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TITEL | 1648: Krieg und Frieden in Europa | |
ORT | Münster | |
JAHR | 1998 | |
ONLINE-TEXT | Israel, Jonathan: Der niederländisch-spanische Krieg und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (1568-1648) | |
SEITE | Bd. 1, S. 111-122 | |
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Mitte des 16. Jahrhunderts waren die gesamten niederländischen Provinzen - die heutigen Niederlande, Belgien und Luxemburg sowie ein beträchtlicher Teil Nordfrankreichs (Lille-Arras-Cambrai und Dünkirchen), jedoch nicht Lüttich, das ein unabhängiges Fürstbistum war - unter dem Habsburger Kaiser Karl V. (Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 1519-1556; König von Spanien 1516-1556) zusammengeführt worden und bildeten eine politische Einheit. Die siebzehn Provinzen der Niederlande, eines der ökonomisch fortschrittlichsten und am stärksten urbanisierten Gebiete Europas, stellten den Hauptteil eines der wichtigsten Gebiete des Kaiserreiches Karls V., das Burgundische Erbe, wozu außerdem die Franche-Comté und burgundische Ansprüche auf andere französische Gebiete gehörten. Die burgundischen Länder bildeten zusammen mit den beiden anderen Erblanden Karls V., den habsburgischen Ländern und der spanischen Krone, in der damaligen Zeit das größte Reich der Welt. Karl V. war väterlicherseits der Enkel des deutschen Kaisers Maximilian I. und Marias von Burgund, der Erbin Burgunds, und mütterlicherseits der Enkel Ferdinands und Isabellas, des Königspaars von Aragon und Kastilien. Nach dynastischem Recht war er also unbestreitbar legitimiert, die habsburgischen Niederlande - das waren alle niederländischen Provinzen außer Lüttich - zu regieren und gleichzeitig König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zu sein. Dieses unanfechtbare Recht übertrug er seinem Sohn Philipp II., der zwar nicht die habsburgischen Länder in Mitteleuropa und auch nicht den Titel Kaiser des Heiligen Römischen Reiches erbte, jedoch gleichzeitig König von Spanien (1556-1598), Herrscher der Niederlande und Herrscher der spanischen Vizekönigreiche in Italien und Amerika war. 1580 erbte Philipp II. auch die portugiesische Krone und das portugiesische Reich, die beide bis 1640 mit Spanien verbunden waren. Die habsburgischen Niederlande waren also auch im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts noch integraler Bestandteil des weiterhin größten und mächtigsten Reiches der Welt. Den allgemein anerkannten Konventionen und der herrschenden Praxis dieser Zeit zufolge war der Anspruch Philipps II. auf die Herrschaft der Niederlande unbestreitbar. Auch die niederländischen Rebellen gegen Habsburg zweifelten nie daran, daß Philipp und nach ihm sein Sohn und sein Enkel, Philipp III. (er regierte von 1598 bis 1621) und Philipp IV. (1621-1665), nach dynastischem Recht legitime Herrscher der Niederlande waren. Die unablässig wachsenden Spannungen zwischen der spanischen Krone und den niederländischen Untertanen, die in den unruhigen Jahren 1566-68 zum Ausbruch des niederländischen Aufstandes führten, hatten zwei Hauptursachen. Einerseits wuchs - vor allem seit den 1540er Jahren - der Unmut über die Politik des Königs, die königliche Verwaltung auszudehnen, die einheimischen Rechts-, Stadtverwaltungs- und Finanzbehörden mehr und mehr der königlichen Kontrolle zu unterwerfen und die Steuern zu erhöhen, um so die Niederlande zu einer funktionierenden spanischen Machtbasis umzugestalten - vor allem mit Blick auf die praktisch ununterbrochenen kriegerischen Auseinandersetzungen mit Frankreich. In den 1560er Jahren herrschte in den Niederlanden das Gefühl vor, die spanische Krone versuche, das komplexe Gefüge der im Mittelalter erworbenen Freiheiten, Privilegien und Rechte der Städte und Provinzen, das die Basis ihrer Autonomie darstellte, zu untergraben und zu zerstören. Aber wenn die Krise in den Niederlanden nicht mehr beinhaltet hätte als diesen Konflikt zwischen einer zentralistischen Monarchie und dem hartnäckigen Widerstand gegen solche Zentralisierungsbestrebungen vor allem von seiten der drei größten Provinzen, Flandern, Brabant und Holland, hätten Kompromisse gefunden und ein Ausgleich geschaffen werden können, durch die der sich nun entwickelnde gewaltige Konflikt hätte vermieden werden können. Daß es zu diesen Kompromissen nicht kam, ist dem zweiten Faktor zuzuschreiben: dem eskalierenden Glaubenskampf, in den die Niederlande seit den 1520er Jahren verwickelt waren. [1] Der Einfluß der lutherischen Reformation hatte sich in den Niederlanden zumindest in den urbanisierten niederländischsprachigen Provinzen schon früh stark bemerkbar gemacht. Aber obwohl die Reformation in den Niederlanden früh begann und ursprünglich lutherischen Charakter trug, schwand der lutherische Einfluß, als die Lehren Zwinglis, Bucers und der Wiedertäufer und später, seit den 1550er Jahren, die calvinistische Lehre sich in der niederländischen Gesellschaft verbreiteten, vor allem unter den Bürgern der Städte und in Teilen des Adels. Und während die früheren Strömungen kaum Auswirkungen auf die französischsprachigen, sogenannten wallonischen Provinzen im Süden der Niederlande hatten, faßte der Calvinismus in den 1550er Jahren auch hier Fuß. Um dieser Ausbreitung des Protestantismus zu begegnen, griff Karl V., unterstützt durch die Kirche und die juridischen Autoritäten in den Niederlanden, aber ohne nennenswerten Rückhalt bei den Städten und im Adel, zu Mitteln wie Bücherverbrennungen, Hausdurchsuchungen und bald auch Exekutionen. Die religiöse Verfolgung nahm ein im damaligen Europa - abgesehen von Spanien und Portugal - bis dahin unbekanntes Ausmaß an. Die Repressalien, die Maßnahmen der von Karl V. in den Niederlanden eingeführten Inquisition und die um die Mitte des Jahrhunderts in großem Umfang vorgenommene Konfiszierung von Eigentum erregten nicht nur die Empörung der protestantischen Sympathisanten, sondern auch großer Teile des Adels und anderer Eliten des Landes, die die mit der Verfolgung einhergehenden politischen und juridischen Neuerungen und Übergriffe mißbilligten. Folglich wandten sich, als die habsburgische Regierung 1566 zeitweilig die Kontrolle über das Land verlor, protestantische Gruppen zumeist in Flugblättern und Pamphleten offen gegen die königliche Politik. Als in Flandern, Brabant, Seeland und Holland der Bildersturm ausbrach - eine Welle von Angriffen auf Kirchenaltäre, Gemälde, Plastiken und Meßgewänder - und in Antwerpen, der damals größten niederländischen Stadt, alle 42 Kirchen geplündert wurden, unternahm man kaum Versuche, die Bilderstürmer aufzuhalten. Allgemein konnte man, außer in einigen französischsprachigen Provinzen, insbesondere in Lille, in den Niederlanden wenig von dem militanten Volkskatholizismus spüren, wie er zu dieser Zeit in Frankreich zu finden war. Es trifft sicherlich zu, daß in den frühen Stadien des Aufstandes gegen Spanien nur eine Minderheit der niederländischen Bevölkerung aktiv protestantisch war. Aber es trifft ebenso zu, daß die Bindung der Bevölkerung an die katholische Kirche generell eher schwach war und daß der kompromißlose, doktrinäre Katholizismus, wie er von der beginnenden Gegenreformation