[WestG] [AUS] Reine Kopfsache - LWL-Museum fuer Archaeologie eroeffnet Sonderausstellung "Schaedelkult", Herne, 17.11.2012-14.04.2013
Alexander Schmidt
Alexander.Schmidt at lwl.org
Fr Nov 16 11:19:48 CET 2012
Von: "LWL-Pressestelle" <presse at lwl.org>
Datum: 14.11.2012, 13:32
AUSSTELLUNG
Reine Kopfsache
LWL-Museum für Archäologie eröffnet Sonderausstellung
"Schädelkult"
Ab dem 17. November (bis 14. April 2013) zeigt der
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seinem LWL-Museum
für Archäologie in Herne auf rund 800 Quadratmetern die
Sonderausstellung "Schädelkult - Mythos und Kult um das Haupt
des Menschen".
Als Reliquie verehrt, als Trophäe gesammelt oder als
Mode-Accessoire genutzt - mit mehr als 300 Exponaten wird der
menschliche Schädel in den Mittelpunkt gestellt. Die Besucher
gehen in der Sonderausstellung nicht nur auf eine
geschichtliche Reise, sondern tauchen auch in die verschiedenen
Kulturen der Kontinente ein. "Der Schädelkult ist mehr als die
Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit", erklärt
LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale.
Verschiede Ausstellungsräume, angeordnet nach Erdteilen, zeigen,
wie unterschiedlich die Menschen mit dem Schädel umgehen und
welche Bedeutung ihnen zugesprochen wird. "Zwei Schädelexponate
aus dem Kreis Höxter zeigen uns, dass auch in Westfalen der
Schädelkult existiert", sagt LWL-Chefarchäologe Dr. Michael
Rind. Dazu gehört eine mit mehreren Stoffschichten umhüllte und
auf einem Kissen ruhende Schädelreliquie, die kürzlich in der
Wand der Klosterkirche Brenkhausen (Kreis Höxter) gefunden
wurde. Die unterste Textilschicht stammt vermutlich aus dem 13.
Jahrhundert, während die darüberliegenden Schichten erst nach
dem Jahr 1600 hinzugefügt wurden. Dieses stetige Bekleiden des
Schädels deute darauf hin, dass es sich um einen Schädel mit
hoher religiöser Bedeutung handelte, so Rind.
Außerdem ist in der Ausstellung eine der ältesten
Schädelöffnungen in Westfalen zu sehen. Der Kopf stammt aus
einem über 5.400 Jahre alten Steinkammergrab in Warburg (Kreis
Höxter). Der Kopf eines Mannes aus der Jungsteinzeit, der nach
der Operation noch längere Zeit lebte, weist ein trapezförmiges
Loch auf, das auf einen chirurgischen Eingriff, eine sogenannte
Trepanation hindeutet. "Der Schädel ist schon länger Teil
unserer Dauerausstellung, ohne dass wir wußten, was für einen
Schatz wir tatsächlich haben", sagt Dr. Josef Mühlenbrock,
Leiter des LWL-Museums für Archäologie in Herne. Für die
Sonderausstellung ließen die Verantwortlichen den
Schädelknochen von Wissenschaftlern der Curt-Engelhorn-Stiftung
und Mannheim untersuchen.
Gang durch die Ausstellung
"Kopfjagd, Voodoo-Kult, Schrumpf- oder Kristallschädel - sie
alle verbindet ein Ritual oder Mythos und sie zeigen, welche
Faszination von dem menschlichen Haupt ausgeht", so
Projektleiterin Dr. Constanze Döhrer. Ob als christliche
Reliquien oder Gegenstand der Wissenschaft, um den menschlichen
Schädel ranken sich Mythen. Zu ihnen zählt auch ein kleiner
weißer Schädel aus Alabaster. Manche Wissenschaftler schreiben
das Objekt Leonardo da Vinci zu, denn dieses Schädelmodell
weist anatomische Übereinstimmungen zu seinen Zeichnungen auf.
Nach den Mythen führt die Ausstellung in die Moderne. Mittels
Computertechnik ist es möglich, reinen Schädelformen ein
Gesicht zu geben. Mit diesem Verfahren rekonstruierten
Wissenschaftler beispielsweise das Gesicht der steinzeitlichen
Moorleiche Moora, die im Landkreis Nienburg (Niedersachsen)
gefunden wurde.
