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VERFASSERStiff, Ursula
TITELDie Wiedertäufer zu Münster
AUFLAGE2., veränd. Aufl.


ORTMünster
JAHR1990


ONLINE-TEXTGeschichtlicher Überblick
SEITES. 8-15


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B. Geschichtlicher Überblick

Die Täuferherrschaft in Münster 1534-1535 ist nur eine kurze Periode der Stadtgeschichte während der Reformationszeit. Dennoch kommt ihr eine besondere Bedeutung zu, weil in ihr sich verdichtet, was an religiösen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Spannungen eine ganze Epoche beunruhigt und geprägt hat.

Je nach dem Standpunkt des Betrachters werden mal die religiösen, mal die politischen, mal die ökonomischen Ursachen in den Vordergrund gestellt bei der - dann notwendigerweise einseitigen - Beurteilung der Vorgänge. Man sollte sich jeder vereinfachenden Erklärung enthalten, denn die Wiedertäuferherrschaft wurde durch das Zusammentreffen vieler - allgemeiner und speziell münsterischer - Umstände bewirkt.

Vor der Darstellung der Ereignisse der Jahre 1534/35 muß über das Entstehen und die Lehre der Täufer berichtet werden: Luthers Anliegen war die Reform der christlichen Kirche, sein Prinzip die Rückführung auf die Bibel gewesen.

Die große Verbreitung der lutherschen Bibelübersetzung führte dazu, daß ungezählte Gelehrte und Nichtgelehrte sich berufen fühlten, durch ihre Bibelauslegung auf andere Art als Luther die Erneuerung der christlichen Kirche herbeizuführen.

Die bekanntesten dieser reformatorischen Persönlichkeiten sind Zwingli in Zürich und Calvin in Genf. Von Zwingli spaltete sich 1525 eine Gruppe ab, die die Kindertaufe ablehnte mit der Begründung, daß Christus gesagt habe: "Wer glaubt und getauft wird, wird selig" (Markus 16,16), folglich wäre Voraussetzung für die richtige Taufe der Glaube - daher "Glaubenstaufe" -, den ein Kind nicht haben könne. Weil sie deshalb die Erwachsenentaufe forderten, wurden sie "Täufer" - spöttisch "Wiedertäufer" - genannt. Selbst nannten sie sich "Gemeinde Christi".

Weil nach ihrer Meinung Katholiken, Lutheraner und Zwinglianer das wahre Christentum verfälscht hatten, wollten die Täufer nach dem Wortlaut der Bibel und dem Vorbild der urchristlichen Gemeinde ein "richtiges" christliches Leben führen: als "Auserwählte Gottes" forderten sie von ihren Anhängern die Beobachtung strengster Sittengesetze, die Absonderung von der "sündigen" Welt und die Ablehnung aller öffentlichen Verpflichtungen.

Zu den öffentlichen Verpflichtungen gehörte beispielsweise der Eid, der im Stadt- und Gemeindeleben eine große Rolle spielte (z.B. mußte jeder Bürger sich unter Eid verpflichten, die Stadt zu verteidigen und bei Bränden zu helfen). Da keiner ohne Eidesleistung Bürger einer Stadt werden konnte, stellt die Eidesverweigerung eine Gefährdung des Gemeinwesens dar.

Wie die ersten Christen lebten die Täufer in der Erwartung der nahen Wiederkehr des Herrn. In dieser Erwartungshaltung wurden sie bestärkt durch die seit der Jahrhundertwende verbreitete Auffassung vom baldigen Weltende (vgl. u. a. Dürers Holzschnitte zur Apokalypse, 1496/98) mit dem erwarteten Strafgericht Gottes, für das das Vordringen der Türken (1529 Belagerung Wiens) ein sichtbarer Beweis schien. "Denn Daniel sagt, daß nach dem Türken flugs das Gericht und die Hölle folgen soll" (Luthers Heerpredigt wider die Türken, 1529).

Aus Zürich wurden die Täufer auf Veranlassung Zwinglis vertrieben. Die geflüchteten Täufer verbreiteten ihren Glauben - mit dem Missionseifer der ersten Christen - insbesondere am Ober- und Niederrhein sowie in den Niederlanden.

Am Niederrhein und in den damals habsburgerischen Niederlanden hatte sich infolge der Unterdrückung ein Untergrundprotestantismus entwickelt, der für die täuferischen Ideen aufgeschlossen war; eine Neigung zu frommer Absonderung von der offiziellen Kirche war dort schon lange verbreitet.

1529 gab es bereits in mehr als 500 Städten und Gemeinden Täufer. Überall wurden sie verfolgt.

