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(89 KB)   Ehrenmäler: Synkretistische Aufwertung und Revanche (Schwertkämpfer, Hengsen 1929; Michael/Drachentöter, Aplerbeck 1930) / J. Klem (7a) / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/S. Sagurna (7b)   Ehrenmäler: Synkretistische Aufwertung und Revanche (Schwertkämpfer, Hengsen 1929; Michael/Drachentöter, Aplerbeck 1930) / J. Klem (7a) / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/S. Sagurna (7b)
TITELEhrenmäler: Synkretistische Aufwertung und Revanche (Schwertkämpfer, Hengsen 1929; Michael/Drachentöter, Aplerbeck 1930)
GEOPOSITIONGoogle Maps OSM | 51.745228273865200 (NS), 8.712327182292938 (EW) (exakt)


INFORMATIONIn Weimarer Zeit knüpfte das öffentliche Gefallenengedächtnis überwiegend an Kriegserlebnisse an, die es zu vergegenwärtigen galt. So wurden Begriffe, die in Kriegsjahren noch exklusiv dem Militär vorbehalten waren, zum Beispiel die militärdienstliche "Ehre", genereller verwandt. Mehr und mehr setzte sich das Wort "Ehre" als Synonym für die verschiedenen Formen des Gefallenengedenkens durch, so daß anstelle des allgemeinen Begriffs "Kriegerdenkmal" jetzt Bezeichnungen wie "Kriegerehrung", "Ehrenmal" auch "Ehrenfriedhof" o.ä. traten. Unter diesen Begriffen verbarg sich die Kontinuität militärideologischer Wertvorstellungen, die sich ebenso in den traditionellen Totenbezeichnungen als "Söhne", "Kameraden" und "Helden" spiegelte, ferner in der bewußt "soldatisch schlichten", künstlerischen Gestaltung. Unter solchen Voraussetzungen entstanden in den Städten und Gemeinden vor allem historisierende, germanisierende und klassizistische Formen. Demgegenüber bevorzugten die einzelnen Kirchengemeinden eher religiöse Formen. Gleich einer "versteinerten Kriegspredigt" aktualisierten auch sie das kirchlich religiöse Kriegserleben, indem sie die kriegstheologischen Lehrtraditionen erneuerten. [1] Dabei vermischten sich verschiedene religiöse, kirchlich konfessionelle Werte und deren künstlerische Ausdrucksformen, eine Stilform, die man unter dem Begriff "Synkretismus" zusammenfaßt. Davon betroffen waren ebenso die Begriffe "Vaterland", "Staat" und Volk als außerkirchliche oder kirchenkritische Ersatzreligionen und andererseits die theologisch schwache Abgrenzung gegenüber nationalstaatlichen Autoritäten.


1. Schwertkämpfer

Auf dem "Kellerkopf" in Hengsen (bei Dortmund) wurde am 01.09.1929 ein Ehrenmal für die Gefallenen des "1. Lothringischen Infanterie-Regiments Nr. 130 Metz" enthüllt, dessen Angehörige aus der Umgebung von Dortmund stammten. Die Pläne dazu entwarf der Berliner Bildhauer Fritz Richter-Elsner: Es
"... liegen zwei ummauerte Plattformen übereinander, deren obere von einem Steinsockel mit dem überlebensgroßen steinernen Standbild eines Frontsoldaten bekrönt ist, dessen Blick nach Südwesten zur alten Garnisonsstadt Metz ausgerichtet ist. Die ... nach hinten abschließende Mauer trägt an ihren Seiten Bronzereliefs mit Bildnissen des Generalfeldmarschalls Graf Gottlieb von Haeseler, des ehemaligen Kommandierenden Generals von Metz, und des Regimentskommandeurs, Oberst von Lengerke. Die Nische in der Mauermitte enthielt das Bronzebild der Stadt Metz unter dem ein Schrein stand, der die auf Pergament niedergeschriebenen Namen der Gefallenen des Regiments enthielt" (1950 entwendet). [2]

Ein ehrgeiziger Geltungsanspruch entstand durch ikonografische Anleihen an das Hermanns-Nationaldenkmal bei Detmold. So durch die Größe, durch die Standfigur mit der zum Siegesgestus erhobenen Rechten und durch das aufgerichtete Gewehr in der Linken aber auch durch die Nischenbildung des Unterbaus. Von Bedeutung waren ebenso pseudoreligiöse, synkretistische Vorstellungen des "Schreins..." und der verlorenen Inschrift: "O Du mein altes Metz - der Sehnsucht heiliges Gebet" [3]. Die unzweideutige Botschaft lautet: Vergegenwärtigung und pseudoreligiöse Aufwertung des Kriegserlebnisses, Verdrängung seines unrühmlichen Scheiterns und Revanche! Regelmäßig fanden Gedenkveranstaltungen unter der Regie des Traditionsverbandes der "130er" statt, der die Denkmalserrichtung in den Jahren 1926 bis 1929 initiiert hatte.