in Europa propagiert wurde, zu dieser Zeit eher die Religion der staatlichen und kirchlichen Würdenträger war als die der niederländischen Bevölkerung. Philipp II. beantwortete den Angriff auf seine Autorität und auf die katholische Kirche mit großer Entschiedenheit. Obwohl Spanien Ende der 1560er Jahre in einen zermürbenden Krieg mit den Türken in Nordafrika und generell im Mittelmeer verwickelt war und trotz der hohen Kosten des See- und Landkrieges im Süden beschloß Philipp, eine mächtige Armee unter dem Befehl des Herzogs von Alba in die Niederlande zu schicken, um diese zu einer demütigeren Haltung zu zwingen. [2] Trotz oder vielleicht gerade wegen der offensichtlichen Schwäche der spanischen Autorität in den Niederlanden ließ der König sich zu der harten Linie Albas überreden und griff zu drastischen Mitteln. Es war allerdings klar, daß die Kosten für zwei große Armeen, eine im Süden und eine in den Niederlanden, nicht lange aufgebracht werden konnten. Daher erschienen wohl durchgreifende Maßnahmen, um den gesamten Widerstand rasch zu brechen, als der einzig realistische Weg. Alba marschierte mit 10.000 spanischen und italienischen Soldaten von Genua und Mailand nach Norden und kam im August 1567 an. Seine Härte in den Niederlanden hatte zweifellos eine spektakuläre Wirkung, und zwar keinesfalls nur in den Niederlanden. In den Jahren 1567-72 wurden insgesamt 8.950 Personen aus allen sozialen Schichten wegen Verrats oder Abtrünnigkeit oder wegen beider Vergehen angeklagt und verurteilt, und mehr als tausend der Verurteilten wurden öffentlich hingerichtet, in vielen Fällen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. [3] Viele adlige und bürgerliche Wohnsitze wurden durchsucht und geplündert, auch verschiedene Residenzen Wilhelms von Oranien (1533-1584), dem reichsten und bedeutendsten Edelmann der Niederlande. Sowohl im Escorial als auch von den königlichen Beamten in Brüssel wurde er, obwohl er noch nicht gegen den König zu den Waffen gegriffen hatte, als Führer der Opposition gegen die königliche Politik und als potentieller Schirmherr der Protestanten angesehen. Um der Verfolgung zu entgehen, verließen viele politische und religiöse Flüchtlinge das Land, vor allem im Frühjahr und Sommer des Jahres 1567 sowie im Winter 1567/68. Viele flüchteten nach England. Die meisten aber ließen sich zeitweilig oder in einigen Fällen auch für immer in Emden, Köln, Hamburg, Bremen, Frankfurt und anderen Städten Nordwestdeutschlands nieder. Eine nicht unbedeutende Anzahl emigrierte nach Dänemark und in das Baltikum. Die Mehrheit dieser ungefähr 60.000 Flüchtlinge waren nichtlutherische Protestanten, hauptsächlich Calvinisten, außerdem Mennoniten, Spiritualisten und andere. Dieser dramatische Exodus von Adligen, hohen Beamten und anderen Personen von hohem Rang verstärkte einerseits die Reformation in Nordwestdeutschland, einem Gebiet, in dem viele geistliche Fürsten im Bündnis mit Spanien die alte Kirche mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigten; andererseits trugen die protestantischen Flüchtlinge aus den Niederlanden auch in hohem Maße zur Zersplitterung des Protestantismus am Niederrhein und in Westfalen bei. [4] In Städten wie Hamburg und Frankfurt wuchs die calvinistische Minderheit durch die niederländische Immigration zu einer mächtigen Gruppe an. Albas Schreckensherrschaft schüchterte die niederländische Bevölkerung eine Zeitlang gründlich ein und hatte die gleiche Wirkung auf die Fürsten und Stadtregierungen am Niederrhein und in Westfalen. Gleichzeitig schuf sie jedoch auch ein großes Flüchtlingsreservoir in der Nähe der niederländischen Grenze. Die Exilniederländer konnten ihre Heimat und ihre konfiszierten Güter nur durch den Kampf gegen die spanische Herrschaft in den Niederlanden zurückgewinnen und gründeten zu diesem Zweck eine politisch-religiöse Befreiungsbewegung. Die zwei herausragenden deutschen Fürsten am Niederrhein waren zu dieser Zeit der Erzbischof von Köln und Herzog Wilhelm, der ein halbes Jahrhundert lang (1539-1592) die drei Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg und außerdem die Grafschaften Mark, Ravensberg und Ravenstein regierte. War Herzog Wilhelm zu Beginn seiner Regierung noch Lutheraner gewesen und den Habsburgern feindlich gesonnen, änderte sich seine Haltung mit der Ankunft Albas, und er bekannte sich nun zum Katholizismus. [5] Trotzdem verdächtigten die Beamten in Brüssel ihn nicht nur der Sympathien, sondern auch der aktiven Unterstützung Wilhelms von Oranien. Dieser war kurz vor der Ankunft Albas in den Niederlanden nach Dillenburg geflüchtet. 1568 begann er den bewaffneten Aufstand gegen Philipp II. und stellte sich an die Spitze der Befreiungsbewegung im Exil. Er konnte auf die Unterstützung seiner Verwandten und die finanziellen Mittel des kleinen calvinistischen Staates Nassau-Dillenburg, seines Familiensitzes in Deutschland, rechnen. Es waren aber vor allem die vielen niederländischen Exulanten und die lutherischen und kryptolutherischen Fürsten Deutschlands, die ihm ausreichende Mittel und damit genügend Soldaten für einen Angriff verschafften, der eine ernstzunehmende Herausforderung für die spanische Regierung in den Niederlanden darstellte. Der Angriff wurde sowohl zu Wasser, von Emden aus, als auch zu Land, von Nordwestdeutschland aus, gestartet. 1572 brach in großen Teilen der Niederlande der offene Aufstand gegen Albas hartes Vorgehen, die ständigen Steuererhöhungen (den Zehnten) und die Mißachtung der konstitutionellen Privilegien der Provinzen und Städte aus. Der Aufstand von 1572 war teilweise spontan und teilweise durch die Invasion der Rebellen in Gang gesetzt worden; die Wassergeusen kamen vom Meer aus, das Heer kam aus Deutschland und aus Frankreich. Zu Anfang sah es so aus, als würde das spanische Regime geschlagen. Aber Alba war ein erfahrener und tüchtiger Feldherr, der seine Truppen mit maximaler Wirkung einzusetzen verstand und geneigt war, strategisch gezielten Terror auszuüben, um ganze Regionen in Schrecken und Angst zu versetzen. Nach wenigen Monaten und verschiedenen entsetzlichen Blutbädern - insbesondere in Mechelen (September 1572), Zutphen (14. November 1572) und Naarden, wo die Spanier praktisch alle Einwohner, Männer, Frauen und Kinder, ermordeten (2.Dezember 1572) - war der größte Teil der Niederlande vollständig unterworfen und befriedet. Die Städte Hollands und Seelands leisteten jedoch weiterhin hartnäckigen Widerstand - mit Ausnahme von Middelburg und Amsterdam, wo royalistische, prokatholische Stadtregierungen zum König hielten, in Amsterdam bis 1578. Die Grausamkeit des religiösen Konfliktes und die Gewißheit, daß ihnen ein furchtbares Schicksal drohte, wenn sie in die Hände Albas fielen, bestärkten die Rebellen in ihrer Hartnäckigkeit. So gelang es Alba nicht, den Aufstand in den Jahren 1572/73 niederzuschlagen. Trotzdem konnten Philipp und seine Anhänger die ganze Zeit über mit einigem Recht den endgültigen Sieg Albas über die Rebellen erwarten - bis zur berühmten Belagerung von Leiden im Jahre 1574. Monatelang blieb die Belagerung unentschieden. Erst im letzten Augenblick gelang es Wilhelm von Oranien, durch Überschwemmung der Umgebung Leidens die