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TITEL | 1648: Krieg und Frieden in Europa | |
ORT | Münster | |
JAHR | 1998 | |
ONLINE-TEXT | Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Apokalypse und Millenarismus im Dreißigjährigen Krieg | |
SEITE | Bd. 1, S. 259-263 | |
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I. Die Haupttopoi der ApokalyptikDer Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs war auf protestantischer Seite apokalyptisch durchzittert. Da das Konzil von Trient alle apokalyptischen Gegenwartsinterpretationen weitgehend zurückgedrängt hatte, waren die politisch-theologischen Ideen der Apokalypse vor allem in den protestantischen Kirchen zu finden. Zwei Momente waren für diese Bewegungen konstitutiv:
Die Lehre von den vier Reichen (Dan. 7,1-28) war für die Selbstinterpretation des Reiches schlechterdings konstitutiv. Das Heilige Römische Reich begriff sich im Anschluß an das Imperium des geflügelten Löwen, des Bären und des Flügelpanthers als Herrschaft des vierten, namenlosen Tieres, nach dessen Ende das Gericht des Herrn hereinbrechen sollte. Diese Interpretation war im Dreißigjährigen Krieg besonders virulent, denn der Zusammenbruch des Reichs hätte auch das Ende der Welt bedeutet. Die Vision vom Kampf der Könige (Dan. 11,20-12, 3) und vom hilfreichen König von Norden ließ sich vielfach auf die Situation im Dreißigjährigen Krieg applizieren: Der König des Südens fällt im Heiligtum ein und zwingt das Volk zum Abfall vom Glauben. Der König des Nordens kämpft gegen den König des Südens und überflutet das Land des Südkönigs mit seinem Heer. "Zu jener Zeit wird Michael, der große Engelsfürst, der für dein Volk eintritt, sich aufmachen. [...] Aber zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen." Diese Vision vom hilfreichen König aus Norden wurde durch die Prophetie Jesaias (Jes. 41,25 und 49,12) verstärkt, der den König von Norden mit einem aus dem Osten verband. Die wichtigsten Topoi der Geheimen Offenbarung sind die Visionen von der kosmischen Madonna, vom Tausendjährigen Reich, vom Weltgericht und vom Himmlischen Jerusalem. Die kosmische Frau, Symbol Mariens und der Kirche, ist "mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen, auf dem Haupt eine Krone von 12 Sternen." Sie schreit in Geburtswehen und wird von einem Drachen mit sieben Köpfen, zehn Hörnern und sieben Kronen verfolgt, der ihr Kind fressen will. "Aber das Kind ward entrückt zu Gott und zu seinem Thron", die Frau flieht vor dem Drachen, der im himmlischen Kampf von Michael gestürzt wird (Apok. 12, 1-9). Die Lehre vom Tausendjährigen Reich gründete sich auf Apok. 20, 1-7: Der Engel bindet den Drachen, die alte Schlange, für tausend Jahre. In dieser Zeit regieren die Märtyrer, gemeinsam mit Christus. Danach gibt es eine letzte Drangsal, ehe das Jüngste Gericht eintrifft. Diese Lehre von der doppelten Auferstehung und der tausendjährigen Herrschaft der Gerechten war im lutherischen Bekenntnis seit der Augsburger Konfession (1530) als theologisches Lehrstück verboten. Dagegen wurde die Lehre vom Fall der großen Hure Babylon, die auf einem Drachen mit sieben Köpfen sitzt und untergehen wird (Apok. 17 und 18), im Anschluß an Luthers Interpretation mit der römischen Kirche und dem Papst identifiziert. Ihrem Untergang folgte die Bekehrung der Heiden und Juden nach Röm. 11, 25-27: "Blindheit ist Israel nur zum Teil widerfahren, solange, bis die Fülle der Heiden eingetreten ist, und als dann wird das ganze Israel gerettet werden." Danach erfolgt das Jüngste Gericht, in dem der Herr nach dem Buch des Lebens die Toten richtet (Apok. 20, 12). Diese Lehre vom Weltgericht war dogmatisch unabdingbar, weil Teil des apostolischen