2. Michael / Drachentöter

Im Auftrag der "Militärischen Vereinigung Aplerbeck" (Aplerbeck ist heute Stadtteil von Dortmund) entwarf Walter Becker ein Ehrenmal, das 1930 an der evangelischen Georgskirche auf einem angesetzten Strebepfeiler an der Nordwestecke aufgestellt wurde. Die Wahl des Aufstellungsortes zeugte von hoher Wertschätzung, weil das Kirchengebäude das älteste erhaltene Gotteshaus in Dortmund war. Seit 1888 zur Ruine verfallen, war es 1928 wiederhergestellt und als evangelische Pfarrkirche neueröffnet worden.

Das Ehrenmal besteht aus der Michaelsfigur auf dem Strebepfeiler des Kirchturms und - darunter - aus Namenstafeln im Anschluß an eine Reihe von Grabsteinen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Hauptmotiv des Denkmals ist der Erzengel Michael beim Kampf mit dem Drachen:
"in heroischer Nacktheit, nur mit einem Überwurf spärlich verhüllt, rammt der Erzengel mit dynamischer Gebärde einen Baumstamm diagonal von seinem Körper dem ihm zu Füßen liegenden Drachen in den Rachen. So überzeitlich das Motiv und die Gewandung, so ist der grimmig entschlossene Gesichtsausdruck doch ganz zeitgebunden... er erscheint... wie Jung-Siegfried und als Retter und Rächer des Vaterlands... " [4].
In seiner Gestalt erinnerte er auch an Illustrationen evangelischer Kriegspredigten (vgl. Bild Nr. 4  Medien).

Unübersehbar mit einer Gesamthöhe von sechs Metern plaziert, verfehlt das Ehrenmal seine Wirkung nicht, so daß die Georgspfarrkirche im Volksmund sogar als "Michaelsbau" bezeichnet wird. [4] Kirche und Denkmal empfindet man anscheinend als untrennbare Einheit, die einen zeittypischen Ausdruck historisch kultureller Identität darstellt. Mit dieser Bedeutung korrespondierte auch die synkretistische Ambivalenz der Denkmalsfigur - als Michael und/oder Siegfried. Solche Mehrdeutigkeit erläutert Klaus Vondung als Degradation eines Symbols:
"Neben der formalen Identität der symbolischen Bilder sind dies in erster Linie schematische und strukturelle Gemeinsamkeiten: Erhalten geblieben sind Handlungsmuster, Rollenfunktionen, Stellenwert der Ereignisse, Requisitarium, sowie die Beziehungen, in denen die einzelnen Elemente im Gesamtgefüge zueinander stehen". [5]
Dieser Vorgang prägte wesentlich die zeitgenössische Denkmalsrezeption und wurde begünstigt durch die stetig aufgewertete Darstellung von Soldaten auf Ehrenmälern - analog zu biblischen und historischen Gestalten. Bald wurde es jedoch zunehmend schwerer, zwischen Soldaten-, Krieger-, Heiligen- und Christusmotiven zweifelsfrei zu differenzieren - angesichts wechselseitiger Anleihen und der unklaren Grenzen von national-"christlichen", militärisch überkonfessionellen und kirchlich bekenntnishaften Normen. Dazu ließen sich beliebig viele Beispiele anführen, etwa das Nebeneinander verschiedener "Fahnenträger" (Christus oder Soldat) und nicht zuletzt der "Drachentöter" (Michael oder Siegfried). Ungeachtet der jeweiligen formalen Identität waren ihnen nach zeitgenössischem Verständnis doch bestimmte Deutungsmuster gemeinsam: Sieg und Überlegenheit! Dazu boten Kriegserinnerungen sowie aktuelle Sorgen und Nöte die passenden Anreize. Luden sie nicht zu einfachen Denkschemata ein, in denen zum Beispiel der Kampf von Michael/Siegfried mit dem Drachen einfach auf den Weltkrieg oder eine andere Auseinandersetzung zu übertragen war und zur Revanche einlud?


[1] Bach, Studien, S. 278.
[2] Willy Timm, Geschichte der Gemeinde Holzwickede, Unna 1988, S. 135f.
[3] Thomas Duhme u. a., "Unseren tapferen Helden...". Kriegs- und Kriegerdenkmäler und politische Ehrenmale, Dortmunder Beispiele, herausgegeben vom Fachbereich Design der Fachhochschule Dortmund, Essen 1987, S. 32f.
[4] Jürgen Zänker (Hg.), Öffentliche Denkmäler und Kunstobjekte in Dortmund, eine Bestandsaufnahme, Dortmund 1984, S. 72f.
[5] Klaus Vondung, Geschichte als Weltgericht, Genesis und Degradation einer Symbolik, in: Ders. (Hg.), Kriegserlebnisse, der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980, S. 68ff.


TECHNIKFoto
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FOTO-PROVENIENZJ. Klem (7a) / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/S. Sagurna (7b)


QUELLE    Vogt, Arnold | Krieg und Gewalt in der Denkmalskunst | Dia 07, S. 28-31
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.2   Dortmund, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet5.1   Militär und Krieg / Allgemeines
15.12.5   Kriegs- und Militärdenkmäler
DATUM AUFNAHME2004-02-23
AUFRUFE GESAMT1413
AUFRUFE IM MONAT161