Soest > Aldegrever: Der Kampf um den rechten Glauben und die Druckgraphik


 
Klaus Kösters

Der Kampf um den rechten Glauben und die Druckgraphik

 
 
 

2. Propaganda und Pädagogik

 
 
 
In der Praxis dienten viele der evangelischen Flugschriftenbilder neben der erzieherischen Hinführung zum neuen Glauben der provokativen Diffamierung der römischen Kirche. Die protestantische Bildpolemik bediente sich dabei der volkstümlichen Kirchenkritik. Schon erwähnt wurden die populären Vorwürfe über die außergewöhnliche Prachtentfaltung und Korruption des Papsttums, die im Gegensatz zu den christlichen Werten der Demut, Bescheidenheit und Armut standen. Als Zielscheibe diente auch das weltliche Leben der Mönche und Nonnen, welches populäre Erzählungen und Graphiken satirisch aufs Korn nahmen. Sehr beliebt war auch die Identifizierung der katholischen Prälaten mit dämonischen Tieren oder dem Teufel selbst, was dem volkstümlichen Aberglauben entgegenkam. Allegorie und Metapher waren dabei die üblichen Stilmittel, um die Bildaussage prägnant zu formulieren.

Die "Allegorie auf das Mönchtum" von Sebald Beham [12] stellt einen Mönch dar, der von den personifizierten Lastern der Hoffahrt, Wollust und Habgier begleitet wird. Ein von der Armut begleiteter Bauer gibt ihm ein Buch zu fressen, das Evangelium. Der einfache Mann aus dem Volk stellt den Mönch bloß und erinnert ihn an seine vernachlässigte Aufgabe, das Wort Gottes zu verkünden. Eindringlich wird hier der Sittenverfall in der katholischen Kirche geschildert.

Dies Beispiel steht für viele Bilder, welche die katholische Kirche angriffen und in einfacher Bildsprache immer wieder die gleichen Vorwürfe wiederholten: die römische Kirche ist korrupt, verdorben und ihre geistlichen Vertreter Diener teuflischer Mächte. Eine solche Kritik war nicht konstruktiv, sondern Angriffswaffe im Kampf um den rechten Glauben.

Die protestantischen Flugschriften beschränkten sich aber nicht auf solche aggressiven Blätter. Genau so wichtig war die Verbreitung und Bekanntmachung der erst jungen evangelischen Lehre. Die zum Verständnis eines breiten Publikums geforderte Einfachheit der bildlichen und textlichen Darstellung machte es schwierig, komplexe theologische Themen zu behandeln. Eine klar verständliche Bildaussage und dazu prägnante Texte waren Voraussetzungen, damit die visuelle Propaganda überhaupt ihre Wirkung erzielen konnte.

1527 schuf Lukas Cranach d. Ä. acht Holzschnitte mit kleinen Textzeilen zum Vaterunser. Die Bildfolge setzt ein mit der göttlichen Erschaffung der Welt. Danach folgen die sieben Bitten des Vaterunsers, die zumeist an bekannten biblischen Stoffen illustriert werden. Das hier abgebildete zweite Blatt zeigt dagegen einen protestantischen Gottesdienst mit dem gekreuzigten Christus in der Mitte. Der Text verdeutlicht die Glaubensaussage: "Das ist / Dein Name werde recht erkand / durch rechte lere und glauben / und dadurch gelobet und gepreiset."

In dieser Zeit arbeitete Luther am "Kleinen Katechismus" und hatte selbst ein protestantisches Lehrbild entworfen. Seine Bildidee wurde in der Cranach-Werkstatt in den "Gesetz und Gnade" - Bildern umgesetzt. Das Bildschema ist, wie bei vielen evangelischen Kampfbildern, antithetisch: Das zweigeteilte Bild zeigt links den Menschen unter dem Gesetz des Alten Testaments. Durch die Erbsünde sind die Menschen unrettbar der Sünde verfallen und werden zum Opfer von Tod und Teufel. Rechts erscheint der gekreuzigte Christus. Allein durch die Gnade Gottes erfährt der Mensch die Erlösungshoffnung des Neuen Testaments.