Das erste Mandat (Anordnung) gegen die Täufer erließ der Rat der Stadt Zürich 1526; nicht allein die Wiedertaufe wurde unter Todesstrafe gestellt, sondern bereits die Predigt der Täufer. Andere Städte und Landesherren folgten. 1528 erließ auch der Kaiser ein Mandat gegen die Täufer. 1529 wurde auf dem 2. Reichstag in Speyer das Mandat gegen die Täufer zum Reichsgesetz erhoben, und zwar einmütig, "um fried und einigkeit im reich zu erhalten". Begründet wurde die Anordnung mit "Ketzerei und Aufruhr". Um das Vorgehen gegen die Täufer der geistlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen, ist der Aspekt des Aufruhrs in den Vordergrund gestellt worden; aus pragmatischen Gründen sollte der Tatbestand der Wiedertaufe zur Bestrafung genügen. Unter den Täufern gab es viele verschiedene Richtungen; z.B. die "Stäbler", friedliche Täufer, zu denen u. a. seit 1527 die "Schweizer Brüder" gehörten, und die radikalen "Schwertler", zu denen u. a. Thomas Müntzer (gest.) gerechnet wird.

Melchior Hoffmann, ohne den die Ereignisse in Münster nicht denkbar sind, vertrat eine besondere Richtung der Täufer. Der schwäbische Kürschnermeister und Laienprediger Hoffmann, dessen Anhänger man "Melchioriten" nannte, verbreitet seine Ideen in Straßburg und vor allem in den Niederlanden. Hoffmann setzte neben die Bibel in krassem religiösen Subjektivismus die eigenen persönlichen Gesichte (Visionen) als gleichwertige Quellen der biblischen Offenbarung; das von ihm formal beibehaltene Schriftprinzip stellte er einerseits in den Dienst einer wörtlich verstandenen Apokalyptik. Nach Hoffmanns Visionen sollte 1533 die Endzeit vorbei sein; dann, so verkündete er, würden sich in Straßburg, dem "Neuen Jerusalem", die "Auserwählten Gottes" sammeln; nach dem Sieg über die Mächte des Bösen würde ein frommer König das Friedensreich der 1000 Jahre regieren.

Weil Hoffman private Offenbarungen neben und gar über die Bibel stellte - bezeichnend ist, daß er in Straßburg eine eigene Gemeinde gründete und sich nicht den dortigen Täufern anschloß -, rechnen viele Theologen ihn nicht zu den Täufern, sondern zu den "Schwärmern".

In der Überzeugung, daß das Ende unmittelbar bevorstehe, provozierte Hoffman seine Verhaftung durch den Rat der Stadt Straßburg. Nachdem sich seine Prophezeiung nicht erfüllt hatte, stellte sich der Bäcker Jan Matthys aus Haarlem als neuer "Prophet" an die Spitze der Melchioriten. Er proklamierte im Februar 1534 Münster zum "Neuen Jerusalem". Dort hatten nämlich seit 1532 "Wassenburger Prädikanten" - aus den Niederlanden ausgewiesene Melchioriten - Aufnahme und Anhänger gefunden.

Die Situation in Münster war für die Täufer günstig: zum einen hatte sich die Reformation hier erst seit 1531 verbreitet und seit 1532 durchgesetzt - ihre Anhänger bildeten jedoch noch keine gefestigte Gemeinde -, zum anderen waren im Jahr 1532 drei Bischöfe hintereinander im Amt. So war weder eine geistliche noch eine weltliche Autorität vorhanden, die in der Lage war, das Eindringen der ketzerischen Ideen der Täufer zu verhindern. Kaum hatte der Bischof Franz von Waldeck als Stadtherr im Februar 1533 die evangelische Lehre als gleichberechtigt anerkannt - die sechs Stadtpfarrkirchen wurden evangelisch, nur Dom, Stifte und Klöster blieben katholisch -, konnten die Täufer schon große Teile der Bevölkerung für sich gewinnen, 1.400 Bürger ließen sich in der Woche zwischen dem 06.01.1534 und 13.01.1534 durch von Jan Matthys ausgesandte "Sendboten" taufen.

Darunter war auch Bernd Rothmann, eine der zentralen Persönlichkeiten im münsterischen Täufergeschehen: Zunächst Kaplan an der Stiftskirche St. Mauritz vor den Toren der Stadt, dann evangelischer Prediger, dessen große Beredsamkeit hauptsächlich die Einführung der Reformation in Münster bewirkt hatte. Seit dem Herbst 1532 wandte er sich Schritt für Schritt vom Luthertum ab, verkündete zunächst die Lehre Zwinglis und dann die der Täufer, wobei er große Teile des jungen münsterischen Protestantismus mit sich zog. Später wurde er durch seine Schriften und Traktate zum "Wortführer" in Jan van Leydens Königreich.

In diese Januarwoche fiel auch die Ankunft des Johann Bokkelson aus Leiden. Jan van Leiden genannt, eines "Apostels" des Jan Matthys. Er war ein junger, intelligenter Mann von 24 Jahren, von gefälligem Aussehen, der als Schneider, Gastwirt und Bänkelsänger bislang ein unstetes Leben geführt hatte.

Münster wurde zum Zufluchtsort der Täufer aus dem ganzen Nordwesten; Ströme niederländischer und friesischer Täufer wollten in Münster das 1000jährige Reich verwirklichen. Als der Rat nichts gegen die immer stärker anwachsenden Täufer unternahm und diese nicht auswies, erließ der Bischof am 23.01.1534 ein Edikt gegen die Täufer und berief den Landtag ein, um Maßnahmen gegen die Täufer beschließen zu lassen. Die Stadt und ihr Rat waren gespalten: ein Teil, der die Unmöglichkeit erkannte, aus eigenen Kräften die Täufer aus der Stadt zu verweisen, hielt ein Zusammengehen mit dem Bischof für nützlich; die Mehrheit - hier vor allem die Gilden und Handwerkerkreise - jedoch befürchtete ein Eingreifen des Bischofs, weil sie dadurch auch die städtischen Privilegien und Freiheiten für gefährdet ansahen. Die Entscheidung, dem Befehl des Bischofs zu trotzen und die Täufer nicht auszuweisen oder zu verhaften, entsprang nicht nur religiösen sondern vorwiegend lokalpolitischen Erwägungen. Um einen Bürgerkrieg innerhalb der Stadt zu vermeiden, erließ der Rat am 30.01.1534 - erneuert am 11.02.1534 - eine Toleranzedikt, durch das auch den Täufern freie Religionsausübung gewährleistet wurde.

Damit waren die Würfel gefallen: Die Tolerierung der "verfassungswidrigen", reichsrechtlich geächteten Täufer bedeutete, daß ein Krieg mit dem Bischof unvermeidbar wurde.

Aus Furcht vor den immer mächtiger werdenden Täufern und der erwarteten Belagerung verließen daraufhin etwa 2.000 Einwohner - vorwiegend Männer - die Stadt (damals eine Gesamtbevölkerung von 8.000-9.000 Personen). Dies hatte zur Folge, daß die Ratswahl am 23.02.1534 zugunsten der Täufer entschieden wurde und damit praktisch hrer "Machtübernahme" gleichkam. Einer der beiden neugewählten Bürgermeister war Bernd Knipperdolling (vgl. Text zu Bild 9  Medien).

Am Tage nach der Ratswahl traf der "Prophet" Jan Matthys ein; sofort riß er die Leitung der Täufergemeinde an sich und drohte allen die Rache Gottes an, die ihm den Gehorsam verweigerten. Unmittelbar folgten: Bildersturm, Vertreibung der Nicht-Wiedergetauften, Abschaffung des Geldes und die zwangsweise Einführung der Gütergemeinschaft. Geld und Schmuck mußten auf dem Rathaus abgeliefert werden; Haustüren durften nicht verschlossen werden.

Die Einführung der Gütergemeinschaft wurde mit Bibelzitaten begründet, war jedoch sicherlich auch aus der Zwangssituation der inzwischen belagerten Stadt notwendig; zudem mußten die von äuswärts herbeigerufenen Täufer, denen man im "Neuen Jerusalem" ein sorgenfreies Leben versprochen hatte, versorgt werden.

Die frühere - durch den Bürgereid zusammengehaltene Stadtgemeinde wurde ersetzt durch die Gemeinde der "Auserwählten Gottes", zu der man nur durch den Empfang der Wiedertaufe gehören konnte.

Als Ostern 1534 Jan Matthys' Prophezeiung der Endzeit für Münster ebenso wenig eintraf wie 1533 für Straßburg, unternahm Jan Matthys - mit nur wenigen Begleitern, also im Vertrauen auf Gottes Unterstützung - einen Ausbruch aus der seit März belagerten Stadt; hierbei wurde er getötet. An seine Stelle setzte sich als "von Gott gesandter" Prophet Jan van Leiden. Geschickt verstand er, die Erschütterung über den Tod von Matthys aufzufangen und sich selbst als den größten Propheten hinzustellen. Als erstes führte Jan van Leiden eine neue Stadtverfassung ein: anstelle des "von Menschen gewählten Rates" traten zwölf "aus dem Munde des Propheten berufene Älteste". Diese Ältesten - sechs von ihnen waren ehemalige Ratsherren - stellten ein strenges Sittenregiment auf: auf alle Vergehen weltlicher und geistlicher Art - z.B. Betrug, Diebstahl, Streit, Zank, aber auch Geiz, Neid, Prunksucht, Fluchen, Gotteslästerung, Ehebruch und auf jede Art von Kritik - stand die Todesstrafe.

Die Bevölkerung ertrug das harte Regime fast widerstandslos. Zusammengehalten wurde sie durch den Glauben an die nahe Endzeit und das Bewußtsein, zu den auserwählten Überlebenden zu gehören. Die Vorgänge in der Stadt nahmen immer merkwürdigere Züge an: Männer, Frauen, Kinder hatten Gesichte, gerieten in Verzückung, liefen tanzend und Buße rufend durch die Straßen. Das Glänzen des goldenen Turmhahnes auf der Lambertikirche bedeutete für sie eine Himmelserscheinung: die offene Himmelstür.

Mitte Juli 1534 wurde die berüchtigte Vielweiberei eingeführt: praktische Erwägungen mögen hierfür ausschlaggebend gewesen sein; einmal der erhebliche Frauenüberschuß in der belagerten Stadt; zum anderen konnte man so die Frauen besser unter Kontrolle halten. Begründet wurde die Vielweiberei mit der Schriftstelle aus dem Alten Testament "Wachset und mehret euch" und dem Hinweis auf Abraham und David, die mehrere Frauen gehabt hatten. Jan van Leiden besaß schließlich sechzehn Ehefrauen; eine von ihnen, die gebeten hatte, die Stadt verlassen zu dürfen, richtete er eigenhändig öffentlich mit dem Schwert hin.

Unter dem Eindruck des am 30.08.1534 abgewehrten zweiten Angriffs auf Münster - das er als Wunder deutete - ließ sich Jan van Leiden zum "König über das Haus Israel und über die ganze Welt" ausrufen, wiederum unter Berufung auf das Alte Testament. "Johann der Gerechte, König auf dem Stuhle Davids" nannte er sich in seinen Verordnungen. Jan van Leiden lebte und herrschte wie ein unumschränkter König. Bei öffentlichen Anlässen trug er die Königsinsignien (vgl. Bild 8  Medien), erließ eine "Hofordnung" (vgl. Bild 10  Medien), hielt Gericht und ließ Münzen prägen.

Für die Belagerung hatte der Bischof zunächst landeseigene Kräfte aufgeboten; bald setzte er zusätzlich angeworbene Landsknechte (Juni 1534: ca. 7.000) ein. Nach zwei vergeblichen Angriffen begann er die Blockade, um die Stadt auszuhungern.

Hilfe und Unterstützung suchte der Bischof zunächst bei den benachbarten Fürsten: dem Kurfürsten Hermann von Köln, dem Herzog Johann von Kleve und dem Landgrafen Philipp von Hessen. Die Dauer der Belagerung und die damit verbundenen Kosten führten auf dem Kreistag der zehn Kreise des Reichs zu Worms (1535) zur Verhängung der Reichsexekution gegen die Stadt. Damit war der Kampf gegen das täuferische Münster zur Reichssache geworden.

Trotz der Belagerung gelang es den Münsteranern, durch Boten und Schriften Täufer in den Niederländen, in Friesland und den benachbarten Städten zur Hilfeleistung aufzufordern. Diejenigen, die den Hilferufen Folge leisteten, wurden auf dem Weg nach Münster erschlagen oder zerstreut.

Sechzehn Monate haben die Täufer der Belagerung standgehalten. Der Eroberung am 24.06.1535/ 25.06.1535 folgte ein Strafgericht der Sieger mit Abschwörung, Enteignung und Hinrichtung. Am 22.01.1536 wurden die führenden, gefangenen Wiedertäufer - Jan van Leiden, Knipperdolling und Krechting - öffentlich auf dem Prinzipalmarkt hingerichtet. Ihre toten Leiber kamen zur Abschreckung in drei Käfige, die man am Turm der Lambertikirche aufhing.

In der Stadt führte der Bischof als Landesherr den alten katholischen Glauben wieder ein, entsprechend dem damals allgemein gehandhabten Grundsatz cuius regio, eius religio. Die Regierungsgeschäfte der Stadt übernahm zunächst ein vom Bischof eingesetzter Statthalter; etappenweise - 1541 bis 1553 - erhielt die Stadt ihre frühere Selbständigkeit zurück.

