Wirtschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert > Industrie


 

3. Industrie


 
 
 
Der Anteil Westfalens an den Beschäftigten des sekundären Sektors, also von Handwerk und Industrie, des Reiches insgesamt betrug zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa 6-7 v. H., im Jahre 1970 machte er dagegen 17 v. H. der industriell Beschäftigten in der Bundesrepublik aus. Diese Zunahme war primär ein Resultat der Gebiets- und Beschäftigtenverluste Deutschlands im Gefolge zweier Weltkriege, die die ökonomische Stellung Westfalens im Reich bzw. in der Bundesrepublik stärkten, aber auch Ausdruck eines gegenüber der westdeutschen Entwicklung langsameren Strukturwandels. Denn der Beschäftigtenanteil des sekundären Sektors in Westfalen blieb zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Beginn der 1970er Jahre mit 55 v. H. stabil, während der entsprechende Anteil im Deutschen Reich 40-42 v. H., in der Bundesrepublik 48 v. H. betrug, d. h. deutlich niedriger lag. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch ein hoher Industriebeschäftigtenanteil ein Zeichen für wirtschaftlichen Fortschritt war, wies er gegen Ende des 20. Jahrhunderts eher auf Rückständigkeit hin, da jetzt der Dienstleistungssektor die Rolle des wirtschaftlichen Wachstumsmotors übernommen hatte. Worin liegen die Ursachen für die starke und lange Ausprägung des sekundären Sektors in Westfalen? Zur Erklärung wird zunächst die Entwicklung der wichtigsten Industriebranchen verfolgt.
 
Energiewirtschaft
Westfalen hatte zusammen mit dem Rheinland aufgrund der Existenz mächtiger Lagerstätten von Steinkohlen beiderseits der Ruhr bis tief in die Münsterische Bucht hinein besondere wirtschaftliche Vorteile. Im Ruhrgebiet wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen 47 und 58 v. H. der Kohlenförderung des kontinentalen Westeuropas (Deutschland ohne Oberschlesien, Frankreich, Belgien und Niederlande) zutage gebracht; der Anteil an der deutschen Kohlenförderung betrug zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg etwa 55-60, in den 1920/30er Jahren 71-76 v. H. Zugleich bildete der rheinisch-westfälische Ruhrbergbau, der in dieser Zeit etwa 400.000 Arbeitskräfte zählte, im östlichen Ruhrgebiet die beschäftigungsstärkste Branche Westfalens.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erfolgten die Förderung und der Absatz der Kohle nicht mehr im freien Wettbewerb. Das am 16. Februar 1893 in Essen aus Gründen der Rationalisierung und Preisbeeinflussung als Aktiengesellschaft gegründete Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat (RWKS), dem sich die weit überwiegende Mehrheit der Ruhrzechen anschloß, kaufte und verkaufte bis zu seiner Auflösung im Jahre 1945 für seine Mitgliedsbetriebe - und damit faktisch für den Ruhrgebietsbergbau insgesamt - die Kohle, setzte Förderkontingente und einheitliche Abgabepreise an den Großhandel fest und bestimmte über eigene Handelsgesellschaften auch weitgehend den Endverbraucherpreis. Darüber hinaus beeinflußte das RWKS auch die geographische Verbreitung und die Betriebsgrößen des Ruhrbergbaus. Denn die Großzechen im Norden, deren Schächte bis zur Jahrhundertwende auf 800, bis zum Ersten Weltkrieg auf 1.000 Meter abgeteuft wurden, förderten günstiger als die Klein- und Mittelzechen des südlichen Ruhrgebiets, so daß sie mit den vom RWKS festgesetzten Durchschnittspreisen höhere Gewinne erzielten. Damit konnten sie allmählich die kleineren Zechen im Süden des Ruhrgebiets aufkaufen und deren Förderkontingente übernehmen. Auf diese Weise trug das Syndikat letztlich sowohl zur Nordwanderung als auch zum Konzentrationsprozeß des Ruhrbergbaus bei. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg stammten ca. zwei Drittel der Ruhrkohlenförderung von nur noch neun Konzernen.

Trotz steigender Bedeutung des Ruhrkohlenbergbaus und der Expansion nach Norden deuteten in den 1920er Jahren erste Zeichen auf den Beginn einer Strukturkrise hin, denn der Kohleverbrauch begann jetzt weltweit zu stagnieren. Zum einen rationalisierten die größten Verbraucher von Kohle und Koks, die Eisen- und Stahlindustrie, die Elektrizitätswerke und die Eisenbahnen, ihren Betrieb, so daß sie weniger Energie verbrauchten, zum anderen gewannen andere Energiequellen - neben der Wasserkraft vor allem die Braunkohle und das Erdöl - an Bedeutung. Zudem traten mit der Sowjetunion, Polen, den Niederlanden und Japan neue Kohleförderländer auf den Weltmarkt. Auf die Anfänge der weltweiten Überproduktion reagierten die Ruhrbergbauunternehmer, indem sie den Zusammenschluß mit Unternehmen der Hüttenindustrie suchten, die den größten Abnehmer der Steinkohlenförderung bildeten. Außerdem legten sie mehr als einhundert kleine und wenig rentable Zechen, insbesondere südlich der Ruhr, still, trieben die Technisierung und Rationalisierung der Förderung voran und nahmen die kommerzielle Gasherstellung auf.

