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(86 KB)   Die Sterblichkeit der Zivilbevölkerung in Westfalen während des Ersten Weltkriegs 1914-1918 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/E. Uthmann   Die Sterblichkeit der Zivilbevölkerung in Westfalen während des Ersten Weltkriegs 1914-1918 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/E. Uthmann
TITELDie Sterblichkeit der Zivilbevölkerung in Westfalen während des Ersten Weltkriegs 1914-1918


INFORMATIONIn den dargestellten Diagrammen ist die Entwicklung der Sterberate in Westfalen während des Krieges in bezug auf die Vorkriegszeit zu verfolgen. Der leichte Anstieg 1915 beschränkt sich auf die jüngeren, schulpflichtigen Altersklassen, deren Angehörige in diesem Jahr verstärkt Scharlach und Diphtherie zum Opfer fielen. Erst 1916 begannen die Kriegsverhältnisse stärker auf die allgemeine Zivilsterblichkeit einzuwirken. Stufenweise wuchs die Sterbeziffer. 1918 starben in Westfalen fast 80% mehr Menschen als vor Kriegsbeginn.

Eine eindeutige Beziehung zwischen steigender Sterberate und den Ernährungsverhältnissen ergibt sich erst in der zweiten Hälfte des Krieges. Zu dieser Zeit war aufgrund der sich qualitativ verschlechternden Nahrung bei vielen Menschen die Widerstandsfähigkeit, besonders gegen Infektionskrankheiten, stark herabgesetzt. Als sichtbare Merkmale des Mangels zeigten sich starke Gewichtsverluste, ausgemergelte Gesichter und extrem blasse Hautfarbe. Besonders die Steigerung der Todesfälle durch die Influenza (=Grippe) und Lungenentzündungen im Jahre 1918 beweist deutlich, wie sehr in der Bevölkerung ein Kräfteverfall eingesetzt hatte. Der verstärkt eintretende Tod durch Altersschwäche läßt sich ebenfalls auf den Nahrungsmangel zurückführen. Keine Altersklasse ist durch eine einseitige Mangelernährung so gefährdet wie die der in hohem Alter stehenden Personen. Die Wirkung der Kriegsernährung zeigt sich bei ihnen bereits während des ersten Kriegsjahres im Ansteigen der Todesrate. Für ihr Absinken im Jahre 1918 sind vor allem zwei Ursachen verantwortlich: Zum einen waren ältere Menschen bis zu dieser Zeit bereits in größerer Anzahl verstorben, und zum anderen war ein großer Teil von ihnen der Grippe dieses Jahres zum Opfer gefallen.

Die unzureichende Versorgung wirkte sich zuerst in jenen Bevölkerungsgruppen aus, die zum größten Teil allein auf die Normalration angewiesen waren. Sie hatten kaum die Möglichkeit, zusätzliche Nahrungsmittel auf illegalem Wege zu bekommen. Das gleiche galt für die Insassen der geschlossenen Anstalten. Die Steigerung der Sterblichkeit durch Nervenleiden dürfte im wesentlichen auf die starke Zunahme der Todesfälle in den Anstalten für Geisteskranke zurückzuführen sein, die eindeutig durch eine katastrophale Ernährung verursacht wurden. Ähnliche Zustände herrschten auch in den Gefängnissen, wo besonders Hungerödeme auftraten. Der leitende Arzt der Anstalt Bethel bei Bielefeld berichtete Ende November 1918 über den Gesundheitszustand der Insassen:

"Im Allgemeinen wurde bei fast allen Kranken eine erhebliche Gewichtsabnahme konstatiert, die in einzelnen Fällen 15 bis 20 Kilo betrug. Im November 1916 trat die sogenannte Oedemkrankheit auf, die etwa bis zum Februar 1917 anhielt. Alle daran erkrankten starben. ... Auch jetzt noch machen sich vielfach oedematische Schwellungen ... bemerkbar, die auf hochgradige Blutarmut infolge mangelhafter Ernährung zurückzuführen sind.... Bei dem großen Hungergefühl aßen die Kranken vielfach rohe Feldfrüchte und Abfälle, wo sie sie nur fanden." [1]

Neben der Sterberate geben auch die Berichte der städtischen Ärzte einen Einblick in den katastrophalen Gesundheitszustand der Bevölkerung. Immer wieder wurde ein Anstieg von Magen- und Darmentzündungen konstatiert, die teils seit Ende 1916, teils seit dem Frühjahr 1917 verstärkt auftraten und in direktem Zusammenhang mit der Reduzierung der Kartoffelration und dem Ersatz durch Rüben standen. Während des Kohlrübenwinters war der Kräfteverfall besonders groß. Auch innerhalb der Zivilbevölkerung traten Hungerödeme auf, Magen-Darmbeschwerden und Brechreiz waren häufige Krankheitserscheinungen. Ein sichtbares Symptom für den physischen Verfall war die sinkende Arbeitsleistung. Die Produktionsziffern vieler Betriebe reduzierten sich ab 1917 noch einmal erheblich. Alle diese Beobachtungen führen zu dem Schluß, daß der Erste Weltkrieg nicht nur auf den Kriegsschauplätzen verloren wurde, sondern ebenso auch an der sogenannten "Heimatfront".


[1] Staatsarchiv Detmold, Regierung Minden M 1, I M, Nr. 124.


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FOTO-PROVENIENZMünster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/E. Uthmann


QUELLE    Roerkohl, Anne | Der Erste Weltkrieg in Westfalen | Dia 12, S. 44-46
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ95   Grafik, Schaubild, Diagramm
Zeit3.9   1900-1949
Ort2.30.37   Westfalen, Provinz (Preußen) <1815-22.08.1946>
Sachgebiet9.4   Konsum, Nahrung
DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT3990
AUFRUFE IM MONAT270