PERSON

FAMILIEPiekenbrock
VORNAMEIda


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1823-09-18   Suche
GEBURT ORTHoetmar
EHEPARTNER22.08.1848, Nordkirchen, Peter Piekenbrock (1809-1860)
TOD DATUM1898-01-18   Suche
TOD ORTMünster


VATERBecker, Goswin Wenzel
MUTTERZumbusch, Adolphine


BIOGRAFIEWüst und verwahrlost lag der einst so stolze Gräftenhof Piekenbrock danieder, eines der ältesten Gehöfte im münsterländischen Nordkirchen. In ersten Frühlingstagen des Jahres 1862 kehrte Ida Piekenbrock noch einmal auf den Hof zurück, wo sie soviel familiäres Glück erlebt hatte. Doch es mußte ihr so vorkommen, als läge diese Zeit eine Ewigkeit zurück. Allein und gedankenverloren stolperte die Frau durch die Ruinen des ehemaligen Wohnhauses.

"Welch eigenen, traurigen Eindruck machte die Verwüstung auf mich!", vertraute sie wenig später ihrem Tagebuch an. "Der Keller voll Wasser, an der Wand waren noch die Tapeten unverdorben und frisch! Peters Lieblingsplatz am Feuer ebenfalls noch in Würden, im Aschenloch war noch Asche, aber der Herd ohne Feuer, Peters Platz ohne Stuhl! Unwillkürlich mußte ich über den Schutt von einem Gemach ins andere wandern und überdenken die frohen Stunden, deren ich soviel gehabt habe in diesen Räumen, in diesen Gärten und in dieser Gegend!"

Ein trostloses Bild bot der Bauernhof, auf dem wenige Monate zuvor eine tückische Epidemie fast die gesamte Familie binnen kürzester Zeit hinweggerafft hatte. Die Bäuerin selbst hatte nur mit knapper Not die Krankheit überlebt. Ihr Schicksal zeigt, wie sehr die Menschen vor allem auf dem Land bedroht waren von Krankheit und Tod - in einer Zeit, in der medizinische Hilfe noch kaum zur Verfügung stand.

Ida Piekenbrock, geboren am 18. September 1823, stammte aus einer vermögenden und angesehenen Familie im münsterländischen Hoetmar. Sie war die älteste Tochter des Gutspächters Goswin Wenzel Becker und seiner Frau Adolphine Becker, geborene Zumbusch. Mit ihren Geschwistern wuchs sie auf dem stattlichen Gut "Haus Hoetmar" auf, das ihr Vater gepachtet hatte; er war gleichzeitig Bürgermeister des Amtes Hoetmar. Sie sei mehr im Büro des Vaters als in der Kinderstube aufgewachsen, heißt es in der Familienchronik, und: "Ihre Allgemeinbildung war aus diesem Grunde vielleicht größer als die der sonstigen Frauen gleichen Standes damaliger Zeit. "

Drei Wochen vor ihrem 25. Geburtstag, am 22. August des Revolutionsjahres 1848, heiratet sie den 14 Jahre älteren Landwirt Peter Piekenbrock. Die Hochzeit wurde überaus üppig und standesgemäß gefeiert. Denn Peter Piekenbrock hatte drei Jahre zuvor, nach dem Tod seines Vaters, das Erbe eines rund 300 Morgen großen Bauernhofes in Nordkirchen angetreten. Mit diesem Besitz zählte er zu den wohlhabenden Kreisen des ländlichen Münsterlandes. Das junge Paar konnte sich kurz nach der Heirat sogar eine Hochzeitsreise an den Rhein leisten; in städtischen Bürgerfamilien war dies damals durchaus üblich, auf dem Land hingegen konnten nur die wenigsten "Hochzeiter" so eine Reise antreten.

Ein gutes Dutzend Jahre lebte Ida Piekenbrock mit ihrem Mann auf dem stattlichen Gräftenhof in Nordkirchen. Es müssen ausgesprochen glückliche Ehejahre gewesen sein, wie aus ihrem Tagebuch hervorgeht. Zwar erinnert sich Ida Piekenbrock in einer kurzen Notiz "der kleinen Widerwärtigkeiten und herben Schmerzen, deren manche ich erst hier kennengelernt", ohne näher darauf einzugehen. Über ihren Ehemann aber fand sie immer wieder liebevolle, fast poetische Worte. So erinnert sie sich später rückblickend ihres "teuren Mannes, der sich stets und immer meiner vollen Achtung und Liebe werth bewiesen (hat), der jede Träne von meinem Auge küßte, fast ehe sie geweint war, den jedes Lächeln erfreute, der immer mit derselben Freundlichkeit und Liebe meine Fehler bedeckte, meine Nachlässigkeiten verbesserte, meinen Weg mit Rosen bestreute! Kurz, der mir Alles in Allem und meinen Kindern der beste, sorgsamste und freundlichste Vater war!"

In den zwölf Jahren brachte Ida Piekenbrock sieben ;Kinder zur Welt - fünf Töchter und zwei Söhne. Eine der Töchter verstarb im April 1852 kurz nach der Geburt.

Auf dem Hof schien in diesen Jahren alles zum besten bestellt. Nach den Mißernten der Jahre 1847 und 1848 konnten wieder gute Ernten eingefahren werden. Alte Gebäude wurden niedergerissen, eine niedrige Wagenremise sowie eine geräumige Kornscheune wurden errichtet, und 1859 schließlich wurden auf dem Hof die letzten Reste der alten Strohbedachung durch Ziegel ersetzt.

