QUELLE

DATUM1965-06-29   Suche Portal
URHEBER/AUSSTELLERMeyers, Franz
AUSSTELLUNGSORTDüsseldorf
TITEL/REGESTAnsprache des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Dr. Franz Meyers zur Eröffnung der Ruhr-Universität Bochum am 30.06.1965
TEXTLandesregierung Nordrhein-Westfalen
Landespresse- und Informationsstelle

III - 298./6./65
Düsseldorf, den 29. Juni 1965


Bitte Sperrfrist beachten:
Frei ab 30.06.1965, 10.Uhr



Ansprache
von Ministerpräsident Dr. Meyers
zur Eröffnung der Ruhr-Universität Bochum am 30.06.1965


Der heutige Tag, der 30. Juni 1965, wird als ein denkwürdiger Tag in die Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen, aber auch in die Geschichte des deutschen Bildungswesens in dieser zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingehen. Die Ruhruniversität Bochum, die erste Universität, die aufgrund der Empfehlungen des Wissenschaftsrates gegründet und errichtet worden ist, tritt an diesem Tage zum ersten Mal als jüngste deutsche Universität in den Kreis der vielen alten und ehrwürdigen wissenschaftlichen Einrichtungen unseres Landes und der Bundesrepublik. Jahre intensiver Vorbereitungen finden in dieser festlichen Stunde ihre Bestätigung und Krönung; und was lange Zeit Gegenstand von Gutachten, Konferenzen, Planungen und Architektenwettbewerben war - in seiner Zielrichtung erkennbar nur dem Auge des Wissenschaftlers oder des Baufachmanns - zeigt sich nun der deutschen Öffentlichkeit in einem Zustand der Entwicklung, der es erlaubt, diese Universität zu eröffnen und ihrer Bestimmung zu übergeben.

Das ist für uns alle ein Anlass zur Freude und Genugtuung. In dieser aufrichtigen Freude heiße ich Sie alle, die Sie der Einladung zu dieser Feierstunde gefolgt sind, herzlich willkommen. Das große Interesse, das der Ruhruniversität Bochum allerorten in der Bundesrepublik und weit über ihre Grenzen hinaus schon heute entgegengebracht wird, darf uns mit Stolz erfüllen, soll uns jedoch zugleich erneut die Verantwortung vor Augen führen, die Nordrhein-Westfalen mit der Gründung dieser Universität mitten im nordrhein-westfälischen Industriegebiet auf sich genommen hat. Die Blicke der deutschen Öffentlichkeit, die entscheidende und mutige Schritte auf dem Wege zur Weiterentwicklung des deutschen Bildungswesens erwartet, sind mit großen Hoffnungen auf das gerichtet, was am heutigen Tage hier in Bochum seinen Anfang nimmt. Das wollen wir auch in der Freude dieser Stunde nicht vergessen. Ich will vor Ihnen nicht im einzelnen den Weg nochmals aufzeigen, der bis zu dieser feierlichen Eröffnungsstunde gegangen worden ist. Nur darauf möchte ich hinweisen, daß zwischen dem Mai 1960, in dem die Landesregierung den Beschluß faßte, im Ruhrgebiet eine Universität zu errichten, und dem heutigen Tage ein Zeitraum von kaum mehr als 5 Jahren liegt. Vor rund 4 Jahren wurde Bochum als Standort dieser Universität bestimmt, und vor rund 3 Jahren habe ich unweit von dieser Stelle, den Grundstein für das erste Gebäude dieser Universität gelegt. Wenn Regierung und Parlament dieses Landes auch von Anfang an entschlossen waren, den Aufbau dieser Universität mit aller möglichen Beschleunigung voranzutreiben, so waren sich doch alle Sachkenner darüber im klaren, daß angesichts der gewaltigen und vielfältigen Vorbereitungsarbeiten geraume Zeit würde verstreichen müssen, bis die Universität offiziell eröffnet werden könnte. Daß dies nach rund 5 Jahren, gerechnet von der ersten Entscheidung über die Gründung dieser wissenschaftlichen Hochschule ab, heute geschehen kann, hätte wohl im Jahre 1960 niemand von uns mit Sicherheit vorauszusagen gewagt.