Europa: Beinhäuser und Charakterköpfe
Dass der Kult um den Schädel nicht nur den angeblich primitiven
Gesellschaften zugeschrieben werden kann, zeigt der
Ausstellungsbereich "Europa". Von der europäischen
Schädelverehrung zeugen angebetete Reliquien von Heiligen in
Kirchen sowie kunstvoll bemalte Köpfe in sogenannten
Beinhäusern.
Hier werden bunt bemalte Totenschädel neben- und übereinander
aufgereiht. Besonders in Teilen Österreichs und Süddeutschlands
wurde dieses Brauchtum noch bis in den 1980er Jahren ausgeübt.
Die Sitte der Zweitbestattung war in Mitteleuropa weit
verbreitet. Der Grund: die Gräber auf den kleinen Friedhöfen
mussten, nach einer Ruhezeit von fünf oder sieben Jahren, aus
Platzmangel geräumt werden. Die nicht verwesten Knochen - meist
Oberschenkelknochen und der Schädel - wurden gereinigt und
anschließend in den Beinhäusern untergebracht. Zur
Identifizierung malten Totengräber beispielsweise Namen und
Lebensdaten der Toten auf die jeweiligen Schädel, oder
ver-zierten den Knochen mit bunten Blumenranken.
Für den Mediziner Franz Joseph Gall (1758-1828) war der
menschliche Schädel ebenfalls von Bedeutung. Er vertrat die
Lehre der "Phrenologie". Demnach konnte er anhand der
Schädelform die Charaktereigenschaften ertasten. Laut seiner
These besitzen Schlauheit, Witz, Farb- oder Tonsinn einen
festen Platz im Gehirn. Je nach Ausprägung der Eigenschaft
drücke sie sich im Schädelknochen ab. Obwohl seine Theorie
schon zu Lebzeiten kritisiert wurde, hatte er in Deutschland,
Österreich und Frankreich viele Anhänger. Sogar der Dichter
Johann Wolfgang von Goethe ließ sich den Kopf von Gall abtasten
und besaß einen eigenen Phrenologieschädel, auf dem die
verschiedenen Charaktereigenschaften und deren Sitz geschrieben
standen.
Rätsel gibt der Fundplatz im pfälzischen Herxheim auf: In einem
doppelten Grubenring rund um eine Siedlung der späten
Jungsteinzeit (5.000 bis 4.950 v. Chr.) fand man Schädelschalen,
zerstückelte Arm- und Beinknochen, zertrümmerte Keramik und
Tierknochen, Überreste von über 500 Männern, Frauen und
Kindern. Es gibt keine Anzeichen, die auf eine gewaltsame
Tötung hindeuten. Die Toten sind auch nicht Opfer von
kriegerischen Handlungen geworden. Man häutete die Köpfe,
entnahm das Gehirn und löste gezielt das Schädeldach. Sind es
Spuren eines rituellen Kannibalismus? Sicher ist, dass dieser
Fundplatz Teil eines komplexen Rituals war, das im Europa
dieser Zeit einmalig ist.
Amerika: Mythos Kristallschädel und Schrumpfköpfe
Die Kristallschädel, die fälschlicherweise dem Volk der Maya
zugeschrieben werden, gehören zu den populärsten
Schädelkult-Objekten. Sie und ihr mysteriöser Ursprung finden
viele Anhänger, die glauben, dass laut Maya-Kalender in diesem
Jahr, am 21. Dezember 2012, die Welt untergeht. Das könne nur
verhindert werden, wenn alle 13 angeblich existierenden
Kristallschädel in einer festgelegten Form aufgestellt werden.
Archäologen gehen heute jedoch davon aus, dass diese Schädel
nicht im Sonnenreich der Maya entstanden sind, sondern
womöglich im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein. Dort wurde
der Schädel aus der Sonderausstellung angefertigt, denn mit
ihren Werkzeugen aus Stein und Holz, wären die
Zentralamerikaner nicht in der Lage gewesen, den harten
Bergkristall in diese Form zu bringen.
Dass der Schädel für die Menschen in Amerika ein wichtiges
Symbol für Lebenskraft war, zeigt ein Mixteken-Schädel aus
Mexiko. Die Mixteken sind ein altes Indianervolk aus
Mittelamerika. Viele türkise Mosaik-Steinchen bedecken den
Schädel, der mit künstlichen Augen bestückt ist. Weltweit gibt
es nur wenige vergleichbare Objekte. Es handelt sich vermutlich
um eine rund 1.500 Jahre alte Arbeit. Das Mosaik gibt eine
Gesichtsbemalung eines Gottes wieder, der möglicherweise zum
Schutz der Bestatteten dienen sollte.