Ende 1926 gründeten die Ruhrbergbauunternehmen unter organisatorischer Führung des RWKS in Essen die AG für Kohleverwertung, aus der am 30. Mai 1928 die Ruhrgas AG entstand. Da dieses Unternehmen jedoch eher an der Belieferung aufnahmestarker Industriebetriebe als an dem Aufbau eines Infrastrukturnetzes der Gasversorgung interessiert war, gründeten Mitte 1927 die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW), der Provinzialverband Westfalen und Vertreter der westfälischen Kommunen in Dortmund eine eigene Gasversorgungsgesellschaft. Daraus gingen Ende 1927 die Vereinigten Gaswerke Westfalen GmbH (VGW) als Tochterunternehmen der VEW und Mitte 1928 die Westfälische Ferngas AG (WFG) als Tochterunternehmen des Provinzialverbandes hervor. Mit der Ruhrgas AG, dem größten deutschen Ferngasversorger, der VGW und der WFG wurde das Ruhrgebiet ein bedeutender "Gasexporteur".

Früher noch als in der Gaserzeugung war das Ruhrgebiet zu einer Zentralregion der Elektrizitätserzeugung geworden. Ausgangspunkt war das im Jahre 1898 gegründete Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE). Das Unternehmen, das ursprünglich nur der Stromversorgung der Stadt Essen dienen sollte, konnte jedoch sein Liefergebiet rasch in das westliche Ruhrgebiet, dann auch in das östliche Ruhrgebiet und das Siegerland ausdehnen. Diese Expansion provozierte Befürchtungen, daß ein privatwirtschaftliches Strommonopol für das gesamte Ruhrgebiet entstehe. Deshalb organisierte der Bochumer Landrat Gerstein mit Hilfe der Kommunen Bochum und Dortmund "den Widerstand". Daraus gingen über mehrere Stationen die im Jahre 1925 gegründeten Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW) hervor, die u. a. von den Städten Dortmund, Bochum und Münster, dem Provinzialverband Westfalen sowie von Banken und Versicherungen getragen wurden. Sie übernahmen die Belieferung des östlichen Ruhrgebiets inklusive großer Teile des Münsterlandes und entwickelten sich zum beherrschenden Stromversorger in Westfalen, bis zum Jahre 1929 sogar zur fünftgrößten Elektrizitätsgesellschaft in Deutschland. Die Position Westfalens in der Elektrizitätsversorgung entsprach etwa der in der Gasversorgung: Zu Beginn der 1930er Jahre wurde hier etwa 12 v. H. des deutschen Stroms erzeugt. Damit lag die Provinz hinter der Rheinprovinz (20 v. H.) und der Provinz Sachsen (14 v. H.) im Reich an dritter Stelle.

Schließlich - und dies war eine weitere Erweiterung des Produktionsspektrums - begann nach den erfolgreichen Versuchen der IG Farben auch der Ruhrkohlenbergbau, Benzin aus Kohle zu hydrieren. Da die Nationalsozialisten aufgrund ihrer Autarkiepolitik entsprechende Versuche durch die Zoll- und Steuerpolitik unterstützten, wurden in Mitteldeutschland und im Ruhrgebiet Raffinerien gebaut, die dem Bergbau neue Absatzmöglichkeiten gaben. Die Kohlehydrierung ermöglichte während des Zweiten Weltkrieges sogar, etwa drei Viertel des deutschen Benzinbedarfs aus einheimischer Kohle zu decken. Volkswirtschaftlich betrachtet bedeutete diese Form der Kohlennnutzung jedoch eine Fehlinvestition und Sackgasse, da die Nutzung von Mineralöl deutlich größere Preisvorteile bot. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die autarkiepolitisch motivierte Kohlehydrierung deshalb wieder aufgegeben. Insgesamt bedeutete die Zeit des Dritten Reiches wegen der Expansion der Rüstungsindustrie und der konjunkturellen Wiederbelebung, die zum Ansteigen der Energienachfrage führten, für den Ruhrbergbau eine Phase des Aufschwungs. Dieser vollzog sich jedoch gegen den Trend der weltwirtschaftlichen Entwicklung, in Abschottung gegen die Konkurrenz anderer, preisgünstigerer Kohleförderländer, die nicht zuletzt aufgrund sinkender Schiffsfrachtraten Kohle immer günstiger anboten, und gegen die wachsende, preislich überlegene Konkurrenz der Braunkohle, des Öls und der Wasserkraft.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lösten die Alliierten das RWKS auf, um die wirtschaftliche und politische Macht des Ruhrkohlenbergbaus zu zerschlagen. Eine grundlegende Neuordnung scheiterte jedoch an dem Wunsch, möglichst schnell und umfassend Kohle für die Industrie und den Export bereitzustellen. Statt dessen wurden die Kontrollbedürfnisse der Alliierten durch einen Plan des französischen Außenministers Robert Schumann aus dem Jahre 1950 realisiert. Dieser Plan führte am 10. August 1952 zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion). Ihre Exekutive, die "Hohe Behörde", sollte durch die Kontrolle der Investitionen und Preise einen gemeinsamen Markt und gleiche Wettbewerbsbedingungen für den Kohlebergbau sowie die Eisen- und Stahlindustrie der Mitgliedsstaaten schaffen. Der deutsche Bergbau, also faktisch das Ruhrgebiet, stellte mit einem Förderanteil von 55 v. H. die stärkste Kohleregion.