Darüber hinaus aber scheint es mir berechtigt, diese Daten aus der jungen Geschichte der Universität Bochum mit einigen Ereignissen der europäischen Hochschulgeschichte zu konfrontieren, deren wir uns in diesem Jahre zu erinnern Veranlassung haben. In diesem Jahre gedenkt die Universität in Krakau ihrer Gründung vor genau 600 Jahren: vor 510 Jahren wurde die Universität in Königsberg gegründet; und vor wenigen Wochen hat die Universität in Kiel festlich ihr 300jähriges Bestehen begehen können. Wenn ich im Zusammenhang mit dem Anlass, der uns heute hier zusammengeführt hat, diese Erinnerungen wachrufe, so geschieht es wahrlich nicht, um ein freundliches oder mehr oder weniger unverbindliches Spiel mit historischen Begebenheiten oder gar Jahreszahlen zu treiben. Die deutschen Universitäten, ihre Aufgaben und ihre Leistungen, lassen sich nicht in solchen äußerlichen Kategorien erfassen oder gar würdigen. Wichtig erscheint mir jedoch, daß Wissenschaft und Forschung schon längst vor unserer Zeit räumliche und nationale Grenzen gesprengt und jene Gemeinsamkeit des Geistes gebildet haben, der auch in den schlimmsten Zeiten national-staatlicher Entartung den Blick für die Weite wissenschaftlicher Erkenntnisse und den übernationalen Rang zivilisatorischer und kultureller Werte nicht verloren ging. Die Universitas litterarum ist eine geistige Welt, der wir alle, unabhängig von Raum und Zeit verbunden sind. Und so ist diese neue Universität nun eingebettet in Wachsen und Werden der europäischen Wissenschaft, und die Daten ihrer jungen Geschichte gehören zu den ehrwürdigen Jahreszahlen, die ich soeben erwähnte.

Wenn wir heut den Tag der Eröffnung einer neuen Universität begehen, so sollten wir auch die Anstrengungen nicht übersehen, die unsere Bemühungen in den vergangenen 20 Jahren kennzeichnen. Nicht nur im Lande Nordrhein-Westfalen, sondern im ganzen Bundesgebiet wurde eine Aufbauarbeit ohne gleichen geleistet. Der Auf- und Ausbau unserer alten Hochschulen, die 1945 zu großen Teilen in Schutt und Asche lagen, sowie die Gründungen der Jahre 1946 und 1948 in Mainz, Berlin und Saarbrücken, brauchen einen Vergleich mit den Investitionen anderer Nationen nicht zu scheuen.

Immerhin läßt sich sagen, daß die derzeitigen deutschen Bemühungen um den weiteren Ausbau unserer wissenschaftlichen Bildungseinrichtungen sich nach Art, Umfang und Intensität von allem unterscheiden, was zumindest in den letzten 50 Jahren auf diesem Gebiet in Deutschland geschehen ist. Die Größe dieser Aufgabe, der sich alle deutschen Länder bewußt sind, hat dazu geführt, daß sie in den letzten Jahren wichtige und einschneidende Entscheidungen getroffen haben, um unter Anspannung aller ihrer Kräfte ihrer kulturpolitischen Verantwortung für die Weiterentwicklung des deutschen Bildungswesens gerecht zu werden. Zeugnis dieser Bemühungen ist das Abkommen, das die Länder über die Finanzierung neuer Hochschulen geschlossen haben. Hinzu kommt das Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den Ländern über die Förderung der Wissenschaft. Diese Vereinbarungen geben uns die Gewißheit, daß die Anstrengungen zum Ausbau der bestehenden und zum Aufbau der neuen Universitäten in der Gesamtordnung der deutschen Politik die ihnen gebührende Stelle einnehmen. Was das Land Nordrhein-Westfalen betrifft, so hat die Landesregierung stets betont, daß sie beide Aufgaben - die Stärkung der bereits bestehenden wissenschaftlichen Hochschulen und die Gründung neuer Hochschulen - als gleich berechtigte und gleich wichtige Aufgaben betrachtet, daß beide Aufgaben daher auch einen Anspruch auf gleichmäßige staatliche Förderung besitzen.

