PERSON

FAMILIEAnneke
VORNAMEMathilde Franziska
BERUF / FUNKTIONSchriftstellerin, Zeitungsgründerin und Redakteurin


VERWEISUNGSFORMgeb. Giesler
GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1817-04-03   Suche
GEBURT ORTGut Levringhausen bei Blankenstein
EHEPARTNER(I) 1836: Tabaillot, Alfred von, Weinhändler (Scheidung);
(II) 1847:  Anneke, Fritz
TOD DATUM1884-11-25   Suche
TOD ORTMilwaukee/USA


VATERGiesler, Karl
MUTTERHülswirt, Elisabeth


BIOGRAFIESeit 1982 erinnert die Deutsche Bundespost in einer Briefmarkenserie an "bedeutende Frauen", so der Serientitel. Abgebildet sind zum Beispiel die Physikerin Lise Meitner und die Malerin Paula Modersohn-Becker, die Schauspielerin Therese Giehse und die Pianistin Clara Schumann, um nur einige bekannte Namen zu nennen. Aber wer kennt die Frau auf der 2,40 DM-Marke - Mathilde Franziska Anneke?

Mehr als hundert Jahre nach ihrem Tod ist sie nahezu vergessen. Sie, die Tochter eines westfälischen Gutsbesitzers, gab die erste "Frauen-Zeitung" Deutschlands heraus und kämpfte in der Revolution 1848 für bürgerliche Rechte und für die Gleichberechtigung der Frau. In den USA gründete Mathilde Franziska Anneke später eine hochangesehene "Töchterschule"; auch setzte sie sich dort entschieden für die Rechte der Frauen ein, allen voran für das Wahlrecht, das auch im demokratischen Nordamerika den Frauen vorenthalten wurde.

Geboren wurde sie am 03.04.1817 auf dem Landgut Levringhausen, südlich der Ruhr unweit des Dorfes Blankenstein, das heute zu Hattingen gehört. Sie war das älteste von 12 Kindern des Domänenrates Karl Giesler und seiner Frau Elisabeth geborene Hülswitt, die aus einer Lüdinghausener Töpferfamilie stammte.

Die Familie Giesler war in der Umgegend angesehen. Unvergessen war, daß Mathilde Franziskas Großvater Franz Giesler in den Hungerjahren nach den napoleonischen Kriegen für Lebensmittelzufuhren gesorgt und so die bitterste Not auf dem Land gelindert hatte; seine Enkelin Mathilde Franziska schildert ihn später als einen "menschenfreundlichen Mann". Für soziale Belange setzte sich auch ihr Vater Karl Giesler ein: Als Kirchenältester der evangelischen Gemeinde zu Blankenstein beispielsweise trat der Gutsbesitzer entschieden für das Stimmrecht der "Besitzlosen" bei der Pfarrerwahl ein.

Mathilde Franziska wuchs in einer geradezu idyllischen Umgebung auf, an die sie sich später immer wieder erinnerte. In einer unvollendeten Autobiographie schrieb sie: "Ich wurde in einem großen alten Familiensaal auf dem Gute meiner Großeltern geboren, und, ein braunlockiges Mägdelein, in den Buchenhainen desselben dem jungen Frühling entgegengetragen. Meine ersten Reisen in die benachbarten Dörfer und Gehöfte machte ich zu Pferde, vor dem Vater auf dem Sattelknauf sitzend."

Über das Gut Levringhausen, das sie auch "Lerchenhausen" nannte, schwärmte sie: "Die freie Ungebundenheit in dem großen Gebäude hier, die unzählig vielen Hof- und Haustiere, der hübsche Garten, die mannigfachen herrlichen Blumen und Obstarten, vor allem aber der unmittelbar daran stoßende tiefe, tiefe Buchen-, Eichen- und Lärchenwald - alles das hatte einen solchen Reiz für meine jugendliche Phantasie, daß ich mir mein ganzes Leben lang Lerchenhausen wie ein Zauberreich vorstellen muß."