Mit der Eroberung von Münster hat die radikale, schwärmerische Form des Täufertums ihr Ende gefunden. Die kirchen- und geistesgeschichtliche Bedeutung der - jeglicher Gewalt entsagenden Richtung - Täuferbewegung reicht jedoch weiter. Neben zahlreichen "Freikirchen" seien folgende genannt:

Nach dem Fall Münsters sammelte Menno Simons im Friesland und in den Niederlanden die Täufer und "reinigte" ihre Lehre. Seine Anhänger werden nach ihm "Mennoniten" genannt; sie zählen heute ca. 600 000 Anhänger auf der Welt.

1609 entstanden in Amsterdam die "Baptisten", denen mit den Mennoniten die Erwachsenentaufe und ein strenges Sittengesetz gemeinsam sind. Die Baptisten haben heute weltweit ca. 30 Mio. Anhänger und sind besonders stark in den USA vertreten. Zu ihnen zählen der ermordete Martin Luther King und der Gospelsänger Billy Graham.

Aus der Besprechung der Vorgänge in Münster können sich viele Fragen ergeben; zwei häufige lauten:
  1. Warum entstand gerade in Münster das Täuferreich, und nicht etwa in Straßburg, Amsterdam oder Emden, wo es auch starke Täufergemeinden gab?
  2. Wer waren die Träger der Täuferbewegung? War es eine frühe proletarische Revolution? Wer übte die Macht aus?


Zu 1.: Einmal wäre das münsterische Täuferreich nicht denkbar ohne drei Persönlichkeiten: den wortgewaltigen Prediger Bernd Rothmann, den Begründer der lutherischen Reformation in Münster, der in kürzester Zeit vom Lutheraner zum Anhänger Zwinglis und dann Melchior Hoffmans wurde und es vermochte, viele Bürger mit sich zu reißen; den religiösen Fanatiker Jan Matthys, der Menschen in seinen Bann zu schlagen wußte und durch sein rücksichtsloses Vorgehen die Täuferherrschaft konstituierte; schließlich den mit schauspielerischer Gabe und Suggestionskraft ausgestatteten Jan van Leiden. Hinzu kamen jedoch außergewöhnliche lokale Bindungen: Durch den dreimaligen Bischofswechsel im Jahr 1532 unterblieb ein rasches Eingreifen des Landesherrn. Auch der Rat der Stadt - rein lutherisch - vermochte nicht, sich durchzusetzen, weil ein großer Teil der gerade lutherisch gewordenen Bevölkerung zum Täuferturm übergegangen war; diese war zudem durch das Zuströmen auswärtiger Täufer verstärkt worden. Obgleich die Stadt Münster sich weitgehend selbst verwaltete, unterstand sie dem Bischof als Stadt- und Landesherrn; dies ergab ständige Reibereien. Außerdem war das Verhältnis durch die Steuerfreiheit der Stifte und Klöster sowie durch die wirtschaftlichen Aktivitäten der Klöster belastet. Diese verschiedenen Momente führten dazu, daß für den Großteil der Bürger und den Rat die lokalpolitischen Erwägungen wichtiger als die religiösen waren und man nicht gegen die Täufer durchgriff.

Zu 2.: Aus den erhaltenen Listen über die nach der Eroberung beschlagnahmten Häuser und Güter der Täufer kann man genau Herkunft, Beruf und Besitz der Täufer feststellen: der Anteil der Stadtarmen sowohl unter den Täufern wie unter der Gesamtbevölkerung betrug 10 - 15 %, eine frühe proletarische Bewegung war die münsterische Täuferbewegung also nicht. Auch die Sozialstruktur der münsterischen Täufer entsprach der Gesamtbevölkerung; wohlhabende Bürger waren sogar überproportional vertreten. Von den zwölf, von van Leiden berufenen, "Ältesten" waren sechs Münsteraner, darunter vier ehemalige Ratsherren. Die gleiche Struktur ergibt sich aus der "Hofordnung" Jan van Leidens (vgl. Bild 10  Medien).

Wichtiger als die Sozialstruktur ist die Frage der tatsächlichen Machtausübung. Die Besetzung der verschiedenen Institutionen ist nebensächlich angesichts der Tatsache, daß diese nach dem Willen der "Propheten" handeln mußten. Praktisch handelte es sich - seit dem Eintreffen von Jan Matthys - um die autoritäre Herrschaft eines einzelnen, der seine Anordnungen und Entscheidungen mit Bibelzitaten und göttlicher Eingebung tarnte.






QUELLE    Stiff, Ursula | Die Wiedertäufer zu Münster | S. 8-15
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

DATUM AUFNAHME2004-04-28
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