PERSON

FAMILIEJacobfeuerborn
VORNAMEAnna


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1888-07-03   Suche
GEBURT ORTKaunitz
EHEPARTNER1909 Johann Jacobfeuerborn
TOD DATUM1968-04-26   Suche
TOD ORTAhlen


VATERHegselmann, Georg
MUTTERStüft, Katharina


BIOGRAFIE"In meiner Heimat waren wir nicht die einzigen Armen. Die ganze Gegend war wie vom lieben Gott verlassen. Die Leute betrieben Ackerbau und Viehzucht. Der Boden war schrecklich mager und brachte nur ganz ärmliche Frucht."

Mit dieser Schilderung eröffnete die 76jährige Anna Jacobfeuerborn, geborene Hegselmann, ihre Lebenserinnerungen, die sie im Sommer 1964, nach langem Drängen ihrer Kinder, niederzuschreiben begann. Die betagte Frau hatte viel zu erzählen - Eindrücke und Erlebnisse aus ihrer Kindheit im ärmlichen Kaunitz, aus ihrer Zeit als Dienstmagd bei Bauern und wohlbetuchten Bürgern und schließlich aus den Jahren, in denen sie nach dem frühen Tod ihres Mannes acht Kinder zu versorgen hatte. Nüchtern, fast zurückhaltend beschreibt Anna Jacobfeuerborn ihre Erlebnisse - das beeindruckende Leben einer "ganz gewöhnlichen" Frau aus dem ländlichen Westfalen.

Geboren wurde sie am 3. Juli 1888 in Kaunitz in einem kleinen ärmlichen Kotten, der dem Bruder ihres Vaters gehörte. Sie war das zweitjüngste von elf Kindern. Ihre Eltern, Georg und Katharina Hegselmann, geborene Stüft, bestritten das ärmliche Dasein als Tagelöhner bei benachbarten Bauern.

Ältere Geschwister verdienten als Wanderarbeiter in einer Bochumer Ziegelei ein wenig Geld hinzu. Diese Arbeit war nicht ungefährlich: Zwei Brüder fielen in jungen Jahren Arbeitsunfällen zum Opfer und verstarben in Bochum.

"Meine Eltern hatten zwei Kühe und zwei Schweine", erinnert sich Anna Jacobfeuerborn, "aber das Futter für das Vieh war immer eine große Sorge." Nicht viel besser war es um die täglichen Mahlzeiten der Familie bestellt: "Wir kannten nichts anderes als trockene Salzkartoffeln und trockenes Schwarzbrot - und das längst nicht mit Fett."

Nach dem Besuch der Volksschule hätte die 14jährige Tagelöhnerstochter beinahe die Möglichkeit gehabt, diese ärmlichen Verhältnisse hinter sich zu lassen. "Sage Deinen Eltern, sie sollten dich Lehrerin werden lassen", so drängte der Dorfpastor das junge Mädchen. Er hatte ihre Begabung im Unterricht kennengelernt.

Doch an eine Ausbildung zur Lehrerin war nicht zu denken. "Wenn die Brüder das Geld so sauer auf der Ziegelei verdienen müßten, könnte ich es nicht auf der Schulbank durchbringen" erinnert sich Anna Jacobfeuerborn an die Worte ihres Vaters. "Geh Du nur in den Kuhstall und lerne Kühe zu melken und nachher auch noch das Schweinefüttern, dann kannst Du dein Brot wohl verdienen." Und in ihrer Erinnerung fügt sie den Satz hinzu: "Damit war meine Zukunft beschlossen."

So wurde sie Dienstmagd, wie fast alle jungen Mädchen im Dorf. Ihre erste Stelle trat die 14jährige auf einem Bauernhof südlich von Ahlen an. Zwar gab es viel Arbeit in Haus und Hof, Tag für Tag von morgens sechs bis abends neun Uhr - und doch war es im Rückblick ihre beste Stelle. Denn zum ersten Mal gab es satt zu essen, und vor allem: Die Bauersleute waren "so freundlich zu mir". Die Bäuerin, so heißt es in den Erinnerungen, "betrachte ich noch heute wie eine Heilige, und der Mann war zu uns und allen Leuten immer gut und gefällig".