Die Hohe Behörde blieb jedoch eine lockere Lenkungsinstanz. Faktisch kam es in den 1950er Jahren zu zahlreichen Rückgliederungen der aufgeteilten Zechenunternehmen an ihre früheren Eigentümer und zu erneuten Unternehmensverflechtungen innerhalb des Bergbaus sowie mit der Eisen- und Stahlindustrie: Zu groß erschienen die Vorteile der hier entwickelten Zusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich die 1950er Jahre zu einer neuen, letzten Blütezeit des Ruhrbergbaus. Im Jahre 1956 erreichte er mit 485.000 Beschäftigten oder 52 v. H. der erwerbstätigen Bevölkerung des Ruhrgebiets seinen Höhepunkt. Sein Anteil an der westdeutschen Steinkohleförderung betrug in den 1950/60er Jahre etwa 80-85 v. H.

Gegen Ende der 1950er Jahre setzte dann der definitive, lang anhaltende Niedergang ein. Die Ursachen dafür lagen zum ersten in dem weltweiten Überangebot billigerer, insbesondere amerikanischer Kohle, deren Konkurrenzfähigkeit durch den Fall der Transportkosten nach dem Ende der Suezkrise noch wuchs. Zum zweiten begann die Kohle ihre Monopolstellung als Energieträger zunehmend an das Öl, das Erdgas, dann auch an die Atomenergie zu verlieren, da diese billiger, bequemer und z. T. auch "sauberer" waren. Ausdruck der Strukturkrise des Ruhrkohlebergbaus und der davon abhängigen Ruhrgasindustrie wurden Preisverfall und Absatzrückgang, Wachstum der Halden, Stillegungen von Zechen und Entlassungen von Bergleuten. Ihre Zahl fiel von 1957: 478.000 auf 1970 : 190.000, d.h. in dreizehn Jahren um 60 v.H.; jetzt waren noch 25 v. H. der erwerbstätigen Bevölkerung des Ruhrgebiets im Bergbau beschäftigt.
 
 
 
Die Reaktionen auf die Strukturkrise des Ruhrbergbaus waren vielfältig, zumal deren Bedeutung lange Zeit nicht erkannt wurde. Die Unternehmer intensivierten in den 1960er Jahren die Rationalisierungsanstrengungen durch den Einsatz von Großgeräten (Kohlenhobel, Schrämm- und Schälmaschinen), den vollmechanischen Strebausbau und die Stillegung unrentabler Zechen, vor allem in der Ruhr- und Hellwegzone. Die nordrhein-westfälische Landesregierung begann seit dem Ende der 1960er Jahre mehrere, speziell auf den Ruhrbergbau und das Ruhrgebiet zugeschnittene Subventionen, Gesetze und Förderprogramme ("Entwicklungsprogramm Ruhr", 1968; "Aktionsprogramm Ruhr", 1979) zu verabschieden, die u. a. eine Verbesserung der Verkehrswege, die Gründung von Schulen und Hochschulen, die Förderung zukunftsweisender Technologien, die Sanierung von Industrieflächen sowie Maßnahmen zur Stadterneuerung und Wohnumfeldverbesserung vorsahen. Die Bundesregierung ergriff bereits seit Ende der 1950er Jahre vielfältige Maßnahmen, die teils der Subventionierung der Kohle und der Beschränkung der Heizölkonkurrenz, teils der Rückführung des Bergbaus dienten. Von großer Bedeutung war die auf staatlichen Druck hin am 27.11.1968 erfolgende Gründung der Ruhrkohle AG (RAG) als privatwirtschaftlicher Einheitsgesellschaft des Ruhrkohlenbergbaus mit Sitz in Essen, in die das Gros der Bergbauunternehmen ihre Zechenbetriebe überführen mußte.
Das "Entwicklungsprogramm Ruhr" als Volltext (mit Kartenmaterialien)

Das "Aktionsprogramm Ruhr" als Volltext
 
 
Zur Bewältigung der Strukturkrise schloß die RAG jährlich drei bis sechs Zechen und zahlreiche Abbaubetriebspunkte, mechanisierte die Förderung, entließ Beschäftigte, reduzierte die Gesamtförderung und steigerte die Produktivität. Zwischen 1969 und 1982 fielen die Zahlen der Bergwerke von 52 auf 26, die der Beschäftigten von 183.000 auf 134.000 und die der Förderung von 85 auf 63 Millionen Tonnen. Vor allem die weitgehend ausgekohlten, Bergschäden produzierenden Zechen in der Hellwegzone, d.h. in den Stadtgebieten von Gelsenkirchen, Bochum und Dortmund, wurden in den 1970/80er Jahren geschlossen. Während noch in den 1960er Jahren der größte Teil der Bergleute in anderen Branchen untergebracht werden konnten, bedeuteten die Zechenstillegungen in den 1970er Jahren zunehmend die Entlassung der Bergleute in die Arbeitslosigkeit.