Glaubensbekenntnisses. II. Johann Heinrich Alsteds Restitution des MillenarismusIm Jahr 1627 erschien in Herborn ein unscheinbares Büchlein, "Diatribe de Mille Annis Apocalypticis". Es beanspruchte, eine genaue Exegese der Bücher Daniels und Johannes' zu sein, keine chiliastische oder millenaristische Schwärmerei. In einer Analyse von Apok. 20 und Dan. 11f. stellte das Büchlein fest, daß der Beginn des Tausendjährigen Reiches im Jahre 1694 zu erwarten sei. Die wesentlichen Kriterien: Der Endkampf sei bis dahin für den König aus Norden entschieden, die Bekehrung der Juden stehe bevor, da mit der Entdeckung Amerikas nun an allen Enden der Erde das Evangelium bekannt sei. Mit der Bekehrung der Juden verbindet der Autor, Johann Heinrich Alsted, die Erwartung der Bekehrung der "heidnischen" Türken. 1627 war der Protestantismus, nach dem Strohfeuer des Winterkönigtums, in einer dramatischen Situation. Tilly und Wallenstein hatten die protestantischen Territorien, die nicht mit dem Kaiser zusammenarbeiten wollten, weitgehend erobert, Wallenstein stand an der Ostsee; es konnte wohl nur noch Hilfe von oben die protestantischen Kirchen Deutschlands retten. Die Bedrückung, die nach der geheimen Offenbarung der Ankunft des Tausendjährigen Reichs voranging, war also politisch offenkundig. Sie würde, nach Alsteds Berechnungen, noch bis 1694 dauern. Dann sollte das Millennium beginnen. Mit Alsteds Traktat, der nicht nur im Reich, sondern vor allem im revolutionären England eine erhebliche Wirkung hatte, wurde der Millenarismus theologisch akzeptabel. III. Jakob Böhmes Rosen- und LilienzeitAls Alsteds "Diatribe" erschien, war der Dreißigjährige Krieg schon fast zehn Jahre alt. Der Versuch der böhmischen Stände, mit Hilfe Friedrichs V. von der Pfalz ihre Unabhängigkeit zu erreichen, war mit der Schlacht am Weißen Berge (1620) gescheitert. Mit dem Winterkönig war die gesamte protestantische Elite Böhmens und Mährens auf der Flucht, und Jakob Böhme klagte in einem Brief vom 10. Dezember 1622 "des grossen Jammers und greulichen Raubens, Mordens und unerhörter Teufeley bey der Christenheit" und deutete die Schrecken als "eine Figur des künftigen Gerichts über diese Lande". Es war die Zeit politischer Propheten, und gerade die spirituellen radikalen Gruppen konnten die Niederlage Friedrichs nicht als Ende ihrer biblisch prophezeihten millenaristischen Hoffnungen verstehen. Böhme rechnete mit einem geistlichen Goldenen Zeitalter: "Dann das Aureum Saeculum wird mitten im Feuer zu Babel anheben zu grünen", schrieb er am 8. Juni 1621. "Nur demüthig unterm Creutze eine kleine Zeit der Majen wird seine Rosen wol bringen, und der Lilien-Zweig seine Frucht." 1623 (20. Februar) hat Böhme seine Eschatologie konzise zusammengefaßt: "Die Tribulation und Zerbrechung Babels nahet sich heftig sehr, das Ungewitter zeucht an allen Orten auf, es wird sehr wüthen: Vergebene Hoffnung betreuget, dann des Baumes Zerbrechung nahet sich". Die Zerbrechung Babels bedeutet das Ende aller institutionalisierten Kirchen. "Der Thurn zu Babel ist grundlos worden, man meinet den mit Stützen zu erhalten, aber ein Wind vom HErrn stösset ihn um." Das zielt auf Österreich und die katholische Reform: Der Versuch der katholischen Parteien, die alte Kirche, Luthers Babel, mit Hilfe des Hauses Habsburg wieder zu installieren, wird im göttlichen Sturm scheitern. "Das Orientalische Thier kriegt ein menschlich Hertz und Angesichte; und ehe das geschiehet, so hilft es den Thurn zu Babel mit seinen Klauen umreissen." Hier erscheint das prophetische Motiv von der Bekehrung der Türken, mit deren Hilfe das Haus Habsburg gestürzt werden soll. Dieses Motiv kennzeichnet die gesamte radikale protestantische eschatologische