Ereignisse > Ereignis des Monats Juni
Julia Paulus
Juni 1969 -
"Die kulturelle Revolution der Frau"
Die Anfänge der Neuen Frauenbewegung werden - je nach Selbstverständnis der Zeitgenossinnen - entweder auf die Selbstbezichtigungskampagnen im Rahmen der Diskussionen um die Reformierung des § 218 Anfang der 1970er Jahre oder aber auf die politischen Aktionen im Umfeld der Studentenbewegung der 1960er Jahre datiert. Letzteres trifft auch für die Gründung eines 'Weiberrates' in Münster durch die im Juni 1969 bundesweit bekannt gewordene Soziologin Dr. Karin Schrader-Klebert zu.Der "Aufstand der Genossinnen"
Obgleich mit der damaligen Studentenbewegung auch noch heute lediglich Bilder von männlichen Aktivisten tradiert werden, die gegen den 'Muff von Tausend Jahren' protestierten, waren auch Frauen an diesen Aktionen beteiligt, nicht nur als "Bräute der Revolution", wie sie vielfach in den Medien tituliert wurden, sondern als Demonstrantinnen auf der Straße und als Diskutantinnen in Gremien und bei Kongressen des damals federführend agierenden Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Dennoch erfuhren die engagierten Studentinnen in diesen sich als "antiautoritär" verstehenden und vornehmlich männlich dominierten Diskussions- und Aktionsgruppen eine deutliche Marginalisierung, die den Protest und Widerstand der Frauen provozierte. Neben der Kritik an den autoritären Strukturen der theoretischen Debatten waren es vor allem die pseudoradikale Sexualitätsdiskussion und das ungelöste Problem der Kinderbetreuung, die zu ersten Zusammenschlüssen der Frauen führte.Erstmals erfuhr die Öffentlichkeit von diesem "Aufstand der Genossinnen" durch eine spektakuläre Aktion auf der am 13. September 1968 in Frankfurt stattgefundenen 23. Delegiertenkonferenz des SDS. Doch nicht die Rede von Helke Sander, damals Sprecherin des Berliner "Aktionsrates zur Befreiung der Frau", gegen die Strukturen im eigenen Verband hatte die Gemüter erhitzt, sondern erst ein anschließender Tomatenwurf gegen die Vorsitzenden des SDS schuf die nötige innerverbandliche Empörung und das öffentliche Interesse. In der Folge dieses Ereignisses gründeten sich in vielen Städten nach dem Berliner Beispiel so genannte 'Weiberräte', die - ausgehend von der Analyse Sanders - für eine "Erweiterung des herrschenden Politikverständnisses um die bisher ausgeklammerte Sphäre des Privaten [und] deren Einbeziehung in den Bereich des Öffentlichen" stritten.
Die "Frauenemanzipationsgruppe" an der Universität Münster
Auch an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster bildete sich zu dieser Zeit aus der bereits im Jahre 1966 im Anschluss an ein Seminar der Soziologin Karin Schrader gegründeten "Frauenemanzipationsgruppe", ein erster so genannter "Weiberrat", der nach dem Vorbild des Berliner "Aktionsrates" und Frankfurter "Weiberrates" im Februar 1969 in Flugblättern zum Aufbau von feministischen Arbeitsgemeinschaften und zu öffentlichkeitswirksamen Aktionen, wie Sit-ins und Go-ins in Seminaren, Diskotheken und in Geschäften aufrief. Parallel hierzu erschien im Publikationsorgan der Münsterschen Studierendenvertretung "Semesterspiegel" ein längeres Dossier unter dem Titel "Kampf der Emanzipationsbewegung", der nun, so die Analyse, "ein qualitativ anderer" geworden sei "als der zur Zeit der Suffragetten". Die Emanzipationsbewegung ziele nicht mehr gegen gesellschaftliche Sanktionen, die Frauen prinzipiell von der Ausübung bestimmter Berufe ausschließen, sondern gegen das diffuse Vorurteil, das sie indirekt hindere, jede Tätigkeit zu übernehmen.Die Treffen dieser ersten feministischen Frauengruppe an einer nordrhein-westfälischen Hochschule wurden meist privat organisiert oder fanden im Internationalen Zentrum 'Die Brücke', im Psychologischen Institut der Universität oder in der Fachhochschule für Gestaltung statt. Im Mittelpunkt ihrer Diskussionen standen Themen wie die "Großfamilie" oder "Antiautoritäre Erziehung", aber auch konkrete Fragen nach der Organisation der neu gegründeten selbstverwalteten Kinderkrippen.