In einer Stunde wie dieser hat für den Ministerpräsidenten dieses Landes die Pflicht zum Dank an alle diejenigen im Vordergrund zu stehen, die durch ihre Leistung und ihren Einsatz zu dem Erfolg mit beigetragen haben, den wir heute der Öffentlichkeit vor Augen führen können. In erster Linie gilt mein Dank dem Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen. Ohne die Aufgeschlossenheit seiner Mitglieder für die Größe der Aufgabe, und ohne seine Bereitschaft zur Bewilligung der öffentlichen Mittel in sehr beträchtlicher Höhe würden wir nicht in der Lage sein, die Universität Bochum heute zu eröffnen und den Vorlesungsbetrieb bereits im kommenden Wintersemester aufzunehmen. Der Landtag dieses Landes hat damit erneut bewiesen, daß er als die politische Vertretung der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens bereit ist, um des Zieles einer zukunftgerechten Bildungs- und Wissenschaftspolitik willen große Opfer und Risiken auf sich zu nehmen. Nordrhein-Westfalen hat damit innerhalb der bildungspolitischen und wissenschaftspolitischen Bemühungen unserer Zeit eine Stellung erhalten, deren wir uns nicht zu schämen brauchen. Was die Bemühungen der Landesregierung selbst betrifft, so erfülle ich eine besondere Dankespflicht, wenn ich mit herzlicher Anerkennung auf die Arbeit des Kultusministers Prof. Dr. Mikat wie seines Vorgängers, Staatsminister a. D. Werner Schütz, und des Ministers für Landesplanung, Wohnungsbau und öffentliche Arbeiten Franken hinweise. Sie alle haben diese Aufgabe zu ihrer eigenen gemacht und trotz der vielfältigen sonstigen Belastungen ihres Amtes immer wieder mit dem ganzen Einsatz ihrer Person für das große Ziel gearbeitet, das ihnen und uns vor Augen steht. Mein zweiter Dank gilt dem Gründungsausschuß für die Universität Bochum, an seiner Spitze Herrn Professor Dr. Wenke. Wenn Parlament und Regierung dieses Landes die politische Kraft waren, die dieses große Werk betrieben, so war der Gründungsausschuß der Universität die entscheidende geistige Kraft, deren Mitwirkung umso notwendiger war, als es darum ging, die innere Ordnung und den Aufbau der Universität unter neuen modernen Gesichtspunkten zu vollziehen. Die Konzeption des Gründungsausschusses, sein Strukturplan für den inneren Aufbau der Universität sind die Richtschnur für alle Aufbauarbeiten gewesen. Der Gründungsausschuß hat aber nicht nur einen Plan erarbeitet, sondern er begleitet dankenswerterweise diese Neugründung auch jetzt noch mit seinem Rat und seiner Hilfe.

Allen Mitgliedern des Gründungsausschusses gilt daher mein und der Landesregierung aufrichtiger und herzlicher Dank.

Des weiteren aber gilt der Dank der Landesregierung der Stadt Bochum, ihrem Rat und ihrer Verwaltung. Land und Stadt haben auf planerischem Gebiet, in der Frage der Grundstückbeschaffung und in vielen anderen großen und weniger großen Einzelfragen, loyal und gut zusammen gearbeitet. Dafür der Stadt Bochum an dieser Stelle erneut zu danken, ist mir eine gern geübte Pflicht.

Deutsche und ausländische Freunde und Gönner der neuen Universität haben den heutigen Tag zum Anlass genommen, der Ruhr-Universität beträchtliche Geldspenden zukommen zu lassen. Ihnen allen, die ich leider an dieser Stelle nicht namentlich erwähnen kann, gilt der herzliche Dank der Landesregierung für diese freundschaftliche und hochherzige Geste.

Wenn auch zurzeit an der Universität in Bochum noch keine Studenten immatrikuliert sind, so dürfen wir alle doch nicht außer acht lassen, daß diese Eröffnungsfeier im Grunde ihnen gilt; - den jungen Studenten und Studentinnen, die vom Beginn des kommenden Wintersemesters ab hier neue Stätten des wissenschaftlichen Studiums finden werden. Wenn wissenschaftliche Hochschulen letztlich für die Studenten gebaut werden, ist es notwendig und nützlich, auch ihre Meinung zu solchen wichtigen wissenschaftspolitischen Entscheidungen zu hören. Das ist auch bei der Planung und beim Bau dieser Universität geschehen.