Andere protestantische Lehrbilder zeigen u. a. den gekreuzigten Christus, durch den nach der protestantischen Rechtfertigungslehre allein die Erlösung zu erlangen ist, das Abendmahl oder die evangelische Predigt sowie Christus als Kinderfreund, um die lutherische Lehre von der täuferischen Ablehnung der Kindtaufe abzusetzen. [13]

Sehr populär waren die Bildnisse der Reformatoren oder der protestantischen Fürsten, die seit dem Beginn der Reformation in großer Stückzahl kursierten. Auch hier gingen wieder viele Bilderfindungen auf die Cranach-Werkstatt zurück. Luther wurde als gottesfürchtiger Mönch dargestellt, als Doktor der Theologie oder sogar als evangelischer Prophet oder Heiliger. [14] Gerade die beiden letzten Beispiele sind ein Beleg dafür, dass die entstehende protestantische Kunst an bekannte Bildtraditionen anknüpfte und offensiv für ihre Zwecke nutzte.

Die Porträtkunst ist nun gewiss keine protestantische Erfindung, sondern geht auf das neue, vom Humanismus geprägte Bewusstsein vom Eigenwert des Menschen, der Würde seiner Persönlichkeit und seines Standes zurück. Das Bildnis entsprach dem allgemeinen Verlangen nach unvergänglicher menschlicher Gegenwart, nach Festhalten der individuellen irdischen Erscheinung. Die Bildnisse der Reformatoren verfolgten noch einen anderen Zweck: Sie machten die führenden Männer nicht nur überall im Land bekannt, sondern ließen diese auch als geistliche Autoritäten und kompetente Zeugen für den neuen Glauben auftreten. In diesem Sinne waren sie auch Mittel der protestantischen Propaganda.

Um diese möglichst effektvoll zu gestalten, bedurfte es weiterer Bilderfindungen. Die protestantische Abwertung der Bilder und der Vorrang des Wortes führten zu Porträts, in denen den Abgebildeten Texte zugeordnet sind. Dürer hatte mit seinem Porträt des Erasmus von Rotterdam [15] den Anfang gemacht und eine Schrifttafel in den Hintergrund gesetzt, die eigentümlich leer erscheint. Die Inschrift betont denn auch, dass der Künstler zwar den Humanisten nach dem Leben porträtiert habe, aber das bessere Bild des Erasmus durch seine Bücher entstehe. [16] Nicht die sinnliche Anschauung zählt, sondern das, was dessen Persönlichkeit eigentlich ausmacht: seine tiefe humanistische Gelehrsamkeit, die sich im Bild nicht darstellen lässt. Der erklärende Text verdeutlicht die Bildabsicht und unterstreicht die pädagogische Funktion. [17]

Um diese möglichst effektvoll zu gestalten, bedurfte es weiterer Bilderfindungen. Die protestantische Abwertung der Bilder und der Vorrang des Wortes führten zu Porträts, in denen den Abgebildeten Texte zugeordnet sind. Dürer hatte mit seinem Porträt des Erasmus von Rotterdam [15] den Anfang gemacht und eine Schrifttafel in den Hintergrund gesetzt, die eigentümlich leer erscheint. Die Inschrift betont denn auch, dass der Künstler zwar den Humanisten nach dem Leben porträtiert habe, aber das bessere Bild des Erasmus durch seine Bücher entstehe. [16] Nicht die sinnliche Anschauung zählt, sondern das, was dessen Persönlichkeit eigentlich ausmacht: seine tiefe humanistische Gelehrsamkeit, die sich im Bild nicht darstellen lässt. Der erklärende Text verdeutlicht die Bildabsicht und unterstreicht die pädagogische Funktion. [17]
 
 


Anmerkungen

[12] Holzschnitt von 1521.
[13] Ausführliche Darstellungen protestantischer Bildthemen finden sich im Ausst. Kat. Hamburg 1984, S. 204 - 248, im Ausst. Kat. Berlin (Ost) 1983, S. 369 - 426, sowie im Ausst. Kat. Nürnberg 1983, S. 352-378.
[14] Beispiele: "Luther als Evangelist Matthäus" von Lukas Cranach d. Ä. (Ausst. Kat. Hamburg 1984, Nr. 28), "Martin Luther als Augustinermönch" von Hans Baldung Grien oder Lukas Cranach (ebda, Nr. 27), "Luther Trivmphans" (ebda, Nr. 30).
[15] Knappe 1964, 107.
[16] Kupferstich von 1526. Lateinische Inschrift: Bildnis des Erasmus von Rotterdam gezeichnet von Albrecht Dürer nach dem Leben. Griechische Inschrift: Besser zeigen ihn seine Bücher.
[17] "Die Nutzanwendung des Bildes sichert und gewährleistet demnach das Wort. Erst durch den Text werden die Bilder zu eindeutigen und deshalb belehrenden Bildern." (Schuster 1984, S. 116).