Ein Jahr blieb Anna Hegselmamn auf dem Hof. Als ihr Vater plötzlich starb, kehrte sie nach Kaunitz zurück. Eine Zeitlang half sie ihrer Mutter, bevor sie als "Mädchen für alles" eine Stelle bei einem Kaunitzer Amtmann antrat. "Es war ein großer Haushalt. Wir gingen mit neun Personen zu Tisch. Ein schöner großer Garten mußte in Ordnung gehalten werden und das Haus mit Büro jeden Tag ganz geputzt werden. Das war für mich ganz zuviel. Die Frau war sehr tüchtig, und ich konnte bei ihr viel lernen, aber ich hatte ein schlimmes Magenleiden und konnte die Arbeit zuletzt nicht mehr schaffen:"

Die körperlich geschwächte junge Frau kündigte. Erst nach einer Zeit der Erholung suchte sie sich eine neue Stelle, die sie auf einem Bauernhof unweit von Kaunitz fand. Dort hatte die Bäuerin gerade eine Frühgeburt überstanden. "Das Kindchen wog nur zwei Pfund," so Anna Jacobfeuerborn in ihren Erinnerungen, "das konnte man in eine Zigarrenkiste legen." Und: "Arbeit und Pflege hat es für zwei bedurft. Ich mußte fünf Kühe melken, und die Arbeit mit dem Jungvieh und den Schweinen tat auch niemand anders als ich. Der Bauer sagte: Sorg' mir gut für unsere Frau und die beiden Kinder, alles andere ist Nebensache." Und nüchtern setzt sie hinzu: "Aber alles andere war auch Hauptsache."

In dieser Zeit lernte die inzwischen 18jährige Anna Hegselmann ihren späteren Mann kennen - den neun Jahre älteren Johann Jacobfeuerborn, einen nachgeborenen Bauernsohn aus Verl. Die beiden verlobten sich; drei Jahre später, im Januar 1909, heirateten sie.

In der Zwischenzeit war ihr Verlobter als Ziegelarbeiter nach Trier gegangen; sie selbst hatte noch einmal eine Stellung bei einer alleinstehenden Dame angetreten, die es in Amerika zu beträchtlichem Reichtum gebracht hatte und dann ins westfälische Verl zurückgekehrt war. "In der Zeit habe ich eingesehen, wieviel Sorgen auch reiche Leute haben können. Die Frau hatte ja noch nicht mal eine Familie, keine Kinder und keinen Mann, und doch der Sorgen so viele."

Mehr als einmal geriet die Dienstmagd mit der Frau - "ein nüchternes, hartes Wesen" - aneinander. "Es war manchmal zum Weglaufen. Und wenn ich nicht immer auf meinen Johann gehofft hätte, dann wäre ich auch davongelaufen. Aber ich mußte aushalten, bis ich heiraten konnte. Wir mußten noch Geld verdienen. Mein Mann hatte nichts und ich auch nichts, und nichts bei nichts ist nichts."

Mit einer seltsamen Überraschung endeten die drei Jahre in dem Haushalt: Die betagte Dame wollte Anna Hegselmann und ihren zukünftigen Mann als Erben einsetzen. Zum zweiten Mal in ihrem Leben hätte die Kaunitzer Tagelöhnerstochter den ärmlichen Verhältnissen entkommen können. Doch diesmal war sie es, die ablehnte. "Ich habe gedacht, das kleinste Hüttchen und ein trockenes Stück Brot sollte mir lieber sein als ein geschenktes Haus und Garten, wenn ich immer wie auf einem Pulverfaß sitzen und Angst haben sollte, daß die Bombe mal platzen könnte. Wenn die Frau nämlich die Wut mal bekam, dann war sie unberechenbar. Und wenn ein Kind dabei kam, dann war es einfach unmöglich, mit ihr auszukommen."

