QUELLE

DATUM1919-10-25   Suche   Suche DWUD
AUSSTELLUNGSORTEssen
TITEL/REGESTTarifvertrag für das rheinisch westfälische Steinkohlenrevier vom Zechenverband und den Arbeitnehmervertretungen Bergbau
TEXT[S. 1] Tarifvertrag für das rheinisch westfälische Steinkohlenrevier

Zwischen dem Zechenverband und den der Zentralarbeitsgemeinschaft angeschlossenen gewerkschaftlichen Organisationen der im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau beschäftigten Arbeiter ist heute folgender Tarifvertrag geschlossen worden:

§ 1.
Geltungsbereich.
  1. Der Vertrag hat für alle bergbaulichen Betriebsanlagen der dem Zechenverband angeschlossenen Zechen einschl. der mit ihnen örtlich und organisch zusammenhängenden Nebenbetriebe Geltung.
  2. Sonderabmachungen von der einen oder anderen Seite, die den Bestimmungen dieses Vertrages zuwiderlaufen, dürfen nicht getroffen werden.
  3. Der Vertrag gilt auch für die Unternehmer, die auf den in den Geltungsbereich fallenden Zechen unter Tage bergbauliche Arbeiten ausführen. Er erstreckt sich ferner auch auf die im Bergwerksbetriebe beschäftigten Unternehmerarbeiter über Tage insoweit, als diese nicht einem Tarifvertrag eines anderen Berufes unterliegen.



§ 2.
Arbeitszeit.
  1. Die Schichtzeit unter Tage einschließlich Ein- und Ausfahrt beträgt für jeden einzelnen Mann vom Betreten bis zum Verlassen des Förderkorbes 7 Stunden.
    An Arbeitspunkten mit einer Temperatur von mehr als 28 Grad Celsius beträgt die Arbeitszeit vor Ort 5 Stunden und die Schichtzeit 6 Stunden. Letztere dauert jedoch 6 ½ Stunden auf den Zechen, bei denen mehr als 50 % der unterirdischen Belegschaft in Temperaturen über 28 Grad Celsius arbeiten.
  2. Die Arbeitszeit über Tage beträgt 8 Stunden, wobei feste Pausen nicht eingerechnet werden.
  3. Für die Sonntagsarbeit gelten die gesetzlichen Bestimmungen.



§ 3.
Überstunden, Überschichten, Sonn- und Feiertagsarbeit.

Werden aus betriebstechnischen Gründen oder aus Gründen des Allgemeinwohls Überstunden und Überschichten notwendig, so sind die für die betreffende Beschäftigung in Frage kommenden Arbeiter möglichst gleichmäßig zu berücksichtigen.

Für alle Über- und Nebenschichten an Werktagen, welche über die Zahl der Arbeitstage im Monat hinaus verfahren werden, wird ein Lohnzuschlag von 25 % und für Arbeiten an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen ein Lohnzuschlag von 50 % gewährt. Krankfeierschichten, Urlaubsschichten und entschuldigte Feierschichten werden als ordnungsmäßig verfahrene Schichten angerechnet. Als Krankfeierschichten haben hierbei nur diejenigen Schichten zu gelten, für die aus der Knappschaftskrankenkasse Krankengeld gezahlt wird, dann aber einschließlich der Karenztage. Für diejenigen Über- und Nebenschichten, die der Arbeiter auf eigenen Wunsch als Ersatz für willkürlich gefeierte Schichten verfährt, werden die Zuschläge nicht gezahlt. Für Arbeiten am 1. Oster-, Pfingst- und Weihnachtstag wird ein Lohnzuschlag von 100 % gewährt.
Als Sonn- und Feiertagsarbeit gilt in der Regel die Arbeit, die von 6 Uhr morgens des betreffenden Sonn- und Feiertags bis 6 Uhr morgens des darauffolgenden Tages [dauert].