Die beschauliche Idylle fand ein jähes Ende. Um 1835 stand ihr Vater kurz vor dem Bankrott. Er hatte in eine Eisenbahn investiert. Das Projekt wurde ein Fehlschlag. In dieser Zeit heiratete die 19jährige Mathilde Franziska Giesler den wohlhabenden Mülheimer Weinhändler Alfred von Tabouillot. Ob es eine jugendliche Liebesheirat war oder ein Versuch der Tochter, durch die reiche Heirat ihren Eltern zu helfen, ob sie gar von ihrem Vater zu diesem Schritt gedrängt wurde - das ist in den Biographien über die Frau umstritten. Fest steht jedenfalls: Die Ehe wurde zur Katastrophe.

Mit der gerade geborenen Tochter verließ Mathilde Franziska nach einem Jahr ihren Mann. Sie beantragte die Scheidung. Über ihre Gründe schwieg sie sich zeitlebens aus. Daß nicht der Mann, sondern die Frau die Scheidung eingereicht hatte, war zu ihrer Zeit ein unerhörter Skandal. Er sprach sich in den gehobenen Kreisen Westfalens rasch herum und sorgte eine Zeitlang für ausreichenden Gesprächsstoff. Annette von Droste-Hülshoff immerhin glaubte nach dem, was ihr zu Ohren gekommen war, urteilen zu können: Der Weinhändler Tabouillot sei "abscheulich, sein Betragen gegen die Frau gräßlich".

Mathilde Franziska "verheiratet gewesene von Tabouillot, geborene Giesler" zog mit ihrem Kind zunächst nach Wesel, dann nach Münster. Sieben Jahre mußte sie warten, ehe ihr die preußische Justiz 1843 Recht gab, die Ehe annullierte und eine karge Unterhaltsbeihilfe von monatlich acht Talern zusprach.

Als Schriftstellerin religiöser und literarischer Werke hatte sie sich einstweilen einen dürftigen Unterhalt verdient. So veröffentlichte sie beispielsweise ein frommes "Gebet- und Erbauungsbuch für die gebildete christkatholische Frauenwelt"; sie gab ferner drei Almanache mit plattdeutscher und hochdeutscher Literatur heraus, unter anderem mit Gedichten der Droste; sie schrieb ferner Gedichte, Zeitungsartikel und sogar ein Drama, das in Münster aufgeführt wurde. Doch diese Erfolge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie in Münster ein kümmerliches Leben führte und sich bisweilen fühlte "wie eine unterdrückte Tagelöhnerin".

Von den gehobenen Kreisen Münsters wurde sie mehr und mehr gemieden - nicht nur, weil sie mittellos war, sondern auch, weil sie eine zunehmend kritischere religiöse und politische Haltung einnahm. In einem von ihr verfaßten Gebetbuch kritzelte sie quer über den frommen Titel: "Von den Göttern, die der Mensch in seiner Not erschuf...".

Sie fand neue Freunde im "Demokratischen Verein" - einem kleinen Zirkel junger Gerichtsreferendare und Offiziere, die sich aufgrund ihrer linksliberalen Haltung mit dem autoritären Obrigkeitsstaat überworfen hatten. Hier wurde über künstlerische Themen, vor allem aber über die drängenden sozialen und politischen Probleme der Zeit debattiert.

In diesem Kreis lernte sie den preußischen Leutnant Fritz Anneke kennen. Das Militär hatte ihn aus dem Dienst entlassen, weil er es abgelehnt hatte, sich mit einem anderen Offizier zu duellieren; dieses "ehrenrührige Verhalten" und seine radikaldemokratische Gesinnung hatte ihm den Ruf eingetragen, im Offizierskorps " communistische Ideen" zu verbreiten.

Mathilde Franziska heiratete ihn im Juni 1847. Noch im gleichen Jahr veröffentlichte sie unter ihrem Namen Mathilde Franziska Anneke ein Büchlein mit dem Titel: "Das Weib im Conflikt mit den socialen Verhältnissen". In dieser Streitschrift schlug sie zum ersten Mal das Thema an, das ihr weiteres Leben begleiten sollte: der Kampf der Frauen um politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung.

Das junge Paar zog nach Köln, wo Fritz Anneke eine Anstellung gefunden hatte. Hatten die beiden im provinziellen Münster noch eine eher literarische Schwärmerei gepflegt, so wurde daraus in Köln rasch politische Initiative: Das Ehepaar unterhielt einen Salon, in dem kritische Geister ihrer Zeit, wie etwa der gebürtige Detmolder Dichter Ferdinand Freiligrath oder der Schriftsteller Georg Herwegh ein und aus gingen. Aus diesem frühsozialistischen Klub ging später der "Kölner Arbeiterverein" hervor, der bald rund 7 000 Mitglieder, überwiegend Arbeiter und Handwerker, zählte.

