QUELLE

 Dokument anzeigen  (332 KB)   
DATUM1934-03-17   Suche Portal
AUSSTELLUNGSORTBethel bei Bielefeld
TITEL/REGESTFriedrich von Bodelschwingh, Leiter der Anstalt Bethel, über das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" in einem vertraulichen Brief an Pfarrer J. Richter in Rohr bei Meiningen
TEXTPastor F. v. Bodelschwingh.Bethel bei Bielefeld, den 17. März 1934.

Herrn
VB/D
Pfarrer J. Richter,
Rohr, über Meiningen
--------------------------


Lieber Herr Bruder!

Entschuldigen Sie meine verspätete Antwort! Das Gedränge
meiner Arbeit war in den letzten Wochen besonders groß. So
bin ich mit der Erledigung mancher nicht unbedingt eiliger
Briefe in Rückstand gekommen.

Sie haben recht, wenn Sie annehmen, daß uns diese Frage
hier in besonderer Weise bewegt. Aber gerade darum haben wir
weniger Mut, über sie öffentlich zu sprechen oder zu schreiben
wie andere Leute, die diesen schwierigen und zarten Dingen
innerlich ferner stehen.

Grundsätzlich haben unsere Anstalten natürlich immer
in stärkster Weise eugenisch gewirkt. Denn die vorgenommene
Asylierung der Kranken, aber nicht minder vieler Psychopathen
oder Schwachsinnigen in unseren ländlichen Arbeitslosenheimen
hatte nicht zum wenigsten auch dieses Ziel. So haben wir für
die Aufgaben der Volksgesundheit und der Vermeidung von Erb-
schäden volles Verständnis. Wie oft hat mein Vater darauf hin-
gewiesen, daß es auch vom Evangelium her richtiger sei, Unheil
rechtzeitig zu verhüten und daß neben der Pflege der Kranken
die Heranziehung eines gesunden jungen Geschlechtes von viel
größerer Bedeutung sei. Sein ganzer Pionierdienst auf dem Ge-
biet des Wohnungswesens lag ja in dieser Richtung.

Ob der neue Weg, den man jetzt beschritten hat, die
auf ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen kann, wage ich nicht zu
beurteilen. Bei den meisten unserer eigentlichen Pflegebe-
fohlenen, die ja dauernd bei uns bleiben, kommt die Durch-
führung nicht in Betracht. Schwieriger ist die Behandlung
der vielen Grenzfälle, leichter Psychosen usw. Da kann die
Sorge entstehen, daß, wenn man nicht ganz behutsam mit der
Durchführung des Gesetzes vorwärtsgeht, das Vertrauen zu
Aerzten und Anstalten in Frage gestellt wird und mancher Fall
entweder überhaupt nicht oder zu spät zur Behandlung kommt.
Dann könnte für die Förderung eines gesunden Erbganges mehr
Schaden als Nutzen entstehen. Hinzu kommen andere ernste
Fragen auf dem Gebiet der öffentlichen Sittlichkeit.

Alle diese Dinge beobachten wir mit größter Aufmerk-
samkeit, möchten aber gern erst mehr Erfahrungen sammeln,
ehe wir unser Wort nach irgend einer Seite hin in die Wagscha-
le werfen. Das geschieht nicht aus Aengstlichkeit, sondern
aus innerster Verpflichtung vor der besonderen Verantwortung,
die gerade uns auf diesem Gebiet auferlegt ist. Je mehr wir
uns im öffentlichen Gespräch Zurückhaltung auferlegen, desto
wirksamer können wir - und das geschieht fortwährend - an den
maßgebenden Stellen auf eine schonsame und vorsichtige Aus-
führung des Gesetzes hinwirken.

Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich auch Sie bitten,
meine Mitteilungen vertraulich zu behandeln. Wenn ich auch
keine Bedenken habe, daß Sie dem Kreis von Bethelfreunden, in
dessen Namen Sie schreiben, meine Ansicht mitteilen, bitte ich
doch, dafür zu sorgen, daß nichts aus dem Brief in die Oeffent-
lichkeit kommt.

Mit herzlichen Grüßen und Segenswünschen

Ihr


PROVENIENZ  Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
BESTAND2/38-145


PROJEKT    Erinnerungskultur in Ostwestfalen-Lippe / Nationalsozialismus
SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
90   Gesetz, Verordnung, (Staats-)Vertrag
Zeit3.9   1900-1949
Sachgebiet8.2   Sozialpolitik
8.5   Medizinische Versorgung, Ärztin/Arzt
DATUM AUFNAHME2004-06-30
AUFRUFE GESAMT4038
AUFRUFE IM MONAT292