Noch im gleichen Jahr kündigte sich die Katastrophe an. Zwei Wochen vor dem Weihnachtsfest erkrankte die älteste Tochter Maria an schwerem Fieber. Nach wenigen Tagen lagen auch zwei weitere Kinder, der zweijährige Reinhold und die vierjährige Emilie, mit Fieber im Bett. Die Eltern mochten anfangs noch eine eher harmlose Kinderkrankheit vermutet haben, doch der Arzt, der auf den Hof kam, diagnostizierte: Typhus oder, wie es damals hieß, "Nervenfieber".

Medizinische Hilfe hatte der Arzt gegen diese Krankheit nicht zu bieten. Für Ida Piekenbrock war die drohende Ansteckungsgefahr besonders groß, denn sie war im siebten Monat schwanger. Eine frühzeitige Quarantäne, ihr Verlassen des Hofes, hätte sie vielleicht vor der Krankheit bewahrt, dazu aber war es bereits zu spät: Auch sie erkrankte binnen weniger Tage so schwer, daß am Tag nach Weihnachten der Pastor ins Haus kam und die Bäuerin mit der letzten Ölung versah.

Wider Erwarten erholte sich die Bäuerin in den nachfolgenden Tagen. Doch ihr standen nun die schwersten Tage ihres Lebens bevor: Am 16. Januar starb ihre vierjährige Tochter Emilie. Vier Tage später, am 20. Januar brachte die Bäuerin Zwillingstöchter zur Welt, von denen ein Kind am Tag nach der Geburt starb. Wiederum neun Tage später, am 29. Januar, starb die Schwester der Bäuerin, die zur Hilfe bei der Geburt auf den Hof nach Nordkirchen gekommen war. Und am 31. Januar schließlich verstarb das Hausmädchen.

Auch der Landwirt Peter Piekenbrock schien für kurze Zeit vom "Nervenfieber" infiziert. Er erholte sich von der Krankheit, erlitt dann aber einen plötzlichen Rückfall. Am 30. März 1860 starb auch er.

Fünf Menschen starben auf dem Hof innerhalb kürzester Zeit an Typhus. Fast wie durch ein Wunder überlebten vier Kinder die Epidemie. Von dem furchtbaren Schlag aber sollte sich die gerade 37 Jahre alte Witwe Ida Piekenbrock nicht mehr erholen. Zeit ihres Lebens trug sie nur noch schwarze Trauerkleidung. Sie habe ihr Schicksal als "eine sehr harte Prüfung" aufgefaßt, so ist alten Familienpapieren zu entnehmen. "Sie lebte nur dem Interesse ihrer übrig gebliebenen Kinder und dem Jenseits."

Im Frühling 1860, wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes, verließ sie mit den ihr verbliebenen Kindern den Hof. Für Ida Piekenbrock war es unvorstellbar, weiterhin dort wohnen zu bleiben und den Bauernhof allein zu bewirtschaften. Das Wohngebäude, auf dem der Tod so unerbittlich gewütet hatte, ließ sie noch im Sommer 1860 abreißen.

Das Hoferbe wollte sie auf jeden Fall für einen ihrer Söhne bewahren. Die Felder und Weiden, die zum einstmals so stolzen Hof gehörten, wurden vorläufig an Nachbarn verpachtet. So verfügte die Frau immerhin über finanzielle Einkünfte. Das Geld reichte hin, um sich und die Kinder zu versorgen.

Die Witwe, allein und völlig auf sich gestellt, zog mit den Kindern zunächst nach Werne, 1870 dann nach Warendorf. Die Aufgabe, allein für ihre Kinder zu sorgen, ging oftmals über ihre Kräfte. "Ich bin nicht selbstständig", vertraute sie beispielsweise ihrem Tagebuch an, "ganz und gar gebrochen und lebenssatt."

Doch sie schaffte es, ihre Kinder zu versorgen und standesgemäß ausbilden zu lassen. Die beiden Töchter heirateten, ihr Sohn Reinhold wurde später Apotheker in Herford, und auch ihr Sohn Goswin Peter erfüllte, trotz einiger schulischer Schwierigkeiten, ganz ihre Hoffnungen. In Datteln und Telgte absolvierte er eine landwirtschaftliche Lehre, 1878 machte er sich daran, den Hof in Nordkirchen neu aufzubauen. "Zur ersten Einrichtung hat er von mir 3600 Täler bekommen", vermerkte Ida Piekenbrock in ihrem Tagebuch. 18 Jahre waren seit der Epidemie ins Land gegangen, ehe auf der alten Hofstelle ein neues Wohnhaus errichtet wurde.

Ida Piekenbrock verbrachte ihren Lebensabend im Haushalt ihrer jüngsten Tochter in Münster. Hier starb sie 75jährig am 18. Januar 1898. Daß es ihrem Sohn gelungen war, den ererbten Besitz wieder aufzubauen, hat sie immer mit Freude erfüllt. Mehrmals auch war die betagte Frau auf den Bauernhof zurückgekehrt, freilich immer nur für wenige Monate. Auf dem Hof in Nordkirchen hatte sie es nie lange ausgehalten. Zu tief hatte sich die schmerzende Trauer über das Verlorene in ihr Bewußtsein eingegraben.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 81-83
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 81-83
  Jakob, Volker | Menschen im Silberspiegel | S. 076

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.7   1800-1849
3.8   1850-1899
DATUM AUFNAHME2003-10-09
DATUM ÄNDERUNG2010-09-20
AUFRUFE GESAMT1991
AUFRUFE IM MONAT278