Leidenschaftlich beteiligte sich Mathilde Franziska Anneke 1848 an der demokratischen Revolution in Deutschland. Sie regte ihren Mann zur Herausgabe einer Zeitung an, die ab September 1848 als "Neue Kölnische Zeitung für Bürger, Bauern und Soldaten" erschien mit der Losung: "Wohlstand, Freiheit, Bildung für alle".

Kurz darauf wurde ihr Mann als "Aufrührer" verhaftet. Hochschwanger übernahm Mathilde Franziska Anneke die Herausgabe des Blattes. Es erschien nun als "Frauen-Zeitung", die erste ihrer Art in Deutschland. Die Zeitung richtete sich freilich nicht ausschließlich an Frauen, wie der Titel vermuten läßt. Das Blatt verstand sich vielmehr als linksliberales, demokratisches Forum für Frauen und Männer. Bei den Soldaten Kölns fand die "Frauen-Zeitung" so viele Leser, daß das Blatt schon nach drei Nummern vom Garnisonskommandeur verboten wurde.

Im Mai 1849 folgte Mathilde Franziska Anneke ihrem Mann nach Süddeutschland. Dort wurden im badisch-pfälzischen Krieg die letzten Kämpfe einer längst gescheiterten demokratischen Revolution ausgefochten. Nicht nur Fritz Anneke, auch seine Frau Mathilde, von ihrer ländlichen Jugend her eine geübte Reiterin, nahm selbst zu Pferde an den Kämpfen teil. Zeitgenossen beschrieben sie bewundernd als "Amazone", andere schimpften sie ein "Flintenweib". Sie selbst meinte, nicht der Krieg habe sie gerufen, sondern die Liebe zu ihrem Mann; gerufen habe sie "auch der Haß, der glühende, im Kampf des Lebens erzeugte Haß gegen die Tyrannen und Unterdrücker der heiligen Menschenrechte".

Nach der Niederlage der Republikaner flohen die Annekes über die Landesgrenze in die Schweiz, um der blutigen Rache der Sieger zu entgehen. Mit ihrem Mann wohnte Mathilde Franziska Anneke am Züricher See. Gerne wären sie in der Alpenrepublik geblieben. Die Gegend erinnerte sie fast ein wenig an ihr elterliches Gut Levringhausen; im übrigen könne man, so Mathilde in einem Brief, "in diesem gesegneten Lande die materiellen Vorteile einer Republik praktisch begreifen lernen. Wohlhabenheit ist überall, und wer Luxus machen will, darf’s wahrhaftig nicht auf Landeskosten. Das Beamtentum ist sehr klein. Am herrlichsten und schönsten sind die Schulen eingerichtet", schwärmte sie über die Schweiz.

Doch das Land konnte die vielen Flüchtlinge der niedergeschlagenen Revolution nicht aufnehmen. Wie so viele andere der enttäuschten "48er" entschlossen sich auch die Annekes, in die USA auszuwanden. Dort, in der "Neuen Welt", schienen ihre demokratischen Ideale verwirklicht.

Kurz vor ihrer Abreise in die USA notierte Mathilde Franziska Anneke: "Ich glaube, ich habe auf dieser Erde schon viele Leben gelebt." Und ihrer Mutter, der Gutsfrau Elisabeth Giesler, schickte sie noch rasch einen Brief nach Levringhausen, in dem sie schrieb: "In der Neuen Welt soll es bei etwas Intelligenz und Arbeitsamkeit leicht sein, viel, viel Geld zu gewinnen. Du weißt, daß mir und meinem Fritz beides nicht abgeht. Da wäre es ja Spaß, bald so viel zu erreichen, daß wir Dich herüberholten. Was Du uns dort in unserer Kolonie nützen kannst mit Deinen Erfahrungen in der Gartenkunst und Ackerwirtschaft, das kann niemand."

Mehr als zwei Jahre schlugen sich die Annekes in den USA eher schlecht als recht durchs Leben, ehe sie sich in Newark im Bundesstaat New Jersey niederließen. Hier konnte Fritz Anneke eine recht einträgliche deutschsprachige Zeitung herausgeben.

Auch Mathilde Franziska Annette griff erneut zur Feder. Am 01.03.1852 erschien zum ersten Mal ihre "Deutsche Frauen-Zeitung", in der sie sich wieder ihrem Thema, der Frauenfrage, widmete; sie gründete einen "Verband deutscher Frauen", und stritt für die Rechte der Frauen auf ausgedehnten Vortragsreisen, die - wie sie einmal schrieb - "außerordentliche Sensation" erregten. Ihre Zeitung erschien zweieinhalb Jahre lang mit einer Auflage von zuletzt 2.000 Stück; Mathilde Franziska Anneke mußte das Blatt aufgrund einer schweren Krankheit einstellen.

In ihrer neuen Heimat Newark erlebten die Annekes zum ersten Mal eine ruhige, finanziell sorglose Zeit. Nach dem Sohn Fritz, der noch in Köln zur Welt gekommen war, gebar Mathilde Franziska Anneke weitere fünf Kinder. Auch ihre Mutter war nach dem Tod des Ehemannes, des Vaters Mathilde Franziska Annekes, mit zwei Töchtern nach Newark übergesiedelt.

Die Annekes richteten sich auf einer kleinen, behaglichen Farm ein. "Unsere Wohnung", so Mathilde Franziska Anneke in einem Brief, "ist so allerliebst ausgefallen, daß wir uns nicht genug darüber freuen können, so bequem und niedlich, dabei vom blühenden Garten umgeben mit so vielen reichen Fruchtschätzen, daß es eine Pracht ist." Ihre Töchter benähmen sich "in diesem Besitztum wie westfälische Schulzenfrauen".

Doch die Zeit des zufriedenen Familienlebens in Newark fand bald ein tragisches Ende. Ein Kind starb kurz nach der Geburt, im Frühjahr 1858 starben kurz hintereinander die Kinder Fritz und Irla an Pocken. Mathilde Franziska Anneke verwand diesen Schicksalsschlag nie: "Ach, unter den blühenden Bäumen meines vorjährigen Gärtchens, wie lachte und lebte unsere Schar dahin! 0 warum hielten wir die Zeit nicht an? Warum trank ich ihre reinen Wonnen nicht in tausendfachen Zügen? Kindes- und Mutterglück zugleich. Ja es war der Gipfelpunkt meiner Seligkeit, die das Leben mir schuldig war - einmal. Einmal genießen zu lassen! An Irlachen verloren wir unsere Lebensfreude, unsere Lust. An Fritzchen verloren wir unser Glück, unsere ganze Hoffnung."

Der Tod der Kinder trübte auch die Ehe der Annekes. Denn Fritz Anneke hatte es abgelehnt, die Kinder mit dem gerade entdeckten Serum gegen Pocken impfen zu lassen, weil er - nicht ganz zu Unrecht - fürchtete, sie könnten daran sterben. Hinzu kam, daß er sich in rastlose Arbeit stürzte und für verschiedene Zeitungen kreuz und quer durch Amerika reiste. Seine Frau schrieb ihrem "lieben, guten Fritz" in einem Brief hinterher: "Wir hätten uns nicht vermählen sollen, wir hätten Freunde bleiben sollen, lieber Fritz. Wir wären beide vielleicht glücklicher geworden. Und wenn Du vielleicht einstmals wieder bei uns bist, so laß uns vor allem durch das lebendige Wort klar werden, wie und was wir fühlen."

Im Frühjahr 1859 reiste Fritz Anneke für amerikanische Zeitungen nach Italien, später in die Schweiz. Seine Frau folgte ihm wenig später mit den Kindern. Fritz Anneke kehrte schon bald wieder in die USA zurück, um im amerikanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Gegner der Sklaverei mitzukämpfen. Frau und Kinder ließ er in der Schweiz zurück.

Mathilde Franziska Anneke mußte wieder einmal allein für sich und ihre Kinder aufkommen. Sie schrieb für angesehene Zeitungen in Deutschland und den USA zahllose Artikel, sie verfaßte ferner Novellen und zwei Romane. Diese Arbeiten waren durchaus erfolgreich, brachten ihr aber nur ein dürftiges Einkommen ein. So mußte sie Anleihen aufnehmen und sogar ihren Schmuck verpfänden, um ihren begabten Sohn aufs Gymnasium schicken zu können. "Mein Streben ist unausgesetzt unseren Kindern und der Arbeit gewidmet", teilte sie ihrem Mann mit, "es liegt aber fast zu viel auf mir."

Alleingelassen und unbefriedigt über ihre Schriftstellerei entschloß sie sich, mit ihren Kindern nach Amerika zurückzukehren. Im September 1865 reiste sie nach Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin. In dieser Stadt, von deutschen Einwanderern stark geprägt, lebten bereits ihre Mutter und ihre Schwester Johanna.

Kaum angekommen, warb Mathilde Franziska Anneke im Oktober 1865 für ihre Lieblingsidee, die sie noch in der Schweiz entwickelt hatte: für die Gründung einer deutschsprachigen Mädchenschule. Dieses Vorhaben stand ganz in der Tradition der deutschen Frauenbewegung, denn auch in Deutschland hatten immer mehr engagierte Frauen ihre Stimme erhoben, um bessere und geregelte Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen zu fordern.

"Milwaukee Töchter-Institut" nannte Mathilde Franziska Anneke ihre Schule. Erziehungsziel sollte es sein, "durch liebevolle Erziehung und gründlichen Unterricht den ihr anvertrauten Töchtern eine möglichst harmonische Ausbildung zu Theil werden zu lassen", so die Ankündigung in der Zeitung. Diese höhere Töchterschule für deutsche und amerikanische Mädchen war die erste ihrer Art in Amerika. Neu war auch, daß sich die Anneke-Schule nicht auf Kochen und "Nadelarbeit" beschränkte, sondern erstmals auch Naturwissenschaften und Mathematik in die Mädchenbildung einführte. Ferner wurden unter anderem unterrichtet: Latein, Englisch, Französich, Deutsch, Zeichnen, Musik, Geographie und Geologie.

Mathilde Franziska Anneke leitete das "Töchter-Institut" 17 Jahre lang. Ihre Schule genoß bald ein hohes Ansehen, vor allem wegen der guten und breit angelegten Erziehung und Ausbildung. Aus allen Regionen der Vereinigten Staaten schickten Eltern ihre Töchter nach Milwaukee. Über ihren Erfolg schrieb Mathilde Franziska Anneke ihrem Mann: "Du glaubst nicht, lieber Fritz, welches beruhigende Gefühl endlich einmal über mich gekommen ist, so sorgenlos meiner bescheidenen, aber wohlgeordneten Zukunft entgegen zu gehen." Aus den Einkünften ihrer Schule konnte sich Mathilde Franziska Anneke nach langen entbehrungsreichen Jahren sogar ein eigenes kleines Haus mit ein paar Hektar Land kaufen.

Neben der Tätigkeit für die Schule engagierte sich Mathilde Franziska Anneke in der amerikanischen Frauenbewegung. Im Mai 1869 wurde sie zur Vizepräsidentin der "National Woman Suffrage Association" gewählt, der Organisation der US-Frauenbewegung. Hier kämpften die Frauen für das Ziel, "das Stimmrecht für die Frauen der Nation auf gleicher Grundlage mit den Männern zu sichern", wie es in der Satzung hieß. Aus ihrer flammenden Antrittsrede, die sie übrigens in deutscher Sprache hielt, seien folgende Sätze zitiert:

"Das Bewußtsein um das heilige Anrecht auf unsere unveräußerlichen Menschenrechte habe ich in den Kämpfen meines eigenen, seltsam wechselvollen Lebens erworben. Was in der Frau nicht länger unterdrückt werden kann, was frei sein will unter allen Umständen, was für die Menschheit von eminenter Wichtigkeit ist und jene unerläßliche Vorbedingung für alle friedliche Entwicklung im Sinne stetigen Fortschrittes in der Menschengeschichte ist und in allen Köpfen freien Spielraum haben muß, ist der natürliche Durst nach wissenschaftlicher Erkenntnis, diesem Quell aller friedlich fortschreitenden Verbesserung in der Geschichte der Menschheit. Dieses Sehnen, diese Bemühung der Vernunft, Wissen um des Wissens willen zu suchen, um Ideen, Folgerungen und um alle höheren Dinge, ist so weit uns die Erinnerung in der Geschichte zurückträgt - in keinem Menschengeschöpf so heftig unterdrückt worden als in dem Weibe. Denn es gibt keine vom Manne besonders für uns Frauen erfundene Doktrin, die wir gläubig nachzubeten haben und die unser Gesetz sein soll, noch darf die Autorität alter Traditionen unsere Richtschnur sein, nenne man diese Autorität auch Veda, Talmud, Koran oder Bibel. Aber unter dem Einfluß dieses aufgeklärten Jahrhunderts wurde dieses fast verlöschte Licht zu einer riesigen Flamme, die am hellsten unter dem Schutze des Sternenbanners leuchtet. Die Vernunft, die wir als unsere höchste und einzige Gesetzgeberin anerkennen, befiehlt uns, frei zu sein."

