MEDIEN

(94 KB)   Innenansicht des Dampfkraftwerkes Kirchlengern, 1937 / Paderborn, E.on WESTFALEN WESER   Innenansicht des Dampfkraftwerkes Kirchlengern, 1937 / Paderborn, E.on WESTFALEN WESER
TITELInnenansicht des Dampfkraftwerkes Kirchlengern, 1937
DATIERUNG1937


INFORMATIONLinks im Bild, hinter der Mauer, befindet sich der große Kessel für die Verbrennung der Kohle. Die beiden großen Maschinenblöcke im Bildvordergrund sind die Außenkanten von zwei Wanderrosten, die in den Kessel hineinlaufen. An den hier sichtbaren Stellen wurde die Kohle eingefüllt. Von 1910 bis in die späten 20er Jahre hinein geschah dies per Hand mit der Kohleschaufel. Deswegen war in der Frühzeit von Dampfkraftwerken die Muskelkraft und Ausdauer der Heizer ein wichtiges Kriterium für die Menge der erzeugten Energie. Später gab es eine mechanische Bekohlungsanlage, die ebenfalls - im Mittelgrund des Bildes über dem Arbeiter - zu erkennen ist.

Das Schwarzweißfoto vermittelt einen guten Eindruck von der Dunkelheit und der Arbeitsatmosphäre in einem Dampfkraftwerk im ersten Drittel des Jahrhunderts. "Strom braucht Kohle"; dieser damals sehr geläufige Satz macht deutlich, daß die Erzeugung der elektrischen Energie, die uns heute so sauber vorkommt, in der Frühzeit mit sehr viel harter körperlicher Arbeit und mit sehr viel Schmutz verbunden war.

Zur Geschichte des Kraftwerks Kirchlengern liegt ein Buch vor [1], das viele Augenzeugenberichte präsentiert und so ein anschauliches Bild von den Arbeitsbedingungen in einem Kraftwerk, aber auch von den Lebensbedingungen von Bewohnern in der Nachbarschaft eines Kraftwerkes liefert.

Das Dampfkraftwerk in Kirchlengern wurde im Jahre 1910 vom Elektrizitätswerk Minden-Ravensberg GmbH gebaut. Es hat im Laufe der Jahre viele An- und Umbauten erfahren und arbeitet bis heute. Wie auch bei anderen Kraftwerken ist die Effizienzsteigerung zwischen 1920 und 1950 vor allem auf Verbesserungen in der Wärmewirtschaft zurückzuführen.

Zum Vergleich: lm Jahre 1900 betrug der durchschnittliche Wärmeaufwand je Kilowattstunde in den Kraftwerken der VEW 14.500 Kilokalorien. 1920 waren es noch 5.000 Kilokalorien und 1950 nur noch 2.400 Kilokalorien (Effizienzsteigerung insgesamt: ca. 600 %).

1919 hatte das Kraftwerk in Kirchlengern einen Kohleverbrauch von 30 Tonnen täglich! Die Kohle wurde per Eisenbahnwaggons herangeschafft, mußte aber noch bis 1928 auf dem Gelände des Werkes mit Pferdekraft weiterbewegt werden. Das Abladen in den Schuppen oder auf die Kohlehalde geschah lange Zeit ausschließlich per Schaufel. Auf dem Weg vom Kohlenlager zum Kessel wurden kleine Loren eingesetzt, die jeweils etwa 6 Zentner faßten. Die direkte Heizung am Kessel geschah dann wiederum per Schaufel.

Wilhelm Dix, ein Arbeiter der ersten Stunde beschreibt die Arbeit bei der Befeuerung der Kessel. Es mußte auf
"... einwandfreie Rostglieder und Aschabstreifer große Sorgfalt gelegt werden. Denn zu leicht konnte der Wanderrost blockiert werden, trotzdem kam dieses vor, besonders bei Hochlast, wenn das Feuer auf dem Rost groß gehalten werden mußte. Die Aschabstreiferspitzen glühten und schon war es geschehen, der Rost war blockiert. Dieses hieß Alarm, es mußte sofort gehandelt werden. Der Abstreifer wurde herausgenommen, und zwar unter großem Feuer und Hitze, Züge wurden abgestellt, der Einstieg wurde geöffnet, der Abstreifer freigelegt und mit einer Brechstange gelöst, herausgehoben und ein neuer eingesetzt. Diese Arbeiten mußten schnellstens ausgeführt werden, der Kessel hätte sonst zuviel Druck verloren und die Last wäre nicht zuhalten gewesen." [2]

