Kirche und Kirchhof im Dorf > Totenruhe


Friedhof der St. Servatius-Kirche in Brunskappel, 1930 (Ausschnitt) / Münster, Westfälisches Landesmedienzentrum, 01_2264






Melanie Uesbeck

Die letzte Ruhe auf dem Kirchhof

Begräbnispraxis zwischen kirchlicher
Norm und dörflichem Brauchtum

Aus der  "Hochfürstlich-Paderbörnischen Kirchen-Ordnung" aus dem Jahre 1686:
"§8 [...] Damit auch auf denen Kirchhöfen die Gräber der Todten nicht unterwühlet, oder zertreten werden, soll so wenig denen Pastoribus als Küstern ihre Viehe, Kühe, Pferde, Schaafe, Schweine, oder Gänse, darauf zu bringen, zugelassen seyn [...].

§9 Zu obigem Ende sollen sodann, die Kirchhöfe dergestalt mit Mauern umgeben syn, dass kein Vieh von selbsten darauf kommen kann; und sobald von der Mauer des Kirchhofs etwas einfallen oder löchrig würde, soll solches allsobald im Anfang, zu Verhütung des sonst hernacher entstehenden größeren Schadens, und mehrerer Unkosten, ausgebessert [...]."

Solche Vorschriften waren im 17. Jahrhundert durchaus angemessen, da ein Friedhof noch nicht viel von seiner heute üblichen Form hatte: Die Toten wurden auf dem Kirchhof, also dem geweihten Platz rings um die Kirche begraben, wobei weder Vorgaben zur Anordnung der Gräber, noch zu ihrer Tiefe vorhanden waren. Der Kirchhof war meist von einer Mauer umgeben. Sie diente jedoch allein der örtlichen Abgrenzung und hatte keine Wehrfunktion inne. Nicht einmal das Vieh der umliegenden Bewohner wurde durch sie daran gehindert, auf dem Kirchhof zu grasen. Das war ein ernsthaftes Problem, da die Tiere beim Scharren im Erdreich die Gräber aufwühlten und die meist nur einen Meter tief liegenden Leichname beschädigten. Mit einem heutigen Friedhof hatten die Kirchhöfe des 17. Jahrhunderts lediglich die Grabsteine und Kerzen gemeinsam, die zur Kennzeichnung der Grabstätten aufgestellt wurden.

Verordnungen zur Abschaffung der ganz und gar nicht "sakralen" Zustände auf den Kirchhöfen wurden nicht nur im katholischen Paderborn erlassen, sondern auch in lutherischen Territorien wir Osnabrück und Oldenburg. Sowohl die Reformation als auch die katholischen Verordnungen veränderten den Kirchhof und die darauf stattfindende Beerdigungspraxis. War der Kirchhof im 16. Jahrhundert noch ein Ort des "prallen Lebens", so fanden zu Beginn der Frühen Neuzeit immer mehr Geistliche Anstoß an der allgemeinen Nutzung des Platzes: Die umliegenden Bewohner ließen ihr Vieh auf dem Platz weiden, es herrschte ein Kommen und Gehen wie auf einem Marktplatz, und auch das Tauschen oder Verkaufen von Waren war kein ungewohnter Anblick. Der Platz war kein sakraler Ort, sondern ein - wissenschaftlich gesprochen - multifunktionaler Raum der Kommunikation. Von ehrfürchtiger Stille in Gedenken an die begrabenen Toten konnte nicht die Rede sein. Sowohl Reformatoren wie Luther, als auch katholische Geistliche setzten sich für eine neue Ordnung ein. Luther bemerkte etwa am Beispiel des Wittenberger Friedhofs den mangelhaften Zustand der deutschen Kirch- und Friedhöfe und klagte, "daß es keinen öffentlicheren und unstilleren Ort in der ganzen Stadt gibt als eben den Kirchhof, wo man täglich, ja Tag und Nacht, darüber läuft, und das sowohl Menschen als auch Vieh."

Er forderte Geistliche und Gemeinde auf, jegliches weltliche Treiben auf dem Kirchhof zu unterlassen und ferner alles profane Beiwerk, wie Grabsteine oder sonstigen Schmuck, zu entfernen. Aber auch in der katholischen Kirche wurden solche Forderungen laut. Die Liturgie sollte nun streng nach dem Rituale Romanum" (Liturgisches Handbuch der römisch-katholischen Kirche, 1614 von Papst Paul V. zusammengestellt) verlaufen. Es wurden umfangreiche Vorgaben gemacht, so gliederten sich zum Beispiel die Begräbnisse streng in drei Stationen: Sterbehaus, Kirche und Friedhof. Letzteren soll die Trauergemeinde nach den Vorschriften des Rituale Romanum in geordneter Prozession betreten. Auch alle folgenden Gesänge, Gebete etc. wurden festgelegt.

Andere Kirchenordnungen regelten, wo und wann wer begraben werden durfte. Erwachsene Katholiken wurden am Vormittag zu Grabe getragen, getaufte Kinder wurden am Nachmittag zur letzten Ruhe gebettet und in den Abendstunden bestattete man ungetaufte Kinder. Menschen anderer Konfession und Gesetzesbrecher wurden nur in äußerst seltenen Fällen auf dem geweihten Kirchhof beigesetzt.

Auch das Sterbegeläut wurde in den Verordnungen neu geregelt. Hatten die Glocken im späten Mittelalter noch mehrmals täglich über den Tod oder die Beerdigung eines Dorfbewohners informiert, wurde das Geläut seit dem 17. Jahrhundert immer stärker eingeschränkt. Zunächst fiel das Läuten unmittelbar nach dem Tod einer Person weg, dann das Läuten vor der Messe am Tage der Beisetzung. Mit der Entwicklung, den Geistlichen für seine Tätigkeit bei einem Begräbnis zu entlohnen, verzichteten immer mehr Angehörige ganz auf das Glockengeläut um ein wenig Geld zu sparen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde aus hygienischen Gründen die Tiefe der Gräber normiert, da die Wahrnehmung für das austretende Leichengift mit dem Wandel von Hygieneansprüchen der Bevölkerung geschärft worden war. Zudem wurde durch das Gas die Luft auf dem Kirchplatz so sehr beeinträchtigt, dass es sogar zu Ohnmachtsanfällen bei den Gläubigen kommen konnte. Diese schlechten Hygieneverhältnisse und der Platzmangel, der durch das Bevölkerungswachstum entstand, führten am Ende des 18. Jahrhunderts dazu, dass die Friedhöfe ausgelagert werden mussten.