erstmals in die-bis dato traditionell als männlich definierten-Institutionen der Politik Zugang fanden. Während KERSTIN WOLFF hierbei die Notwendigkeit eines erweiterten Politik- bzw. Partizipationsbegriffs betont, der es überhaupt erst möglich macht, Aussagen über die politischen Wirkungsmöglichkeiten von kommunalpolitisch engagierten Frauen vor der Wahlrechtsreform von 1918 treffen zu können, geht ELKE STOLZE den Motiven und Optionen der Parlamentarierinnen der 'ersten Stunde' nach, indem sie danach fragt, mit welchem Impetus sie versuchten, politisch zu partizipieren und inwiefern dieses öffentliche politische Handeln von Frauen in politischen Parteien ein neues und anderes Partizipationskonzept schuf bzw. ein vorheriges ablöste oder verdrängte.
In der zweiten Sektion mit dem Titel "Die Ebenen politischer Arbeit" liegt der Schwerpunkt der Untersuchungen auf der Frage nach den institutionellen Bedingungen unterschiedlicher Karriereverläufe von Politikerinnen der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit. ELKE SCHÜLLER rekonstruiert hierzu mithilfe einer vergleichenden Lebenslaufanalyse das soziostrukturelle und politische Profil von Kommunalpolitikerinnen sowie die Bedeutung von lokalen Netzwerken. Demgegenüber untersucht SUSANNE SANDER auf der Ebene der Landtage in ihrer kollektivbiografischen Studie zu Politisierungsprozessen von weiblichen Abgeordneten jene Faktoren und Strukturen, die die politische Tätigkeit der Politikerinnen beförderten oder verhinderten.
Die dritte Sektion schließlich stellt das-neben den Parlamenten-einflussreichste "Politische Handlungsfeld" von Politikerinnen in den Mittelpunkt. Dabei verdeutlichen alle drei Beiträge zu dem Themenspektrum 'Partei', dass die Bedeutung dieser Institution für die jeweiligen Mitglieder, neben ihrer Auswahl- und Rekrutierungsfunktion, vor allem in ihrer Repräsentationsfunktion liegt, die sie in hohem Maße als Reflex und Ausdruck spezifischer sozialmoralischer Milieus definiert. Besonders deutlich wird dies im Beitrag von GISELA NOTZ, die in ihrer Studie zu den SPD-Parlamentarierinnen der frühen Bundesrepublik am Beispiel der Umsetzung des Gleichberechtigungsgebots das nicht selten ambivalente Verhältnis der Genossinnen zu ihrer 'Mutterpartei' beschreibt. Dass auch die Politikerinnen der CDU in einen spezifisch-bürgerlichen-Kontext eingebunden waren, der je nach Ferne oder Nähe zur katholischen Kirchenlehre zu gravierenden Differenzen unter den Parlamentarierinnen führen konnte, verdeutlicht nachfolgend PETRA HOLZ. Last but not least beschäftigt sich die Politologin AMALIA SDROULIA in ihrem Beitrag mit der Frage, welche Bedeutung die erstmals von der Fraktion der "Grünen" in den 1980er Jahren eingeführte Frauenquote für die politische Partizipation und das Selbstverständnis von Parlamentarierinnen besaß und auch noch heute besitzt. Am Beispiel von sechs im Niedersächsischen Landtag tätigen Politikerinnen der Fraktion Bündnis90/Die Grünen interessiert sich SDROULIA darüber hinaus für die Themenschwerpunkte und Handlungsoptionen derjenigen Politikerinnen, die mittel- oder unmittelbar aus dem Kontext der bis dato institutskritischen, sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen in den Raum des Parlaments vordringen konnten.
Das Ziel der Tagung bestand darin, beispielhaft -für noch vorzunehmende Forschungen in Westfalen/NRW- bereits durchgeführte Biografieprojekte zu Parlamentarierinnen anderer Landesteile vorzustellen. Hierbei sollte es in erster Linie darum gehen, den besonderen Stellenwert von biografischen Herangehensweisen, deren Fragestellungen und Zugriffsweisen zu Politikerinnen-Karrieren zu diskutieren.
Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte das Thema der politischen Partizipation, neben Ansprüchen auf (Aus-)Bildung und Erwerbsmöglichkeiten, zu den bedeutsamsten Forderungen der in konfessionellen, berufsbezogenen, karitativen und Bildungs-Vereinen organisierten Frauenbewegung. Der Begriff 'Partizipation' umfasste hierbei stets alle Verhaltensweisen von Bürgerinnen, die allein oder in einer Gruppe Einfluss auf Entscheidungen auf allen Ebenen des politisch-gesellschaftlichen Systems ausübten, sowohl in den sogenannten Vorfeldorganisationen des sich bereits zu Ende des Kaiserreichs weit entfalteten Vereinswesens wie auch im konventionell-politischen Bereich, aus dem Frauen allerdings bis zu den Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19.01.1919 weitestgehend ausgeschlossen waren.
Bis dahin hatte die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 wie auch die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 in ihrem Wahlgesetz das gleiche und geheime Wahlrecht ausschließlich auf männliche Deutsche begrenzt, die in einem deutschen Bundesstaat ihren Wohnsitz besaßen, mindestens 25 Jahre alt waren, nicht aktiv im Heer und bei der Marine dienten, nicht unter Vormundschaft oder Kuratel standen und keine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeindemitteln bezogen. Wählbar zum Abgeordneten bzw. nominierbar als Reichstagskandidaten im ganzen Reichsgebiet waren danach ausschließlich männliche Deutsche, die die Voraussetzungen des aktiven Wahlrechts erfüllten und einem Bundesstaat mindestens ein Jahr angehörten.
Zudem war die Möglichkeit der Mitarbeit von Frauen in politischen Parteien und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Erlangung des passiven Wahlrechts bis zum Jahr 1908 in der Mehrzahl der deutschen Bundesländer durch das politische Vereins- und Versammlungsverbot für Frauen beschränkt. Lediglich in Bayern, Hannover und Sachsen konnten Frauen aufgrund des dortigen Besitzwahlrechts bereits im Kaiserreich in Gemeinderäte gewählt werden. Dieses beschränkte Gemeindewahlrecht betraf Frauen allerdings nicht als Personen, sondern lediglich als allein stehende Grundbesitzerinnen. Demgegenüber besaßen Frauen das aktive Wahlrecht in sämtlichen preußischen Landgemeinden mit Ausnahme der Rheinprovinz, sowie in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen, im Königreich Sachsen und Bayern wie auch in einzelnen Bereichen verschiedener Großherzogtümer, wobei sich auch hier verheiratete Grundbesitzerinnen bei der Stimmabgabe vertreten lassen mussten. Lediglich in Kassel, Kolmar und Königsberg -seit 1914 auch in Berlin- konnten Frauen an den Wahlen der Armendeputationen teilnehmen. Auch zu den Schuldeputationen wurden Lehrerinnen erst 1906 durch das preußische Volksschulunterhaltungsgesetz zugelassen. [1]
Vertreterinnen der Frauenbewegung, wie Louise Otto und Hedwig Dohm, hatten bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Stimmrecht für Frauen gefordert. 1902 entstand schließlich der von Anita Augsburg und Lida Gustava Heymann gegründete 'Verein für Frauenstimmrecht'. Für dieses Recht demonstrierten bereits am 19.03.1911 mehr als eine halbe Million Frauen in Berlin.
Daneben war es die SPD, die bereits 1891 auf ihrem Erfurter Parteitag das Frauenwahlrecht als Forderung in ihr Parteiprogramm aufgenommen und 1895 als Antrag im Deutschen Reichstag eingebracht hatte. Nach der SPD waren es die linken Flügel der Liberalen, die Frauen zumindest in ihre Parteivorstände aufnahmen. 1903 hatte bereits die Freisinnige Volkspartei in den Bundesländern, in denen Frauen nicht durch das Vereinsgesetz gehindert waren, weibliche Mitglieder aufgenommen. Nach der Aufhebung des Vereinsverbots forderte 1908 die Freisinnige Vereinigung auf ihrem Parteitag die grundsätzliche Anerkennung der politischen Gleichberechtigung von Frauen und 1911 räumte schließlich auch die Fortschrittliche Volkspartei bei ihrer Gründung den Frauen einen offiziellen Platz in ihrer Partei ein. Dagegen war sowohl die Nationalliberale Partei wie auch die Zentrumspartei weit aus zurückhaltender. Während erstere Frauen lediglich als Mitglieder in einigen Ortsverbänden aufnahmen, kam es im Zentrum zunächst nur zu Zusammenschlüssen von Frauen außerhalb der Partei. [2]
Nachdem am 12.11.1918 per Dekret des Rates der Volksbeauftragten das gleiche, geheime, direkte und allgemeine Wahlrecht für alle Frauen und Männer ab 20 Jahre eingeführt worden war, wurde als Endtermin für das Einreichen der Wahlvorschläge für die Nationalversammlung der 04.01.1919 festgesetzt. Die Anzahl der Wahlvorschläge orientierte sich an den im jeweiligen Wahlkreis (insgesamt 36) zu wählenden Abgeordneten. Deren Anteil wiederum errechnete sich nach dem Grundsatz, dass auf durchschnittlich 150.000 Einwohner/-innen ein(e) Abgeordnete(r) entfiel. Je nach Einwohner/-innenzahl konnten auf diese Weise pro Wahlkreis sechs bis 17 Abgeordnete in den Reichstag gewählt werden.