Jahrelang focht Mathilde Franziska Anneke in zahllosen Zeitungsartikeln und Vorträgen für die soziale und politische Gleichstellung der Frauen - und hier vor allem für das Frauenwahlrecht. Im Sommer 1873 beispielsweise beklagte sie in einer Rede, daß in den USA alle Bürger "ohne Unterschied auf Rasse oder Fähigkeit" das Wahlrecht besitzen -"nur die Frauen, die Blödsinnigen und die Verbrecher sind ausgeschlossen!" Und weiter steilte sie fest:

"Tag für Tag und Jahr für Jahr haben Frauen ihre Fähigkeiten für öffentliche Amtspflichten gezeigt und ihre Berechtigung erwiesen. Es gibt fast keinen Beruf mehr, in welchem wir nicht Frauen als erfolgreiche Vertreterinnen gesehen haben. Die Künste und Wissenschaften zählen zu ihrer glänzendsten Jüngerschaft edle Frauen. Sie haben Talente in den praktischen Handlungen des Lebens, in der Durchführung großer Unternehmungen. Sie sind kompetente Rechenmeister, treue Gehilfen und kluge Finanziers. Die Tatsache, daß unter ihnen viele sind, die Eigentum besitzen und dasselbe klug verwalten, beweist ihre Verständigkeit. Warum soll ihnen nicht gestattet sein, ihre Stimme bei der Wahl abzugeben?"

Dem rastlosen Engagement setzte erst ihre angeschlagene Gesundheit enge Grenzen. "Ich leide an einer sehr schmerzlichen Gelenkentzündung, und es ist schon sieben Jahre her, daß meine gute Rechte durch einen traurigen Unfall ihre Beweglichkeit verlor. Ich bin völlig von Hilfe abhängig, um mich schriftlich zu verständigen."

Am 25.11.1884 starb Mathilde Franziska Anneke in ihrem Haus in Milwaukee. Kurz vor ihrem Tod hatte sie in einem Rückblick auf ihr wechselvolles Leben festgestellt: "Man muß sein Leben in der Alten Welt begonnen haben, um zu begreifen, wie gut es ist, frei zu sein; (um) zu verstehen, wie notwendig Freiheit ist für ein wirklich ruhiges Leben."

35 Jahre nach ihrem Tod, im Januar 1919, konnten die Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen. Anderthalb Jahre später, im August 1920, wurde das Frauenwahlrecht in der Verfassung der Vereinigten Staaten verankert.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 75-80
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


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QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 75-80
  Schulte, Wilhelm | Westfälische Köpfe | S. 010f.
  Schulte, Wilhelm | Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) |
   | Köln Westfalen 1180-1980 | Bd. 1, S. 475
  Kersting, Franz-Werner | "Vom Gebrauch zum revolutionären Traktat" |
  Schmidt, Klaus | Mathilde Franziska und Fritz Anneke |
  Hockamp, Karin | Von vielem Geist und großer Herzensgüte |
  Kersting, Franz-Werner | "Das Weib in Conflict mit den socialen Verhältnissn" |
  Gebhard, Manfred | Mathilde Franziska Anneke |
  Kill, Susanne | Wach geküßt von der Poesie |
   | Frauenbilder | S. 026f.

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.7   1800-1849
3.7.2   Revolution <1848/1849>
3.8   1850-1899
Sachgebiet3.20   Politische und soziale Bewegungen
6.8.8   Frauen
15.7   Literatur, Schriftstellerin/Schriftsteller
DATUM AUFNAHME2003-10-09
DATUM ÄNDERUNG2010-10-25
AUFRUFE GESAMT8398
AUFRUFE IM MONAT611