So zog Anna Hegselmann nach ihrer Heirat im Januar 1909 mit ihrem Ehemann nach Ahlen. Johann Jacobfeuerborn hatte dort Arbeit in einer Emaillefabrik gefunden. Mit einem Kredit wurde ein Haus gebaut. Ein Teil sollte vermietet werden, um nach und nach die Schulden wieder abzutragen. Doch bald brauchte die Familie jedes Zimmer: Zwischen 1910 und 1930 brachte Anna Jacobfeuerborn ein dutzend Kinder zur Welt.

Vier der Kinder starben früh. Um 1928 erkrankte auch Johann Jacobfeuerborn schwer. "Mein Mann bekam sein Gehalt weiter, aber er bekam 330 Mark für elf Personen, das heißt pro Tag und pro Kopf eine Mark. Davon mußte das junge Mädchen" - eine Haushaltshilfe - "bezahlt werden, mußte ich die Schuhe und Kleider in Ordnung halten für die ganze Familie und gutes Essen auf den Tisch bringen. 0, wie habe ich da schuften müssen."

Schlimmer noch wurde es, als ihr Ehemann 1938 nach langer Krankheit starb. Anna Jacobfeuerborn blieb mit kärglichen 115 Mark Witwenrente und mit 13000 Mark Schulden zurück. Drei Söhne waren im Arbeitsdienst und dann im Krieg, die anderen Kinder gingen entweder noch zur Schule oder absolvierten eine Lehre. "Ich hatte viele Verwandte," erinnert sich Anna Jacobfeuerborn später, "aber die machten alle einen großen Bogen um uns, weil sie Angst hatten, sie müßten mich nun unterstützen."

Um ihre Kinder "durchzubringen", mußte Anna Jacobfeuerborn Geld hinzuverdienen - aber wo? Durch einen Zufall erfuhr sie, daß das "Liborius-Blatt" Werberinnen und Werber für die Zeitschrift suchte. Ein Werbeleiter kam ins Haus, stattete sie mit den notwendigen Formularen aus - und schon wenige Tage später reiste sie per Rad und Eisenbahn kreuz und quer durchs Münsterland, um neue Abonnenten zu werben.

Drei Jahre konnte sie sich durch diese Arbeit einiges Geld hinzuverdienen, bis das katholische Blatt 1941 vom NS-Regime verboten wurde. "Da war guter Rat teuer. Andere Arbeit fand ich so schnell nicht, aber ich konnte mit Land und Vieh umgehen und verlegte mich auf Landwirtschaft, und ich fütterte Schweine und Ziegen und Hühner. Damit hatten wir unseren Lebensunterhalt billiger, und wir wurden alle jeden Tag satt."

Auf diese Weise konnte sich Anna Jacobfeuerborn mit ihren Kindern in den Kriegs- und Nachkriegsjahren mühselig durchschlagen.

Anna Jacobfeuerborn, die am 26. April 1968 in Ahlen verstarb, hatte Zeit ihres Lebens mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dennoch gelang es ihr, all ihre Kinder nicht nur ausreichend zu versorgen, sondern ihnen allen eine Berufsausbildung zu ermöglichen - eine Ausbildung, die sie selbst nie hatte genießen können.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 131-133
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 131-133

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
3.10   1950-1999
Ort3.8.1   Ahlen, Stadt
Sachgebiet6.8.8   Frauen
6.8.14   Soziale Randgruppen
10.10   Landwirtschaft, Landwirtin/Landwirt
DATUM AUFNAHME2003-11-07
DATUM ÄNDERUNG2010-09-20
AUFRUFE GESAMT3230
AUFRUFE IM MONAT241