Propaganda, sie wird durch die Nordprophetie ergänzt: "In der Finsterniß der Mitternacht gehet eine Sonne auf, welche ihren Schein aus den sensualischen Eigenschaften der Natur aller Wesen, aus dem geformeten, ausgesprochenen und wiederaussprechenden Worte nimt; und das ist das Wunder, dessen sich alle Völcker freuen." Hier wird die Jesaia-Vision so interpretiert, daß sie auf den schwedischen König angewandt werden kann; und der kennt das Wesen der Dinge und steht im Worte Gottes; er hat mithin die Erlöserfunktion, die Dinge zu ihrem Ursprung zurückzuführen und die Unterdrückung der Völker in Freude zu verwandeln. Diese Prophetie wird nun mit Wappen-Emblematik erläutert: "Ein Adler hat junge Löwen in seinem Neste ausgebrütet, und ihnen den Raub zugetragen, bis sie groß worden sind, in Hoffnung, sie werden ihm wieder ihren Raub zutragen; aber sie haben das vergessen, und nehmen dem Adler sein Nest, und rupfen ihm seine Federn aus, und beissen ihm vor Untreue die Klauen ab, daß er nicht mehr Raub holen kann, ob er möchte verhungern: Sie aber werden um des Adlers Nest uneinig, und zerreissen sich im Zorne, bis ihr Zorn ein Feuer wird, welches das Nest verbrennet, und solches vom HErrn aller Wesen." Der Adler ist natürlich das Haus Österreich. Die Löwen sind zwar nicht eindeutig zu identifizieren, deuten aber auf die Wappentiere Böhmens und der Kurpfalz hin. In jedem Falle wird erneut das Verschwinden des Hauses Habsburg prophezeiht, das wegen seiner Bündnispolitik zugrundegehen wird. Aber auch die Bündnispartner werden als politische Instanzen nicht überleben, sagt Böhme voraus. Böhmes Interessen können nicht ohne weiteres politisch vereinnahmt werden. Ihm geht es um eine innere, spirituelle Kirche. Eine in politische Macht umschlagende Spiritualität lehnt er ab. Sein Ideal ist die Lilie, das Erblühen der Welt nach dem göttlichen primordialen Plan. Böhme hat den Endzustand symbolisch beschrieben: "Eine Lilie stehet von Mittag gegen Mitternacht: welcher dieselbe wird zum Eigenthum bekommen, der wird singen das Lied von Gottes Barmherzigkeit; und in seiner Zeit grünet des Herren Wort, wie Gras auf Erden, und die Völker singen das Lied von Babel in einer Stimme, dann der Anfang hat das Ende funden." Die Lilie symbolisiert die Zeit der Wiederherstellung der Paradieswelt im eschatologischen Prozeß. IV. Comenius' "Lux in tenebris"Mit den böhmischen Exulanten war auch die Gemeinde der Böhmischen Brüder und ihr spiritus rector Johann Amos Comenius auf der Flucht. Comenius (1592-1670), der 1612 bei Alsted in Herborn studiert hatte, ist sein Leben lang Millenarist geblieben. Zehn Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges hat er ein letztes Mal versucht, die Weissagungen, die sich schon auf den Winterkönig bezogen hatten, politisch wirksam zu machen. Er veröffentlichte nach dem Tode des Kaisers Ferdinand III. 1657 eine Sammlung von Prophetien aus dem Dreißigjährigen Krieg: "Lux in Tenebris", die die Gesichte von Christoph Kotter, Christiana Poniatovia und Nicolaus Drabic aus den Jahren 1616-1656 enthielten. Der Tenor war die Vorhersage des Untergangs des Hauses Habsburg. Comenius wollte noch 1657 die Wahl eines weiteren Habsburgers zum neuen Kaiser verhindern, auch, um damit die Herrschaft eines apokalyptischen Königs zu ermöglichen. Das Unternehmen scheiterte, der neue Kaiser war wieder ein Habsburger: Leopold I. (1640/1658-1705). Im Vorwort zu seiner prophetischen Sammlung hat Comenius den Duktus der Prophetien, die nach seiner Überzeugung göttlichen Ursprungs waren, in 15 Thesen zusammengefaßt: "1. Die Welt ist so verdorben, wie sie es zu Zeiten Noas vor der Sündflut war, vor allem die christlichen Völker, zumal das deutsche. 