Ich freue mich, am heutigen Tage feststellen zu können, daß das Gespräch mit den Vertretern der Studentenschaft über alle Fragen dieser Universitätsgründung stets offen und erfolgreich geführt worden ist. Bei Anregungen und Vorschlägen der Vertreter der Studentenschaft waren der Landesregierung und dem Gründungsausschuß wiederholt Anlass, den eigenen Standpunkt zu überprüfen. Ich hoffe, daß auf dieser Basis die Zusammenarbeit zwischen Universität und Studentenschaft auch künftig vom gleichen Geist der Achtung und Loyalität getragen sein wird.

Nicht zuletzt aber gilt mein und der Landesregierung aufrichtiger Dank den Architekten, Bauplanern und Bauarbeitern, die seit Jahr und Tag hier mit großer Liebe zur Sache tätig sind. Wenn ich ihnen auch schon beim ersten Richtfest vor einiger Zeit den Dank der Landesregierung ausgesprochen habe, so möchte ich nicht verfehlen, ihn auch in dieser Feierstunde nochmals zu wiederholen; denn die Leistung all derer, die an dieser riesigen Baustelle tätig sind, bürgt uns dafür, daß wir auch in Zukunft die Ziele erreichen, die wir uns gesetzt haben.

Seitdem die Planungen für die Universität Bochum in Angriff genommen wurden, sind 4 Männer durch den Tod aus unserer Mitte gerissen worden, die - jeder auf seine Art und nach dem Maß seiner Kräfte und Möglichkeiten - dieser großen Aufgabe verbunden waren.

Im September 1964 verstarb das Mitglied des Gründungsausschusses, Herr Professor Dr. med. Martini aus Bonn. Im Mai 1965 verstarb Herr Obersteiger i.R. Otto Leopold, einer der ersten Mitarbeiter der Universitätsverwaltung. Und im September 1964 wurden der Bauhandwerker Erich Paul und der Kranführer Eberhard Albert Hille Opfer zweier tragischer Unglücke auf der Baustelle. Landesregierung und Universität werden diesen 4 Männern stets ein dankbares und ehrendes Gedenken - bewahren. Ich danke Ihnen, daß Sie sich zu ihrem Gedächtnis von Ihren Plätzen erhoben haben.

Was die äußere und innere Ordnung der neuen Universität betrifft, so bricht sie zwar nicht mit den überkommenen Ideen und der bewährten inneren Ordnung der deutschen wissenschaftlichen Hochschulen; sie versucht jedoch, ihnen zeitgemäße neue Formen zu geben. Daß bei der Gründung dieser Universität keine radikalen Veränderungen dieser inneren Ordnung vorgenommen wurden, kann eigentlich nur den überraschen, der die Auffassung vertritt, daß unsere wissenschaftlichen Hochschulen von Grund auf erneuerungsbedürftig seien. Im vielstimmigen Konzert der Meinungen und Gegenmeinungen zur Weiterentwicklung der deutschen Bildungspolitik gibt es natürlich auch diese Meinung. Die überwiegende Auffassung geht jedoch dahin, daß es zwar notwendig, aber auch ausreichend ist, die überkommenen Formen des Lebens und Arbeitens an unseren wissenschaftlichen Hochschulen nur insoweit zu ändern, als die Entwicklung unseres öffentlichen Lebens solche Veränderungen unabdingbar erfordert, weil ohne sie der Erfolg der wissenschaftlichen Bildungsaufgabe der Universität gefährdet werden könnte. Wenn daher in Zusammenhang mit der vom Gründungsausschuss erarbeiteten Struktur der Universität von einer "gemäßigten Reform-Freude" gesprochen worden ist, so möchte ich diese Formulierung, die manchem als einschränkendes Lob erscheinen mag, im Gegenteil als uneingeschränkte Anerkennung bewerten. Der Gründungsausschuss hat damit zwischen Reformfreude und Beharrungsstreben den richtigen Mittelweg gefunden, der insbesondere angesichts der noch vielen offenen Fragen zur Reform unserer wissenschaftlichen Bildungseinrichtungen als glücklich und weise bezeichnet zu werden verdient. Lassen Sie mich dies anhand einiger weniger Hinweise erläutern.