Der Zugzwang durch die Konkurrenz anderer Energieträger stieg jedoch. Zu Öl und Erdgas trat seit Mitte der 1970er Jahre der "Atomstrom" aus den Kernkraftwerken. Entgegen den allgemeinen Einschätzungen begann zudem der Energieverbrauch seit Ende der 1970er Jahre - nicht zuletzt infolge des sog. Ölpreisschocks der Jahre 1973 und 1979 und der umweltschutzmotivierten Sparanstrengungen - zu stagnieren. Der wachsende Bedeutungsverlust der Kohle spiegelte sich darin wider, daß ihr Anteil an der Primärenergie von 1950: 73 bis 1980 auf 20 v. H. fiel.

Der im Jahre 1977 zwischen dem Ruhrbergbau und den Energieversorgern abgeschlossene, bis zum Jahre 1995 laufende "Jahrhundertvertrag" garantierte dem Ruhrbergbau eine jährliche, im Jahre 1981 noch erhöhte Abnahme; sie machte 40-50 v. H. der gesamten Ruhrkohlenförderung aus. Die Differenz zum Weltmarktpreis wurde den Verbrauchern durch den sog. Kohlepfennig auferlegt. Zudem wurde mit der Hüttenindustrie eine Regelung getroffen, wonach sie bis zum Jahre 2000 Ruhrkohle zum Weltmarktpreis abnehmen sollte. Den Ausgleich der seit Mitte der 1970er Jahre drastisch wachsenden Differenz zwischen dem Weltmarktpreis und dem Ruhrkohlenpreis übernahm zu zwei Dritteln der Bund, zu einem Drittel das Land NRW. Mit diesen und anderen Subventionen, die die Bergleute zu der höchstsubventionierten Beschäftigtengruppe der Bundesrepublik machten, wurde die Bedeutung der Steinkohle für die Energieerzeugung langsam reduziert und der Niedergang des Ruhrbergbaus sozial abgefedert.
 
 
Metallindustrie und
Maschinenbau
Im Unterschied zum Bergbau verteilte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Metallindustrie, zu der hier die Eisen- und Stahlerzeugung, die Eisen-, Blech- und Metallwarenverarbeitung gerechnet werden soll, sowie der Maschinenbau über mehrere Regionen Westfalens. Die älteste dieser Regionen war das Siegerland, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Lothringen das größte Erzrevier Deutschlands war; hier und in den angrenzenden Kreisen Wittgenstein und Olpe entwickelte sich auch eine kleine Blech- und Metallwarenindustrie.

Im angrenzenden märkischen Raum hatte sich, aus dem Handwerk und Heimgewerbe hervorgegangen, ein sehr differenziertes Kleineisengewerbe herausgebildet. In Lüdenscheid, Altena und Iserlohn wurden Knöpfe, Schnallen, Spangen hergestellt, Draht und Drahtprodukte (Nägel, Nadeln), Werkzeuge, Messer, Sensen und Pfannen, in Iserlohn aufgrund eines lokalen Galmeiabbaus auch Messing- und Bronzewaren (Armaturen). In Schwelm, Hagen, Wetter und Hattingen wurden Werkzeuge, Klingen, Schlösser, Beschläge, Schrauben, Ketten, landwirtschaftliche Geräte und Eisenbahnmaterialien produziert. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts dehnte sich diese Kleineisenindustrie nicht nur in das östliche Sauerland aus, sondern erweiterte ihr Spektrum der verarbeiteten Materialien durch die Aufnahme weiterer Nichteisenmetalle (Messing, Aluminium etc.)und vollzog den Übergang zur Haushaltswarenherstellung und Zuliefererindustrie für den Fahrzeugbau erfolgreich.

Ein dritter Schwerpunkt der Metallindustrie und des Maschinenbaus lag seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Ravensberg, speziell im Raum Bielefeld. Hier hatten sich in den 1860er Jahren in Reaktion auf den Bedarf der Wäschenäherei mehrere Nähmaschinenfabriken entwickelt, die in den 1880er Jahren die Herstellung von Fahrrädern und Fahrradteilen aufgenommen und die seit den 1890er Jahren ihre Produktion durch die Herstellung von Registrierkassen, Büromaschinen, Milchzentrifugen und Förderanlagen für die Bekleidungsherstellung erweitert hatten. Die Ansätze zum Automobilbau waren demgegenüber kurz vor dem Ersten Weltkrieg bzw. gegen Ende der 1920er Jahre teils wegen falscher Produktpolitik, teils wegen Kapitalmangels abgebrochen. Ferner gab es in Ravensberg noch Werkzeugmaschinenbetriebe und Eisenhütten. Die Entwicklung einer Elektroindustrie, für die angesichts der zahlreichen feinmechanischen Betriebe günstige Voraussetzungen gegeben waren, beschränkte sich auf wenige Betriebe. Zu einem der größten Haushaltsgerätehersteller Deutschlands entwickelte sich die im Jahre 1899 in Herzebrock bei Gütersloh gegründete Firma Miele.

Vierte und größte Region der Metallindustrie und des Maschinenbaus in Westfalen war das Ruhrgebiet; seine Entwicklung sei näher beschrieben. Hier wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchschnittlich etwa 41 v. H. der Stahlproduktion des kontinentalen Westeuropas hergestellt. Um die Jahrhundertwende stammten etwa ein Drittel, in den 1920er Jahren zwei Drittel der Roheisenproduktion des Deutschen Reiches aus dieser Region. Bei der Stahlproduktion schwankten die Anteile des Ruhrgebiets je nach Produkt zwischen einem und zwei Drittel. Auf der Eisen- und Stahlerzeugung bauten zudem eine metallverarbeitende und eine Maschinenbauindustrie auf, die im Unterschied zum märkischen Raum vor allem große Guß- und Schmiedeteile, Großmaschinen für den Eisenbahnbau, den Bergbau und das Militär, ferner Brückenteile, Schiffsschrauben, Glocken, Haushaltsgeräte usw. herstellten.

Zur Sicherstellung einer billigen Energieversorgung kaufte die Eisen- und Stahlindustrie Zechen auf. Vor dem Ersten Weltkrieg betrug der Anteil dieser sog. Hüttenzechen an der gesamten Kohlenförderung des Ruhrgebiets bereits 25 v. H. Außerdem begannen sie sich Weiterverarbeitungsbetriebe, vor allem Stahl- und Walzwerke, aber auch Maschinenbaubetriebe im Ruhrgebiet, im märkischen Raum und im Ravensberger Land anzugliedern; seit der Jahrhundertwende entstand damit die montanindustrielle Verflechtung des Ruhrgebiets.

Im Jahre 1913 stellten zehn Unternehmen etwa zwei Drittel der Eisen- und Stahlproduktion des Ruhrgebiets her. Knapp die Hälfte der Eisen- und Stahlbeschäftigten waren im westfälischen Teil des Ruhrgebiets beschäftigt; sie gehörten vor allem der Gelsenkirchener Bergwerks AG, dem Bochumer Verein, Hoesch, den Hagener Eisen- und Stahlwerke sowie der Hoerder Hüttenunion an. Es zeichnete sich jedoch ab, daß sich die Roheisen- und -stahlproduktion zunehmend an den Rhein verlagerte, weil er im Winter nicht vereiste und abgabenfrei war, d. h. günstigere Transportmöglichkeiten für die Heranschaffung der Erze bot als der im Jahre 1899 eröffnete Dortmund-Ems-Kanal.

Die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg bedeutete für die Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets - ähnlich wie für seinen Bergbau - aufgrund der Abtrennung Lothringens, des Saargebietes und von Teilen Oberschlesiens eine Aufwertung, da sich der Anteil Rheinland/Westfalens an der Roheisen- bzw. Rohstahlerzeugung Deutschlands von ca. 50 v. H. in der Vorkriegszeit auf 60-80 v. H. in den 1920/30er Jahren erhöhte. Demgegenüber mußte sie deutliche Einbußen bei ihrem Rohstoffbezug hinnehmen, da nicht nur die deutschen Erzgruben verloren gingen, sondern auch die Erzlieferungen aus Lothringen drastisch gedrosselt wurden. Das Siegerland, in dessen Erzgruben sich die großen Eisen- und Stahlwerke des Ruhrgebiets bereits vor dem Ersten Weltkrieg eingekauft hatten, konnte den Ausfall Lothringens und Luxemburgs weder ausgleichen noch eine Perspektive bieten; im Verlauf der 1920er Jahre wurden hier von 60 Erzgruben mehr als die Hälfte wegen Erschöpfung geschlossen. Nichtsdestoweniger blieb im Siegerland die Eisen- und Stahlherstellung und -verarbeitung die beschäftigungsstärkste Industriebranche - seit den 1920er Jahren jedoch im wesentlichen als Dependance der großen Ruhrunternehmen.

Abgesehen von der Rohstoffbeschaffung entwickelte sich in den 1920er Jahren die Entstehung weltweiter Überkapazitäten zu einem zentralen Problem. Bereits seit der Jahrhundertwende hatte es in der Ruhreisenindustrie nach dem Vorbild des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats Versuche zur Regelung des Wettbewerbs gegeben; im Unterschied zum Bergbau war jedoch die Kraft des Roheisensyndikats und des Stahlwerkverbandes aufgrund der Heterogenität der Produkte zu gering, um dauerhaft verbindliche Produktions- und Preisabsprachen durchzusetzen. Der Roheisen Verband und die im Jahre 1924 gegründete Deutsche Rohstahlgemeinschaft konnten erst seit Mitte der 1920er Jahre durch Quotenfestsetzungen den Binnenmarkt einigermaßen regulieren und darüber hinaus für Spezialerzeugnisse den Exportmarkt öffnen.

Erfolgversprechender für die Regulierung der Produktion erschien der Weg des Unternehmenszusammenschlusses. Dazu diente die im Jahre 1926 erfolgende Gründung der Vereinigten Stahlwerke (VST) mit Sitz in Düsseldorf. Sie vereinigten große Eisen- und Stahlunternehmen des Ruhrgebiets mit Zweigwerken im gesamten Reich zum größten Montankonzern Europas. Sein Anteil am RWKS betrug 22 v.H., am Roheisenverband, an der Rohstahlgemeinschaft und dem Stahlwerksverband zwischen 41 und 43 v.H.; seine Beschäftigtenzahl belief sich auf knapp 200.000. Das Unternehmen blieb jedoch trotz der Stillegungs-, Konzentrations-, Rationalisierungs und Modernisierungsprozesse gewinnschwach, denn es litt an einer Überkapitalisierung - die Gründerkonzerne hatten ihre Einbringungen zu hoch bewertet - und an mangelnden Absatzmöglichkeiten. Erst unter dem Einfluß der nationalsozialistischen Autarkie- und Rüstungspolitik erfuhren die VST und die Ruhreisenindustrie insgesamt, die in den 1930er Jahren 95 v. H. der deutschen Eisen- und 70 v. H. der deutschen Stahlproduktion herstellten, Protektion und Förderung weit über den weltwirtschaftlichen Bedarf hinaus.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches stellten die Alliierten nicht nur den Bergbau, sondern auch die Eisen- und Stahlindustrie unter ihre Kontrolle. Sie wollten die wirtschaftliche und politische Macht der Ruhrindustriellen, die sie für den Aufstieg der Nationalsozialisten mitverantwortlich machten, zerschlagen, Entschädigungsforderungen befriedigen, eine innerdeutsche Wettbewerbswirtschaft fördern und die Konkurrenz auf den internationalen Märkten reduzieren. Die spektakulärste Maßnahme, die Demontage der Anlagen, beeinträchtigte das Wiederaufleben der Produktion nur kurzfristig. Langfristig erwies sie sich eher als nützlich, konnte sie doch erfolgreich zur Begründung von Kreditwünschen für Modernisierungs- und Rationalisierungsinvestitionen gegenüber dem Staat herangezogen werden.

Die Kontrolle der Ruhreisen- und Stahlindustrie sollte vor allem im Rahmen der Montanunion erfolgen. Sie hob die Eisen- und Stahlzölle zwischen den angeschlossenen europäischen Ländern auf, schrieb die Transparenz der Preis- und Verkaufsbedingungen vor, verbot nationale Subventionen und Kartelle und erlaubte seiner Exekutive, der Hohen Behörde, durch Empfehlungen, Geldbußen und - im Falle der Krise - durch Vorgabe von Produktionsquoten den Markt zu beeinflussen. Wie im Bergbau war die Effektivität dieser Politik jedoch nur von kurzer Dauer, da die Bundesrepublik im Zuge des auflebenden Ost-West Konflikts fest in den Westen eingebunden werden und ihre Wirtschaft möglichst effektiv arbeiten sollte. Noch in den 1950er Jahren setzte ein erneuter Konzentrationsprozeß ein. Die Eisen- und Stahlbetriebe des Ruhrgebiets behielten ihre dominierende Stellung in der Branche. Größtes Rohstahlunternehmen der Bundesrepublik war zu Beginn der 1970er Jahre die Firma Thyssen, deren Betriebe sich in Duisburg konzentrierten, gefolgt von Hoesch in Dortmund, wo ca. 13 v. H. der bundesdeutschen Eisen- und Stahlproduktion hergestellt wurden.

Auch die Wachstumsdynamik der Eisen- und Stahlindustrie begann jedoch seit den 1960er Jahren, nur wenig später als im Bergbau, nachzulassen. Der bundesdeutsche Anteil an der Weltstahlindustrie sank von 10 v. H. in den 1950er Jahren auf 7, 5 v. H. im Jahre 1974. Mehrere Ursachen waren dafür ausschlaggebend: Zum ersten konnte der Brennstoffverbrauch in der Eisen- und Stahlerzeugung aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen reduziert werden, so daß jetzt die Transportkosten für die Erze wichtiger als diejenigen für die Brennstoffe wurden. Da die Erze jedoch in wachsendem Maße aus dem Ausland und zumeist über See, d. h. aus Brasilien, Schweden, Liberia, Kanada usw. kamen, wurden Küsten- und Flußstandorte kostengünstiger als Standorte in Kohlerevieren. Zum zweiten wies die Ruhreisen- und -stahlindustrie relativ hohe Arbeitskosten auf, so daß Billiglohnländer deutliche Kostenvorteile hatte. Zum dritten erfolgte in einzelnen Verwendungsbereichen eine Ersetzung von Stahl und Eisen durch Kunststoff und Aluminium, so daß sich die Absatzmöglichkeiten reduzierten. Zum vierten schließlich erhob die BRD vergleichsweise geringe Zölle auf die Eisen- und Stahleinfuhr, so daß in den 1970/80er Jahren die Importquote deutlich stieg.

Ähnliche Ursachen führten in den 1960/70er Jahren auch die metallverarbeitende Industrie und den Maschinenbau in den anderen westfälischen Regionen in eine Krise. Vielen Unternehmen gelang es nicht, ihre Produktionspalette zu erweitern, durch die Einführung einer elektronischen Steuerung zu modernisieren oder in das kostengünstigere Ausland zu verlagern. So endete im Bielefelder Raum die Blütezeit eines Gros des Maschinenbaus in den 1960/70er Jahren, als der Binnenmarkt weitgehend gesättigt war und die traditionellen Hauptprodukte Nähmaschinen, Fahrräder und Registrierkassen der internationalen Konkurrenz, insbesondere aus den asiatischen Ländern, ausgesetzt wurden.