2. Der Papst ist jener große Antichrist und die Hure Babylon. 3. Das Tier, auf dem die Hure reitet, ist das Römische Reich, genauer das Haus Habsburg. 4. Gott wird dies nicht länger ertragen, er wird die Welt der Gottlosen erneut zerstören und mit Blut überschwemmen. 5. Deshalb wird er Himmel und Erde in Bewegung setzen, d.i. er wird alle Völker gegeneinander hetzen und eine unerhörte Verwirrung erzeugen. 6. Wenn dieser Krieg zu Ende ist, werden der Papst und das Haus Österreich untergegangen sein. 7. Wegen ihrer himmelschreienden Tyrannei werden sie von allen vier Seiten der Welt geschlagen. 8. Die ersten werden die nördlichen und östlichen Völker sein. 9. Das sind vor allem die Schweden, gemeinsam mit ihrem König, dem Pfalzgrafen bei Rhein, und dem Haus Rákóczi. 10. Sie werden es einzeln versuchen, aber vergeblich, schließlich wird von ihrer Vereinigung das Werk Gottes ausgehen. 11. Das wird mit unerhörter Schnelligkeit geschehen, in einem Jahr, Monat, Tag, einer Stunde, zum Erstaunen der ganzen Welt. 12. Die Türken und Tartaren werden intervenieren und das Werk beschleunigen. 13. Als Lohn wird ihnen das Licht des Evangeliums verkündet werden. 14. Es wird die Reformation des gesamten Erdkreises eintreten, vor dem Ende der Welt. 15. Diese Reformation wird folgende Gesetze und Form haben: Die Bilder werden mit dem Bilderkult vergehen, der reinste Dienst der Höchsten wird überall blühen." Für Comenius war klar: Mit dem Ende des Krieges 1648 war die apokalyptische Aufgabe der Kriegsparteien nicht erfüllt. Es ist wenig verwunderlich, daß sein Buch in katholischen Ländern verboten wurde. Christoph Kotters heraldische VisionenComenius' Sammlung war der Versuch, die geistlich-apokalyptische Interpretation der Geschichte fortzuführen, die mit den Visionen von Christoph Kotter (gest. 1647) noch vor Beginn des Dreißigjährigen Kriegs begonnen hatte: Der Sprottauer Gerber hatte seit 1616 Gesichte gehabt, die politisch immer konkreter wurden: Am 6. September 1620 prophezeihte ein himmlischer Bote, Friedrich werde König bleiben, wenn er seine Feldzeichen auf Gott setze. Der Winterkönig wurde am 8. November geschlagen. Die Vision wurde deshalb spirituell als der allgemeine Kampf der Löwen gegen den Adler des Hauses Habsburg umgedeutet. Der Löwe wurde allmählich das Wappentier des Protestantismus: die Pfalz, Böhmen, Schweden und England hatten Löwen als Wappentiere. Am 25. August 1622 hatte Kotter folgende Vision: "Ein herrlicher Adler von großer Gestalt, mit federreichen Flügeln, wird von einem weißen Löwen angegriffen. Der reißt eine Feder aus dem linken Flügel. Danach wird der Vogel von einem roten Löwen attackiert, der ihm eine große Feder aus dem Rumpf zieht". Der Vogel stirbt an seinen Wunden. Dem weißen Löwen ist "der Ton 'Weh' gegeben, mit dem er über die Erde tönt. Und dieser Löwe wird einen großen Teil des Staates erobern und weise verwalten. Vom roten Löwen wisse dies: [...] Jener rote Löwe, der den Schein der Morgenröte trägt, wird den Liebhabern des Evangeliums zu Hilfe kommen, und er wird einen Teil des Staates erobern. Und weil er ihn liebt, wird er mit dem blauen Löwen gut zusammenwirken. Der blaue Löwe [...] wird von Gott Festigkeit der Seele, Stärke, Ruhm und Macht gegen die Feinde erhalten. Er ist der, den du siehst, wie er von einer dreifachen mächtigen Hand gekrönt wird: Die Hand, die von oben kommt, ist die Hand Gottes selbst. Die beiden, die von der Seite kommen, sind die beiden Mittler, die Gott als Hilfe vorgesehen hat: vom Norden und vom Osten." Der Sinn der Vision ist eindeutig: Der habsburgische Adler wird von drei protestantischen Löwen zuerst zu Tode gerupft, danach übernehmen der rote, der weiße und der blaue Löwe je ihr Regiment. Der weiße Löwe ist