Spanier zum Rückzug zu zwingen und die Stadt zu entsetzen. Diese entscheidende Niederlage führte dazu, daß die Spanier Südholland aufgaben und sich auf ihre Stützpunkte in Haarlem, Amsterdam und Utrecht zurückzogen, wenn auch mit der Absicht, zurückzukommen - wie sie selbst, die Royalisten und die katholischen Anhänger hofften und erwarteten. Der Entsatz von Leiden im Jahre 1574 und die inzwischen chronische Zwangslage der königlichen Finanzen bedeuteten, daß es keine schnelle Lösung des Konfliktes zugunsten Spaniens geben würde. Im Gegenteil, in den Jahren 1574-76 verschlechterte sich die finanzielle und politische Lage der spanischen Krone in den Niederlanden so weit, daß die Soldaten - Deutsche und Wallonen und auch Spanier und Italiener - meuterten, weil kein Sold ausbezahlt wurde, und die Armee sich langsam auflöste. Das führte zum praktischen Zusammenbruch der spanischen Regierung in den meisten niederländischen Provinzen. Im November 1576 überfiel eine Horde meuternder Soldaten Antwerpen, die größte und reichste Stadt der Niederlande, metzelte Tausende von Einwohnern nieder, plünderte und zerstörte einen Teil der Stadt. Um ihren Städten ein ähnliches Schicksal zu ersparen, unterzeichneten der Adel und die Stadtregierungen in den meisten Provinzen einen Vertrag, der bekannt wurde als die "Pazifikation von Gent" (November 1576). Darin vereinbarte man, politisch und militärisch mit den beiden Rebellenprovinzen Holland und Seeland, die bereits seit 1572 gegen den König kämpften, mit dem Ziel zu kooperieren, das spanische Militär zu vertreiben und den Krieg zu beenden. Über die endgültigen politischen Ziele oder das dornige Religionsproblem wurde jedoch zwischen den beiden aufständischen und den anderen niederländischen Provinzen, die zwischen 1572 und 1576 unter spanischer Herrschaft gestanden hatten, nichts vereinbart. Von 1576 bis zur spanischen Wiedereroberung Antwerpens im Jahre 1585 gab es in den Niederlanden faktisch drei politische Gruppierungen, die jeweils eine andere politische Lösung des Konfliktes anstrebten. [6] Erstens gab es das königstreue Gebiet im Süden - hauptsächlich Luxemburg und Namur -, das unter spanischer Herrschaft und Spanien gegenüber loyal geblieben war, als die anderen Provinzen die Pazifikation von Gent unterschrieben. Zweitens gab es das im Jahre 1572 in Holland und Seeland errichtete Rebellenregime unter Leitung Wilhelms von Oranien, das den König mit aller Macht zur Aufgabe eines großen Teils seiner Macht in den Niederlanden zwingen wollte, offiziell calvinistisch war und seit 1573 die katholische Religionsausübung verboten hatte. Aber zwischen diesen beiden Extremen stand eine mittlere Gruppe, die zu Anfang in den meisten, auch in den beiden größten und volkreichsten Provinzen Flandern und Brabant sowie in den wallonischen Provinzen die Mehrheit hatte. Diese Gruppe wollte zweifellos ebenfalls eine Einschränkung der spanischen Macht und den Abzug des spanischen Militärs erreichen; gleichzeitig wollte sie aber auch so schnell wie möglich zu einem befriedigenden Kompromiß mit dem König kommen und war - teilweise aus diesem Grunde - entschlossen, die Vorrangstellung der katholischen Kirche aufrechtzuerhalten und die öffentliche Ausübung der calvinistischen, lutherischen oder irgendeiner anderen protestantischen Religion zu verbieten. Die unvermeidliche Folge dieser Differenzen war, daß sich zusätzlich zu den fortdauernden Kriegshandlungen zwischen den beiden Gruppen aufständischer Provinzen auf der einen und den Spaniern und den königstreuen Provinzen auf der anderen Seite ein erbitterter politisch-religiöser Dreieckskampf entspann. In diesem Streit eroberten revolutionäre calvinistische Gruppen, die mit Wilhelm von Oranien und den Provinzen Holland und Seeland verbündet waren, erst die Städte Gent, Brügge und später Brüssel und Antwerpen. Dadurch verloren sie freilich die Unterstützung des größten Teils des Adels und der Patrizierschicht Flanderns sowie Brabants. Wilhelm von Oranien kalkulierte, daß die Unterstützung von seiten des Adels und des Patriziats im Süden für den Kampf wichtiger war als die Ausbreitung des calvinistischen Glaubens, und wandte sich schnell gegen diese radikalen Calvinisten in den südlichen Städten. Er machte die Situation dadurch noch komplizierter und verworrener, als sie bereits war. [7] Der Prinz fand sich in einem unlösbaren Zwiespalt: Im Süden versuchte er, eine Politik des "Religionsfriedens" zu verfolgen, die Calvinisten zu zügeln und die öffentliche Ausübung des katholischen Glaubens zu gewährleisten; im Norden leitete er ein Regime, das die ausschließliche Herrschaft des Calvinismus aufrechterhielt und den Katholizismus verbot. Die Ausbreitung und Vertiefung des Konfliktes in den Niederlanden hatte unvermeidlich Auswirkungen auf die religiösen und politischen Konflikte im benachbarten Nordwestdeutschland. Die zahlreichen weltlichen und geistlichen Territorien in dieser Region bildeten zusammen mit dem Elsaß, Lothringen und der Franche-Comté ein riesiges Machtvakuum, das in der gesamten frühen Neuzeit ständig entweder von Frankreich oder Spanien (nach 1700 ersetzt durch Österreich) bzw. von beiden beherrscht war. Zu diesem Zeitpunkt waren Frankreich jedoch durch seine eigenen Religionskriege die Hände gebunden, während Spanien teilweise durch seine chronisch schlechte Finanzlage und den sich ausbreitenden Aufstand in den Niederlanden gelähmt war. Seit den 1550er Jahren war Nordwestdeutschland die Bühne für einen eskalierenden und stets unerbittlicher werdenden Dreieckskampf zwischen Katholiken, Lutheranern und Calvinisten gewesen. Mit dem verschärften Kampf in den Niederlanden intensivierte sich auch der Kampf um die Vorherrschaft am Niederrhein und in Westfalen. Obwohl eine Einmischung in die deutschen Angelegenheiten zu diesem Zeitpunkt nahezu unmöglich war, konnte Spanien sich aufgrund der engen Verwobenheit des spanischen Hofes mit dem Reich in diesem Konflikt keine Passivität erlauben. Als in den frühen 1580er Jahren die Spanier im Süden der Niederlande wieder an Boden gewannen und die mittlere Gruppe der niederländischen Politik mehr und mehr zwischen den spanischen Erfolgen im Süden und den protestantischen Eroberungen im Norden und in der Mitte des Landes zerrieben wurde, geriet der Kampf in Nordwestdeutschland ebenfalls in seine entscheidende Phase. Seit den 1550er Jahren war die Position der geistlichen Territorien am Niederrhein und in Westfalen - Köln, Münster, Osnabrück und Paderborn - durch die schwindende Anhängerschaft der katholischen Kirche, zumindest in den Städten, und den Zuwachs an Lutheranern und Calvinisten geschwächt worden. Es war vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis einer der geistlichen Fürsten in Versuchung geraten würde, dem katholischen Glauben abzuschwören und mit protestantischer Hilfe eine neue dynastische und politische Einheit zu schaffen. Dies geschah 1582, als der Erzbischof von Köln, Gebhard Truchseß von Waldburg, dem Papst die Treue aufkündigte, seine Bekehrung zum Protestantismus verkündete und mit Hilfe der niederländischen Rebellen versuchte, in seinem Kurfürstentum die Reformation durchzusetzen. Im April 1583 setzte der Papst ihn ab und machte