Die Reaktion auf das nachlassende Wachstum bestand in einer Intensivierung der Produktions- und Preisabsprachen sowie in Übernahme- und Fusionsprozessen. Krupp übernahm den Bochumer Verein und legte im Jahre 1968 dessen Hochofenproduktion still, so daß die Hoesch Werke AG, die im Jahre 1966 die Dortmund-Hörder Hüttenunion übernommen hatten, als einziges Eisen- und Stahlgroßunternehmen Westfalens übrig blieb. Mit der Einstellung der Eisen- und Stahlproduktion von Hoesch und Klöckner in Hagen zu Beginn der 1970er Jahre verlagerte sich das Schwergewicht der Eisen- und Stahlindustrie weiter an den Rhein. Mitte der 1970er Jahre geriet die bundesdeutsche Eisen- und Stahlindustrie dann definitiv in eine dem Bergbau vergleichbare strukturelle Überproduktionskrise. Ursache hierfür waren vor allem der Auf- und Ausbau der Stahlindustrie in Japan, Südkorea, Brasilien und China, die den Weltmarkt kostengünstiger beliefern konnten, so daß die bundesdeutschen Exporte sanken und die Importe weiter stiegen. Daraufhin wurden die Rationalisierungsanstrengungen intensiviert. Die Beschäftigtenzahl der Eisen- und Stahlindustrie halbierte sich zwischen 1974 und 1988 von 283.000 auf 126.000.

Zudem versuchte die deutsche Eisen- und Stahlindustrie jetzt ein internationales Kartell abschließen. Das im Jahre 1977 gegründete Kartell European Confederation of Iron and Steel Industries (Eurofer I) zerfiel jedoch bald aufgrund hoher staatlicher Subventionen für die französische und britische Stahlindustrie und der Nichteinhaltung der Produktionsquoten; erst als in den 1980er Jahren die EG-Kommission den Krisenfall deklarierte, konnten erneut Preise und Produktionsquoten festgesetzt werden (Eurofer II). Nach dem Kohlemarkt war damit auch der Eisen- und Stahlmarkt vollständig staatlich reglementiert.

Die Quotenregelungen gaben der deutschen Stahlindustrie faktisch einen Bestandsschutz; die beträchtlichen Subventionen der Bundesregierung führten zu weiteren Rationalisierungsmaßnahmen, Sozialplänen und Abschreibungsmöglichkeiten, die den Modernisierungs- bzw. Schrumpfungsprozeß erleichterten. Zudem erweiterten die großen Ruhrstahlkonzerne ihr Produktionsspektrum. Thyssen engagierte sich in der amerikanischen Autozubehör- und Maschinenbauindustrie und im deutschen Lokomotivbau, der Robot- und Lasertechnik sowie in Handel und Dienstleistungen; Krupp nahm die Herstellung von Informations- und Leitsystemen auf, Hoesch wandte sich der Computersoftware zu; Klöckner nahm die Kunststoffherstellung sowie die Fertigung von Verpackungs- und Getränkemaschinen auf, und Mannesmann erweiterte sich um eine Telekommunikationssparte. Aufgrund dieser Maßnahmen schrumpfte der Anteil der Eisen- und Stahlherstellung in den Konzernen auf 25-50 v.H. Ein Zusammenschluß der großen Stahlkonzerne des Ruhrgebiets (Thyssen, Krupp, Hoesch, Klöckner und Mannesmann), die knapp zwei Drittel der deutschen Roheisenproduktion herstellten, nach dem Vorbild der Vereinigten Stahlwerke in den 1920er Jahren oder der Ruhrkohle AG, um der Stahlkrise gemeinschaftlich zu begegnen, erfolgte jedoch erst schrittweise in den 1990er Jahren.
 
 
Textil-, Wäsche- und
Bekleidungsindustrie
Die Textil-, Wäsche- und Bekleidungsindustrie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der dritte große Industriebranchenkomplex Westfalens. Er hatte mit der Leinenherstellung und der darauf basierenden Wäsche- und Bekleidungsherstellung einen Schwerpunkt in Minden-Ravensberg und mit der Baumwollspinnerei und -weberei einen Schwerpunkt im Münsterland, insbesondere im Westmünsterland. Darüber hinaus gab es eine kleine Seidenindustrie in Bielefeld und Gütersloh; nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zudem einige Bekleidungsunternehmen zwischen Wattenscheid und Gelsenkirchen gegründet.

Das Leinen war zu Beginn des Jahrhunderts nur noch ein Nischen- und Luxusprodukt, da es aufgrund seiner hohen Produktionskosten gegenüber der Baumwolle auf dem Massenmarkt kaum noch konkurrenzfähig war. Infolgedessen wurde das 20. Jahrhundert für die Leinenherstellung und -verarbeitung zu einer Zeit der Krisen und des Niedergangs, der nur kurz durch die Autarkiepolitik des Dritten Reiches aufgehalten wurde. Seit dem Ende der 1950er Jahre trat zu der Konkurrenz durch die Baumwolle noch die Konkurrenz der Kunstfaserstoffe, die billig aus Ländern der Dritten Welt, aus Indien, Korea, Taiwan, Hongkong, China, und aus Osteuropa importiert wurden. Obwohl die Leinenindustriellen seit der Mitte der 1960er Jahre dem Absatzrückgang dadurch begegneten, daß sie ihre Produktion zunehmend auf Mischfasergarne und Halbleinenprodukte umstellten und ihre Unternehmen miteinander verschmolzen, konnten sie den Niedergang nicht verhindern. Das Jahr 1974 wurde zum Schlußjahr der Bielefelder und damit des Hauptzentrums der westfälischen und westdeutschen Leinenindustrie.

