QUELLE

DATUM1907-08-31   Suche   Suche DWUD
AUSSTELLUNGSORTMünster
TITEL/REGESTRede Kaiser Wilhelms II. bei einem Festmahl für die Provinz Westfalen am 31.08.1907 im Landesmuseum Münster
TEXT[S. 120] Es ist Mir ein Herzensbedürfnis, den Vertretern der Provinz, die Ich heute um Mich versammelt habe, aus tiefster Seele Meinen herzlichsten Dank auszusprechen, für die Art und Weise, wie Ich in dem schönen Westfalenlande allerorten empfangen worden bin. Ich möchte auch zugleich nochmals Ihnen allen im Namen Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin wiederholen, wie unendlich betrübt sie ist, daß es ihr durch den Unfall nicht vergönnt gewesen, die westfälischen Tage mitzumachen und persönlich mit Ihnen und dem westfälischen Volke in Berührung zu treten.

Die Provinz Westfalen bietet ein schönes Bild dafür, daß es wohl möglich ist, historische, konfessionelle und wirtschaftliche Gegensätze in versöhnlicher Weise zu einen in der Liebe und Treue zum gemeinsamen Vaterlande. Die Provinz setzt sich zusammen aus verschiedenen Landesteilen, von denen viele schon lange der Krone Preußen zugehören und manche erst später dazu gekommen sind. Sie wetteifern aber alle miteinander in dertreuen Zugehörigkeit zu Unserem Hause. Wie Ich keinen Unterschied mache zwischen alten und neuen Landesteilen, so mache Ich auch keinen Unterschied zwischen Untertanen katholischer und protestantischer Konfession. Stehen sie doch beide auf dem Boden des Christentums, und beide sind bestrebt, treue Bürger und gehorsame Untertanen zu sein. Meinem landesväterlichen Herzen stehen alle Meine Landeskinder gleich nahe. In wirtschaftlicher Beziehung bietet uns die Provinz gleichfalls ein höchst erfreuliches Bild. Sie zeigt, daß die großen Erwerbszweige sich einander nicht zu schädigen brauchen, und daß die Wohlfahrt des einen auch dem anderen zugute kommt. Der Bauer bebaut seine rote westfälische Erde mit Fleiß, fest am Überlieferten, Althergebrachten haltend, eine kernige Natur mit eisernem Fleiß und ehrenhafter Gesinnung, von treuem Wesen, eine feste Grundlage für unser Staatswesen. Darum wird Mir der Schutz der Landwirtschaft stets besonders am Herzen liegen. Der Bürger baut seine Städte in immer vollkommenerer Weise aus, es entstehen großartige Werke gemeinnütziger Art, Museen und Sammlungen, Krankenhäuser und Kirchen. Im Schoße Ihrer Berge ruhen die Schätze, die, von fleißigen Händen der braven [S. 121] Bergleute gefördert, der Industrie Gelegenheit geben, sich zu betätigen, dieser Industrie - der Stolz unserer Nation -, wunderbar in ihrem Aufschwung, beneidet von aller Welt. Möge es ihr vergönnt sein, rastlos auch fernerhin Schätze zu sammeln für unser Nationalvermögen und nach außen den guten Ruf von der Tüchtigkeit und Güte deutscher Arbeit zu mehren.

Ich gedenke hierbei auch der Arbeiter, die in den gewaltigen industriellen Unternehmungen vor den Hochöfen und unter Tage im Stollen mit nerviger Faust ihr Werk verrichten. Die Sorge für sie, ihren Wohlstand und ihre Wohlfahrt habe Ich als teures Erbe von Meinem in Gott ruhenden Großvater überkommen, und es ist Mein Wunsch und Wille, daß wir auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge festhalten an den Grundsätzen, die in der unvergeßlichen Botschaft Kaiser Wilhelms des Großen niedergelegt sind.