so den Weg frei für die Wahl des neuen Erzbischofs, Ernst von Bayern. In dem darauf folgenden Kölner Krieg (1583-1589) hatten zuerst die Protestanten die Oberhand, aber im Januar 1584 wandelte sich das Kriegsglück, als eine Gruppe Adliger, unterstützt von spanischen Truppen, die Stadt und kurfürstliche Residenz Bonn in Besitz nahm. In den folgenden Monaten eroberte Erzbischof Ernst den größten Teil des Kurfürstentums, und im Jahre 1585 sicherte er sich auch die Wahl zum Fürstbischof von Münster, dem größten und strategisch wichtigsten der geistlichen Territorien Westfalens. Der doppelte Sieg Ernsts in Köln und Münster kennzeichnete den tatsächlichen Beginn der Gegenreformation am Niederrhein und in Westfalen, das langsame Abebben der protestantischen Welle und die Gegenoffensive eines ständig selbstbewußter und kraftvoller werdenden Katholizismus. Dieser erhielt kräftige Impulse von den neuen, sich sprunghaft vermehrenden Jesuitenkollegien, in denen die Söhne des Adels, der Beamten und der reichen Kaufleute erzogen wurden. Es muß darauf hingewiesen werden, daß Ernst von Bayern nicht zufällig seinen doppelten Sieg in Nordwestdeutschland zur der Zeit errang, als in den Jahren 1584/85 der Herzog von Parma Flandern und Brabant im Namen Philipps II. triumphierend zurückeroberte. Beide Ereignisse waren politisch, strategisch und logistisch aufs engste miteinander verbunden. Der Erfolg Alexander Farneses, des Herzogs von Parma, gipfelte in der Wiedereroberung Antwerpens für Spanien im Jahre 1585. Als die Stadt fiel, bemannte Parma die Zitadelle mit kastilischen Elitetruppen. Protestanten, die sich der Rückkehr zum Katholizismus verweigerten, mußten ihre Güter verkaufen und die Stadt verlassen. Tausende emigrierten, die meisten nach Holland und Seeland, eine beträchtliche Anzahl ließ sich aber auch in nordwestdeutschen Städten nieder. Doch nach Antwerpen kam die spanische Gegenoffensive zum Stillstand, obwohl Parma auch noch Nimwegen, Deventer und Zutphen einnahm. Der größte Teil des Territoriums der sieben Provinzen, die sich 1579 in der Union von Utrecht zu einem engeren Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen hatten, blieb in Händen der Aufständischen. Ebensowenig waren die geistlichen Fürsten und ihre Verbündeten in der Lage, in Nordwestdeutschland einen endgültigen Sieg zu erringen. Spanische Truppen eroberten im Juli 1587 die Stadt Neuss für den Kurfürsten und metzelten die dort ansässigen Protestanten nieder, im Dezember aber stürmte eine von den Niederländern unterstützte protestantische Truppe erfolgreich Bonn. Im März 1588, als die "unüberwindliche Armada" sich auf ihre Fahrt von La Coruña und Lissabon nach England vorbereitete, umzingelte eine spanische Division auf Befehl Farneses die Stadt Bonn und zwang sie nach sechsmonatiger Belagerung zur Übergabe. Im September 1589 schickte Farnese eine weitere Armee zur Belagerung der wichtigen Rheinfestung Rheinberg im Norden des Kurfürstentums Köln. Die Stadt war vorwiegend protestantisch und beherbergte eine ausgehungerte niederländische Garnison, die sich im Februar 1590 ergab. Danach stationierten die Spanier ihre eigenen Truppen in der Festung, wodurch diese Stadt die erste in einem von der spanischen Krone seit 1590 aufgebauten Netz von spanischen Garnisonen auf dem Boden des Reiches war. [8] Sie dienten zur Sicherung der prekären Vorherrschaft, die die Spanier seit der Mitte der 1580er Jahre in Nordwestdeutschland erworben hatten und die sie bis 1630 aufrechterhalten konnten. Was den spanischen Vorstoß in den Niederlanden nach 1585 zum Stillstand brachte - endgültig, wie sich später herausstellte, - war das Ergebnis einer Reihe von Faktoren: die zunehmende Konsolidierung und Spannkraft des sieben Provinzen umfassenden niederländischen Rebellenstaates, das große ökonomische Wachstum und nicht zuletzt der immer beeindruckendere Ring von technisch hochentwickelten Festungen, den die neue niederländische Regierung nach der Ermordung Wilhelms von Oranien durch einen fanatischen Katholiken zum Schutz des jungen Rebellenstaates gegen die spanisch besetzten Gebiete im Süden und Osten anlegen ließ. Dieser massive Verteidigungsring verlief von Sluis an der Scheldemündung im Süden die großen Flüsse entlang, folgte der IJssel, lief dann bis Coevorden in Drenthe und weiter nach Norden bis Delfzijl an der Emsmündung. Die allgemeine strategische Lage der niederländischen Rebellen und auch der protestantischen Fraktion in Nordwestdeutschland verbesserte sich schlagartig im Jahre 1590, als Philipp II. beschloß, die spanische Armee aus Flandern abzuziehen und im Bürgerkrieg in Frankreich einzusetzen. Dort war die katholische Liga jetzt in der Defensive, und es sah so aus, als ob Heinrich IV. - zu diesem Zeitpunkt noch protestantisch - König von Frankreich, vor allem aber der erste protestantische König von Frankreich werden würde. Philipp wollte beides um jeden Preis verhindern. Der Preis für Spaniens Intervention in Frankreich in den Jahren 1590-98, bis zum Frieden von Vervins (1598), war, daß die spanischen Streitkräfte in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland ihren Feinden im Norden den Rücken kehren und alle Aufmerksamkeit und Energie auf Frankreich konzentrieren mußten. Die daraufhin unvermeidliche Vernachlässigung der Garnisonen entlang und nördlich der großen Flüsse und auch am Niederrhein verschaffte dem jungen niederländischen Staat - jetzt unter der Leitung Johans von Oldenbarnevelt (1547-1619) in seiner Eigenschaft als Ratspensionär von Holland - und der antispanischen Fraktion am Niederrhein und in Westfalen die günstige Gelegenheit, auf Kosten der Spanier und der Katholiken Boden zu gewinnen. Die niederländische Offensive von 1591 unter Leitung von Moritz von Nassau (Statthalter von 1585-1625) vertrieb die Spanier in schneller Folge aus Zutphen, Deventer und Nimwegen und festigte den niederländischen Zugriff auf das Südufer der Emsmündung. 1594 eroberten die Niederländer die Stadt Groningen, den letzten Stützpunkt der Spanier in den nordwestlichen Niederlanden. In seiner zweiten großen Offensive im Jahre 1597 versuchte Moritz die Spanier an der Ostgrenze der Republik und aus Nordwestdeutschland zu vertreiben, zumindest nördlich des Rheins. Er erreichte beide Ziele und feierte einen großartigen Triumph. Am 10. August 1597 erschien Moritz mit 8.200 Soldaten und einer eindrucksvollen Artillerie, die auf einer Flotte niederländischer Kähne von Holland aus den Rhein aufwärts geschleppt worden war, vor der Festung Rheinberg. [9] Bereits nach zehntägiger, so heftig noch nie erlebter Beschießung ergab sich die erfahrene, aber erschöpfte spanische Garnison. Nachdem er durch die Eroberung dieses spanischen Brückenkopfes am Rhein seinen Rücken gedeckt hatte, eroberte Moritz schnell nacheinander Groenlo, Oldenzaal, Enschede, Bredevoort und die zweitwichtigste spanische Garnisonstadt im Reich, die Stadt Lingen. Nachdem der französisch-spanische Krieg von 1590 bis 1598 vorbei war, konnten Philipp III., der neue König von Spanien, und die neuen habsburgischen Herrscher der katholischen Niederlande - Erzherzog Albrecht von Österreich und seine Frau Isabella Clara Eugenia, älteste Tochter Philipps II., der er auf seinem Sterbebett die Niederlande zugewiesen hatte - sich ernsthaft der Wiederherstellung der spanischen Hegemonie in den nordöstlichen Niederlanden, in Westfalen und am Niederrhein widmen. Aber es dauerte einige Jahre, bevor die Herrschaft der Erzherzöge in den südlichen Niederlanden ausreichend konsolidiert war. Ostende, die letzte große niederländische Bastion in Flandern, konnte eingenommen, die spanischen Finanzen saniert und die Flandrische Armee soweit wiederaufgebaut werden, daß das gesetzte Ziel erreicht werden konnte. Im Jahre 1605 waren die Umstände günstig, und der brillante neue Feldherr der Flandrische Armee, Ambrogio Spínola (1569-1630) leitete in den Sommern der Jahre 1605 und 1606 zwei Feldzüge ein, die die spanische Herrschaft am Niederrhein und im westlichen Westfalen wiederherstellten. 