[S. 2] § 4.
Urlaub.
  1. Das Urlaubsjahr zählt vom 1. September 1919 bis 30. Juni 1920.
  2. Die Höchstdauer beträgt 6 Arbeitstage. Voraussetzung ist eine einjährige ununterbrochene Beschäftigung auf einer Ruhrkohlenzeche und eine sechsmonatige ununterbrochene Beschäftigung auf derselben Zeche seit der letzten Anlegung. Kriegs- oder Militärdienst gilt nicht als Unterberechung der Beschäftigung. Der Urlaub wird allen mindestens 18 Jahre alten Arbeitern gewährt und beträgt
    a) bei einjähriger Beschäftigung 3 Arbeitstage
    b) bei zweijähriger Beschäftigung 4 Arbeitstage
    c) bei dreijähriger Beschäftigung 5 Arbeitstage
    d) bei vierjähriger und längerer Beschäftigung 6 Arbeitstage
    wobei jedoch die Beschäftigungszeit im Alter von weniger als 17 Jahren nicht mitzählt.
  3. Für die Dauer der Urlaubsschichten erhält der Schichtlöhner ebenso wie der Gedingelöhner den Lohn bezahlt, den er je Schicht verdient haben würde, wenn er auf der Zeche bei gleicher Beschäftigung weitergearbeitet hätte.
  4. Die allgemeine Regelung über die Urlaubserteilung unter die Belegschaft erfolgt im Einverständnis mit dem Arbeiterausschuß (Betriebsrat). Der Antritt des Urlaubs im einzelnen geschieht nach Bestimmung der Werksleitung. Um die Urlaubserteilung in vollem Umfange zu ermöglichen, wird jedem Arbeiter zur Pflicht gemacht, beurlaubte Arbeiter (auch einer anderen Arbeitergruppe) zu vertreten..
  5. Unentschuldigte sowie unberechtigte Arbeitsversäumnis wird - mit Wirkung vom 1. September 1919 ab von der Urlaubszeit, und zwar ohne Entgelt, in Abzug gebracht. In Streitfällen entscheidet die Werksverwaltung unter Mitwirkung des Arbeiterausschusses (Betriebsrats).
  6. Während des Urlaubs darf keine andere Lohnarbeit ausgeführt werden. Bei Zuwiderhandlungen wird für den Urlaub ein Lohn nicht gezahlt, ein bereits gezahlter Lohn bei der nächsten Lohnzahlung zurückbehalten.
    Im Wiederholungsfalle ist außerdem das Recht auf Urlaub für das nächste Urlaubsjahr verwirkt.
  7. wird Urlaub nicht genommen, so wird eine Entschädigung nicht gezahlt.



§ 5.
Löhne.
  1. Der Lohn der Gedingearbeiter besteht aus Grund- und Gedingelohn laut anliegender Lohnordnung. Der Grundlohn wird für den ganzen Bezirk einheitlich festgesetzt und muß spätestens am 1. Januar 1920 allgemein eingeführt sein. Mit Einführung des Grundlohnes kommen sämtliche bis dahin für die Gedingearbeit gültigen Schichtzulagen in Fortfall. Der Mindestlohn der Gedingearbeiter beträgt bei normaler Leistung vier Fünftel des Durchschnittslohnes der Gedingearbeiter der betr. Schachtanlage im Vormonate. Die normale Leistung wird in Streitfällen durch die Betriebsleitung und ein Mitglied des Arbeiterausschusses (Betriebsrats) an der Arbeitsstätte festgestellt.
  2. Für alle anderen Arbeiter unter Tage werden Tarifschichtlöhne und für die Arbeiter über Tage Tarifstundenlöhne festgesetzt. Die näheren Angaben sind aus der anliegenden Lohnordnung ersichtlich. Die den Schichtlöhnern bisher gewährten Schichtzulagen fallen vom 1. Oktober 1919 ab fort.
    Diejenigen Arbeiter, die vor dem 1. Oktober 1919 höhere Löhne als die in der Lohnordnung festgesetzten erhalten haben, dürfen bei gleicher Tätigkeit und Leistung in ihren Lohnbezügen nicht schlechter gestellt werden.
  3. Neben den unter 1 und 2 bezeichneten Löhnen wird ein Kindergeld von 0,20 Mk. Für jedes erwerbsunfähige Kind unter 14 Jahren je Schicht gezahlt einschließlich der nach § 4 ausgefallenen Urlaubsschichten.
  4. Müssen Arbeiter aus betrieblichen Gründen vorübergehend andere Arbeiten verrichten, für welche ein niedrigerer Lohn festgesetzt ist, so erhalten sie ihren bisherigen Lohn, jedoch nicht über die Dauer von 12 Arbeitstagen hinaus.
    Arbeiter, die vorübergehend eine tarifmäßig höher bezahlte Arbeit verrichten, erhalten bei entsprechender Leistung den hierfür festgesetzten höheren Tariflohn.
  5. Arbeiter, welche nach Altersstufen entlohnt werden, rücken vom ersten des auf den Geburtsmonat folgenden Monats ab in die höhere Lohnklasse auf.
  6. Arbeiter, die durch die Klasseneinteilung des Tarifs nicht erfaßt werden, sind in gleichem Maße zu berücksichtigen wie solche Arbeiter, mit denen sie vor Abschluß des Tarifvertrages im Lohne gleichgestanden haben.
  7. Für Arbeiter, deren Arbeitskraft durch Alter, Invalidität oder besondere Verhältisse beeinträchtigt ist, haben die Tarif- und Gedingesätze keine Gültigkeit. Die Bezahlung erfolgt grundsätzlich nach ihrer Leistung. Bei Meinungsverschiedenheiten wird der Lohn im Benehmen mit dem Arbeiterausschuß (Betriebsrat) festgesetzt.