Ein anderer Kult, der vor der Rache des getöteten Feindes
bewahren sollte, stammt von verschiedene Jivaro-Gruppen, die im
tropischen Regenwald nah der Anden leben. Sie fertigten nach
einem strengen Ritual Schrumpfköpfe an. Europäer entdeckten
diese Tradition als kurioses Souvenir und brachten sie von
ihren Entdeckungsreisen mit. Die hohe Nachfrage führte dazu,
dass Nicht-Jivaros Friedhöfe plünderten, um Schrumpfköpfe
herzustellen.
Afrika: Kopfjagd und Vodun-Kult
Die bekannteste Nutzung von Schädeln in Afrika fand im
Vodun-Kult statt, der als Ursprung des Voodoo angesehen wird.
Dieser Kult ist keine Religion mit bösen Absichten. Die
Priesterinnen oder Priester des Vodun führen bestimmte Rituale
durch und fertigen magische Gegenstände an, um Menschen zu
helfen, nicht um ihnen zu schaden. Meist handelt es sich um
Zauber, die die Gesundheit wieder herstellen sollen. Schädel
machen solche Zauber besonders mächtig und wirkungsvoll, aber
es gibt viele weitere Zutaten wie Tierknochen, Pflanzen,
Symbole, Farben, Spucke und Blut. Die genaue Zusammensetzung
des Zaubers bleibt dabei geheim. Mit Hilfe der Objekte und
Rituale werden die Vodun-Geister oder vermittelnde Gottheiten
kontaktiert. Diese wiederum haben Kontakt zum Schöpfergott, den
die Menschen nicht direkt erreichen können und der im
Krankheitsfall die Heilung bringen soll. Der Voodoo-Kult in
Südamerika weist starke Parallelen auf, nur dass die Priester
dort katholische Heilige kontaktieren, die sie als Vermittler
zu Gott verstehen.
Dass in einzelnen afrikanischen Regionen Ahnenschädel und
Kopftrophäen eine rituelle Bedeutung hatten, zeigen
Aufzeichnungen der Kolonialmächte des 19. Jahrhunderts. Für
verschiedene Völker galt das Abschneiden des Kopfes als ein
Zeichen des Triumphes über den Gegner. Um den Feinden diese
Macht zu demonstrieren, hängten sie die Kopftrophäen an ihre
Hausfassaden, betteten sie auf Altäre oder verarbeiteten die
Totenschädel zu Musikinstrumenten. Nach der Vorstellung dieser
Menschen lebte die Seele des getöteten Feindes im Schädel
weiter und galt als Vermittler zwischen Leben und Tod. Seine
Macht wurde aber nur durch das Einhalten fester Rituale wirksam.
Asien: Ehre und Kopfjagd
Der kulturelle Umgang mit Totenschädeln war auch in Asien
verbreitet, denn im Hinduismus und Buddhismus spielt das Haupt
des Menschen eine wichtige Rolle. Im tibetischen Buddhismus
gibt es beispielsweise Gegenstände aus Schädelknochen, die bis
heute benutzt werden. Die Doppeltrommel, die sogenannte damaru,
wird aus zwei Schädelschalen angefertigt. Für die Herstellung
nutzen die Möche nur das Schädeldach eines 16-jährigen Jungen
und das eines gleichaltrigen oder vier Jahre jüngeren Mädchens.
Nach dem tibetischen Glauben stellt diese Konstellation die
Vereinigung der Gegensätze dar. Für die Familie der
Verstorbenen gilt es als Ehre, wenn die Schädel ihrer Kinder
ausgewählt werden. Eine große Macht wird auch der Schädelschale
eines Hingerichteten oder eines Blitzschlagopfers
zugeschrieben. Die sogenannte kapala steht für Tod, Erleuchtung
oder auch für die zornige Seite der Götter. Sie wird von den
buddhistischen Mönchen als Opfer- oder Bettelschale genutzt.
Eine anders motivierte Schädelverehrung entdeckten
Wissenschaftler bei einigen Völkergruppen im Nordosten Indiens.