Schon ein Blick auf das Modell unserer Planung, noch mehr auf die Baustelle selbst, zeigt uns das Bild einer neuartigen Anlage. In unmittelbarer Nachbarschaft, in einer wohl ausgewogenen und durchdachten Zuordnung sollen zunächst 2.000 bis später zu 10.000 und mehr Studenten aller Fachrichtungen die Einheit in der Vielfalt zu erkennen lernen. Der Begriff der Campus-Universität lag der Bauausführung zugrunde. Wir bemühen uns, räumlich und strukturell jede nur denkbare Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen zu fördern. Viele Mittel stehen hierfür zu Gebote.

Im organisatorischen Bereich ist es das Ziel, kleine akademische Einheiten in überschaubarer Größe miteinander zu verklammern. Die bisher an Universitäten übliche Ordnungseinheit trägt in Bochum den neuen Namen "Abteilung". Diese Umbenennung besitzt nicht nur terminologische Bedeutung. Sie zeigt an einem kleinen Beispiel, daß an Überkommenem nicht starr festgehalten wird. Die Hochschulreform ist uns eine ernste Verpflichtung.

Die Notwendigkeit und die Möglichkeiten zur Heranbildung einer wissenschaftlichen Führungsschicht und die schwerpunktmäßige Ausrichtung unserer Hochschulen auf besondere Anliegen unserer Zeit sind noch immer Probleme, die unsere Bemühungen in erster Linie kennzeichnen. Sie sind Gedanken, die der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen aus den Jahren 1960 und 1962 deutlich in den Vordergrund gestellt hat und die noch lange nicht durch das bisher bereits Erreichte überholt sind. Die Struktur der Ruhr-Universität soll und wird ein Bekenntnis sein für die Aufgeschlossenheit des Landes Nordrhein-Westfalen und seinen Willen, sich von Unzeitgemäßem zu trennen und neue Wege zu gehen.

Bochum ist eine Stadt im Herzen der größten Industrielandschaft der Bundesrepublik. Wir sind bewußt in den Brennpunkt dieses dicht besiedelten Gebietes gegangen, um direkt und unmittelbar Menschen anzusprechen, denen der Weg zum akademischen Bereich auf Grund ihrer räumlichen Bindung, auf Grund ihrer wirtschaftlichen Lage oder durch die Vorstellung von der Universität als einer fremden, fernab gelegenen Größe schwer fällt. Die Ruhr-Universität soll die enge Verbindung zwischen Bildung und Wirtschaft, zwischen Forschung und industriellem Erfolg schon durch ihre Lage im Herzen dieses Ruhrgebietes zum Ausdruck bringen. Sie soll dem Revier neue Impulse geben und umgekehrt auch von ihm befruchtet werden. Ich erhoffe mir, daß die Anziehungskraft, aber auch die Ausstrahlung der neuen Universität den Landesuniversitäten und allen übrigen Universitäten und Hochschulen der Bundesrepublik, unserer Bevölkerung und unserem Staat zugute kommt.

Die Landesregierung beabsichtigt, zur Konstituierung der Universität dem Landtag unverzüglich den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, mit dem dieser Einrichtung die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts übertragen werden. Dieser Akt ist eine Notwendigkeit, die sich aus Verfassung und Gesetz ergibt.

Nur der Ordnung halber muss ich auch an diesem Tage und in dieser Feierstunde hinzufügen, daß die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Bau der Universität Bochum ihre Aufgabe, an der Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Bildungseinrichtungen nach Kräften mitzuwirken, nicht als erfüllt ansieht, - umso mehr, als diese neue Universität, so wichtig sie für unser wissenschaftliches Leben sein wird, insgesamt doch nur einen Teil des Bedarfes wird befriedigen können. Die Errichtung einer Technischen Hochschule in Dortmund sowie einer weiteren Universität im Ostwestfalenraum, die Errichtung einer Medizinischen Fakultät an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen und die Ausbauprojekte in Essen und an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf bezeichnen die Größe der Verpflichtungen, welche das Land eingegangen ist und in den nächsten Jahren verwirklichen muss. Diese Stunde bedeutet für uns im Angesicht der Größe dieser Aufgaben eine Ermutigung, trotz vieler Schwierigkeiten nicht nachzulassen in der Entschlossenheit, diesem Lande auch im Bereich der Wissenschaftspflege die ihm gemäße Stellung zu verschaffen.