§ 6.
Lohnzahlungstermine.

Die Lohnzahlung erfolgt in drei Teilbeträgen: zwei Abschlagszahlungen und einer Hauptlöhnung. Die Zahltage sind in möglichst gleichen Abständen so festzulegen, daß der Restlohn spätestens gegen den 25. des folgenden Monats ausbezahlt wir.

Die Löhne sind in übersichtlicher Weise im Lohnbuche zu verrechnen.


§ 7.
Gezähe, Geleuchte, Reparaturen, Sprengstoffe.
  1. Die unterirdischen Arbeiter erhalten freies Geleucht.
    Für die Reparaturen der Lampen haben die Arbeiter nur dann nicht aufzukommen, wenn sie kein fahrlässiges oder vorsätzliches Verschulden trifft.
  2. Das Gezähe wird bei der Anlegung unentgeltlich geliefert; desgleichen erfolgt die Instandsetzung der durch natürlichen Verschleiß reparaturbedürftigen Gezähestücke unentgeltlich, ferner die Ersatzlieferung für die durch die ordnungsmäßige Verwendung unbrauchbar gewordenen und solcher Gezähestücke, die ohne fahrlässiges oder vorsätzliches Verschulden der Arbeiter verloren gegangen sind.
  3. Sprengstoffe werden unter Anrechnung der Selbstkosten geliefert. Ihr Preis ist allmonatlich in übersichtlicher Weise zum Aushang zu bringen.



§ 8.
Lieferung von Hausbrandkohlen.

Die verheirateten Arbeiter erhalten ausschließlich für den eigenen Bedarf jährlich bis zu 120 Zentner Hausbrandkohlen zum Preise von 0,50 Mk. je Zentner ab Zeche und zwar etwa zwei Drittel der Menge in dem Zeitraum vom 1. Oktober bis 1. April.

Entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe der Hausbrandkohlen hat den Ausschluß des Bezugsrechts auf Hausbrandkohlen zu ermäßigten Preisen für die Dauer von 6 Monaten zur Folge.
Wenn unverheiratete Arbeiter alleinige Ernährer ihrer Familie sind und diese nicht schon von anderer Seite her Hausbrandkohlen zu ermäßigten Preisen geliefert erhält, sind sie den Verheirateten gleichzustellen.


§ 9.
Arbeitsnachweis.

Die Arbeitsvermittlung erfolgt durch den dem Zechenverband angegliederten paritätischen Arbeitsnachweis.


§ 10.
Entlassungen.

Entlassung von Arbeitern regelt sich nach den gesetzlichen Bestimmungen.


§ 11.
Werkswohnungen.

Für die Vermietung der Werkswohnungen gelten die gesetzlichen Bestimmungen.


§ 12.
Allgemeine Bestimmungen.
  1. Die bergpolizeilichen Bestimmungen sind beiderseits strengstens zu beachten.
  2. Arbeiter, von welchen festgestellt ist, daß sie eine anderweitige versicherungspflichtige Arbeit ausüben, sind unter Einhaltung der Kündigungsfrist entlassen.
  3. Soweit Bestimmungen der Arbeitsordnung mit diesem Tarifvertrag sich nicht im Einklang befinden, gelten sie während der Dauer des Tarifvertrags nicht.
  4. Die Vertragsparteien verpflichten sich, beim Arbeitsministerium gemäß der Verordnung über Tarifverträge vom 23. Dezember 1918 die allgemeine Verbindlichkeit diese Vertrages, mit Ausnahme der Bestimmungen in § 5, Ziffer 1 und 2, betreffend Löhne, zu beantragen.