Wenngleich solche Aktivitäten von Studentinnen in der damaligen Zeit zunächst meist nur auf den universitären Raum beschränkt blieben, gab es jedoch auch Ausnahmen: Mit ihrem im Juni 1969 erschienenen Aufsatz "Die kulturelle Revolution der Frau" in dem von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen 'Kursbuch', das als Band 17 unter der Überschrift "Frau - Familie - Gesellschaft“ die "repressive Struktur“ der bundesrepublikanischen Kleinfamilie an den Pranger stellte, erreichte die an der Pädagogischen Hochschule in Münster lehrende Dozentin Karin Schrader nicht nur eine über die Grenzen Münsters hinausgehende Öffentlichkeit.
Ihr Aufsatz stellte zugleich auch eine der ersten öffentlich zugänglichen, grundlegenden feministischen Analysen der neuen deutschen Frauenbewegung dar. Ihr berühmt gewordener Satz, dass die Situation der Frau der des "Neger[s] in Amerika" vergleichbar sei, inspirierte in der Folge zahlreiche Nachahmerinnen, die die Rolle der Frauen als "Neger unserer Wohlstandsgesellschaft …nicht [als] Partnerin oder gar Vorgesetzte des Mannes, sondern lediglich [als] Gehilfin" kritisierten. Die Verwendung des Begriffspaares "Frauen als Neger" ging vermutlich auf ein erstes Arbeitspapier des "Aktionsrates zur Befreiung der Frauen" vom Januar 1968 zurück, in dem bereits darauf hingewiesen worden war, dass diejenigen Frauen, die Karriere gemacht hatten, lediglich die Funktion von "Mittelstandsnegern" einnähmen, indem sie einerseits von den Privilegien der Mittelschicht profitierten, andererseits aber qua Geschlecht zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt seien.
Die aus heutiger Sicht problematische Verwendung des Begriffs "Neger" war der Versuch, im Rekurs auf diesen Begriff eine Parallele zwischen der Unterdrückung von Frauen und der Unterdrückung der Schwarzen in den USA als Strategie der Solidarisierung mit den Opfern jenes kapitalistischen Systems herzustellen, das ihrer Meinung nach Ungleichheit und Ungerechtigkeit bewusst produzierte. Ausgehend von dieser Analyse forderte Schrader die Frauen auf, "vom Status des Opfers und Objektes in den des Subjektes und Handelnden“ zu gelangen durch eine "Selbstorganisation der Frauen". Diese Forderung nach Selbstorganisation im Sinne von 'Autonomie' gehört zu den Kernelementen der neuen Frauenbewegung, als Voraussetzung auf dem Weg zur notwendigen Politisierung von Frauen unabhängig von traditionellen männlich strukturierten politischen Organisationen und Parteien. Als eigentliche Ursache der Frauendiskriminierung rückte Schrader die kulturellen Aspekte und somit die Infragestellung bestehender Normen und Werte in den Mittelpunkt ihrer Kritik. Damit aber zielte Schrader nicht allein auf die Abwendung äußerlichen Zwanges als Ziel der Emanzipationsbestrebungen, sondern auf die Abschaffung "des der Frau eigenen Kulturcharakters", und hier insbesondere auf die "Aufhebung der bürgerlichen Trennung von Privatleben und gesellschaftlichem Leben" sowie auf die bedingungslose Solidarität der Frauen untereinander, von der aus erst der erfolgreiche Weg in die Institutionen beschritten werden könne..
