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(68 KB)   Friedrich von Bodelschwingh: Titelblatt des Buchs "Das Wanderarbeiterstättengesetz" / Bethel, von Bodelschwinghsche Anstalten / Hauptarchiv und Historische Sammlung / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt   Friedrich von Bodelschwingh: Titelblatt des Buchs "Das Wanderarbeiterstättengesetz" / Bethel, von Bodelschwinghsche Anstalten / Hauptarchiv und Historische Sammlung / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt
TITELFriedrich von Bodelschwingh: Titelblatt des Buchs "Das Wanderarbeiterstättengesetz"
DATIERUNG1907


INFORMATIONNicht zuletzt infolge verschiedener Wirtschaftskrisen im Deutschen Reich verloren zahlreiche Arbeiter ihren Arbeitsplatz. Ohne ausreichende finanzielle Ressourcen, ohne stützende nachbarschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen und ohne öffentliche Unterstützung waren sie gezwungen, als mobile Arbeiter auf der Wanderschaft nach Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu suchen. Ihren Lebensunterhalt bestritten die schätzungsweise 300.000 Wanderarbeiter durch Gelegenheitsarbeiten oder Bettelei. Häufig wurden sie als Vagabunden bezeichnet und von den staatlichen Behörden unter dem Vorwurf der Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Gewahrsam genommen. Bettelei und Landstreicherei wurden von den Landespolizeibehörden oftmals mit der Verhängung von Arbeitshausstrafen
geahndet. [1]

Bodelschwingh wollte den unverschuldet in Not geratenen Wanderarbeitern "Herbergen zur Heimat" bieten. Die Gründung der Arbeiterkolonie 1882 war nur der erste sichtbare Beginn eines Versuchs, die soziale Not der Wanderarmen zu mindern. Bereits 1874 forderte Bodelschwingh im "Westfälischen Hausfreund", Herbergen zur Heimat in allen Industriestädten zu gründen, die nicht nur den wandernden Gesellen, sondern auch den Industriearbeitern Kost und Logis anbieten sollten. Bodelschwingh rief zu weitergehenden Initiativen auf, die weit über die bislang übliche private Wohltätigkeit der Herbergsvereine der Inneren Mission hinausreichte, indem er ein vollständiges Netz von Unterstützungsstationen in der ganzen Provinz Westfalen und im Deutschen Reich aufrichten wollte. Dabei sollten diese Verpflegungsstationen von den Kommunen getragen und mit den "Herbergen zur Heimat" verbunden werden. Auf dem Kongreß für Innere Mission in Karlsruhe im September 1884 forderte Bodelschwingh, nachdem er in Bielefeld im Januar 1884 den westfälischen Herbergsverband gegründet hatte:
"Die richtige Arbeitsteilung ist also diese, daß die Kommunalverbände die Mittel zur Verpflegung der Gäste (am besten durch eine kleine Steuer) aufbringen und die Anweisungsbeamten stellen ... die freie Liebesthätigkeit aber die christlichen Herbergen selbst schafft und die Herbergsväter stellt, mit welchen die Kommunalverbände oder städtischen Vereine ihre Kontrakte abschließen.“ [2]
Die "Herbergen zur Heimat" sollten nach Auffassung Bodelschwinghs in den Händen der Kirchen liegen, während die Naturalverpflegungsstationen von den Kommunalgemeinden eingerichtet und getragen werden sollten. In der Provinz Westfalen wurde das Zusammenwirken von Staat, Kommunen und konfessioneller Wohlfahrtspflege in der Wandererfürsorge besonders im Regierungsbezirk Minden herausgebildet. Nicht zuletzt durch Bodelschwingh fand diese Zusammenarbeit ihre institutionelle Ausformung im 1888 gegründeten "Westfälischen Stationsverband". Eine finanzielle Förderung der Verpflegungsstationen lehnte der westfälische Provinziallandtag zunächst ab. Erste Beihilfen für die Träger der Einrichtungen wurden dann 1902 bewilligt. Damit erhielt die Provinz Westfalen Vorbildcharakter für die Wandererfürsorge im Reichsgebiet.