§ 13.
Schlichtung von Streitfällen.

Meinungsverschiedenheiten über die richtige Anwendung der Bestimmungen dieses Tarifvertrages sollen zunächst zwischen dem betreffenden Arbeiter oder der betreffenden Arbeitergruppe und den zuständigen Betriebsbeamten geklärt werden. Kommt eine Einigung nicht zustande, soll die Angelegenheit zwischen Betriebsleitung und Arbeiterausschuß (Betriebsrat) geregelt werden.

Ergeben sich gegensätzliche Ansichten über die Auslegung des Tarifvertrages, so liegt die Schlichtung dem Gruppenvorstand der Bezirksgruppe für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau der Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands ob.


§ 14.
Verhältnis zu den Tarifen anderer Gewerbe.

Für die im Arbeitsverhältnis der Zeche stehenden Arbeiter anderer Berufsorganisationen gelten für den Bereich dieses Vertrages nur die Bestimmungen des vorstehenden Tarifvertrages.


§ 15.
Vertragsdauer.

Dieses Abkommen tritt mit dem 1. Oktober 1919 in Kraft, soweit nicht Ausnahmen in diesem Vertrage ausdrücklich vorgesehen sind. Es gilt zunächst unkündbar bis zum 31. Dezember 1919. Von diesem Zeitpunkt ab kann es mittels eingeschriebenen Briefes mit einmonatlicher Kündigung zum Monatsschluß gekündigt werden, also erstmalig am 1. Januar 1920 zum 31. Januar 1920. Die Lohnordnung kann unabhängig hiervon in gleicher Weise und mit gleicher Frist zum Monatsschluß gekündigt werden. Die Kündigung kann nur durch und an die Verbandsleitungen erfolgen. Sie muß von seiten der Arbeitnehmer gleichzeitig durch die unterzeichneten Verbände erfolgen.

Essen, den 25. Oktober 1919.


Für den Zechenverband:
Wiskott. Tengelmann.

Für die freien Gewerkschaften: Verband der Bergarbeiter Deutschlands:
Schmidt. Waldhecker. Rost.

Für die christlichen Gewerkschaften: Gewerkverein christlicher Bergarbeiter: Rotthäuser. Thiele. Rütten.

Für die polnische Berufsvereinigung: Abteilung Bergarbeiter: Latuszewski. Wozniak.

Für die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine: Gewerkverein der Fabrik- und Handarbeiter, Abteilung der Bergarbeiter:
Schmidt. Willems.
ERLÄUTERUNGBei diesem Vertrag handelt es sich um den ersten Tarifvertrag im Ruhrbergbau. Arbeitszeit, Entlohnung und Urlaubsanspruch sind hier geregelt. Der Tarif hatte auch für Nichtbergleute Gültigkeit, die auf den Zechen arbeiteten. Dazu gehörten beispielsweise die Schachtbauer.
Die Bergleute arbeiteten unter Tage meistens im Gedinge, d. h. im Akkord. Gerade um die Gedingelöhne gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit den Vorgesetzten, den Steigern, und den Betriebsleitungen.

Im Tarifvertrag wurde festgelegt, dass das Ein- und Ausfahren mit zur Arbeitszeit gehörte. Für diese Regelung hatten die Bergleute sich schon lange eingesetzt.


PROVENIENZ  Bergbau-Archiv Bochum
BESTANDBezirksgruppe Ruhr der Fachgruppe Steinkohlenbergbau, Essen
SIGNATURBBA 13 / 696


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Ort1.5   Ruhrgebiet
Sachgebiet10.6.4   Arbeitgeberverbände
10.6.5   Gewerkschaften, Arbeitervereine, Interessenverbände
10.9   Arbeit, Beschäftigte
10.9.4   Einkommen, Löhne
10.14   Montanindustrie
DATUM AUFNAHME2004-05-15
AUFRUFE GESAMT7258
AUFRUFE IM MONAT462