Zu der Wahl zur Verfassunggebenden Nationalversammlung am 19.01.1919 und den Wahlen zu den Länderparlamenten lagen nur wenige Wochen, um die 17,7 Millionen wahlberechtigten Frauen zu ihrer ersten Entscheidung in der demokratisch zu gestaltenden neuen Republik zu mobilisieren. Da nur 15 Millionen wahlberechtigte Männer zu den Wahlurnen gerufen waren, hing der Ausgang der Wahl entscheidend von den Stimmen der Frauen ab. Nachdem noch im Oktober 1918 im Reichstag von allen Parteien bis auf die SPD das Frauenwahlrecht abgelehnt worden war, waren nun alle Parteien gezwungen, Frauen als politisch Handelnde anzusprechen, um sie für sich zu gewinnen. Etwa zehn bis 25 Prozent der Wahlwerbung aller Parteien richtete sich ausschließlich an sie, wobei Frauen durch die Propaganda der Parteien immer zuerst als 'Geschlecht' angesprochen wurden, wesentlich seltener als Angehörige einer sozialen Schicht oder einer Berufsgruppe, da alle Parteien davon ausgingen, dass Frauen sich in erster Linie durch soziale und kulturelle Themen mobilisieren lassen würden. So hob z.B. die DNVP-Wahlpropaganda vor allem auf die 'gute alte Zeit' des Kaiserreiches ab und legte dar, was die Frauen angeblich durch die Revolution verloren hatten. Die verbreitete Schreckensvision war, dass der allgemeine wirtschaftliche und moralische Niedergang die baldige Zerstörung des Familienlebens herbeiführen würde. Gläubige Frauen sollten die christliche Erziehung retten, da die weltliche Sozialisation die Kinder verderben würde. Spezielle Wahlpropaganda gab es auch für Heimarbeiterinnen und Dienstbotinnen, die gelobt wurden, dass sie nicht in die Industrie gehen, sondern 'frauentypische' Arbeit leisten würden. Zwar hatte sich das Zentrum vor 1919 nicht offen für die Einführung des Frauenwahlrechts ausgesprochen, aber spätestens seit dem Straßburger Katholikentag des Jahres 1905 hatte sich die Haltung des Zentrums gegenüber der Frauenfrage geändert und man verzichtete seitdem auf die offensive Bekämpfung des Frauenwahlrechts. Stattdessen bemühte sich das Zentrum nun aus den katholischen Verbänden geeignete Frauen zur politischen Mitarbeit heranzuziehen. Parallel hierzu kam es nun auch erstmals zu einer Zusammenarbeit fast aller bürgerlichen Frauenorganisationen unter Einschluss der vaterländischen Frauenvereine und der Vereinigung Konservativer Frauenverbände, die das Frauenstimmrecht bislang abgelehnt hatten. [3]
Die Aufstellung der Wahlvorschläge für die 36 Wahlkreise im Deutschen Reich wurde aufgrund der Kürze der Zeit meist in aller Hektik betrieben, wobei Frauen von den Parteien kaum Berücksichtigung erfuhren. So sank deren Mandatsanteil auf Reichsebene von 9,6% in der Nationalversammlung auf nur noch 3,9% im Jahre 1933. Doch obgleich die Zahl der weiblichen Abgeordneten im Laufe der Weimarer Republik in den Landesparlamenten und dem Reichsparlament eher ab- als zunahm, konnten die wenigen Parlamentarierinnen dennoch wichtige Rechtspositionen für Frauen durchsetzen, so z.B. die Zulassung von Frauen als Richterinnen, Schöffinnen und Geschworene (1922), das Heimarbeiterlohngesetz (1923), das Mutterschutzgesetz (1927); Frauen arbeiten mit an der Reichsverfassung, am Betriebsrätegesetz, beim Wahlrecht von Frauen zu den Kaufmanns- und Gewerbegerichten, bei der Revision des Familien-, Ehe- und Güterrechts, beim Jugendwohlfahrts- und Jugendgerichtsgesetz, bei der Erwerbslosenfürsorge, dem Reichsschulgesetz, wenn es um die Rechte von Beamtinnen ging oder um die Lohngleichheit von Frauen und Männern. [4]