Für den Volksstamm der Naga war die Kopfjagd, die erst kürzlich
offiziell aufgegeben wurde, ein wichtiger Bestandteil des
religös-gesellschaftlichen Lebens. Die Kopfjagd hat hier einen
streng ritualisierten Rahmen und ist kein Gemetzel. Die
erbeuteten Köpfe dienten Fruchtbarkeitsriten. Die Bezeichnung
Dayak fasst unterschiedliche Stammesgruppen auf der Insel
Borneo zusammen. Die Hauptlebensgrundlage der Völker bildet der
Reisanbau, ergänzt durch Viehzucht und Jagd. Der Kopf galt in
ihrer Kultur als Zentrum von Lebensenergie und geistigen
Kräften. Indem ein Mann eine Kopftrophäe in sein Dorf brachte,
führte er diesem neue Lebensenergie zu und gewann Achtung. Auch
vor Missernten oder Krankheiten schützten Kopftrophäen. Die
Segnung der Reisfelder mit erbeuteten Köpfen galt als Grundlage
für eine gute Ernte. Trophäenschädel der Dayak sind häufig mit
aufwendigen Schnitzereien verziert. Die traditionelle Kopfjagd
verschwand erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Ozeanien: Ahnenmasken
Die vielen Inselstaaten Ozeaniens sind nicht nur reich an
außergewöhnlicher Naturlandschaft, sondern auch an Kulturen.
Für viele Einheimische der verschiedenen Südseeinseln spielt
der Kopf eine wichtige Rolle. Das Volk der Tolai fertigte
Masken aus den Schädeln bedeutender Verstorbener an. Diese
erhielten eine Gesichtsbemalung in Rot und Weiß, die der
Bemalung im Leben glich. Noch heute nutzen die Tolai diese
Farben um sich vor bösem Zauber zu schützen, der für sie
allgegenwärtig ist. Die Masken waren mächtige magische
Utensilien, die man nicht mit bloßen Händen berühren durfte.
Statt dessen nutzte man einen Haltestab auf der Rückseite. Bei
Ritualen wirkte die Macht des Verstorbenen verstärkend durch
diese Maske.
Achtung: Zu dieser Ausstellung gibt es Filmmaterial unter:
http://www.lwl.org/LWL/Der_LWL/PR/tv_audioservice/Filme_Kultur/schaedelkult_ausstellung
Kooperation
Anlass zum Ausstellungsprojekt bot im Jahr 2008 die Wiederentdeckung
der Schädelsammlung des Künstlers und Darwinisten Gabriel von
Marx (1840-1915). Die Sonderausstellung "Schädelkult" wurde von
den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim konzipiert und wurde
dort 2011 erstmals gezeigt. Von dort wanderte sie nach
Schleswig (Schloss Gottorf) und ist nun bis zum 14. April 2013
im LWL-Museum für Archäologie in Herne zu sehen.
Kooperationspartner sind die Reiss-Engelhorn-Museen und die
Curt-Engelhorn-Stiftung in Mannheim. Dort wurden auch die
westfälischen Objekte eigens für die Schau in Herne untersucht.
Angebote und Rahmenprogramm:
Am 30. November 2012 wird der Film "Indianer Jones im
Königreich der Kristallschädel" im Muse-umskino zu sehen sein.
Anschließend findet eine Taschenlampenführung durch die
Sonderausstellung statt. Die Vorstellung beginnt um 20 Uhr und
kostet inklusive Führung 13 Euro.
INFO
Führungen:
Um Kinder und Jugendliche an das Thema "Schädelkult"
heranzuführen, gibt es verschiedene Angebote: Junge Freibeuter
zwischen sechs und zehn Jahren begeben sich unter der
Piratenflagge auf große Fahrt und entdecken anhand von
kunstvoll bearbeiteten Schädeln aus aller Welt
unter-schiedliche fremde Kulturen.
Mit Expeditionskoffer und Kompass machen sich junge
Nachwuchsforscher ab elf Jahren auf den Weg, um fremde Kulturen
in allen Teilen der Welt zu erkunden. Führungen für Jugendliche
ab 14 Jahren zeigen die vielfältige Verwendung der Schädel als
Kunst- und Kulturobjekt.
Katalog zur Ausstellung
Schädelkult. Kopf und Schädel in der Kulturgeschichte des Menschen
Herausgeber: Alfried Wieczorek, Wilfried Rosendahl
Verlag Schnell & Steiner, Hardcover 25 x 31 cm
Seiten: 388 Preis: 19,90 Euro, ISBN 978-3-7954-2455-8
LWL-Museum für Archäologie
Westfälisches Landesmuseum
Europaplatz 1
44623 Herne
Tel.: 02323 946 28-0
Fax: 02323 946 28-33
E-Mail: lwl-archaeologiemuseum at lwl.org
URL: www.lwl-landesmuseum-herne.de
Besuchen Sie uns im Internet!
URL: http://www.schaedelkult.lwl.org
Mehr Informationen über die Mailingliste Westfaelische-Geschichte