Ein anderer Zeitzeuge ergänzt diesen Bericht:
"Unter den Kesseln war der sogenannte Aschenkeller: Unter die Roste mußten die damals mit Schiebern, wenn die Asche runterfiel, die mußten auch stochern. Das war dann auch manchmal ein Haufen, der sich da festgebrannt hatte. Da mußten die dann von unten stochern nach dem Rost hoch. Da war einer der hieß Hans Meier. Der ist da unten verbrannt. Der hat auch gestochert und da ist mit einem Mal die glühende Kohle wie Lava runtergekommen. Der ist nicht schnell genug weggekommen und da ist der verbrannt." [3]

Trotz der mit der Zeit verbesserten Sicherheitsvorkehrungen kam es immer wieder zu grausamen Unfällen, an denen aber meist betriebsfremde Personen beteiligt waren, denn die Beschäftigten des Kraftwerks selbst konnten die Gefahren besser einschätzen: "Da hatte der Betriebsleiter Trippler Besuch von drei Herren aus Herford . Um die Trafos, das war alles abgespannt Aber einer von den drei Herren, der war so neugierig und hat den Finger durch den Maschendraht gesteckt. Da ist der Funke übergesprungen, über einen halben Meter. Ich glaube, daß war sogar der Landrat. Da flog der zurück und saß mit dem Rücken vor der Wand. Der hat aber nie wieder an sowas rangepackt. Von da an hat Trippler nie wieder Besuch durch die Schaltwarte geführt." [4]

Wieviele Menschen waren überhaupt in welchen Positionen im Kraftwerk beschäftigt und wie waren die Hierarchien? Bezüglich Kirchlengern gibt hierüber eine Quelle aus dem Jahre 1954 Auskunft. Das Werk beschäftigte in diesem Jahr 249 Mitarbeiter und war damit noch nah an dem Höchststand von 260 Beschäftigten im Jahre 1949. Die meisten Kräfte waren ausgebildet, nur anfangs waren viele Ungelernte - besonders aus der Zigarrenindustrie - in den Betrieb gekommen. Diese hatten sich dann oft innerhalb des Betriebes hochgearbeitet.

Die Aufstellung des Jahres 1954 sieht im einzelnen aus wie folgt:
19 
Maschinisten 
61 
Heizer, Aschenzieher
Pförtner und Nachtwächter
17 
Bekohlungsanlage
15 
Maurer-Kolonne
13 
Elektro-Werkstatt
18 
Lehrlinge
22 
Hofkolonne (Reinigung für Maschinenhaus, Büro usw.)
k.A. 
Mechaniker-Werkstatt
Wasseraufbereitung
Lager
45 
Schlosserei und Werkzeugausgabe
20 
Angestellte (Büro)
 
 
249 
Summe [5] 


Auffällig ist die hohe Zahl von beschäftigten Handwerkern. Schlosser Maurer, Elektriker und Lehrlinge sind schon über 90 Personen. Dazu kommt noch die nicht nachgewiesene Zahl an Mechanikern. Diese Zahl erklärt sich dadurch, daß im Werk große Teile der Produktionsanlagen möglichst selbst gebaut und repariert wurden, weil es im Umkreis nur eine sehr begrenzte Zahl von Handwerksbetrieben gab.

Innerhalb der Belegschaft gab es ausgeprägte Hierarchien: Ganz unten stand die Hofkolonne, "Rutzbulz, Rotzbeutel nannten wir die." Darüber standen dann die Handwerker im Betrieb. "An oberster Stelle (standen) die Herren Maschinisten. Die hatten einen eigenen Raum, wo die Frühstück machten." [6]

Angaben zu den Arbeitszeiten gibt es für das Jahr 1921: Zu diesem Zeitpunkt wurden 48 Stunden in der Woche gearbeitet: Mo - Fr 8.00 - 17.00 Uhr und Sa 8.00 - 13.30 Uhr mit einer halben Stunde Mittagspause. [7] Die für die Zeit recht fortschrittliche Arbeitsordnung konnte vom Arbeiterrat nur deswegen durchgesetzt werden, weil zu diesem Zeitpunkt 60 % der Belegschaft im Metallarbeiterverband organisiert war und deswegen ein entsprechender Druck ausgeübt werden konnte.