Unter dem Leitspruch "Arbeit statt Almosen" forderte Bodelschwingh 1894 eine Gesetzesvorlage zum Schutz der Wanderarbeiter, die er als Denkschrift veröffentlichte und dem Preußischen Landtag vorlegte. Sein Postulat, Naturalpflegestationen per Gesetz einzurichten, stieß sowohl bei den Sozialdemokraten als auch bei den Konservativen auf Widerstand. Für Bodelschwingh gab es im Gegensatz zu den Sozialdemokraten kein Recht auf Arbeit, sondern er forderte eine Pflicht zur Arbeit: "Keine Station ohne Arbeitsnachweis und kräftige Arbeitsleistung, keiner wird gepflegt, der nicht arbeiten will." [3]

Als ihm 1903 eine Kandidatur für das Preußische Abgeordnetenhaus im Wahlkreis Bielefeld-Herford vom Vorsitzenden der christlich-konservativen Partei, Pastor Julius Möller aus Gütersloh, angetragen wurde, willigte er in der Hoffnung ein, zu Gunsten der Wanderarbeiter gesetzlich etwas bewirken zu können. Grundlage für das "Wanderarbeitsstättengesetz" bildete ein angenommener Antrag im Preußischen Landtag im April 1905, nach dem sich die preußische Regierung an den Kosten für die Wanderfürsorge beteiligen sollte. Den Kreisverwaltungen sollten zwei Drittel der aufgewendeten Kosten erstattet und den Arbeitslosen bei den Fahrten zu den Wanderstationen ermäßigte Tarife gewährt werden. Das 1907 verabschiedete preußische Wanderarbeitsstättengesetz erfüllte die zentrale Forderung Bodelschwinghs und der Wanderfürsorgeverbände nicht, da es die Zuständigkeit für seine Durchführung an die Provinziallandtage verwies. Nur in fünf preußischen Provinzen, darunter in Westfalen, wurden gesetzliche Regelungen geschaffen, durch die die Stadt- und Landkreise auf die Durchsetzung der Wanderordnung verpflichtet und zur Zusammenarbeit mit den Fürsorgeverbänden angehalten wurden. In der westfälischen Provinz trat das Gesetz am 01.01.1911 in Kraft.

Bei der Verabschiedung im Landtag stimmte als einziger Abgeordnete der konservative Graf von der Schulenburg-Grünthal gegen das Gesetz, der dabei die Landarbeiter in der von Bodelschwingh 1905 gegründeten Arbeiterkolonie Hoffnungstal bei Berlin heftig angriff. Die Kolonisten bezeichnete er als Tagediebe, die niemals zu einer geordneten Lebensführung zurückkehren würden. Bodelschwingh nahm diese Vorwürfe zum Anlaß, im Juli 1907 einen Offenen Brief an den Grafen zu richten und die Vorurteile gegen die Wanderarbeiter und Bewohner der Arbeiterkolonien zurückzuweisen. Die Kolonisten seien seine Freunde und Brüder:
"Ich versichere Sie, daß unsere Hoffnungstaler in mehr als einer Beziehung Ehrenmänner, Helden sind, die Größeres geleistet haben, als ich von mir rühmen kann. ... Da beinah die Hälfte aller Kolonisten unbestrafte Leute sind, so sehen wir sie in Hoffnungstal gerne als unbestraft an und behandeln sie darnach. Bei uns gilt die Regel, daß man über die Vergangenheit des Nächsten nie redet und wo dies geschieht, es sofort ernst gerügt wird." [4]


[1] Vgl. Jürgen Scheffler, Protestantismus zwischen Vereinswohltätigkeit und verbandlicher Wohlfahrtspflege: Innere Mission und Wandererfürsorge in Westfalen vor dem Ersten Weltkrieg, in: Westfälische Forschungen 39 (1989), S. 256-282, hier S. 268.
[2] Zit. nach ebd. S. 271.
[3] Ebd. S. 257.
[4] Friedrich von Bodelschwingh, Ausgewählte Schriften II, a.a.O., S. 332 und 345.


TECHNIKBuch, Typendruck
MATERIALPapier
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OBJEKT-PROVENIENZBethel, von Bodelschwinghsche Anstalten / Hauptarchiv und Historische Sammlung
FOTO-PROVENIENZMünster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt


QUELLE    Bernard, Johannes | Friedrich von Bodelschwingh | Dia 11, S. 40-43
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Sachgebiet8.2   Sozialpolitik
8.4   Sozialfürsorge, Fürsorgeeinrichtungen
10.9   Arbeit, Beschäftigte
DATUM AUFNAHME2004-02-24
AUFRUFE GESAMT393
AUFRUFE IM MONAT100