Lassen Sie mich zum Abschluß, meine sehr geehrten Damen und Herren, aber darauf hinweisen, daß wir in dieser Stunde - wie überall im menschlichen Leben, - trotz der Freude über das Erreichte vor der Tatsache stehen, daß uns ein neuer Anfang aufgegeben ist. Was bisher mit Hilfe des Staates geschehen ist und weiter geschehen soll, das betrifft ungeachtet seiner sachlichen und finanziellen Größenordnungen letzten Endes nicht mehr als die Starthilfe oder die Schaffung der äußeren Voraussetzungen, die für wissenschaftliches Arbeiten von Professoren und Studenten an dieser neuen Universität notwendig sind. Wie das Leben dieser Universität sich gestalten wird, das kann der Staat nur noch ganz beschränkt beeinflussen; das hängt von Lehrenden und Lernenden ab, die in Zukunft hier in Bochum in der Gemeinschaft der Universität zusammen leben und arbeiten werden. Damit aber wende ich mich Ihnen zu, meine Herren Professoren.

Die Weiterentwicklung der Idee der Universität an dieser neuen wissenschaftlichen Hochschule, der Inhalt der Lehre und Forschung, die hier betrieben werden soll, die akademische Ausbildung der Jugend, die hierher kommen wird, - das alles liegt in Ihren Händen. Sie kommen von vielen Universitäten der Bundesrepublik. Es wird für Sie in den ersten Jahren ein Opfer sein, an einer Universität im Aufbau zu wirken, in der es an manchen äußeren Voraussetzungen wissenschaftlicher Arbeit noch fehlt, die in den alten Universitäten selbstverständlich sind.

Ich meine jedoch, daß in dieser Aufgabe zugleich die große Chance liegt, auf die Entstehung einer solchen wissenschaftlichen Einrichtung starken Einfluß zu nehmen und ihren Geist - möglicherweise auf Jahrzehnte hinaus - mit zu bestimmen. Daher gilt Ihnen, meine Herren Professoren, die aufrichtige und herzliche Bitte, sich der Aufgabe, den Geist dieser Universität mitzuprägen, nicht zu versagen. Sicherlich wird der Ruf Bochums sehr wesentlich auch von Ihrer wissenschaftlichen Leistung abhängig sein, wie man eben - gestern und heute - die Namen großer Wissenschaftler oft mit bestimmten Universitäten verbunden hat. Das ist eine wichtige, aber doch nur eine Seite Ihrer Aufgabe. Die andere betrifft die Notwendigkeit, dieser Universität von Anbeginn alle Eigenschaften eines Hortes der Wissenschaft und der Freiheit zu geben.

Die Auseinandersetzungen, in die wir in allen Bereichen unseres Lebens hineingestellt sind, der Kampf unseres Volkes um Frieden und Einheit in Freiheit, sind nur zu bestehen mit Menschen, die ihr Fach beherrschen und die zugleich wissen, worum es in Gesellschaft und Staat heute und morgen geht. Die Aufgabe, welche eine moderne Universität gerade in dieser Beziehung zu erfüllen hat, kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Daß hier, in der Universität Bochum, ein gut Teil dieser Aufgabe bewältigt werden möge, ist mein aufrichtiger Wunsch.

In dieser Gesinnung eröffne ich die Ruhr-Universität Bochum und widme sie allen Lehrenden und Lernenden zur Wahrung der Würde und der Freiheit aller Menschen.


PROVENIENZ  Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland
BESTAND122/85
SIGNATURS 80-89


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.10   1950-1999
Ort1.1   Bochum, Stadt <Kreisfr. Stadt>
1.1   Nordrhein-Westfalen (NRW) <1946 - >
Sachgebiet13.2   Wissenschaftspolitik, Wissenschaftsförderung
13.3   Hochschulen
DATUM AUFNAHME2006-07-08
AUFRUFE GESAMT3230
AUFRUFE IM MONAT184