Allerdings wurde das Engagement von Politikerinnen in der Öffentlichkeit häufig genug lediglich kritisch diskutiert, was nicht zuletzt dazu führte, dass das 20. Jahrhundert als eine Epoche erscheint, zu deren Charakteristika gerade die mangelnde Präsenz von Frauen im politisch-öffentlichen Raum gehörte. Bislang wurden diese Beobachtungen lediglich unter der Fragestellung diskutiert, welche Schwierigkeiten und Probleme für die auffällig niedrige Repräsentanz von Frauen in politischen Gremien und in der politischen Öffentlichkeit anzuführen seien. Gängige Partizipationskonzepte, die allgemein mit dem Nachweis verbunden waren, dass die Defizite der Frauen in ihrem angeblich nur einseitig auf soziale und kulturelle Belage eingeschränkten politischen Engagement lägen, transportierten hierbei einen Politikbegriff, der sich ausschließlich auf den klassischen Horizont politischer Institutionen und deren Mittlerorganisationen bezog. Alles, was darüber hinaus ging, galt als vor- und unpolitisch. Ein solcher Politikbegriff jedoch vermittelt wiederum nur die gängige fiktive Trennung von öffentlicher und privater Sphäre und blendet nicht selten weitergehendes gesellschaftliches Engagement-insbesondere in Frauenvereinen und -verbänden-als nicht politikrelevant aus.
Mit dieser Tagung sollte deshalb der Versuch unternommen werden, an regionalen Beispielen über biografiegeschichtliche Zugriffsweisen politische Partizipation in einem weiteren Sinne zu verstehen: Als umfassendes Engagement der an gesellschaftlichen Prozessen Beteiligten. Unter dieser Prämisse wird in den nachfolgenden Beiträgen insbesondere dem Selbstverständnis, dem jeweiligen Politisierungsprozess, den politischen Strategien und (geschlechts-)spezifischen Zugangs- und Handlungsmöglichkeiten sowie dem Umgang mit Macht von Frauen in vornehmlich männlich strukturierten parlamentarischen Räumen nachgegangen. Im Zentrum der Studien stehen somit Fragen nach den Karrieremöglichkeiten sowohl von Parlamentarierinnen wie auch von Politikerinnen als Lobbyistinnen.
Konkrete Fragestellungen hierzu lauten:
- Welche Zugangswege besaßen Frauen zu gesellschaftspolitisch einflussreichen öffentlichen Positionen?
- Welche Umstände förderten die gesellschaftspolitische Arbeit von Frauen, welche haben sie gehemmt?
- Welche Themen, Positionen und Arbeitsschwerpunkte besetzten Politikerinnen und Lobbyistinnen in ihrem jeweiligen Handlungsfeld?
- Wie gestalten sich die parteiinterne Frauenvertretungen vor dem Hintergrund der konkreten Politik der Parteien?
- Welche Bedeutung spielten informelle Netzwerke für ihre Arbeit?
- Wie beeinflusste das jeweilige soziale Milieu die politische Sozialisation der Politikerinnen?
- Welche Veränderungen zeigten sich für Frauen der Bundesrepublik im Vergleich zu ihrem Engagement in der Weimarer Republik? Welchen Einfluss besaßen hierbei die erlebten Erfahrungen während des Nationalsozialismus?
- Welche Bedeutung spielten Fragen der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik für das gesellschaftspolitische Engagement von Frauen?
- Welche Karrieremöglichkeiten zeigten sich für Frauen in- und außerhalb der Parteien?
