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(43 KB)   Sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag 326 (VI K) Senne im Herbst 1941 / Münster, Westfälisches Archivamt   Sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag 326 (VI K) Senne im Herbst 1941 / Münster, Westfälisches Archivamt
TITELSowjetischer Kriegsgefangener im Stalag 326 (VI K) Senne im Herbst 1941
DATIERUNG1941
GEOPOSITIONGoogle Maps OSM | 51.745228273865200 (NS), 8.712327182292938 (EW) (exakt)


INFORMATIONNachdem die NS-Propaganda über Jahre hinweg systematisch ein ganz bestimmtes, durchweg abwertendes Bild vom slawischen "Untermenschen" gezeichnet hatte, waren die gefangenen Rotarmisten dann eigentlich die ersten, mit denen die deutsche Öffentlichkeit, insbesondere die Soldaten, konkret in Berührung kamen, und ihr zumeist abgerissenes Aussehen, bedingt durch die Kämpfe, den langen Transport und die Unterernährung, schien dann auch eben dieses Bild auf das eindrucksvollste zu bestätigen.

Im "Völkischen Beobachter" schilderte am 6.8.1941 ein Kriegsberichterstatter seine Eindrücke: "Ein Völkergemisch ohnegleichen stellt sich auch unseren Blicken ... dar - eine wahre menschliche Menagerie von unvorstellbarer Buntheit, nur nicht so sprechend wie eine wirkliche Menagerie mit gut gehaltenen Tieren. Es war wie ein Ausschnitt aus der Vielgestalt des riesenhaften Bolschewikenreiches und seiner krausen Mischung von Völkern und Rassen, eine Sammlung niedrigen und niedrigsten Menschentums, richtigen Untermenschentums... Diese Verschiedenheit der Gesichter und Farben! ... Unter ihnen sind ... roh und ungeschlacht aussehende Burschen mit fanatischem heimtückischem Blick, die zu allem fähig scheinen, ... Juden, ekelhaftes Geschmeiß, wie es nur der Osten kennt. ... Lauernd, furchtsam und mißtrauisch sehen sie uns an im Bewußtsein ihrer verbrecherischen Schuld. Was wird mit ihnen geschehen!" (s. auch Dokument 1  Quelle).

Von solchen Gefangenen war aus dieser Perspektive nur das Schlimmste zu erwarten, sollten sie je mit Deutschen unkontrolliert in Kontakt kommen. Der Lagerzaun schützte letztere jedoch, und daher machte sich in den ersten Wochen die Bevölkerung der Region in Scharen auf, diese "Menagerie" mit einem gewissen Schaudern zu betrachten und, wenn möglich, zu fotografieren und damit für alle Zeiten zu dokumentieren. Auch die Wachmannschaften und das Lagerpersonal benutzten trotz eines strikten Aufnahmeverbots aus den unterschiedlichsten Motiven heraus ihre Kameras, um die dort herrschenden Zustände festzuhalten. Während die einen die Lebensverhältnisse in den Lagern nur als Bestätigung der Propaganda auffaßten und das mit Bemerkungen auf den Bildrückseiten oft noch zynisch kommentierten, versuchten andere gleichsam aus der Position des neutralen Beobachters, ihre Aufnahmen zu machen. Heute, nach fast 60 Jahren, sind diese Fotos die vielleicht aussagekräftigsten Dokumente; sie zeigen nicht nur - unfreiwillig - die politisch-weltanschauliche Haltung des Fotografen, sondern aus ihnen lassen sich auch die Lebensumstände in einer Art und Weise erkennen, wie sie kein Text vermitteln kann.

Für das Stalag Senne sind zwei solcher Bildserien überliefert. Die eine Farbbildreihe, aufgenommen in den Jahren 1941/42 vom Lagerarzt, zeigt eindrucksvoll die Entstehung und den Aufbau des Lagers sowie die dort herrschenden hygienischen Verhältnisse (s. Bild 8  Quelle). Der Fotograf der zweiten Serie ist unbekannt; er hat vor allem versucht, in seinen Bildern zunächst Situationen festzuhalten, die man mit Überschriften versehen könnte wie "Gefangener vor oder in seiner Erdhöhle", "Drei Rotarmisten entlausen ihre Jacken" oder "Erschöpfte Männer schlafen in einer Erdmulde". Sein zweites Ziel war es offensichtlich, einzelne Gefangene zu porträtieren, wobei weltanschauliche Motive allem Anschein nach keine Rolle spielten. Die Bilder zeigen Individuen, Männer, die von der Gefangenschaft und den vorangegangenen Kämpfen erschöpft waren, zum Teil in zerlumpter Kleidung, zum Teil sehr jung, keinesfalls aber das, was dem Bild entsprach, das der oben zitierte Kriegsberichterstatter entworfen hatte.

Das hier ausgewählte Porträt, aufgenommen wahrscheinlich im Herbst 1941, ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Die Uniform des Mannes ist, wie im übrigen bei vielen anderen auch, gepflegt, ein Zeichen für den Versuch, trotz der Härte der Verhältnisse sich noch um das Äußere zu kümmern und so die Selbstachtung zu wahren, eine Haltung, die zugleich die Unhaltbarkeit der NS-Propaganda erweist. Den Löffel hat er durch das Knopfloch der Brusttasche gesteckt, um ihn nicht zu verlieren. Wie viel vom Besitz eines solchen Löffels abhing, zeigen Berichte ehemaliger Lagerinsassen, nach denen es sehr oft nur dünne Suppe zu essen gab. Ohne Löffel und Eßgeschirr aber wäre es kaum möglich gewesen, sie zu sich zu nehmen; insofern kommt dem Löffel durchaus eine existenzielle Bedeutung zu, Schließlich handelt es sich bei dem Gefangenen um einen "Asiaten", den Angehörigen einer Gruppe also, die aus nationalsozialistischer Sicht am untersten Ende der Hierarchie der Sowjetbürger anzusiedeln war. Sie in das Deutsche Reich zu bringen, hatten Befehle des OKW eigentlich ausdrücklich untersagt. Wenn es trotzdem geschah, dann wohl deshalb, weil der Arbeitskräftemangel selbst solche rassistischen Bedenken relativierte.


TECHNIKFoto
FORMATjpg


OBJEKT-PROVENIENZMünster, Westfälisches Archivamt


QUELLE    Otto, Reinhard | Das Stalag 326 (VI K) Senne | Dia 05, S. 23-25
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.80   Russland / Sowjetunion <1922-1992> / Russische Föderation <1992 - >
2.2.9   Schloß Holte-Stukenbrock, Gemeinde
DATUM AUFNAHME2004-02-03
AUFRUFE GESAMT301
AUFRUFE IM MONAT78