1605 eroberte Spínola Oldenzaal und Lingen, die bedeutende Festungsstadt an der Ems. 1606 gewann er Groenlo, Bredevoort und, nach heftiger Beschießung, Rheinberg zurück, das so oft den Besitzer gewechselt hatte, daß Spínola es eine "Kriegshure" nannte. Doch im Jahre 1606 beschlossen Philipp III. und sein Günstling, der Herzog von Lerma, den langen spanischen Kampf mit den Niederlanden und den benachbarten deutschen Gebieten zu beenden, zum Teil wegen erneuter Finanzprobleme, zum Teil, weil sie die Ressourcen des spanischen Reiches anderswo einsetzen wollten. Es wurden geheime Verhandlungen geführt, die im April 1609 mit der Unterzeichnung des zwölfjährigen Waffenstillstandes (1609-1621) endeten. In den Überlegungen Philipps und Lermas spielte der kürzlich errungene Erfolg der Niederländer in Ostindien eine große Rolle. Die Niederländer hatten 1605 Amboina und zwei andere "Gewürzinseln", Ternate und Tidore, von den Portugiesen erobert, die seit 1580 Untertanen der spanischen Krone waren. Es war deutlich, daß Spanien der Flotte, die die holländische Ostindische Kompanie (VOC) seit 1602 in den asiatischen Gewässern aufgebaut hatte, nicht gewachsen war. Als der einfachste Weg, die niederländische Expansion in Ostindien aufzuhalten und die verlorenen Stützpunkte des portugiesischen Weltreiches zurückzuerobern, schien eine Abmachung zwischen den Rebellen und der spanischen Krone, der zufolge die spanische Krone die rebellischen Provinzen als "freie Provinzen" anerkennen würde, über die der König nichts mehr zu bestimmen hätte, die Niederländer aber im Gegenzug auf ihre Ansprüche in Ostasien verzichten und die Seefahrt nach Ost- und Westindien gleichermaßen aufgeben würden. [10] Philipp III. und Lerma waren zu einem vollständigen und endgültigen Friedensschluß bereit, falls die Niederländer auf dieses Angebot eingingen. Die niederländische Weigerung, die VOC aufzulösen und von der geplanten Gründung der Westindischen Kompanie abzusehen - wozu Oldenbarnevelt durchaus bereit war -, bedeutete, daß es keinen Frieden geben würde. Schließlich war der Kunstgriff eines zwölfjährigen Waffenstillstandes für beide Seiten annehmbar. Der Waffenstillstand aber, von dem Lerma und vielleicht auch Oldenbarnevelt gehofft hatten, daß er zu einem endgültigen Friedensschluß führen würde, erwies sich als nicht tragfähig. Auf jedem Schauplatz, in Ostindien, Westafrika und in der Karibik wie auch in den Niederlanden und Nordwestdeutschland nahmen die Spannungen zwischen Niederländern und Spaniern schnell wieder zu. Die wechselseitige Abhängigkeit der Situation in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland zeigte sich nie deutlicher als während des zwölfjährigen Waffenstillstandes. Als der Herzog von Jülich-Kleve im Jahre 1609 ohne Erben starb, entflammte eine internationale Krise wegen der unklaren Erbfolge. Die Frage, wer die Nachfolge in den drei Herzogtümern und den drei Grafschaften antreten sollte, wurde nicht nur in Nordwestdeutschland und den Niederlanden, sondern auch im übrigen Europa strategisch, politisch und vom religiösen Standpunkt aus als entscheidend angesehen. Der verstorbene Herzog war spanienfreundlich und katholisch gewesen, die beide rivalisierenden Bewerber um die Nachfolge aber, der Kurfürst von Brandenburg und der Herzog von Neuburg, waren zu diesem Zeitpunkt Lutheraner. Daher widersetzte sich Spanien beiden Ansprüchen und stützte anfänglich die Politik des Kaisers, der einen Reichsverweser einsetzen wollte, bis alle Aspekte der Frage gründlich untersucht seien und er entscheiden könne, wie den Ansprüchen aller Beteiligten gerecht zu werden sei. Der französische König, Heinrich IV., akzeptierte diese Lösung nicht und marschierte zusammen mit den Niederländern, unterstützt auch durch den vorwiegend protestantischen Adel und den Städte in Jülich, Berg und Mark, in Jülich ein, dem einzigen Herzogtum, dessen Adel Spanien, den Kaiser und den Reichsverweser unterstützte. Im September 1610 ergab sich die stark befestigte Stadt Jülich der vereinten französisch-niederländischen Armee. Aber die Ermordung Heinrichs IV. im Mai 1610 führte dazu, daß die Franzosen schnell wieder von der Bildfläche verschwanden und die Niederländer allein Jülich besetzt hielten. Der Abzug der Franzosen vom Schauplatz ermutigte die Spanier, am Niederrhein aktiver zu werden und ihre Vorherrschaft wieder zu festigen, obwohl Lerma und die Erzherzöge sehr vorsichtig blieben. Nachdem Spínola und die Erzherzöge in den Jahren 1609/10 ausmanövriert worden waren, wollten sie schnell und kraftvoll eingreifen, als der Erbfolgestreit im Jahre 1614 wieder ausbrach. In der Zwischenzeit waren die Herzogtümer zwischen den beiden rivalisierenden Bewerbern aufgeteilt worden, was die verdeckten Spannungen aber keineswegs verminderte. Diese wurden wieder intensiver, als der Kurfürst von Brandenburg und sein Hof im Jahre 1613 zum Calvinismus übertraten und sich den Niederländern annäherten, während sein Rivale, Wolfgang Wilhelm von Neuburg, nachdem er eine Schwester des Herzogs von Bayern geheiratet hatte und zum Katholizismus konvertiert war, sich dem Kaiser und Spanien annäherte. Die neue Krise kam zum Ausbruch, als Neuburg mit Hilfe einiger spanischer Offiziere Düsseldorf, die Hauptstadt des Herzogtums Berg, eroberte und die Beamten und Truppen des Kurfürsten aus der Stadt vertrieb. Es drohte Krieg. Zu diesem Zeitpunkt erschien Spínola an der Spitze einer mächtigen spanischen Armee von 22.500 Mann, stürzte die calvinistische Stadtregierung von Aachen [11], ersetzte sie durch eine katholische und versetzte das gesamte deutsche Niederrheingebiet in Schrecken. Er besetzte Düren und eine Reihe anderer Städte und Dörfer in Jülich und Berg, verstärkte die spanische Garnison in Düsseldorf, marschierte in Kleve ein und eroberte Duisburg, Orsoy und schließlich Wesel, die Schlüsselfestung am Rhein. Wesel, damals eine Stadt von 6.000 Einwohnern, war seit 70 Jahren vorwiegend protestantisch gewesen und eines der calvinistischen Zentren in Deutschland. Um das spanische Publikum zu beeindrucken, beschrieb ein zeitgenössisches spanisches Nachrichtenblatt, das in Sevilla erschien, Wesel "noch viel schlimmer als Genf". Spinola quartierte 1.200 Soldaten, davon ca. 1.000 Spanier, in der Stadt ein und ernannte einen kastilischen Offizier zum neuen militärischen Gouverneur der Stadt. Spanien besaß nun ein weites Netz von