Die Beiträge der ersten Sektion, die überschrieben ist mit "Die Mühsalen des Anfangs...", beschäftigen sich mit dem Selbstverständnis und den Zuschreibungen derjenigen Politikerinnen, die als Pionierinnen im 19. und frühen 20. Jahrhundert erstmals in die-bis dato traditionell als männlich definierten-Institutionen der Politik Zugang fanden. Während KERSTIN WOLFF hierbei die Notwendigkeit eines erweiterten Politik- bzw. Partizipationsbegriffs betont, der es überhaupt erst möglich macht, Aussagen über die politischen Wirkungsmöglichkeiten von kommunalpolitisch engagierten Frauen vor der Wahlrechtsreform von 1918 treffen zu können, geht ELKE STOLZE den Motiven und Optionen der Parlamentarierinnen der 'ersten Stunde' nach, indem sie danach fragt, mit welchem Impetus sie versuchten, politisch zu partizipieren und inwiefern dieses öffentliche politische Handeln von Frauen in politischen Parteien ein neues und anderes Partizipationskonzept schuf bzw. ein vorheriges ablöste oder verdrängte.
In der zweiten Sektion mit dem Titel "Die Ebenen politischer Arbeit" liegt der Schwerpunkt der Untersuchungen auf der Frage nach den institutionellen Bedingungen unterschiedlicher Karriereverläufe von Politikerinnen der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit. ELKE SCHÜLLER rekonstruiert hierzu mithilfe einer vergleichenden Lebenslaufanalyse das soziostrukturelle und politische Profil von Kommunalpolitikerinnen sowie die Bedeutung von lokalen Netzwerken. Demgegenüber untersucht SUSANNE SANDER auf der Ebene der Landtage in ihrer kollektivbiografischen Studie zu Politisierungsprozessen von weiblichen Abgeordneten jene Faktoren und Strukturen, die die politische Tätigkeit der Politikerinnen beförderten oder verhinderten.
Die dritte Sektion schließlich stellt das-neben den Parlamenten-einflussreichste "Politische Handlungsfeld" von Politikerinnen in den Mittelpunkt. Dabei verdeutlichen alle drei Beiträge zu dem Themenspektrum 'Partei', dass die Bedeutung dieser Institution für die jeweiligen Mitglieder, neben ihrer Auswahl- und Rekrutierungsfunktion, vor allem in ihrer Repräsentationsfunktion liegt, die sie in hohem Maße als Reflex und Ausdruck spezifischer sozialmoralischer Milieus definiert. Besonders deutlich wird dies im Beitrag von GISELA NOTZ, die in ihrer Studie zu den SPD-Parlamentarierinnen der frühen Bundesrepublik am Beispiel der Umsetzung des Gleichberechtigungsgebots das nicht selten ambivalente Verhältnis der Genossinnen zu ihrer 'Mutterpartei' beschreibt. Dass auch die Politikerinnen der CDU in einen spezifisch-bürgerlichen-Kontext eingebunden waren, der je nach Ferne oder Nähe zur katholischen Kirchenlehre zu gravierenden Differenzen unter den Parlamentarierinnen führen konnte, verdeutlicht nachfolgend PETRA HOLZ. Last but not least beschäftigt sich die Politologin AMALIA SDROULIA in ihrem Beitrag mit der Frage, welche Bedeutung die erstmals von der Fraktion der "Grünen" in den 1980er Jahren eingeführte Frauenquote für die politische Partizipation und das Selbstverständnis von Parlamentarierinnen besaß und auch noch heute besitzt. Am Beispiel von sechs im Niedersächsischen Landtag tätigen Politikerinnen der Fraktion Bündnis90/Die Grünen interessiert sich SDROULIA darüber hinaus für die Themenschwerpunkte und Handlungsoptionen derjenigen Politikerinnen, die mittel- oder unmittelbar aus dem Kontext der bis dato institutskritischen, sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen in den Raum des Parlaments vordringen konnten.
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Anmerkungen
[1] Vgl. hierzu insgesamt: Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte. Bd. 2: Von 1806 bis zur Gegenwart, München 1990.[2] Vgl. Joachim Hofmann-Göttig, Emanzipation mit dem Stimmzettel. 70 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland, Bonn 1986.
[3] Vgl. Süchting-Hänger, Andrea, Das "Gewissen der Nation". Nationales Engagement und politisches Handeln konservativer Frauenorganisationen 1900 bis 1937, Düsseldorf 2002.
[4] Vgl. Karin Hausen, Arbeiterinnenschutz, Mutterschutz und gesetzliche Krankenversicherung im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Zur Funktion von Arbeits- und Sozialrecht für die Normierung und Stabilisierung der Geschlechterverhältnisse, in: Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts, München 1997, S. 713-743.
Die Autorin: promovierte Historikerin, wissenschaftliche Referentin am LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte