PERSON

FAMILIEKüper
VORNAMEMaria Anna


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1809-09-19   Suche
GEBURT ORTRietberg


VATERKüper, Johannes Heinrich
MUTTERHeck, Anna Catharina


BIOGRAFIENur sehr wenige Frauen aus dem ländlichen Westfalen dürften so weit durch die deutschen Lande umhergekommen sein wie Maria Anna Küper, "unverehelichte" Hökerin aus dem Ackerbürgerstädtchen Rietberg. Mehr als zwanzig Jahre lang, zwischen 1837 und 1858, war sie ständig unterwegs, von einer Stadt zur nächsten, irgendwo zwischen Kassel und Hamburg. Doch nicht pure Reiselust veranlaßte die Frau zu ihrem Nomadenleben. Es war die bittere Not, die Frage des nackten Überlebens, die die "Küpersche" zu ihren Fußmärschen zwang.

Sie zog als "fahrende Kramhändlerin" unentwegt durch Städte und Dörfer, um ihre mitgeführte Baumwolle, um selbstgefertigte Halsbänder, Hosenträger und andere Waren auf Jahrmärkten und Kirchweihfesten zu verkaufen. In einem Ort blieb sie nur wenige Tage. Sie deckte sich mit neuen Waren ein, um sie im nächsten Dorf im Markt- und Festtrubel für ein paar Groschen wieder loszuwerden.

Im Stadtarchiv Rietberg wird eine umfängliche "Acta Personalia" aufbewahrt, die Einblick gibt in die fast unglaubliche Reise- und Handelstätigkeit der Maria Anna Küper. Geboren wurde sie am 19. September 1809 in Rietberg als dritte Tochter des Rietberger Ackerbürgers und Bäckers Johannes Heinrich Küper und dessen zweiter Frau Anna Catharina Heck. Als Maria Anna zur Welt kam, waren ihre Halbbrüder aus der ersten Ehe des Vaters bereits gestandene Familienväter.

Erst acht Jahre alt war Maria Anna, als ihr Vater starb - für die Familie aus seiner zweiten Ehe eine Katastrophe, denn wer sollte nun das Auskommen sichern? Die Mutter konnte nur als Spinnerin arbeiten, um mit dem kläglichen Einkommen sich und ihren Kindern das Überleben zu sichern. Später brachte sie ihre minderjährigen Töchter bei Rietberger Bauern und Handwerkern als Mägde unter; Tochter Maria Anna beispielsweise arbeitete im Alter von 15 Jahren bei einem Rietberger Baumseidenweber.

Mit 22 Jahren wurde Maria Anna Küper zum erstenmal "aktenkundig". In Münster stand sie in Diensten, als sie 1831 von der Polizei aufgegriffen wurde; ihr wurde vorgeworfen, sich der "Ausschweifung" ergeben zu haben. Bei ihr, der mittellosen Halbwaisen aus dem fernen Rietberg, wurde gleich das Schlimmste vermutet: "Winkelhurerei" lautete der vernichtende Vorwurf. Ärztliche Untersuchungen konnten den schlimmsten Verdacht nicht bestätigen. Dennoch wurde sie nach Rietberg zurückgebracht.

Ein Jahr später wurde sie abermals in Münster aufgegriffen. Diesmal fragten die Behörden bei den Verwandten in Rietberg an, ob sie die Maria Anna Küper nicht aufnehmen und auf sie achten möchten. Die Geschwister sahen sich dazu nicht in der Lage, hatten selbst genug hungrige Mäuler satt zu bekommen, und auch die Mutter besaß ja nichts. Hinzu kam, daß auch in Rietberg der Ruf der Maria Anna bereits gelitten hatte; ein relativ vermögender Stiefbruder, Inhaber einer Tabakspinnerei, weigerte sich, seine "überall als eine liederliche Dirne verschrieene Halbschwester" aufzunehmen.

Sollte Maria Anna Küper jemals wirklich vom "rechten Weg" abgekommen sein, so bot ihr jedenfalls vorerst niemand die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen. Noch einmal wurde sie von Münster nach Rietberg zurückgebracht, wo sie einer verschärften Polizeiaufsicht unterstellt wurde. Sie durfte die Stadt nicht verlassen, und ihr Haus nur zwischen fünf Uhr morgens und acht Uhr abends. Schon nach wenigen Tagen wurde sie abends um zehn Uhr von den Polizeidienern nicht angetroffen. Sie arbeitete inzwischen als Spinnerin oder half bei Tagelöhnern - da war man eben nicht um acht Uhr fertig und konnte nach Hause gehen ...

Weil im ärmlichen Rietberg kaum etwas zu verdienen war, machte sie sich erneut auf den Weg und arbeitete auf einem kleinen Bauernhof nahe Münster als Dienstmagd - auch dies wiederum ohne behördliche Genehmigung und Meldepapiere. Wieder wurde sie verhaftet, für drei Tage "abwechselnd bei Wasser und Brod und gewöhnlicher Gefängniskost" in Arrest gesetzt und anschließend nach Rietberg zurückgebracht. Aber dann begriffen die Behörden offenbar, daß diese ruhelose Frau nicht festzuhalten war. Sie erhielt bald Ausweispapiere, um mit der Aussicht auf eine Stelle als Dienstmagd in Osnabrück die Heimatstadt endgültig zu verlassen.

In Osnabrück lernte sie eine verwitwete reisende Handelsfrau kennen. Bei ihr ging Maria Anna Küper als Gehilfin für zwei Jahre in die Lehre. 1837 schließlich machte sich die inzwischen 28jährige Frau selbständig: Sie besorgte sich, wie sie später sagte, "eine Qualität Galanterie-Waaren, um mit diesen Waaren die Märkte zu bereisen und von dem Verkauf zu leben".

In Nienburg trat sie ihre Handelsreise an, wanderte quer durchs Wiehengebirge ins Fürstentum Lippe. Weitere Stationen waren unter anderem das Bauerndörfchen Dielingen im nördlichen Zipfel Westfalens, Dissen am Teutoburger Wald, Spenge, dann Cloppenburg, Oldenburg bis hinauf nach Bremen und Bremerhaven. All diese Stationen sind in ihrem Reisepaß sorgsam eingetragen und abgestempelt.

Im Februar 1847 war sie nach zehnjähriger Handelsreise durchs Oldenburgische und durch das Königreich Hannover schließlich in Hamburg gelandet, um sich dort mit neuen Waren einzudecken. Ein vielwöchiger Fußweg führte sie dann, unterbrochen von Krankheit, zurück nach Rietberg, um dort ihren Paß verlängern zu lassen; ihre Waren hatte sie einstweilen in Verden an der Aller zurückgelassen.

Doch in ihrer Heimatstadt war sie wenig willkommen. Ein Rietberger Amtmann versuchte sie abzuschieben; er behauptete, sie sei nun, nach zehnjährigem "Auslands"-Aufenthalt, keine preußische Staatsangehörige mehr. Erkundigungen ergaben zu allem Unglück, daß der Reisepaß der Wanderhändlerin gefälscht war. Wichtigstes Indiz: Auf radiertem Papier hatte sie eigenhändig unterschrieben. Sie konnte zwar rechnen und handeln, aber schreiben konnte sie nicht.

Maria Anna Küper gab zu, daß die Osnabrücker Händlerin, bei der sie das Handelsgeschäft gelernt hatte, ihr das Reisepapier zum Abschied besorgt habe - "auf eine ihr unbekannte Weise". Einen Strick konnte man der Küper aus dieser Angelegenheit nicht mehr drehen. Das Delikt war nach zwölf Jahren verjährt, so das Königlich Preußische Land- und Stadtgericht zu Rietberg.

Man ließ sie also dann doch ihrer Wege ziehen. Ihr Handelsrevier, so ist den Eintragungen ihres erhaltenen Passes zu entnehmen, hatte sie nun gewechselt. Nun zog sie durch die Städte, Dörfer und Bauerschaften im östlichen und südlichen Westfalen bis nach Hessen. Sie zog vom Ravensberger und Paderborner Land ins Sauerland, hielt sich des öfteren in Kassel, Korbach und Waldeck auf Im Juli 1852 gab sie ihren vollgeschriebenen Paß auf dem Amt in Rietberg ab, um sich einen abermals zwei Jahre gültigen Paß ausstellen zu lassen.

Damit verliert sich allmählich die Spur der reisenden Kramhändlerin aus Rietberg, deren Leben mit bitterer Not und Kriminalisierung begann, bevor sie dann doch einen ungewöhnlichen und mühseligen Weg fand, eine einigermaßen erträgliche Existenzform zu finden - freilich um den Preis von Außenseitertum und Heimatlosigkeit. Ihr Leben ist sicher ungewöhnlich als einzelnes Frauenschicksal der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; bewundernswert die Fähigkeit der Frau, allen Rücken- und Nackenschlägen zum Trotz immer wieder aufzustehen und weiter zu machen, bewundernswert ihre Unermüdlichkeit und ihr unzerbrechlicher Wille, wie sie aus allen Handlungen und Protokollnotizen sprechen.

Was aus ihr geworden ist, wann und wo sie gestorben ist, wissen wir nicht. Im Dezember 1854 trifft sie noch einmal ein schwerer Verdacht. Die Königliche Staatsanwaltschaft Warburg erkundigte sich in Rietberg nach dem Verbleib der Küper. Die als "Herumtreiberin" bezeichnete Frau soll, so der Vorwurf, "im Besitze von Gold- und Silbersachen sein, die kürzlich mittels gewaltsamen Diebstahls entwendet worden sind". Der Rietberger Amtmann empfahl abzuwarten, bis sie demnächst "ihren Gewerbeschein pro 1855 abzuholen" komme.

Doch die Händlerin erschien nicht mehr in Rietberg. In ihrem letzten Brief, in dem sie weder ihren Aufenthaltsort noch das Datum nannte, teilte sie mit, daß sie in Zukunft auf den Gewerbeschein verzichten wolle und sich schon zwei Monate "im Ausland" krank aufhalte. Im Mai 1858 notierte ein Rietberger Ortsbeamter über Maria Anna Küper: "Seit mehreren Jahren hat sie sich hier nicht mehr aufgehalten. Sie hat hier keine Angehörigen mehr, und ihre Rückkehr ist nicht mehr zu erwarten. Ihr Aufenthalt ist ganz unbekannt."

Manfred Beine

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 65f.
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2003-08-22


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 65-66

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.7   1800-1849
DATUM AUFNAHME2003-08-22
DATUM ÄNDERUNG2010-09-20
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