wohl der Schwede, der rote Löwe ist der Fürst von Siebenbürgen, Bethlen Gabor, und der blaue Löwe das neue, heilige Böhmen. Das neue Königreich Böhmen wird von den beiden bei Jesaia prophezeihten Königen aus Mitternacht und Morgenland gegründet, und es wird selbst ein neues Israel sein, vom Himmel gekrönt. Christiana Poniatovias Vision des himmlischen Königs FriedrichAm 23. Januar 1628 hatte Christiana Poniatovia (1610-1644), eine polnische Adelige im Gefolge des Comenius, ein Gesicht: Die allerheiligste Trinität, ein Alter, der Herr und eine dritte Person, eröffnete ihr die Zukunft in Bildern. Die Seherin sah den Kaiser Ferdinand auf einem Stuhl sitzen, von einer großen Menge umgeben. Die Menschen legten ihr Gold vor ihm ab, warfen sich vor ihm nieder und küßten ihm die Füße. Er gab ihnen Blätter von Papier und befahl ihnen, davonzugehen. Auf die Frage der Seherin, wer das denn sei, antwortet der Herr: "Das ist die Hure Babylon, das wilde Tier, das sich geistliche und weltliche Hoheit anmaßt und sie seiner Gewalt unterwerfen will. Das ist der Mann, der die Welt beunruhigt, die Herrschaft verändert, den gesamten Erdkreis in Unordnung versetzt und die Nationen zwingt, ihm zu gehorchen. Das ist der Basilisk aus dem Geschlecht der Schlangen." (Lux in Tenebris II,37) Die Geduld des Herrn, berichtet die Seherin, sei zu Ende, die Welt Ferdinands solle nun die Strafe des Herrn erwarten. Dieser ruft die Mächte des Nordens und Ostens herbei, damit diese Riesen die Hochmütigen vom Throne stürzen. "Und ich sah sogleich die beiden Männer wiederkehren, die die Könige niedergeworfen hatten, und in ihrer Mitte führten sie Friederich! Als er bis zu uns kam, erblühte Friedrich, wie ein Baum erblüht, und ich rief, als ich ihn sah: Du bist der Olivenbaum der im Angesichte des Herrn ergrünt. Und der Herr sagte erneut: Sieh! Und ich sah einen schimmernden, herrlich schönen Thron, und der Herr sprach zu den Riesen: Führt ihn zum Thron und setzt ihn darauf." Wie der blaue Löwe in der Vision Kotters, so bekommt auch Friedrich seine Krone vom Herrn und den Mächten des Nordens und Ostens aufgesetzt: "Und es sprach abermals der Herr und jener Alte: 'So spricht Jehova, der die Könige der Erde einsetzt und verwirft, daß ich meinem Diener in Ewigkeit barmherzig sein werde und meinen Bund mit ihm in Treue halten werde. Meine Augen werden immer über ihm sein, meine Hand wird ihm helfen, und mein Arm wird ihm Stütze sein. Mein Erbarmen und mein Segen werden mit ihm sein, er wird meinen Ohren immer genehm sein, und seine Bitten finden Gehör.' [...] Friedrich aber stieg vom seinem Thron auf, fiel vor den drei Personen auf sein Angesicht und sprach: 'O Jehova, großer und gerechter Herr, von Dir kommt dieser Sieg, von Dir die Weisheit, Dein ist der Ruhm. Dir will ich auf ewig dienen.'" (Lux in tenebris II, S. 38f.) Diese Prophetie, die an Ps. 21,1-9 orientiert ist, erläutert aufs genaueste das heraldisch verschlüsselte Gesicht der Vision Kotters. Der Kaiser ist die Hure Babylon, die mit Hilfe der Mächte aus dem Norden und Osten, durch Schweden und Ungarn/Siebenbürgen, eventuell sogar durch die Türken gestürzt werden wird, um endlich den messianischen König Friedrich zu inthronisieren V. Gustav Adolf als eschatologischer KönigDie Rolle Schwedens im Dreißigjährigen Krieg, der Löwe aus Mitternacht zu sein, war die geistliche Legitimation der Invasion Gustav Adolfs ins Reich. Gewiß, die geistliche Interpretation entsprach der politischen Interessenlage Schwedens. Die Entscheidung der Alternative, Wallenstein an der Südküste der Ostsee als direkten Gegner zu haben oder mit der Zurückdrängung der Habsburger ein schwedisches Reich als Ostsee-Imperium zu arrondieren, war nicht schwer. Gleichwohl