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(95 KB)   Friedrich von Bodelschwingh d.J. mit seiner Ehefrau Julia von Bodelschwingh / Bielefeld, Hauptarchiv und Historische Sammlung der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel   Informationen zur Abbildung

Friedrich von Bodelschwingh d.J. mit seiner Ehefrau Julia von Bodelschwingh / Bielefeld, Hauptarchiv und Historische Sammlung der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
FAMILIEBodelschwingh, von
VORNAMEJulia


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1874-06-07   Suche
GEBURT ORTGut Crollage/Kreis Lübbecke
EHEPARTNER30.11.1911:  Friedrich von Bodelschwingh
TOD DATUM1954-09-29   Suche
TOD ORTWesterhausen bei Melle


VATERLedebur, Albrecht von
MUTTERRecke-Obernfelde, Marie von (gest. Januar 1876)


BIOGRAFIE"Als ich zehn Jahre alt war und zum Geburtstag von Pastor Bodelschwingh eingeladen wurde, empfing mich Frau Pastor mit den Worten: 'Du mußt aber Tante Julia zu mir sagen, denn Frau Pastor klingt zu vornehm.'" Noch 1977 erinnerte sich Günther Richter, ein in den Bethelschen Anstalten lebender Behinderter, an seine erste, Jahrzehnte zurückliegende Begegnung mit Julia von Bodelschwingh. Die freundliche Begrüßung scheint für ihn damals unerwartet gekommen zu sein. Schließlich war sie eine "hochgestellte Persönlichkeit" - eine Frau aus "gutem Hause", wie es hieß, eine Landadlige, und vor allem: Sie war die Ehefrau des angesehenen Anstaltsleiters Fritz von Bodelschwingh.

Julia von Bodelschwingh, Tochter aus der ostwestfälischen Landadelsfamilie von Ledebur, lebte und wirkte mehr als 35 Jahre lang in Bethel. Seit der Heirat 1911 stand sie ihrem Mann bis zu seinem Tod 1946 zur Seite - besonders während der Zeit des NS-Kirchenkampfes und der nationalsozialistischen Mordpläne namens "Euthanasie", gegen die sich Bodelschwingh zur Wehr setzte. Noch im hohen Alter, nach dem Tod ihres Mannes, setzte sie alles daran, ein neues Heim für Flüchtlinge, für alte und kranke Menschen und für Kriegswaisenkinder zu bauen. Jahre zuvor war Julia von Bodelschwingh bereits durch eine andere Idee weit über Bethel hinaus bekannt geworden: Sie gründete eine Webschule und "erfand" damit eine neue Arbeitstherapie für körperlich und geistig behinderte Menschen.

Aufgewachsen war Julia von Bodelschwingh auf dem Landgut Crollage im Kreis Lübbecke. Hier wurde sie am 07.06.1874 geboren. Sie war das zweitjüngste von zwölf Kindern des Gutsbesitzers und "Königlich Preußischen Rittmeisters" Albrecht von Ledebur und seiner Frau Marie geborene von der Recke-Obernfelde.

Julia von Ledebur war gerade anderthalb Jahre alt, als ihre Mutter im Januar 1876 starb. Ihr Vater heiratete nicht wieder. Julias älteste Schwester Mathilde übernahm die Last des großen Haushaltes; mehrmals wechselnde Kinderfrauen und zwei jüngere Schwestern kümmerten sich um die kleinsten Geschwister. "Und so taumeln die Kleinen", wie es in einer Beschreibung heißt, "zwischen der Strenge des Vaters und einer reichlich unkontrollierten Freiheit auf dem herrlichen Gelände des Gutshofes etwas unsicher hin und her."

Im Alter von 15 Jahren besuchte Julia von Ledebur für zwei Jahre die Höhere Töchterschule in Hannover, bevor sie 1891 auf das Landgut Crollage zurückkehren mußte. Gemeinsam mit zwei Schwestern und mehreren Dienstmädchen hatte sie Pflichten im Gutshaushalt zu erfüllen - Wäschepflege und Schneiderei, Einmachen und Hausschlachten, Hühnerhaltung und Milchwirtschaft.

Ihre älteren Brüder hatten das elterliche Gut längst verlassen. Sie bereiteten ihre berufliche Karriere vor. Ein Bruder studierte Jura und trat in den Staatsdienst ein, ein zweiter studierte Malerei, die beiden jüngsten Brüder schlugen die Offizierslaufbahn ein; Schwestern Julia von Ledeburs waren Diakonissen und Erzieherinnen in verwandten Familien. Dies dürfte auch Julia von Ledebur beeindruckt haben, aber noch mehr imponierte ihr der Weg ihrer Schwester Luise; sie absolvierte in Dresden ein Studium der Malerei, das sie sich durch eigene Bilder sogar selbst finanzierte.

Auch Julia von Lederur fühlt sich leidenschaftlich zur Kunst hingezogen. In jeder freien Minute auf dem Landgut malte sie Aquarelle. Ein Studium der Kunst blieb ihr jedoch zunächst verwehrt. Zeitweise arbeitete sie als "Freie Hülfsschwester" im Betheler Kinderheim, bevor sie für drei Jahre "Gesellschafterin" in befreundeten Adelsfamilien wurde.

1905, im Alter von 31 Jahren, nahm sie dann doch ein Studium der Kunst in Berlin auf. Ihr Lehrer war der damals hoch angesehene Franz Skarbina. Nach fünf Jahren Studium und den ersten erfolgreichen Malaufträgen kehrte sie nach Westfalen zurück. Eine unglückliche Liebe beendete ihre "Berliner Zeit"; hinzu kam, daß einer ihrer Brüder schwer erkrankt war. In den Bethelschen Anstalten, wo er untergebracht war, wechselte sie sich mit ihren Schwestern in der Pflege ab.

In Bethel lernte sie den drei Jahre jüngeren Pastor Friedrich Bodelschwingh, den Sohn des gleichnamigen Anstaltsgründers, kennen. Die beiden heirateten am 30.04.1911. Dieser Sprung vom Kunstatelier ins Pfarrhaus gab ihrem Leben eine völlig neue Richtung. Ihr Ehemann war Leiter der Bethelschen Anstalten. Welche Aufgaben sollte Julia von Bodelschwingh nun übernehmen?

Wie aus einer Lebensbeschreibung hervorgeht, lehnte sie es ab, "eine Art Mitregentin" in Bethel zu werden, "die sich überall beteiligt und überall mit hineinredet". Andererseits mochte sie sich nicht damit zufrieden geben, lediglich für die private Häuslichkeit zu sorgen, in der ihr Mann abschalten und sich erholen konnte.

Schon in den ersten Jahren wurde das Haus der Bodekschwinghs eine "Anstalt im Kleinen". Angestellte und vor allem Patienten gingen im Direktionsgebäude ein und aus; sie suchten nicht selten ein hilfreiches Gespräch mit "Frau Julia".

Früh entdeckte sie einen besonderen Mißstand in den Anstalten. Seit den Zeiten des alten "Vaters Bodelschwingh" gehörte Arbeit als Therapie zum Alltag in Bethel; viele der behinderten Menschen arbeiteten auf Bauernhöfen, in Gärten und Handwerksbetrieben. Doch eine große Zahl von Patienten konnte daran nicht teilnehmen. Ihnen blieben lediglich einige stumpfsinnige Tätigkeiten wie die Herstellung von Körbchen, kleinen Postkarten, Deckchen und Kissen. Für diese Menschen richtete Julia von Bodelschwingh eine Webschule in Bethel ein - "eine Pioniertat auf dem Gebiet der Werktherapie", wie die Lebensbeschreibung urteilt.

Der Start der Webschule war bescheiden. Julia von Bodelschwingh ließ in ihrer Küche einen einzigen, einfachen Webstuhl aufstellen. Schon als Kind hatte sie auf dem Landgut ihrer Eltern den Umgang mit Flachs und Wolle, die Techniken des Spinnens, Spulens und Webens gelernt. Während ihres Kunststudiums hatte sie dieses Handwerk wieder aufgenommen, und nun weihte sie einzelne Kranke und Behinderte in das Webhandwerk ein.

