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(98 KB)   Elektrifizierung der Jahrmärkte - Zwei Fahrgeschäfte auf dem "Herbstsend" in Münster, 1996 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt   Elektrifizierung der Jahrmärkte - Zwei Fahrgeschäfte auf dem "Herbstsend" in Münster, 1996 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt
TITELElektrifizierung der Jahrmärkte - Zwei Fahrgeschäfte auf dem "Herbstsend" in Münster, 1996
DATIERUNG1996


INFORMATIONDer "Send" ist ein Jahrmarkt, der dreimal per anno in Münster abgehalten wird. Er hat sich entwickelt mit den Synoden, also mit den Kirchenversammlungen, die schon im Mittelalter in Münster stattfanden. Der jeweils parallel dazu aufgestellte Jahrmarkt wurde 1525 erstmals urkundlich erwähnt. In vergangenen Jahrhunderten hatte der Markt große ökonomische Bedeutung für die Stadt und das umliegende Münsterland, während er heute von Vergnügungsbetrieben (1/4 der Aussteller) und Imbiß- bzw. Süßwarenbuden (1/2 der Betriebe) dominiert wird.

Die beiden abgebildeten Fahrgeschäfte, das Riesenrad sowie der Betrieb im Vordergrund - im Prinzip ein Karussell mit einer zusätzlichen Kreisbewegung der einzelnen Gondeln - sind sehr stark elektrifiziert. Mit einer riesigen Anzahl von bunten Glühbirnen werden fortlaufend sich wandelnde optische Sensationen erzeugt. Die vergleichsweise langsame Bewegung des Rades sowie das schnelle Kreisen der Gondeln im Vordergrund werden jeweils mit Hilfe von Elektromotoren erzeugt. Hinzu kommen elektrisch verstärkte, akustische Reize wie laute Hitparadenmusik sowie die werbenden und kaum zu überhörenden Lautsprecheransagen der Betreiber.

Was hat nun der "Send" des Jahres 1996 mit der Elektrifizierung Westfalens in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts zu tun? Die mit dem nebenstehenden Bild illustrierte These lautet: Die Elektrizität hat bereits bekannte Sensationen für die menschlichen Sinne erheblich gesteigert und aber auch qualitativ völlig neue Erlebnisse geschaffen. Zur Erläuterung ist zunächst ein kleiner Exkurs in die Kulturgeschichte des Jahrmarktes erforderlich:

Jahrmärkte waren seit dem Mittelalter nicht denkbar ohne die Anwesenheit von Spielleuten und Gauklern, die den spezifischen Charakter des Marktgeschehens prägten: Ringkämpfer und starke Männer, Possenreißer und Seiltänzer, Puppenspieler und Bärenführer waren bekannte Ausdrucksformen dieser jahrhundertealten Traditionen. [1]

Einhergehend mit den Fortschritten in der optischen Technik seit dem 18. Jahrhundert erschienen auch mehr und mehr optische Gerätschaften auf Jahrmärkten, die die Aufmerksamkeit des zahlenden Publikums fesselten. Photographie, Kinematographie, Panorama und "Stereorama" waren im 19. Jahrhundert weit verbreitet.

Die "Bewegung des Publikums" schließlich, also das Angebot an Karussells, Rädern, Rutschen, Schaukeln usw. gewann ebenfalls im 19. Jahrhundert erheblich an Bedeutung. Das Karussell hat einen seiner Ursprünge schon in frühmittelalterlichen Ritterspielen (frz.: carousel = Ringelrennen und ital.: garosello = kleiner Krieg). Die jungen Adeligen übten sich in einem Kreisritt in der Benutzung einer Lanze, indem sie z.B. auf Stäben aufgehängte Ringe mit derselben einsammelten. Später wurden die echten Pferde durch Attrappen ersetzt und im 17. Jahrhundert begann man in Frankreich, das Karussel zu mechanisieren.

Die Entstehungsgeschichte des Riesenrades ist eng mit der der Schaukel verbunden. Die sogenannte "russische Schaukel", die 1796 zum ersten Mal beschrieben wurde, war eine lange senkrechte Stange, die in der Mitte, mit einer Querachse versehen, an zwei Pfeilern aufgehängt war. Unten auf einem Sitz konnte eine Person Platz nehmen, am oberen Ende war ein Gegengewicht angebracht. Mit dieser Gerätschaft waren sogar Überschläge möglich. Im Laufe der Entwicklung ersetzte man zunächst das Gegengewicht durch einen zweiten Sitzplatz, danach wurde eine zweite große Achse im Winkel von 90 Grad an die erste gesetzt, so daß erstmals die Grundform eines Rades mit vier Sitzplätzen erkennbar wurde.

Karussells und Räder mußten in der Frühzeit von Tieren und Menschen mühsam in Bewegung gesetzt werden. Bei fürstlichen Lustbarkeiten war dies unter anderem die Aufgabe der Bediensteten. 1865 wurde aus England erstmals der Betrieb eines Karussells mit Hilfe von Dampfkraft gemeldet. Ausgestattet mit dieser neuen Kraft, die bald im runden Innenraum der Karussells angebracht wurde, konnten nun immer größere, auch mehrstöckige Fahrgeschäfte mit zusätzlich komplizierten Bewegungsformen gebaut werden.

Seit 1890 wurden dann - und hiermit ist wieder das Thema Elektrifizierung erreicht - in Deutschland die Fahrgeschäfte mehr und mehr mit Elektromotoren ausgestattet. Dies bedeutete einen weiteren, erheblichen Innovationsschub für das Gewerbe. Nun konnten die Karussells mit Hilfe nur noch einer - nämlich der elektrischen - Antriebsenergie bewegt, beleuchtet und beschallt werden. Räder konnten zu Riesenrädern wachsen und so ihrer traditionellen Funktion als Aussichtspunkte noch besser gerecht werden. Das berühmte, 1897 erbaute Riesenrad im Wiener Prater hat eine Höhe von 65 Metern. Das Potential der neuen Antriebsform, des Elektromotors, ermöglichte erst solche Höhen.

Moderne Fahrgeschäfte auf heutigen Jahrmärkten bieten ein umfassendes Erlebnis für viele Sinne: für die Augen, die Ohren und für die Lust an der Bewegung. Dies ist ohne Elektrizität nicht denkbar.

Ähnliches gilt für andere Freizeit-Attraktionen des 20. Jahrhunderts, die von vielen Menschen mehr oder weniger ausgiebig genutzt werden: Das "Shopping" in hell erleuchteten Innenstädten, das Kino, die Diskothek, High Fidelity, Fernsehen sowie Konzerte mit elektrisch verstärkter Rock- und Popmusik. Dies sind ebenfalls optische und/oder akustische Sensationen, die durch den umfangreichen Einsatz der elektrischen Energie überhaupt erst entstehen. Die elektrische Energie inszeniert und feiert sich sozusagen selbst.


[1] Vgl. Geese, Uwe: Eintritt frei. Kinder die Hälfte - Kulturgeschichtliches vom Jahrmarkt. Marburg 1981.


TECHNIKFoto
FORMATjpg


FOTO-PROVENIENZMünster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt


QUELLE    Bolle, Rainer | "Als das Licht kam..." | Dia 12, S. 44-47
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.10   1950-1999
Ort3.5   Münster, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet7.4   Infrastruktur, Infrastrukturpolitik
7.5   Energieerzeugung, Energieversorgung
9.11   Feste, Feiern
15.13.1   Brauchtum, Fest, Volksmusik, Volkstanz
DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT469
AUFRUFE IM MONAT137