hat es sich Gustav Adolf nicht leicht gemacht. Er war sich darüber klar, daß eine Invasion die offene Internationalisierung des bis dato weitgehend auf das Reich beschränkten Krieges war. Aber er wurde gedrängt. Comenius war im Lager in Tilsit einer seiner geistlichen Ratgeber; dort, in Tilsit, wurden Medaillen geschlagen, die das Portrait des Königs auf der einen und den Löwen aus Mitternacht auf der anderen Seite zeigten. Und genau so sahen ihn auch die evangelischen Stände des Reichs, die, wie in Kotters Vision deutlich wurde, lieber ihren Glauben bewahren als ihr Vaterland geeint halten wollten. Die Ikonographie der Flugblätter zeigte die Beurteilung: Der Löwe beschützt die Kirche vor dem Drachen. Ein Flugblatt aus dem Jahr 1631 stellt die Situation der protestantischen Kirche in einer Vision dar, in der Morgenröte ihrer Errettung, beim Hahnenschrei der schwedischen Invasion vom 6. Juli 1630. Die Kirche steht auf den drei Säulen göttlicher Prädikate: omniscientia - auslaufend in eine Lichtsäule und gekrönt von dem Auge, das alles sieht; omnipotentia - auslaufend in eine Wolkensäule, mit der Hand, die die Weltkugel hält. Die dritte Säule ist "ein Aeschenbaum / der allen Gifft verlachet / auff den der Pelican Alls wieder lebend machet". Die Säulen der göttlichen Prädikate der Kirche haben die Bibel zum Fundament: "Verbum domini manet in aeternum". Auch wenn von den fünf Säulen der Vorhalle nur noch Stümpfe existieren, so ist ihre Basis doch unzerstörbar. Auf den abgebrochenen Säulen Österreich, Böhmen, Mähren, Augsburg und Pfalz liegt der römische Drache: Von den sieben Köpfen sind zwei unbestimmt; die andern tragen ein Jesuitenbarett, zwei einen Kardinalshut, einer eine Tiara, ein Drachenkopf hat eine Mönchstonsur. Auf der linken Seite wird die wahre Lehre auf einem Felsen dargestellt: "Abr Sieh' ein Sonnen straal im Norden schoß zuhand / Auff einen Felß / da auch die wahre Lehr sich fand." In einer Höhle am Fuße dieses Felsens der wahren Lehre liegt der schwedische Löwe, der zunächst "etwas scheu" das Schiff erwartet, das ihn in den Krieg gegen den Drachen tragen soll: "Ein Langes Gelbes Creutz mit einer blawen Fahn" [das schwedische Wappen, die Inschrift ist die, mit der der erste christliche Kaiser, Konstantin, 312 das Heidentum mit der Schlacht an der Milvischen Brücke beendete: In hoc signo vinces]. Die Symbolik dieses Flugblattes arbeitet ganz selbstverständlich mit den Endzeitmustern der Apokalypse: die wahre Lehre wird im Norden verkündet; der Löwe aus Mitternacht ist natürlich schwedisch; die zweideutige Figur des apokalyptischen Posaunenengels steuert das Invasionsschiff der heiligen Armee. Die Inschrift des schwedischen Wappensegels zeigt Gustav Adolf als in der Tradition Konstantins stehend und als den eigentlichen Erben des christlichen Kaisertums. Der apokalyptische Drache gehört seit Luther zum Standardrepertoire protestantischer Polemik gegen die Papstkirche, und dieses Symbol ist stabil. Freilich fehlen der Kirche auf diesem Flugblatt alle Zeichen des himmlischen Jerusalem und einer internen Erneuerung: Die protestantische Kirche hat mit ihrem Fundament, der Schrift, und mit ihren drei Säulen der göttlichen Prädikate Allwissenheit, Allmacht und Barmherzigkeit ihre zeitlose Konsistenz gefunden. ANMERKUNGEN - Siglenliste für LiteraturangabenAlsted 1627; Arnold 1699; Comenius 1657; Deppermann 1988 und Blekastad 1969. | |
QUELLE | | 1648: Krieg und Frieden in Europa | Bd. 1, S. 259-263 | |
PROJEKT | 1648 - Westfälischer Friede | |
DATUM AUFNAHME | 2005-10-31 | |
AUFRUFE GESAMT | 9499 | |
AUFRUFE IM MONAT | 13 | |
Seiten-URL: http://www.westfaelische-geschichte.de/tex432 | ||
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