Demgegenüber reagierten die Wäsche- und Bekleidungshersteller Minden-Ravensbergs und des Ruhrgebiets - letztere war nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund des hohen Angebotes an weiblichen Arbeitskräften und der Nähe zu einem Massenmarkt entstanden - in den 1970er Jahren auf die billige Importkonkurrenz vielfach damit, daß sie ihre Produktion ins kostengünstigere Ausland verlagerten. Nur Design und Verwaltung verblieben in Deutschland.

Anders als die Leinenindustrie befand sich die Baumwollindustrie Westfalens, die sich insbesondere im Westmünsterland konzentrierte, seit den 1870er Jahren im Aufschwung. Sie profitierte von der Schutzzollpolitik des Deutschen Reiches und dem nahen Massenmarkt des Ruhrgebietes. Der Anteil ihrer Beschäftigten an der Gesamtzahl der Baumwollbeschäftigten des Zollvereins bzw. des Deutschen Reiches erhöhte sich von 1846: 3,9 v. H. bis auf 1907: 7,1 v. H. Das Westmünsterland stieg neben Elsaß-Lothringen, Bayern und Sachsen zu einer der vier größten Baumwollregionen Deutschlands auf. Auch in den 1920er Jahren wuchs diese Region weiterhin schneller als die deutsche Baumwollindustrie insgesamt, da sie von dem Wegfall der elsaß-lothringischen Konkurrenz besonders profitierte und kaum der englischen Konkurrenz unterlag, die sich zunehmend auf die Herstellung von feineren Qualitäten und von Kunstfaserprodukten konzentrierte. Außerdem wurden seit den 1920er Jahren Bettwäsche und Arbeitsbekleidung, die solange wegen der Haltbarkeit zumeist aus Leinen oder Halbleinen hergestellt worden waren, allmählich durch robuste Baumwollstoffe ersetzt, auf deren Herstellung sich die Textilindustrie des Westmünsterlandes spezialisiert hatte. Im Jahre 1934 liefen im Westmünsterland bereits 24 v. H. der Baumwollspindeln und 21 v. H. der Baumwollwebstühle Deutschlands. In den 1960er Jahren lagen diese Anteile noch höher, so daß diese Region zur größten Baumwollregion Deutschlands aufstieg und ihre führende Stellung in der Bundesrepublik halten konnte.

Seit den 1960er Jahren mußte jedoch auch die Baumwollindustrie der Konkurrenz Tribut zollen. Denn der Binnenmarkt, der 70-80 v. H. der regionalen Textilproduktion abnahm, begann sich zunehmend bei den Billiganbietern aus der Dritten Welt und Osteuropa einzudecken. Die Textilgroßunternehmen des Westmünsterlandes setzten darauf, durch den Zusammenschluß zu Großbetrieben und die Forcierung der Massenproduktion die Konkurrenzfähigkeit erhalten zu können. Infolgedessen standen gegen Ende der 1960er Jahre mit den Firmen Geritt von Delden in Gronau, Schulte & Dieckhoff in Horstmar und Nino im niedersächsischen Nordhorn drei der fünf größten Textilkonzerne der Bundesrepublik an der "Baumwollstraße" entlang der deutsch-niederländischen Grenze.

Letztlich erwies sich jedoch die Hoffnung der westmünsterländischen Baumwollindustriellen auf Größenwachstum als Methode, die Strukturkrise zu überwinden, als eine Fehlspekulation; die Textilgroßunternehmen brachen in den 1970er Jahren zusammen. Angesichts der Bedeutung der Textilindustrie für das Westmünsterland bedeuteten diese Zusammenbrüche einen drastischen Prozeß der Deindustrialisierung. Die übrigen Textilunternehmen konnten sich, soweit sie über Kapital oder Kreditwürdigkeit verfügten und die nachfolgende Unternehmergeneration zur Betriebsübernahme bereit war, nur durch die gegenteilige Strategie halten. Das bedeutete die Spezialisierung auf höherwertige Heimtextilien (Teppiche, Gardinen, Möbel- und Dekorationsstoffe) oder technische Gewebe, die Angliederung von Bekleidungsabteilungen, eine kapitalintensive technologische Modernisierung, die Erhöhung des Exportanteils und die Reduzierung der Betriebsgrößen.

Andere Industriebranchen erreichten in Westfalen nicht die Bedeutung, die der Bergbau, der Maschinenbau sowie die Metall- und Textilindustrie hatten: Die Nahrungsmittelindustrie entwickelte Schwerpunkte in der Milch- und Fleischverarbeitung im Münsterland sowie in der Bierherstellung in Dortmund, die holzverarbeitende Industrie in Minden-Ravenberg, Lippe und im Sauerland, wo führende Möbelunternehmen Deutschlands entstanden. Die großen Wachstumsträger der zweiten Industrialisierungsphase, die Chemie-, Elektro- und Fahrzeugindustrie, waren dagegen in Westfalen weniger vertreten.