Garnisonen am Niederrhein, und von 1614 bis 1629 waren spanische Truppen auf Reichstterritorium in Dutzenden kleiner Städte und Dörfer stationiert, ebenso wie in einigen großen Festungsstädten, von denen Wesel, Rheinberg und Lingen die wichtigsten waren. [12] Der Achtzigjährige Krieg zwischen Spanien und den Niederländern wurde nach dem Ende des zwölfjährigen Waffenstillstands im April 1621 wiederaufgenommen. Inzwischen war - drei Jahre vorher - in Böhmen der Dreißigjährige Krieg ausgebrochen. Kaiser Ferdinand II. hatte mit Hilfe Spaniens eine Offensive zur Unterdrückung des antihabsburgischen, vorwiegend calvinistischen und von den Niederländern unterstützten Aufstandes in Böhmen und Mähren eingeleitet. Von Anfang an waren die Konflikte im Heiligen Römischen Reich und in den Niederlanden unentwirrbar miteinander verknüpft. Für den holländischen Statthalter, Prinz Moritz, war der deutsche Krieg vor allem ein politisch-strategisches Instrument, das nützlich war, um die spanischen Streitkräfte und Mittel von den Niederlanden abzulenken und im Sumpf des deutschen Kampfes zu binden. Gleichzeitig war es für die Niederländer jedoch lebenswichtig, daß die antihabsburgischen Elemente im Reich durch den Kaiser und Spanien nicht vollständig geschlagen wurden. Denn wenn sich im Ergebnis die habsburgische Hegemonie über ganz Deutschland erstrecken würde, so wären die Vereinigten Provinzen von Spanien und dem Kaiser umklammert, womit sich ihre strategische Position gravierend verschlechtern würde. Bis zu seinem Tod im Jahre 1625 war Prinz Moritz faktisch der wichtigste Bündnispartner der antihabsburgischen Fraktion im Reich und vor allem Friedrichs V. von der Pfalz. Seit dem Sturz Oldenbarnevelts im Jahre 1618 konnte Moritz die auswärtige Politik der niederländischen Republik praktisch nach eigenem Ermessen gestalten. Er war zwar der Onkel Friedrichs V., dessen Mutter, Louise Juliana, die Tochter Wilhelms von Oranien aus dessen dritter Ehe mit Charlotte von Bourbon war. Aber die Familienbande waren nicht besonders eng, da Moritz nicht dieselbe Mutter hatte wie Louise Juliana, sondern der Sohn aus Wilhelms zweiter Ehe mit Anna von Sachsen war. Es waren also eher ernsthafte politische Erwägungen, die Moritz, in weit stärkerem Maße als Friedrichs Schwiegervater, den friedliebenden König James I. von England, dazu brachten - oft geheim und hinter den Kulissen -, den Angriff auf die Habsburger in Böhmen zu stimulieren und zu unterstützen. Als Friedrich den Krieg in Böhmen vorzeitig aufgab und seine Hauptstadt und Lande verließ, war es selbstverständlich, daß er, seine Frau, "Königin" Elisabeth von Böhmen, und sein Hof, an den calvinistischen Hof des niederländischen Statthalters in Den Haag fliehen und sich dort niederlassen würden. Ähnlich stellte der Kampf im Reich und der wiederaufgenommene Krieg in den Niederlanden für den spanischen Hof zwei Seiten einer unendlich schwierigen politisch-militärischen Schachpartie dar. Anfang der 1620er Jahre war es keineswegs die spanische Strategie, in das Kerngebiet der niederländischen Republik einzumarschieren und das Land einzunehmen. Angesichts der damaligen Kriegslage und der Tatsache, daß die Niederländer eine wesentlich stärkere Festungslinie besaßen als irgendein Gebiet im Reich, waren die leitenden Minister Philipps IV. - erst Don Balthasar de Zúñiga (gestorben 1622) und später der Conde Duque de Olivares, beide bekannt als feurige Befürworter der Zusammenarbeit zwischen Madrid und Wien - der Ansicht, daß es einfach unrealistisch und zu kostspielig sei, die niederländischen Verteidigungslinien zu durchbrechen und die sieben Provinzen zu erobern. Ihr Ziel war nicht die Wiedervereinigung der nördlichen Niederlande mit dem spanischen Reich, sondern vielmehr eine bedeutende Schwächung der niederländischen Republik. Durch den starken Druck einer riesigen spanischen Armee auf die niederländischen Verteidigungslinien und die Umkehrung der Rollen in Deutschland sollte die Niederländische Republik so sehr in die Enge getrieben werden - militärisch, ökonomisch und politisch -, daß sie gezwungen wäre, ihre Unterstützung der Feinde Habsburgs in Europa und ihre koloniale Expansion aufzugeben und die Ost- sowie Westindische Kompanie aufzulösen. Die Schwächung der Niederländer hatte das Ziel, den Weg zur ungehinderten Vorherrschaft Spaniens und Portugals in Amerika, Afrika und Asien frei zu machen und Spaniens strategische Hauptbasis in Nordeuropa, die südlichen Niederlande, zu konsolidieren. Dem Kaiser im Reich und in Böhmen zum Sieg zu verhelfen, war ein Weg, die spanische Hegemonie in Europa glanzvoll wiederherzustellen und dauerhaft zu sichern, durch einen Sieg über den internationalen Calvinismus, einen Bund mit Frankreich und einer Umklammerung der Niederländer. Ein Nebenprodukt dieser enormen Veränderungen wäre, so hoffte man in Madrid, die kommerzielle und finanzielle Wiederbelebung Antwerpens und der gesamten Spanischen Niederlande durch eine Umlenkung des Handels weg von Amsterdam. Infolge dieser Strategie wurde die Flandrische Armee in den frühen 1620er Jahren, als Spanien noch eine beherrschende Stellung innehatte, nicht eingesetzt, um tief ins niederländische Territorium einzudringen, sondern um die Verbindungslinien zwischen der Republik und Zentraldeutschland zu unterbrechen, um vorgelagerte niederländische Festungen zu erobern und um den finanziellen und militärischen Druck auf den niederländischen Verteidigungsring und den niederländischen Staat selbst auf ein Maximum zu erhöhen. [13] Diese Strategie war entworfen worden, um die Niederländer zum Unterhalt einer ihre finanziellen Kräfte übersteigenden Armee zu zwingen, während gleichzeitig ihrer Wirtschaft durch Handelsembargos, durch eine Seeräuberkampagne gegen die niederländische Flotte von Dünkirchen und Ostende aus, und später, 1625-29, auch durch eine Flußblockade in den Niederlanden schwerer Schaden zugefügt wurde. Die Strategie war einigermaßen logisch und zeitigte zu Anfang auch ziemliche Erfolge. Zur Zeit der Belagerung von Breda (1624/25), der berühmtesten Heldentat Spínolas, waren die niederländischen Finanzen aufs äußerste angespannt und die niederländische Moral auf einen Tiefpunkt gesunken. In den Jahren 1624/25 beurteilten ausländische Beobachter der Republik, wie z.B. der französische Gesandte in Den Haag, die Aussichten der Vereinigten Provinzen sehr pessimistisch. Ein wesentlicher Teil der spanischen Strategie bestand darin, die niederländischen Außenposten in Nordwestdeutschland auszuheben und die spanische Hegemonie über den ganzen Niederrhein und Westfalen auszudehnen. Die Spanier eroberten Jülich im Frühjahr 1622 und stationierten dort eine große Truppeneinheit. Im selben Jahr eroberten und besetzten sie die Festung Pfaffenmütz, die die Niederländer einige Jahre zuvor auf einer kleinen Rheininsel nördlich von Bonn erbaut hatten, um den Erzbischof von Köln zu überwachen und ihre Verbindung mit der Pfalz zu sichern. [14] Nach der Niederlage der protestantischen Armee Christians von Braunschweig gegen Tilly am 6. August 1623 bei Stadtlohn, nahe der niederländischen Grenze, marschierten spanische Truppen in die Grafschaft Mark ein und eroberten nacheinander die Städte, in denen die Niederländer seit 1614 im Namen des Kurfürsten von Brandenburg Truppen stationiert hatten. Im Dezember 1623 hatten die Spanier die Städte Lippstadt, Hamm, Unna, und Kamen fest in ihrer Hand, und drangen schließlich bis zur Weser vor, nachdem sie auch die Grafschaft Ravensburg überrannt und Herford erobert hatten. Ende des Jahres 1623 war Spanien in dem Gebiet von Aachen und Jülich im Westen bis Herford im Osten und Lingen an der Ems im Norden die unbestrittene Vormacht. [15] Diese unbestrittene spanische Vorherrschaft in Nordwestdeutschland blieb bis 1629 bestehen. In der nachstehenden Tabelle sind die zwölf wichtigsten spanischen Garnisonen in Nordwestdeutschland mit der im März 1627 registrierten Truppenstärke aufgeführt. Die Zahlen stammen aus dem königlichen Archiv Spaniens in Simancas in Altkastilien. [16] Tabelle der zwölf wichtigsten spanischen Garnisonen in Nordwestdeutschland 1627 Stadt Gebiet Span. Truppenstärke 1 Wesel (und Büderich) Herzogtum Kleve 2.500 2 Lingen Grafschaft Lingen (Ems) 2.000 3 Lippstadt Grafschaft Mark 1.000 4 Rheinberg Kurfürstentum Köln 800 5 Hamm Grafschaft Mark 800 6 Düsseldorf Herzogtum Berg 600 7 Jülich Herzogtum Jülich 500 8 Pfaffenmütz (Mondorf) Kurfürstentum Köln 350 9 Orsoy Herzogtum Kleve 250 10 Düren Herzogtum Jülich 200 11 Eschweiler Herzogtum Jülich 200 12 Sparrenburg Grafschaft Ravensberg 150 Aber obwohl die spanische Strategie in den Niederlanden und in Deutschland sich zumindest bis etwa 1626 als insgesamt ziemlich wirkungsvoll erwies, hatte sie doch eine fatale Schwäche: Ihr Erfolg hing davon ab, ob Spanien es sich erlauben konnte, mehr Truppen und mehr Ressourcen zu mobilisieren als die Vereinigten Provinzen. Dies wiederum hing davon ab, ob Spanien in der Lage war, seine ganze Aufmerksamkeit und den größten Teil seiner Ressourcen auf diesen Teil Europas zu konzentrieren. Die Vereinigten Provinzen waren eine winzige Republik mit weniger als zwei Millionen Einwohnern. Die spanische Monarchie hingegen war ein Weltreich mit Vizekönigreichen und abhängigen Gebieten in allen Teilen der Welt, mit mehr als 16 Millionen Einwohnern allein in Europa. Nach damaligem Maßstab schien es unmöglich, daß ein riesiges Weltreich nicht über mehr als ausreichende Mittel verfügen sollte, um eine junge, lächerlich kleine Republik zu unterwerfen. Aber die Welt hatte nie zuvor eine so blühende Handels- und Seerepublik gesehen. Daher war es für die Zeitgenossen kaum vorstellbar, wie sich diese Prosperität auf das finanzielle, logistische und auch technische Potential auswirkte. Am Ende schlug die spanische Strategie fehl, weil die Mittel nicht ausreichten - was deutlich wurde, als Spanien Ende der 1620er Jahre in den Mantuanischen Erbfolgekrieg (1628-1631) in Norditalien hineingezogen wurde. Der Streit um die Erbfolge in Mantua und die ausgedehnten Interessen Spaniens in Italien führten dazu, daß Olivares dort zu einem besonders kritischen Zeitpunkt beträchtliche Truppenkontingente einsetzte. Man nahm ein großes Risiko in Kauf, um zu verhindern, daß Frankreich die spanische Herrschaft in Norditalien untergraben könnte. Im Frühjahr 1629 war die Flandrische Armee infolgedessen ernstlich geschwächt, was die Truppenstärke und die zur Verfügung stehenden Mittel betraf. Vom Habsburger Standpunkt aus konnte der spanische Rückzug aus dem Norden zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Die Infantin Isabella, die seit dem Tod Alberts im Jahre 1621 und der Rückkehr der südlichen Niederlande unter die direkte Herrschaft Spaniens als Regentin Philipps IV. in Brüssel residierte, geriet nahezu in Panik. Dem neuen niederländischen Statthalter, Friedrich Heinrich (1624-1647), gelang es aufgrund des leichten Rückgangs der wirtschaftlichen Rezession und der Verminderung des spanischen Drucks, die niederländischen Streitkräfte gerade zu diesem Zeitpunkt zu vergrößern. Anfang des Jahres 1629 war die niederländische Armee zum ersten Mal im Achtzigjährigen Krieg größer und auch besser organisiert und finanziert als die spanische. Die von der Infantin Isabella in den Briefen an ihren königlichen Neffen vorhergesagte Katastrophe trat bald ein. Da Friedrich Heinrich zu diesem Zeitpunkt keine spanische Gegenoffensive zu erwarten brauchte, versammelte er eine riesige Streitmacht und belagerte in aller Ruhe das nach Antwerpen zweitwichtigste Bollwerk Spaniens in Nordeuropa, die starkbefestigte Stadt 's-Hertogenbosch, Zentrum einer großen fruchtbaren Region in Nordbrabant. Sie war der Angelpunkt, die strategische Achse, die die spanischen Stützpunkte in Flandern und Brabant mit dem gesamten Netz der spanischen Bastionen an der Maas, dem Rhein und nördlich des Rheins in Deutschland miteinander verband. Ohne 's-Hertogenbosch entstand mitten in diesem Netz eine große Lücke, die die gesamte strategische Position Spaniens in den Niederlanden und auch in Deutschland sinnlos machte. 'S-Hertogenbosch war mit seinen technisch hochentwickelten Befestigungen und vielen kleinen vorgeschobenen Forts keine einfache Aufgabe für die Niederländer. Die Belagerung, die sich viele Monate hinzog, war eines der wichtigsten Kriegsereignisse der zweiten Hälfte des Achtzigjährigen Krieges. Die spanischen Amtsträger in Brüssel baten in Panik und Schwäche den Kaiser um Hilfe. Es wurde eine kaiserliche Armee unter dem Befehl des Grafen Raimundo Montecuccoli (1609-1680) geschickt und zur Ablenkung eine gemeinsame spanisch-kaiserliche Invasion über die IJssel gestartet, die bis Amersfoort in der Provinz Utrecht vordrang. Aber der niederländische Statthalter ließ sich nicht von seiner Belagerung weglocken und blieb an Ort und Stelle. Als 's-Hertogenbosch (und ebenfalls Wesel) im Jahre 1629 schließlich fiel, bedeutete das nicht nur einen unendlichen Schaden für die spanische reputación, ihr Prestige, in Europa, denn es war die größte spanische Niederlage in Europa zwischen dem Verlust der Armada im Jahre 1588 und der Schlacht von Rocroi im Jahre 1643. Sie hatte aber auch weitreichende strategische Folgen, weil die spanische Kontrolle über das Maastal, den Niederrhein in Deutschland und die spanisch besetzten Gebiete nördlich des Rheins ernsthaft geschwächt war. [17] Da der Mantuanische Erbfolgekrieg noch andauerte und in absehbarer Zukunft nichts getan werden konnte, um die militärische Überlegenheit Spaniens in den Niederlanden wiederherzustellen, riet der neue spanische Oberbefehlshaber der Flandrischen Armee, Marques de Aytona, der spanischen Krone in einem Brief zu Beginn des Jahres 1630, die spanischen Truppen aus Hamm, Lippstadt, Unna, Kamen, Herford, Pfaffenmütz und selbst Lingen zurückzuziehen und sie in den Niederlanden zu stationieren. [18] Olivares machte sich große Sorgen um den Prestigeverlust Spaniens, wenn der ganzen Welt kundgetan würde, daß der König von Spanien nicht mehr genügend Mittel hatte, um Orte von so offensichtlicher strategischer Bedeutung wie Lingen und Pfaffenmütz zu halten, aber es gab einfach keine andere Lösung. 1630 zog sich Spanien aus allen deutschen Stellungen nördlich des Rheins zurück, verschanzte sich jedoch in verschiedenen Brückenköpfen am Rhein. [19] Wesel war verloren, aber Rheinberg, Orsoy und auch Jülich und Geldern wurden verstärkt. Das neue Machtungleichgewicht jedoch lastete schwer auf Spanien. Den Niederlagen von 1629 folgten andere, nicht weniger demütigende Rückschläge für die spanische Armee im Norden. 