Welche Bedeutung hatte nun das Kraftwerk für das Leben in dem Ort Kirchlengern? Gemäß der überlieferten Quellen war das Kraftwerk vor allem in dreierlei Hinsicht bedeutsam für die Bevölkerung als Stromversorger, als wichtiger Arbeitgeber sowie - schon seit den dreißiger Jahren - als großer Umweltverschmutzer.

In der frühen Zeit wartete kaum jemand ungeduldig auf seinen Stromanschluß. Auch im Umkreis von Kirchlengern mußten die Abnehmer in jahrelanger Aufklärungsarbeit von den Vorteilen des elektrischen Stroms überzeugt werden. Allerdings fanden sich relativ schnell Abnehmer aus dem Bereich der Landwirtschaft:: Die Bauern trieben mit dem Strom unterschiedliche Maschinen an, auch um die "Leutenot", also den Arbeitskräftemangel auf dem Lande auszugleichen. Viele Privathaushalte nutzten die Elektrizität sehr zum Leidwesen der Kraftwerksbetreiber ausschließlich abends zu Beleuchtungszwecken.

Dadurch kam es im Kraftwerk abends zu Belastungsspitzen und zu Schwachlastzeiten während des Tages. Diesen Umstand versuchten die Kraftwerksbetreiber dadurch auszugleichen, daß die Installationsabteilung bei den Kunden intensiv für den Gebrauch elektrischer Haushaltsgeräte warb.

Es wird berichtet, daß in den Anfangsjahren viele Arbeiter aus der Zigarrenindustrie in das Kraftwerk wechselten, weil das Zigarrendrehen zu dieser Zeit immer stärker mechanisiert wurde und deshalb viele Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Allerdings war die Arbeit im Kraftwerk lange Zeit schlecht angesehen, weil sie körperlich anstrengend und sehr schmutzig war. "Der Zigarrenarbeiter war mehr als der dreckige Schlosser". Erst allmählich wurde bekannt, daß im Kraftwerk sichere Arbeitsplätze und viele Sonderleistungen und Vergünstigungen geboten wurden.

Das Verhältnis der Bevölkerung zum Kraftwerk in Kirchlengern war über Jahrzehnte hinweg erheblich durch den Ausstoß von Rauch, Ruß, Flugasche sowie durch den entstehenden Lärm bestimmt. In den ersten Jahrzehnten verließ die Abluft den 60 m hohen Schornstein völlig ungereinigt. Schon mit den 1911 verfeuerten 3.846 Tonnen Kohle kam eine große Schmutzbelastung auf die Bevölkerung zu. Die ersten Beschwerden stammen dann aus den dreißiger Jahren.

1948 schließlich hatte das Kraftwerk einen täglichen Ausstoß von 45 Tonnen Asche: "Wenn ich mit dem Fahrrad über den Hüller fuhr, dann mußte ich die Augen so klein hatten wie möglich, sonst bekam ich unter Garantie Asche in die Augen." [8]

Wirkliche Verbesserungen traten erst in den 50er Jahren ein, als eine mechanisch-elektrische Entstaubungsanlage eingebaut wurde.

Die Bevölkerung hatte auch unter der Lärmbelästigung zu leiden: "Die Laufkatze kreischte, die Waggons wurden aneinandergeknallt. Als die neuen Kesselanlagen gebaut wurden, wurde gebohrt, gehämmert, jede Menge Fahrzeugverkehr. Jeden Tag ein Güterzug Kohle, das macht Krach." [9]


[1] Botzet, Rolf: Strom für Minden-Ravensberg - Die Geschichte des Kraftwerkes Kirchlengern. Bielefeld 1995, S. 46.
[2] Zitiert nach ebd., S. 46.
[3] Ebd.
[4] Ebd., S. 74.
[5] Ebd., S. 84.
[6] Ebd., S. 83.
[7] Ebd., S. 71.
[8] Ebd., S. 66.
[9] Ebd., S. 68.


TECHNIKFoto
FORMATjpg


FOTO-PROVENIENZPaderborn, E.on WESTFALEN WESER


QUELLE    Bolle, Rainer | "Als das Licht kam..." | Dia 02, S. 14-18
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Ort2.3.5   Kirchlengern, Gemeinde
Sachgebiet7.4   Infrastruktur, Infrastrukturpolitik
7.5   Energieerzeugung, Energieversorgung
DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT763
AUFRUFE IM MONAT191