Das Private wird politisch
An diesem Punkt findet sich eine explizite Solidarisierung mit den Forderungen des Berliner Aktionsrates, dessen spektakuläre Aktion Schrader hautnah als Delegierte auf der SDS-Konferenz in Frankfurt erlebt hatte. Damit markierte diese Position wie keine andere Stellungnahme zuvor den grundsätzlichen Widerspruch zwischen den Zielen und Strategien der traditionellen Frauenverbände. Während die Frauenverbände, die sich in Westdeutschland 1949 zunächst im 'Deutschen Frauenring', seit 1969 im "Deutscher Frauenrat" zusammengeschlossen hatten, in ihrem Eintreten für die Einlösung des Gleichberechtigungsgebots des Grundgesetzes (Art. 3, 2) vor allem auf systemkonforme Einflussmöglichkeiten wie parlamentarische Lobbyarbeit und innerverbandliche Bildungsarbeit setzten, forderten die jungen Feministinnen eine Erweiterung des herkömmlichen Politikmodells unter dem Slogan "Das Private ist politisch!" und damit um bislang von der Privatsphäre verdeckt gehaltene Probleme sowie eine Absage an die korporativen, formalisierten Strukturen der traditionellen Frauenverbände zugunsten autonomer Organisationsweisen.In der Folge organisierten sich nach den anfänglich fast ausschließlich von Studentinnen dominierten Frauengruppen auch in vielen anderen Städten Nordrhein-Westfalens immer mehr Frauen aus unterschiedlichen Zusammenhängen, die in Selbsterfahrungsgruppen über Beziehungen und Gewalt, über gesellschaftliche Diskriminierung und Frauenbeziehungen diskutierten. In diesem Zusammenhang kam es u. a. 1974 zur Eröffnung des ersten Frauenzentrums in Münster, in dem die Frauenplenen der verschiedenen Arbeitsgruppen stattfanden, Veranstaltungen, Frauenfeste und Demonstrationen organisiert wurden, sowie in Dortmund im Jahre 1976 zur Bildung der Arbeitsgemeinschaft "Frauen aus Dortmunder Statteilinitiativen", dem im Ruhrgebiet ersten eigenständigen Zusammenschluss von Hausfrauen und Arbeiterinnen jenseits bisheriger, traditioneller gewerkschaftlicher Organisationsstrukturen.
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Literatur
- "Die neue Frauenbewegung: So fing es an!", in: EMMA Heft 2 (1981), S. 23f.
- Flugblatt des 'Aktionsrates zur Befreiung der Frau', Münster (Standort: Archiv von DIWA e. V., Münster)
- Hieber, Hanne (Hg.): Rückblick nach Vorn. 25 Jahre Frauenbewegung in Dortmund, Dortmund 1995
- "Kampf der Emanzipationsbewegung", in: Semesterspiegel [der Westfälischen Wilhelms-Universität] Nr. 106 vom Februar 1969
- Langen, Ilse: Frauenverbände - ja oder nein?, in: Informationen für die Frau 18 (1969) H. 11/12, S. 12-14
- Paulus, Julia / Neugebauer, Anne: "Das Ringen um die Eingliederung der Frau in eine sich wandelnde Welt". Frauenvereine und -organisationen um 1968 zwischen 'alter' und 'neuer' Frauenbewegung, in: Westfälische Forschungen 48 (1998), S. 69-95
- Rede des "Aktionsrates zur Befreiung der Frauen" auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS, abgedruckt in: Frankfurter Frauen (Hg.), frauen. Frauenjahrbuch 1, Frankfurt 1975, S. 10ff.
- Schrader-Klebert, Karin: Die kulturelle Revolution der Frau, in: Kursbuch (17) 1969, S. 1-45
- Strecker, Gabriele: Frauenarbeit; Deutscher Frauenrat (Hg.), 40 Jahre Artikel 3 Grundgesetz. - 40 Jahre Frauenverbandsarbeit. Sonderausgabe der Informationen für die Frau, Bonn 1989