1632 zog Friedrich Heinrich siegreich durch das Maastal und eroberte Venlo, Roermond und Sittard schnell hintereinander, danach belagerte er die große spanische Festung Maastricht. [20] Wieder riefen die Spanier die kaiserlichen Truppen zu Hilfe, aber selbst zusammen schafften die Spanier und die Kaiserlichen es nicht, die Belagerung zu durchbrechen. Der Fall der Stadt schnitt Geldern und die spanischen Bastionen am Rhein praktisch von dem Hauptgebiet der spanischen Niederlande ab. Im folgenden Jahr eroberten die Niederländer Rheinberg und Orsoy, die Spanier behielten nur Geldern und Jülich. Nach Beendigung des Mantuanischen Erbfolgekrieges gelang es den Spaniern jedoch, ihren gelockerten Griff über die südlichen Niederlande wieder zu festigen und die Flandrische Armee wieder aufzubauen. Besonders nach der Ankunft des jüngeren Bruders des spanischen Königs, Kardinalinfant Ferdinand, der bis zu seinem Tode 1641 Statthalter der spanischen Niederlande war, Ende 1634 besaß Spanien wieder - zum letzten Mal vor dem Frieden von Münster - in den Niederlanden eine wirklich schlagkräftige Armee. Historiker haben zumeist angenommen, daß mit der Verschlechterung der französisch-spanischen Beziehungen und dem Eintritt Frankreichs in den Krieg gegen spanischen und österreichischen Habsburger im Jahre 1635 der spanisch-niederländische Konflikt in den Hintergrund getreten sei, weil die Spanier ihre Aufmerksamkeit jetzt auf die Franzosen konzentrierten. Diese Auffassung klingt plausibel, ist tatsächlich aber völlig falsch. Vom französischen Eintritt in den Krieg im Jahre 1635 bis zum Jahre 1640, als Spanien infolge der Aufstände in Portugal und Katalonien, die die Monarchie sehr schwächten, seine noch verbliebenen offensiven Kapazitäten verlor, war die spanische Strategie darauf gerichtet, defensiv gegen die Franzosen zu kämpfen und eine guerra ofensiva, einen offensiven Krieges, gegen die Niederländer zu führen. Auf dieser Strategie beharrte Olivares hartnäckig, und sie wurde weitgehend - mit kurzer Unterbrechung durch den Vorstoß auf Corbie im Jahre 1636 - vom Kardinalinfanten akzeptiert. [21] Es gab zwei Hauptgründe für die Wahl dieser Strategie zu diesem kritischen Zeitpunkt. Einerseits war man sich klar darüber, daß die Schlüsselstädte Flanderns und Brabants, die Kerngebiete der Spanischen Niederlande, Städte wie Antwerpen, Brügge und Gent, den Angriffen aus dem Norden viel stärker ausgesetzt waren als den Angriffen der Franzosen und daß im Gegensatz dazu die französischen Erfolge in Artois und im Hennegau (während die Spanier die Niederländer bekämpften) wesentlich weniger Schaden anrichten konnten und besser zu ertragen waren. Andererseits glaubte man, wahrscheinlich auch zu Recht, daß das französisch-niederländische Bündnis gegen Spanien eher durch einen Sonderfrieden mit den Niederländern als mit den Franzosen zu brechen sei. Denn die niederländischen Städte, die die Streitkräfte der Republik finanzierten, hatten kaum noch einen Grund den Krieg fortzusetzen, nachdem die Sicherheit der Republik gewährleistet und ihr Territorium mit dem Erwerb Nordbrabants und des Maastales vergrößert war. Außerdem war die einzige dringende Forderung Spaniens in diesem fortgeschrittenen Stadium des Achtzigjährigen Krieges die Rückgabe der von der Westindischen Kompanie seit 1630 besetzten Gebiete in Brasilien. Wenn Spanien einmal bewiesen hätte, daß die Niederländer mit der Fortsetzung des Krieges nichts mehr zu gewinnen hätten, sondern nur noch verlieren konnten, und es einen Sonderfrieden oder Waffenstillstand mit den Vereinigten Provinzen geschlossen hätte, könnten sich die spanischen Streitkräfte wieder mit Erfolg gegen die Franzosen wenden. Infolgedessen richtete sich die Offensive des Kardinalinfanten im Jahre 1635 nicht gegen die Franzosen, sondern gegen die Niederländer und zielte auf den Rhein. Spanische Truppen überrannten einen großen Teil des Herzogtums Kleve und nahmen die wichtige Grenzfestung Schenkenschanz auf einer kleinen Rheininsel ein. Olivares' Hoffnungen stiegen hoch, aber nach einer erbitterten Belagerung im Winter 1635/36 gelang es Friedrich Heinrich, die Schanze zurückzuerobern. Zu Olivares' großem Leidwesen wurden die Spanier wieder aus Kleve und vom Niederrhein vertrieben. Trotzdem drang er bei jeder Gelegenheit beim Kardinalinfanten darauf, das verlorene Maas- und Niederrheingebiet um jeden Preis für Spanien zurückzuerobern. Die Rückgewinnung zumindest eines Hauptbrückenkopfes am Rhein, vorzugsweise Rheinberg oder Orsoy, hielt er für lebenswichtig, denn ohne eine derartige Basis besaß Spanien keinen Zugriff auf das deutsche Binnenland. Tatsächlich hat Spanien keinen seiner verlorenen Posten am Rhein zurückgewinnen können, obwohl der Kardinalinfant im Jahre 1637 einen erfolgreichen Durchbruch in das Maasgebiet verbuchen und die Städte Roermond und Venlo zurückerobern konnte. Nach der zweifachen Katastrophe des Jahres 1640 in Katalonien und in Portugal mußten die spanischen Staatsmänner alle weiteren Hoffnungen auf Wiedergewinnung verlorenen Bodens aufgeben, zumindest bis zum Abschluß des Sonderfriedens mit den Vereinigten Provinzen, der endlich im Jahre 1648 erreicht wurde. Mit dem Beginn der Unruhen in Frankreich, die unter dem Namen "Fronde" (1648-1653) bekannt wurden, erhielten die Spanier erneut die Gelegenheit, ihren europäischen Einfluß wieder geltend zu machen. In den Jahren um 1650 unterhielt Spanien noch Garnisonen in Jülich und Frankenthal und hatte die Hoffnung, den Fleckenteppich kleiner Rheinstaaten vom Elsaß bis Köln zu beherrschen, noch nicht völlig aufgegeben. Die endgültige Niederlage und die Aufgabe des spanischen Traumes von der europäischen Hegemonie kam erst mit der Unterzeichnung des Pyrenäenfriedens mit Frankreich im Jahre 1659. ANMERKUNGEN - Siglenliste für Literaturangaben1. Vgl. Marnef 1996, S. 48-58; Israel 1995, S. 74-105.2. Parker 1977, S. 68-115. 3. Parker 1977, S. 108; Israel 1995, S. 156f.; Maltby 1983, S. 156. 4. Pettigree 1992, S. 147-187; vgl. auch Schilling 1979, S. 235-308. 5. Bers 1970, S. 14-17. 6. Israel 1995, S. 184-220. 7. Swart 1994, S. 152-186. 8. Lempert 1880, S. 25f. 9. Lempert 1880, S. 26f. 10. S. Israel 1982, S. 1-42. 11. Über den langen und komplizierten Dreieckskampf in Aachen siehe Schilling 1974, S. 175-231. 12. Vgl. Israel 1997a. 13. Israel 1982, S. 86-154. 14. Vgl. Neu 1967, S. 122f.; Israel 1997. 15. Israel 1997a. 16. Archivo General de Simancas Estadi legajo 2041, consulty, Madrid 10. März 1627; Israel 1982, S. 164. 17. Israel 1982, S. 176-196. 18. Bibliothèque Royale, Brüssel MS 16149, fo. 10v. Aytona an Philip IV., Brüssel, 8. März 1630. 19. Israel 1997a; Kessel 1979, S. 181. 20. Vgl. Poelhekke 1978, S. 372-408. 21. Israel 1995a. | |
QUELLE | | 1648: Krieg und Frieden in Europa | Bd. 1, S. 111-122 | |
PROJEKT | 1648 - Westfälischer Friede | |
DATUM AUFNAHME | 2005-10-31 | |
AUFRUFE GESAMT | 29095 | |
AUFRUFE IM MONAT | 35 | |
Seiten-URL: http://www.westfaelische-geschichte.de/tex415 | ||
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