Das schöne Bild versöhnlicher Einheit, welches die Provinz Westfalen dem Beobachter zeigt, würde Ich gern auf unser gesamtes Vaterland übertragen sehen. Ich glaube, daß zu einer solchen Einigung aller unserer Mitbürger, aller unserer Stände nur ein Mittel möglich ist, das ist die Religion. Freilich nicht in streng kirchlich dogmatischem Sinne verstanden, sondern im weiteren, für das Leben praktischeren Sinne. Ich muß hierbei auf Meine eigenen Erfahrungen zurückgreifen. Ich habe in Meiner langen Regierungszeit - es ist jetzt das zwanzigste Jahr, das Ich angetreten habe - mit vielen Menschen zu tun gehabt und habe vieles von ihnen erdulden müssen, oft unbewußt und oft leider auch bewußt haben sie Mir bitter weh getan. Und wenn Mich in solchen Momenten der Zorn übermannen wollte und der Gedanke an Vergeltung aufstieg, dann habe Ich Mich gefragt, welches Mittel wohl das geeigneteste sei, den Zorn zu mildern und die Milde zu stärken. Das einzige, was Ich gefunden habe, bestand darin, daß Ich Mir sagte: Alle sind Menschen wie Du, und obgleich sie Dir wehe tun, sie sind Träger einer Seele aus den lichten Höhen, von oben stammend, zu denen wir alle einst wieder zurückkehren wollen und durch ihre Seele haben sie ein Stück ihres Schöpfers in sich. Wer so denkt, der wird auch immer milde Beurteilung für seine Mitmenschen haben. Wäre es möglich, daß im deutschen Volke dieser Gedanke Raum gewänne für die gegenseitige Beurteilung, so wäre damit die erste Vorbedingung geschaffen für eine vollständige Einigkeit. Aber erreicht kann dieselbe nur in einem Mittelpunkt werden: in der Person unseres Erlösers! In dem Manne, der uns Brüder genannt, der uns allen zum Vorbilde gelebt [S. 122] hat, der persönlichsten Persönlichkeiten. Er wandelt auch noch jetzt durch die Völker dahin und ist uns allen fühlbar in unserem Herzen. Im Aufblick zu ihm muß unser Volk sich einigen, es muß fest bauen auf seinen Worten, von denen er selbst gesagt hat: "Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.“ Wenn es das tut, wird es ihm auch gelingen. Zu solcher Mitarbeit möchte Ich am heutigen Tage auffordern, insbesondere die westfälischen Männer. Denn, wie Ich vorher auseinandersetzte, haben sie es verstanden, das schöne Bild versöhnter Gegensätze in ihrer Provinz zu geben. Sie werden Mich auch zuerst und am besten verstehen. In diesem Geist sollen alte und neue Landesteile, Bürger und Arbeiter sich zusammentun und einheitlich in gleicher Treue und Liebe zum Vaterlande zusammenwirken. Dann wird unser deutsches Volk der Granitblock sein, auf dem unser Herrgott seine Kulturwerke an der Welt aufbauen und vollenden kann. Dann wird auch das Dichterwort sich erfüllen, das da sagt: "An deutschem Wesen wird einmal noch die Welt genesen.“ Wer bereit ist, hierzu Mir die Hand zu bieten, dem werde Ich dankbar sein, und Ich werde ihn freudig annehmen, er sei, wer und wes Standes er wolle. Ich glaube, daß Ich von den Westfalen am ersten verstanden werde und deshalb habe Ich Mich an Sie gewendet.

Nun erhebe Ich Mein Glas mit dem Wunsche, daß Gottes Segen auf der alten westfälischen roten Erde ruhen möge und auf allen ihren Bewohnern, daß es Mir vergönnt sei, fernerhin den Frieden zu erhalten, damit Sie ungestört Ihrem Berufe nachgehen können. Gott segne Westfalen! Die Provinz Westfalen hurra, hurra, hurra!


QUELLE     | Reden des Kaisers | S. 120-122


FORMALBESCHREIBUNGHervorhebungen in der Vorlage


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.9   1900-1949
Ort2.30   Brandenburg/Preußen, KFtm. / KgR. < - 1918>
2.30.37   Westfalen, Provinz (Preußen) <1815-22.08.1946>
3.5   Münster, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet3.7.2   Landesherren/-frauen, Präsidenten, Regierungschefs
DATUM AUFNAHME2004-04-28
AUFRUFE GESAMT10625
AUFRUFE IM MONAT3010