Schon nach kurzer Zeit wurden weitere Webstühle für andere Pflegehäuser angeschafft. Schließlich fand sich ausreichend Platz für eine geräumige Werkstatt. "Als ich 1934 nach Bethel kam, hatte die Weberei bereits fast hundert Webstühle", erinnert sich Benita Koch, die vom Dessauer "Bauhaus" nach Bethel kam und viele Jahre als Lehrerin in der Webschule arbeitete.

In den Webwerkstätten arbeiteten nicht nur Patienten aus Bethel. Julia von Bodelschwingh bot hier auch Arbeitern aus der Umgegend eine Beschäftigung - vor allem den Arbeitslosen aus dem benachbarten, von Bethel bis dahin gemiedenen "roten" Eggetal. Benita Koch: "Erstaunlich, wie sich die Männer, meist Industriearbeiter, umstellen konnten und nach den kleinen, reizvollen Aquarellskizzen Frau Julias Teppiche webten, die in ihrer Originalität, Großzügigkeit und Qualität die üblichen Flickenteppiche weit übertrafen."

Für Julia von Bodelschwingh verbanden sich in der Webschule ihre künstlerischen Interessen und ihre Suche nach sozialem Engagement. Benita Koch urteilt: "Frau Julias Sinn für die Welt des Schönen wurzelte in der Tradition der alten Adelshäuser ihrer Kindheit und in der starken Verbundenheit mit dem bäuerlichen Leben der Heimat. Es war das Echte und das Klare in dem Schönen, das sie suchte; es war zugleich gebändigter Überschwang der Freude, der Ausdruck fand in ihrer Malerei und in der Art, wie sie Feste feiern und mit den Kranken Aufführungen gestalten konnte. Das prägte ihr Haus und gab ihrer Gastlichkeit den Charme. Nur Ästhetisches oder nur Modisches berührte sie nicht; auch nicht die neuen Probleme der Kunst ihrer Zeit. Und doch war sie ein Mensch, der mit brennendem Herzen in eben dieser ihrer Zeit gegenwärtig lebte."

Wenige Monate nach Kriegsende, im Januar 1946, verstarb ihr Mann. Julia von Bodelschwingh zog sich nach diesem Schlag nicht ins Privatleben zurück. Die inzwischen 72jährige Frau nahm sich "mit brennendem Herzen" der jungen und alten Menschen an, die durch den Krieg in Not geraten waren. Unermüdlich reiste sie durchs Land, um Unterkünfte vor allem für Waisenkinder und heimatlos gewordene alte Leute zu finden.

Seit 1947 betrieb sie den Bau eines Heimes außerhalb von Bethel. Ein Neffe stiftete ein Baugrundstück in Westerhausen bei Melle. "Sie wollte ein rechtes 'Mischhaus'",
beschreibt der Westerhausener Ortspfarrer das Vorhaben Julia von Bodelschwinghs.
"Wirtschaftlich zwar die selben Ordnungen und Vorschriften wie beim Altersheim, aber auf keinen Fall ein Heim nur für Alte, die sich um sich selbst und ihre eigenen und so bedrückend gleichförmigen Altersnöte drehen. Sie wollte vielmehr ein fröhliches, hilfreiches Miteinander von Kranken und Gesunden, Alten und Jungen, Ruhenden und Tätigen."

Ein Teil des Hauses wurde 1950 fertiggestellt, der weitere Ausbau des Heimes aber verzögerte sich. Gleichwohl gab Julia von Bodelschwingh 1950 ihre Betheler Wohnung auf und bezog ein eigenes kleines Zimmer in Westerhausen. Hier verstarb sie am 29.09.1954, wenige Monate vor der endgültigen Fertigstellung des Heimes.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 116-118
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


PERSON IM INTERNETBiografien, Literatur und weitere Ressourcen zur Person mit der GND: 119295067
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QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 116-118
  Stoevesandt, Margarete | Julia von Bodelschwingh |

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
3.10   1950-1999
Sachgebiet6.8.8   Frauen
8.4   Sozialfürsorge, Fürsorgeeinrichtungen
8.5   Medizinische Versorgung, Ärztin/Arzt
15.4   Bildende Kunst
DATUM AUFNAHME2003-10-10
AUFRUFE GESAMT6471
AUFRUFE IM MONAT642